Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 1 B 75/06 SF - Beschluss vom 14.09.2006
Das Anschreiben eines medizinischen Sachverständigen an eine zu begutachtende Person mit folgendem Inhalt:
Terminänderungen sind nur in dringenden Fällen möglich (Krankheit, Urlaub, dringende Familienangelegenheiten). Terminsabsagen sind schriftlich mit Begründung mitzuteilen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Beweislastregeln des gerichtlichen Verfahrens hinweisen: Lässt sich die von Ihnen vorgetragene gesundheitliche Beeinträchtigung nicht – in der Regel durch ein medizinisches Sachverständigengutachten – nachweisen, kann dies zur Klageabweisung führen. Falls Sie unentschuldigt fehlen, entsteht mir als Sachverständiger darüber hinaus ein finanzieller Schaden durch die fehlende Möglichkeit, meine ärztliche Arbeitskraft zu verwerten. Ich behalte mir deshalb ausdrücklich vor, insofern Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Für eventuelle Rückfragen stehen wir ausschließlich Mo. - Fr. in der Zeit von 13:00 bis 14:00 Uhr unter der Telefonnummer zur Verfügung.
berechtigt nicht, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Gründe:
I.
Mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Mai 2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, macht die Klägerin geltend, gegen den vom Sozialgericht bestellten Sachverständigen Dr. B bestehe die begründete Besorgnis der Befangenheit. In erster Linie beanstandet sie ein Schreiben des Sachverständigen mit dem dieser die Klägerin zum Termin zur ambulanten Untersuchung bestellt hat. In diesem Schreiben wird zunächst auf die Notwendigkeit eines pünktlichen Erscheinens hingewiesen, weiter heißt es wörtlich:
Terminsänderungen sind nur in dringenden Fällen möglich (Krankheit, Urlaub, dringende Familienangelegenheiten). Terminsabsagen sind schriftlich mit Begründung mitzuteilen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Beweislastregeln des gerichtlichen Verfahrens hinweisen: Lässt sich die von Ihnen vorgetragene gesundheitliche Beeinträchtigung nicht – in der Regel durch ein medizinisches Sachverständigengutachten – nachweisen, kann dies zur Klageabweisung führen. Falls Sie unentschuldigt fehlen, entsteht mir als Sachverständiger darüber hinaus ein finanzieller Schaden durch die fehlende Möglichkeit, meine ärztliche Arbeitskraft zu verwerten. Ich behalte mir deshalb ausdrücklich vor, insofern Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Für eventuelle Rückfragen stehen wir ausschließlich Mo. - Fr. in der Zeit von 13:00 bis 14:00 Uhr unter der Telefonnummer zur Verfügung.
Der Sachverständige hat sich dahin geäußert, dass die Einladung korrekt erfolgt sei. Im Übrigen hat er angemerkt, dass die Formulierung in Absprache mit einem Richter des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg erfolgt sei. Insgesamt sei der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten auf eine Weise emotional gefärbt, die wohl mehr von einer Befangenheit des Rechtsanwalts als der des gerichtlich bestellten Sachverständigen zeuge.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Form einer Einladung keinen
Rückschluss auf eine Parteilichkeit eines Sachverständigen zulasse.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Nach § 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 406 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. In entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Sachverständiger danach wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Sicht des Ablehnenden, sondern danach, ob vom Standpunkt des Beteiligten aus auch bei vernünftiger Betrachtung objektiv die Besorgnis begründet ist, der Sachverständige werde sein Gutachten nicht unparteilich erstellen.
Das Sozialgericht hat unter Anwendung dieser Grundsätze zutreffend entschieden, dass das zulässige Ablehnungsgesuch unbegründet ist. Der Senat schließt sich seinen Ausführungen in rechtlichem Ausgangspunkt und in Würdigung des zugrunde liegenden Sachverhalts an, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Begründung in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen werden kann (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Wie das Sozialgericht geht auch der Senat davon aus, dass die Hinweise des Sachverständigen über die Beweislastregelungen im sozialgerichtlichen Verfahren bei Terminsbestimmung zumindest überflüssig sind. Es ist der Klägerin darin beizupflichten, dass es nach Bestellung als Sachverständiger durch das Gericht nicht seine Aufgabe ist, den Beteiligten irgendwelche Hinweise zu einer (seiner Auffassung nach) sachgerechten Verfahrensführung zu geben. Insbesondere der Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung hat vom Gericht zu erfolgen, anderenfalls kann er ohnehin keine verfahrensrechtlichen Konsequenzen haben. Dies ist dem Sachverständigen wohl auch bekannt. Der Hinweis des Sachverständigen steht – wie das Sozialgericht ausgeführt hat – nämlich ersichtlich in Zusammenhang mit seinem Interesse an einem geregelten und damit auch gewinnmaximierenden Ablauf der Begutachtung. Das Schreiben lässt auch für den Beteiligten bei vernünftiger Betrachtung gerade nicht den Schluss zu, der Sachverständige sehe sich sozusagen in der Richterrolle. Gegebenenfalls verfahrensfehlerhaftes Verhalten gegenüber den Beteiligten, das damit allein im Raume steht, reicht aber als solches nicht zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit aus. Insoweit gilt nichts anderes als bei Ablehnungsgesuchen gegen Richter: Nur wenn die Verfahrensweise von einem willkürlichen oder unsachlichen Umgang mit den Angelegenheiten der Klägerin geprägt wäre, könnte das Vorgehen des Sachverständigen die Besorgnis der Befangenheit begründen. Den Schluss auf einen unsachlichen, herabwürdigen Umgang mit der Klägerin lassen die gewählten Formulierungen jedoch nicht zu. Welchen Ton der Sachverständige in Anschreiben an die Beteiligten wählt, ist ihm im Grundsatz freigestellt, solange er die Grenzen der allgemein einzuhaltenden Höflichkeit nicht verletzt. Dass er solche Grenzen überschritten hätte, wird auch von der Klägerin trotz der (von ihr als unnötig empfundenen) Schärfe in der Diktion nicht behauptet. Auch insoweit ist dem Sozialgericht darin zuzustimmen, dass allein das erkennbare Erwerbsinteresse, das in dem Schreiben seinen Niederschlag findet, keinen Rückschluss darauf zulässt, der Sachverständige behandele die Klägerin als Untergebene in einem Subordinationsverhältnis.
Es besteht objektiv auch kein Anhalt, dass durch die Differenzen bei der Terminabstimmung zwischen dem Sachverständigen und der Klägerin eine Voreingenommenheit des Sachverständigen bei der Gutachtenerstellung zu besorgen wäre. Denn selbst wenn insoweit Differenzen erkennbar geworden sind, beziehen sie sich inhaltlich in keiner Weise auf den durch die Beweisanordnung vorgegebenen Untersuchungsauftrag. Allein die Tatsache, dass der Sachverständige auf den implizierten Vorwurf der Selbstüberschätzung hin seinerseits dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin Befangenheit vorgeworfen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Ein Ablehnungsgesuch ist im Grundsatz unbegründet, wenn ein Sachverständiger auf heftige Angriffe scharf reagiert, da ansonsten ein Ablehnungsgrund von den Beteiligten selbst provoziert werden könnte. Reaktionen, aus denen zu schließen wäre, zwischen dem Sachverständigen und dem Prozessbevollmächtigten bestehe von nun an eine Art von "Feindschaft", die an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen von vornherein zweifeln ließe, sind im Laufe des Ablehnungsverfahrens von beiden Seiten nicht erfolgt.
Soweit die Klägerin schließlich Zweifel an der Qualifikation des Gutachters geäußert hat, kann dies nicht zur Besorgnis der Befangenheit führen. Die Auswahl des Sachverständigen ist ebenso wie die Würdigung des auf Grundlage der Beweisanordnung erstellten Gutachtens Sache des Gerichts. Zweifel an der Sachkunde des gewählten Sachverständigen sind mit dem Gericht zu klären, wie dies vorliegend auch geschehen ist, wobei sich die Facharztbezeichnungen, die der Sachverständige führen darf, schon aus dessen Briefkopf ergeben. Es ist daher nicht recht nachvollziehbar, weshalb die Antwort des Sachverständigen auf die Frage nach seiner Qualifikation von der Klägerin als ausweichend empfunden wird.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).