Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - Az.: L 20 (9) B 10/05 AY ER - Beschluss vom 09.12. 2005
1. Zur Frage, wann bei "unklaren Einkommensverhältnissen" Leistungen abgelehnt werden können.
2. Dienen Leistungen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens als verfassungsrechtlicher Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt, ist bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller auf die gegenwärtige Lage abzustellen. Umstände der Vergangenheit dürfen insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen. Aus diesen Gründen dürfen existenzsichernde Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen. Wie das BVerfG ausgeführt hat, müssen sich die (Sozial-) Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
Gründe:
I.
Die Antragstellerinnen sind iranische Staatsangehörige, deren Asylanträge mit
Bescheid vom 03.09.2004 rechtskräftig abgelehnt wurden. Auf Zuweisung der
Bezirksregierung Arnsberg halten sie sich seit dem 15.03.2001 in X auf und
bezogen zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG),
zuletzt vom 01.03. - 30.09.2004 gemäß § 2 AsylbLG analog den Vorschriften des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG).
Mit Wirkung ab dem 01.10.2004 stellte die Antragsgegnerin Leistungen nach dem
AsylbLG mit Bescheid vom 18.10.2004 ein, nachdem sie davon Kenntnis erlangt
hatte, dass die Antragsstellerinnen am 30.05.2004 am Flughafen Frankfurt am Main
mit gefälschten Ausweispapieren und zwei Flugtickets nach Toronto aufgegriffen
worden seien. Die Antragstellerinnen hätten zunächst erklärt, die Tickets
seien durch Verwandte bezahlt worden, dann aber, um Nachweise gebeten, den
Vortrag dahingehend geändert, dass ein unbekannter Iraner ihnen geholfen hätte.
Wegen nicht nachvollziehbarer Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien die
Leistungen einzustellen, lediglich Akutversorgung im Krankheitsfall werde
gesichert.
In einem sich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes trug die Antragsgegnerin vor, im August 2004 sei
bei den Antragstellerinnen ein hochwertiges Fernsehgerät vorgefunden worden,
nachdem sie bereits im April 2002 eindringlich darauf hingewiesen worden sei,
dass sie bei Eigentum eines hochwertigen Fernsehgerätes über verwertbares Vermögen
verfüge und damit keine Ansprüche nach dem AsylbLG bestünden. Damals sei den
Angaben der Antragstellerinnen Glauben geschenkt worden, die Geräte stünden im
Eigentum eines in E lebenden Bruders der Antragstellerin zu 1).
Mit Beschluss vom 08.11.2004 wies das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den
Antrag der Antragstellerinnen im Wesentlichen mit der Begründung ab, es bestünden
Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerinnen. Diese gründeten sich
auf unterschiedlichen Angaben zur Herkunft der falschen Ausweispapiere sowie der
Flugtickets. Außerdem hätten der Haushaltsgemeinschaft noch im Sommer 2004
Haushaltsmittel zur Finanzierung eines Führerscheins für den Sohn der
Antragstellerin zu 1) I N zur Verfügung gestanden. Die Antragstellerinnen
wurden vom Verwaltungsgericht im Übrigen auf ihre seit September 2004
bestehende ausländerrechtliche Ausreisepflicht hingewiesen.
Die Beschwerde der Antragstellerinnen wurde vom Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 23.12.2004 wegen Verfristung als
unzulässig verworfen.
Am 04.03.2005 beantragten die Antragstellerinnen erneut Leistungen nach dem
AsylbLG. Zur Begründung trugen Sie vor, die Führerscheinkosten für I N seien
durch einen Onkel in Kanada getragen worden. Insoweit werde auf die überreichte
Erklärung des Onkels des Herrn N und Bruders der Antragstellerin zu 1) vom
05.10.2004 verwiesen. Letzterer habe auch die Kosten für die falschen
Ausweispapiere sowie die Flugtickets nach Kanada getragen. Die Familie verfüge
über keinerlei Einkünfte und müsse sich Geld von Freunden, Verwandten und
Bekannten leihen. Die Rückzahlung dieser Mittel werde erwartet.
Mit Bescheid vom 14.03.2005 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Nach der
Einstellung der Leistungen seien an Wochenenden oftmals mehrere Personen in den
Räumen der Antragstellerinnen angetroffen worden, die auch verpflegt worden
seien. Die Kleidung der Familie entspreche im Übrigen dem neuesten Stand der
Mode. Zudem habe die Antragstellerin im Rahmen einen Umverteilungsantrages nach
Düsseldorf vorgetragen, ein Verwandter sei bereit, den Lebensunterhalt der
Antragstellerinnen sicherzustellen. Dies habe der Verwandte bestätigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2005 wies die Antragsgegnerin den hiergegen
gerichteten Widerspruch der Antragstellerinnen zurück. Zur Begründung trug sie
ergänzend vor, die Antragstellerin sei in der Lage, Feste für mehr als 20
Personen auszurichten und auch ohne Leistungen weiterhin mit einem sehr
gepflegten Äußeren und in hochwertiger Mode aufzutreten. Daher sei anzunehmen,
dass auch finanzielle Mittel für Essen und Getränke vorhanden (gewesen) seien.
Es sei weiterhin nicht glaubwürdig dargelegt, mit welchen Mitteln gefälschte Pässe
und Flugtickets nach Toronto angeschafft werden konnten. Der
Krankenversicherungsschutz der Antragstellerinnen werde im Bedarfsfall weiterhin
sichergestellt.
Am 19.05.2005 haben die Antragstellerinnen hiergegen Klage beim SG Gelsenkirchen
erhoben.
Mit ihrem am 17.06.2005 beim SG Gelsenkirchen anhängig gemachten Antrag
begehren die Antragstellerinnen die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege
des einstweiligen Rechtsschutzes, ab dem 01.06.2005 Leistungen nach dem AsylbLG
nach den gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen und auszuzahlen. In einer
eidesstattlichen Versicherung vom 08.06.2005 erklärt die Antragstellerin zu 1),
es sei nur im März 2005 ein Fest gefeiert worden, wobei die Familie Speisen und
Getränke mitgebracht habe. Sie habe bei allen möglichen Leuten in der
Zwischenzeit Geld geliehen. Pässe und Flugtickets habe ihr Bruder aus Kanada
bezahlt. Dass ihr Sohn öfters in PKW angetroffen worden sei, liege daran, dass
er diese von Angehörigen z.T. aus Berlin zur Verfügung gestellt bekommen habe.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 21.07.2005 abgelehnt. Zur Begründung
hat es u.a. ausgeführt, die Antragstellerinnen treffe die Darlegungs- und
materielle Beweislast für das Nichtvorhandensein von Einkommen und Vermögen.
Das Gericht halte es für wahrscheinlich, dass die Antragstellerinnen über
ausreichendes Vermögen verfügten. Hierfür sprächen die von der
Antragsgegnerin vorgefundenen Elektronikgeräte, der Führerscheinerwerb des
Sohnes der Antragstellerin zu 1) sowie die Umstände der versuchten Ausreise. Außerdem
ließe sich den vorgelegten medizinischen Befunden eine Mangelernährung nicht
entnehmen. Den Antragstellerinnen stünden nur auf das Wesentliche beschränkte
Leistungen nach 1a AsylbLG zu. Ein Anordnungsgrund bestehe im Übrigen nicht,
weil die Antragsgegnerin offenbar bereit sei, Essensgutscheine zur Verfügung zu
stellen und bereits Unterkunft und Krankenversicherungsschutz sicherstelle.
Gegen den ihr am 26.07.2005 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde
der Antragstellerinnen vom 26.08.2005. Zur Glaubhaftmachung haben sie eine
Aufstellung erhaltener Geldleistungen über insgesamt 3.865 EUR überreicht
inkl. der Namen der Leistenden. Die vollständigen Anschriften sind nachgereicht
worden. Außerdem liegt u.a. vor ein Schreiben des Pfarrers E aus X vom
05.09.2005 nebst Anlagen. Darin ist ausgeführt, die Kleidung der
Antragstellerin zu 1) stamme aus der Kleiderkammer der Caritas. Als ihr Sohn im
Krankenhaus in M gelegen habe, sei die Antragstellerin zu 1) täglich sechs
Kilometer zu Fuß gegangen, da sie sich die Fahrkarte nicht habe leisten können.
Bei dem von der Antragsgegnerin erwähnten Fest habe es sich um das Neujahrsfest
ihres Kulturkreises gehandelt. Herr B H aus Berlin habe bestätigt, mehrfach mit
gemieteten Autos in X gewesen zu sein. Herr I1 I2 aus E habe bestätigt, dass
das vorgefundene Fernsehgerät von ihm erworben worden sei.
Es sind vorgelegt worden:
eine an Herrn H2 gerichtete Rechnung des Otto Versandes über eine Mini-Anlage
DVD,
ein Schreiben des B I aus Berlin, worin dieser bestätigt, mit von ihm
gemieteten Autos sich mehrere Tage in E aufgehalten zu haben,
ein Schreiben einer Frau Q H1, die bestätigt, zum Neujahrsfest Essen und Getränke
mitgebracht zu haben.
Die Antragsgegnerin hat hierzu ausgeführt, die vorgelegte Liste über erhaltene
Zahlungen sei nahezu identisch mit einer bereits im April 2005 vorgelegten Liste
und könne nicht darlegen, wovon die Antragstellerinnen seitdem gelebt hätten.
Die Antragstellerin müsse sich fragen lassen, wovon sie im vergangenen Jahr
Fahrten zu Arztbesuchen nach Düsseldorf bezahlt habe, soweit sie nunmehr
vortrage, kein Geld für Fahrkarten nach M zu besitzen. Es seien mehrere Feste
festgestellt worden, wobei zweifelhaft sei, dass jeweils die Gäste ihr eigenes
Essen mitgebracht hätten. Soweit ein Zusammenhang der Krankenhausaufenthalte
der Antragstellerin in jüngster Vergangenheit mit der Ablehnung von Leistungen
nach dem AsylbLG hergestellt werde, müsse festgestellt werden, dass Mangel-
oder Unterernährung nicht festgestellt worden sei. An den Ausführungen zur
Finanzierung der Flugtickets, Fahrkarten und falschen Ausweispapieren und den
widersprüchlichen Angaben der Antragstellerinnen hierzu werde festgehalten.
Es sei nach wie vor nicht nachvollziehbar, dass "vermögende
Verwandte", die Antragstellerinnen an ihrem luxuriösen Leben großzügig
teilhaben ließen, nicht aber für ihre Grundbedürfnisse aufkommen wollten.
Die Antragsgegnerin vermutet darüber hinaus, der Sohn der Antragstellerin zu
1), der keinen Antrag nach dem AsylbLG mehr gestellt habe, stelle den Unterhalt
der Antragstellerinnen im Rahmen seiner Unterhaltsverpflichtungen sicher, zumal
"er immer wieder hochwertige PKW" fahre. Die Antragstellerin zu 2)
halte sich kaum noch in der Unterkunft auf, so dass zu vermuten sei, dass ihr
Lebensunterhalt in diesen Zeiten durch Dritte sichergestellt sei. Nach wie vor
befänden sich gute Elektrogeräte (u.a. eine Heimorgel) in der Unterkunft.
Diese Geräte seien keine Dauerleihgabe, sondern vermutlich Geschenke und daher
als Vermögen zu werten. Es werde auch vermutet, dass weiterhin eigenes Vermögen
vorliege.
Sie ist der Auffassung die Darlegungs- und Beweislast für die Hilfebedürftigkeit
treffe die Antragstellerinnen.
Der Senat hat Akten der Staatsanwaltschaft C (000) beigezogen, ausweislich derer
die Antragstellerin eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 331,20 EUR derzeit
in Raten von monatlich 5 EUR abzahlt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie
beigezogener Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen (Az: L 17 L
2276/04 und L 17 L 2275/04).
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerinnen, der das Sozialgericht (SG)
nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 29.08.2005), ist im aus dem
Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind erfüllt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein
Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung
des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen
sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht
gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden
Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.), nur eine
Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller
in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b RdNr. 25 ff).
Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die
Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind
glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung).
Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen
u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist dies nicht möglich,
ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005
vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).
Dienen Leistungen - wie die Leistungen nach dem AsylbLG - der Sicherstellung
eines menschenwürdigen Lebens als verfassungsrechtlicher Pflicht des Staates ,
die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem
Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfGE 82, 60 (80)) und unabhängig von den Gründen
der Hilfebedürftigkeit besteht (vgl. BVerfGE 35, 202 (235)), ist bei der
Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller auf die gegenwärtige Lage
abzustellen. Umstände der Vergangenheit dürfen insoweit herangezogen werden,
als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des
Anspruchstellers ermöglichen. Aus diesen Gründen dürfen existenzsichernde
Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere
wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (vgl. BVerfG, Beschluss vom
12.05.2005, a.a.O.). Die grundrechtlichen Belange der Antragstellerinnen sind
dabei umfassend zu berücksichtigen.
Wie das BVerfG ausgeführt hat (a.a.O.), müssen sich die (Sozial-) Gerichte schützend
und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 1. Kammer
des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1236 (1237)). Dies gilt ganz besonders, wenn es
um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser
grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur
zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
Angesichts der Grundrechtsrelevanz der Versagung existenzsichernder Leistungen
(vgl. BVerfG, a.a.O, s.o.) sind daher trotz unübersehbarer Ungereimtheiten
(z.B. Herkunft von 500 EUR Barvermögen bei der versuchten Ausreise nach Kanada)
Leistungen nach § 3 AsylbLG im tenorierten Umfang zu erbringen.
Der Senat hält eine abschließende Überprüfung der Hilfebedürftigkeit der
Antragstellerinnen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht für möglich,
da keine hinreichenden Erkenntnisse zur Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der
Antragstellerinnen, die nicht auf Umständen der Vergangenheit beruhen,
vorliegen. Vielmehr sind hierzu weitere Ermittlungen erforderlich, die dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.
Die von der Antragsgegnerin z.T. begründet vorgebrachten Zweifel an den Angaben
der Antragstellerinnen gründen weit überwiegend auf in der Vergangenheit
liegenden Sachverhalten. Bezüglich der gegenwärtigen Situation sind die Ausführungen
der Antragsgegnerin wenig konkret und im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht abschließend überprüfbar. Zum Teil handelt es sich um
reine Vermutungen.
Die Antragstellerinnen haben zu den von der Antragsgegnerin zur Begründung der
Annahme von Einkünften und Vermögen vorgetragenen Umständen zudem ihrerseits
umfangreich vorgetragen, zahlreiche Zeugen (nebst ladungsfähiger Anschrift)
benannt, die ihre Angaben bestätigen können sollen, und Erklärungen zur
weiteren Glaubhaftmachung der Angaben vorgelegt.
So sind von der Antragsgegnerin z.B. keine konkreten Angaben dazu gemacht
worden, mit welcher Regelmäßigkeit von den Antragstellerinnen Feste
ausgerichtet wurden/werden. Die Antragsstellerinnen haben insoweit - was derzeit
nicht widerlegbar ist - vorgetragen, ihre Gäste hätten Nahrungsmittel für ein
"Neujahrsfest" zur Verfügung gestellt und eine entsprechende Erklärung
eines Gastes vorgelegt.
Bezüglich einiger von der Antragsgegnerin als Anhaltspunkt für verwertbares
Vermögen aufgeführter Elektrogegenstände sind von den Antragstellerinnen
Rechnungen vorgelegt worden, die geeignet sind, zumindest den Erwerb dieser
Gegenstände durch Dritte zu belegen, die auch schriftlich ihr Eigentum an den
Geräten (Fernsehern, DVD-Anlage) bestätigt haben. Dass auch jetzt noch konkret
nicht beschriebene Elektrogegenstände ("gute Elektronikgeräte")
vorhanden sein sollen, rechtfertigt daher nicht die Vermutung, dass es sich bei
diesen Gegenständen nicht um Dauerleihgaben handelt.
Aus der Kleidung der Antragstellerinnen auf vorhandene Einkünfte und Vermögen
schließen zu können, hält der Senat angesichts des bestätigten Besuchs einer
Kleiderkammer der Caritas für nicht möglich. Soweit die Antragsgegnerin
insoweit auf "für Asylbewerber typische" Kleidung abzustellen
scheint, vermag der Senat den Überlegungen bereits im Ansatz nicht zu folgen,
weil er sie für ungeeignet hält. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom
11.04.2005, wonach "mit einem sehr gepflegten Äußeren und in
hochwertiger, modischer und sicherlich nicht billiger Kleidung" aufgetreten
werde, rechtfertigen den Rückschluss auf Vermögen und Einkünfte ohne nähere
Darlegungen jedenfalls nicht.
Es liegen keinerlei verwertbaren Erkenntnisse vor, dass Herr N über nach § 7
Abs. 1 Satz 1 AsylbLG anzurechnendes Einkommen oder Vermögen verfügt. Die
alleinige Feststellung der Antragsgegnerin, dieser werde immer wieder in
hochwertigen PKW gesehen, rechtfertigt die Annahme des Vorhandenseins von Einkünften
und Vermögen nicht. Hierzu liegen im Übrigen Erklärungen von Verwandtschaft
der Antragstellerinnen vor, die darauf hinweisen, dass diese PKW von ihnen
angemietet und Herrn N zur Verfügung gestellt wurden.
Die Umstände bezüglich der versuchten Ausreise nach Kanada liegen nunmehr mehr
als 1 ½ Jahre zurück. Auch der Senat verkennt die Widersprüchlichkeit der
unterschiedlichen Erklärungsversuche bezüglich der Herkunft der Tickets und
falschen Ausweispapiere bzw. der hierzu erforderlichen finanziellen Mittel
nicht. Zum einen erlauben diese Umstände aber keine zwingenden Rückschlüsse
bezüglich der aktuellen Hilfebedürftigkeit, zum anderen stellt sich die Frage,
ob angesichts der offenkundigen Illegalität widerspruchsfreie Angaben zu
erwarten sind, zumal es nicht abwegig erscheint, dass auch die Hilfe von
Verwandten in Anspruch genommen wurde. Welche Erkenntnisse die Antragsgegnerin für
die gegenwärtige Situation aus dem Umstand ableiten will, dass vor 1 ½ Jahren
finanzielle Mittel für die Bahnfahrt zu Ärzten in Düsseldorf vorhanden waren,
erschließt sich dem Senat nicht.
Auch die Finanzierung des Führerscheins des Herrn N im Sommer 2004 rechtfertigt
die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht ohne weiteres. Aktenkundig ist
insoweit eine Erklärung der kanadischen Verwandtschaft, den Führerschein
finanziert zu haben.
Die Antragstellerinnen müssen sich nach Auffassung des Senats auch nicht auf
weitergehende Hilfe von Bekannten, Freunden und Verwandten verweisen lassen. Der
Umstand, dass die Antragstellerinnen keinerlei Zeichen von Mangelernährung
zeigen, rechtfertigt nämlich sicherlich nicht die Annahme von verwertbarem Vermögen
oder Einkünften. Die Antragstellerinnen haben bezüglich der Sicherstellung
ihres Lebensunterhalts vielmehr (finanzielle) Hilfen Dritter in Anspruch
genommen und diesbezüglich eine Forderungsaufstellung, die eine Verschuldung
bei Dritten belegen soll. Insoweit vermag der Senat die von der Antragsgegnerin
geäußerten Zweifel zwar (zum Teil) nachzuvollziehen; die abschließende Klärung
muss auch insoweit aber dem Hauptsachverfahren vorbehalten bleiben. Die
Inanspruchnahme der Hilfe von Kirchengemeinden erscheint darüber hinaus
nachgewiesen. Im Übrigen schlösse die Bereitschaft Dritter, den
Antragstellerinnen jenseits einer bestehenden Unterhaltsverpflichtung über eine
finanzielle Notlage hinwegzuhelfen, Hilfebedürftigkeit im Sinne des AsylbLG
nicht aus.
Darüber hinaus ist bezüglich der finanziellen Leistungsfähigkeit der
Antragstellerinnen darauf hinzuweisen, dass der Antragstellerin zu 1) bezüglich
der in dem strafrechtlichen Verfahren wegen Urkundenfälschung vom Amtsgericht
Recklinghausen ausgesprochenen Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 5 EUR aufgrund
ihrer wirtschaftlichen Situation Ratenzahlung gewährt wird.
Der Senat hat bei seiner Entscheidung dahinstehen lassen können, ob die
Antragstellerinnen aufgrund der zwingenden Vorschrift des § 1a Nr. 2 des
AsylbLG keinen Anspruch auf ungekürzte Leistungen haben, weil
aufenthaltsbeendende Maßnahmen derzeit aus von ihnen zu vertretenden Gründen
nicht vollzogen werden können.
Denn die von der Antragsgegnerin zu erbringenden Leistungen reichen zumindest
vorübergehend zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens aus.
Insoweit ist von Bedeutung, dass die Antragstellerinnen bereits in
Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind und Leistungen bei Krankheit von
der Antragsgegnerin im Bedarfsfall erbracht werden. Da der gestellte Antrag darüber
hinaus geht, war die Beschwerde im Übrigen abzuweisen.
Der Senat geht bei seiner Entscheidung davon aus, dass die Antragsgegnerin bei
gleichbleibender Sachlage und nicht rechtskräftigem Abschluss des anhängigen
Hauptsacheverfahrens auch über den 31.12.2005 Leistungen im tenorierten Umfang
erbringen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG
und berücksichtigt, dass Antrag und Beschwerde der Antragstellerinnen weit überwiegend
erfolgreich gewesen sind.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).