Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 20 AS 12/07 - Urteil vom 29.10.2007
Ein Anspruch auf Erstausstattung der Wohnung kommt auch dann in Betracht, wenn ein Haushaltsgegenstand - wie z. B. eine Waschmaschine - in der angemieteten Wohnung bisher nicht vorhanden war.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Anschaffung einer Waschmaschine unter dem Gesichtspunkt der Erstausstattung der Wohnung hat.
Der 1947 geborene Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Zunächst lebte er in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau, seiner 1988 geborenen Tochter N und dem 1989 geborenen Sohn H. Zum 01.05.2005 mietete er mit seiner Tochter N laut Mietvertrag vom 18.04.2005 eine Zweizimmerwohnung in E an. Die Beklagte bewilligte in der Folge Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Regelleistungen. Außerdem erhielt der einkommens- und vermögenslose Kläger einen Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende. Mit Schreiben vom 10.05.2005 und 23.08.2005 beantragte der Kläger Leistungen der Erstausstattung für eine Waschmaschine. Mit Bescheid vom 06.09.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasse insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Könne im Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, könne dem Hilfebedürftigen nach § 23 Abs. 1 SGB II bei entsprechendem Nachweis der Bedarf als Sach- oder Geldleistung in Form eines Darlehens gewährt werden. Der Kläger sei aber in der Lage, die beantragte Sonderleistung aus eigenen Kräften und Mitteln in vollem Umfang zu decken. Es bestehe auch kein unabweisbarer Bedarf; es sei dem Kläger vielmehr zuzumuten, für eine Waschmaschine Ansparungen zu treffen und vorübergehend die Wäsche in einem Waschsalon zu waschen.
Zur Begründung seines hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 21.09.2005 trug der Kläger vor, er könne keine Rücklagen bilden, wenn er mindestens viermal in der Woche in einen Waschsalon gehen müsse.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte nunmehr ergänzend aus, ein Anspruch auf Erstausstattung setze die erstmalige Gründung eines Hausstandes voraus wie etwa bei erstmaliger Anmietung einer Wohnung nach Verlassen des Elternhauses, nach Haftentlassung, nach der Aufgabe des Wohnsitzes im Ausland und beim Auszug aus einem Übergangswohnheim. Anspruchsberechtigt seien nicht automatisch getrennt lebende Leistungsberechtigte, die die eheliche Wohnung ohne Mitnahme von Hausrat verlassen hätten. Diese hätten nach § 6 der Hausratsverordnung einen Anspruch auf Zuteilung von gemeinsam gehörendem Hausrat. Anstelle der Erstausstattungsbeihilfe würden dann Transportkosten nach § 22 SGB II übernommen. Erst wenn (zivilgerichtlich) ein Anspruch auf Zuteilung versagt werde, könne eine Erstausstattungsbeihilfe gewährt werden. Ein Anspruch auf Ersatzbeschaffung bestehe nicht. Unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse sei der Kläger in der Lage, die beantragte Leistung in vollem Umfang zu decken.
Zur Begründung seiner hiergegen am 21.10.2005 beim Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, seine Frau habe die Waschmaschine mitgenommen, weil sie ihr gehöre. Ansparungen seien nicht möglich, wenn man in eine Wäscherei gehen müsse; außerdem seien auch Arztkosten, Schulsachen etc. aus den Regelleistungen zu decken.
Der Kläger hat erstinstanzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2005 Mittel zur Anschaffung einer Waschmaschine zu gewähren.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Ausführungen in ihren Bescheiden Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 19.10.2005 verpflichtet, dem Kläger zur Anschaffung einer Waschmaschine einen Betrag von 250 EUR zu gewähren. Der Anspruch auf Erstausstattung für Wohnungen erfasse auch die Beschaffung einer Waschmaschine. Der Begriff der Erstausstattung sei bedarfs- und nicht allein zeitbezogen zu verstehen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wieso ein aus längerer Strafhaft Entlassener besser gestellt werde als der Hilfeempfänger, der sich von seinem Ehepartner getrennt habe. Nach der Trennung von Eheleuten sei regelmäßig Hausrat nur einfach vorhanden. Die Richtlinien der Beklagten sähen für die Anschaffung einer Waschmaschine einen Betrag zwischen 154 EUR und 256 EUR vor, daher erscheine der zuerkannte Betrag der Kammer angemessen.
Das Sozialgericht hat die Berufung im der Beklagten am 13.11.2006 zugestellten Urteil nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten vom 21.11.2006 hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 16.02.2007 zugelassen.
Zur Begründung der Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, der Gesetzgeber habe den Begriff der Erstausstattung nicht näher definiert. Die Gewährung einer Erstausstattungsbeihilfe komme nur in Betracht, wenn beim Hilfebedürftigen eine Wohnungsausstattung noch nicht vorhanden oder nicht mehr vorhanden sei. Sei Hausrat teilweise vorhanden, könne allein nach dem Wortlaut "Erstausstattung" ein Anspruch nicht in Betracht kommen. Die Erstausstattung sei inhaltlich in Abgrenzung zum Erhaltungs- oder Ergänzungsbedarf zu bestimmen, der aus der Regelleistung zu bestreiten sei. Andernfalls hätte der Gesetzgeber die Begriffe "Teilausstattungen" oder "Ausstattungen" verwenden müssen. Beim Kläger sei Hausrat bis auf die Waschmaschine vorhanden gewesen. Es hätte allenfalls ein Darlehen in Anspruch genommen werden können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.10.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, sowie der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach Zulassung zulässige Berufung (§§ 144, 145 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) der Beklagten ist unbegründet. Streitgegenstand ist allein der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Leistung zur Erstausstattung der Wohnung.
Der Kläger ist durch den Bescheid vom 06.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2005 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das Sozialgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Leistungen der Erstausstattung seiner Wohnung mit einer Waschmaschine zu Recht bejaht und der (kombinierten) Anfechtungs- und Leistungsklage stattgegeben.
Der Anspruch des Klägers folgt bei Einkommens- und Vermögenslosigkeit des Klägers und damit gegebener Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 Abs. 1 SGB II aus § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II in der maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 24.12.2003 (BGBl. I, 2954). Danach sind Leistungen für Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nicht von der Regelleistung umfasst (Satz 1); sie werden vielmehr gesondert erbracht (Satz 2), und zwar als Sach- oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen (Satz 4). Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass der nicht legaldefinierte Begriff der Erstausstattung nicht zeitlich (den erstmaligen Einzug in eine Wohnung betreffend), sondern bedarfsbezogen zu verstehen ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 25.01.2006, Az.: L 20 B 30/06 AS ER sowie vom 19.05.2006, Az: L 20 B 93/06 AS ER). Die bedarfsbezogene Betrachtungsweise entspricht auch der ansonsten in der Rechtsprechung (vgl. etwa LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, L 3 ER 45/05 AS; Hessisches LSG, Beschluss vom 23.11.2006, L 9 AS 239/06 ER; LSG NRW, Beschluss vom 28.03.2006, L 9 B 12/06 AS ER) und Kommentarliteratur (vgl. etwa Münder in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 23 RdNr. 26; Lang in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage 2005, § 23 RdNr. 103; Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 23 RdNr. 81) vorherrschenden Meinung.
Abzugrenzen ist der Begriff der Erstaussttattung nach allgemeiner Meinung von sog. Erhaltungs- und Ergänzungsbedarf (vgl. statt vieler Münder, a.a.O., Hessisches LSG, a.a.O.; Behrend, a.a.O.; Kalhorn in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: August 2006, § 23 RdNr. 20).
Nach diesen Grundsätzen kommt ein Anspruch auf Erstausstattung insbesondere in Betracht, wenn ein Haushaltsgegenstand etwa nach erfolgter Trennung zwar noch im Haushalt des nunmehr getrennt lebenden Partners vorhanden ist (so ausdrücklich Münder, a.a.O.; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11.11.2005, S 11 AS 25/05 ER) und - wie im zu entscheidenden Fall - infolge der Trennung eine erstangemietete Wohnung ausgestattet werden muss (vgl. auch Behrend, a.a.O., RdNr. 79). Die Situation ist insoweit derjenigen bei Verlust der Einrichtung durch Wohnungsbrand oder bei Erstanmietung nach Haft vergleichbar (vgl. zu diesen in der Gesetzesbegründung im Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch genannten Beispielen, BT-Drs. 15/1514, S. 60, auf die BT-Drs. 15/1749, S. 33 verweist). In der Konstellation der Trennung und Begründung eines (neuen) Haushalts kann die Wohnungseinrichtung nebst Haushaltsgegenständen dem Hilfebedürftigen ebenso nicht zur Verfügung stehen.
Das Begehren des Klägers zielt auch nicht lediglich auf den Ersatz eines abgenutzten Haushaltsgegenstands ab.
Dem Anspruch kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, es komme lediglich eine "Vollausstattung" der Wohnung in Betracht, eine "Teilausstattung" sei durch den Wortlaut der Norm nicht abgedeckt. Den Senat vermag sich einer derart restriktiven Betrachtungsweise nicht anzuschließen. Der Begriff "Erstausstattung" trifft zur Überzeugung des Senats keine zwingende Aussage über den Umfang der Ausstattung, sondern beschränkt Ansprüche auf Konstellationen, in denen erstmalig (oder ausweislich der Gesetzesbegründung in einer der erstmaligen Anschaffung vergleichbaren Bedarfssituation) eine Ausstattung erforderlich ist. Eine Auslegung im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten führte konsequenterweise dazu, dass etwa auch Hilfeempfängern ein Anspruch verwehrt wäre, denen nach einem Wohnungsbrand ein Teil des Hausrats verbleibt, oder denen etwa auch im Fall der erstmaligen (zulässigen) Gründung einer eigenen Bedarfsgemeinschaft von Verwandten und/oder Bekannten lediglich ein Haushaltsgegenstand zur Verfügung gestellt wird bzw. ein Teil des Hausrates (z.B. des Jugendzimmers) zur weiteren Nutzung verbleibt. Dass nicht lediglich eine Vollausstattung als Erstausstattung in Betracht kommt, erscheint angesichts des Gesetzeszwecks zwingend. Sachliche und eindeutige Kriterien zur Bestimmung eines Mindestumfangs im Sinne einer Mindestzahl etwa von Einrichtungsgegenständen oder eines Mindestwertes werden auch von der Beklagten nicht benannt. Die in jedem Falle willkürliche Festlegung einer solchen Grenze erscheint nicht sachgerecht. Gegen eine allzu restriktive Auslegung der Erstausstattungsbedarfe spricht im Übrigen der Umstand, dass eine Öffnungsklausel für Sondersituationen und -bedarfe fehlt. Eine zu restriktive Auslegung könnte also die Gefahr steter Bedarfsunterdeckung nach sich ziehen (vgl. Lang in: Eicher/Spellbrink, § 23 SGB II RdNr. 96).
Der Senat hält es wie das Sozialgericht für erwiesen, dass der Kläger nicht über eine Waschmaschine verfügte und nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2007 auch weiterhin nicht verfügt. Der Kläger konnte auch nicht mit Erfolg (zur Durchsetzung des Nachranggrundsatzes - § 2 Abs. 1 SGB II) auf etwaige zivilrechtliche Ansprüche gegen seine Ehefrau verwiesen werden. Insoweit hat er schon glaubhaft dargelegt, dass die Waschmaschine im Eigentum der Ehefrau stand. Im Übrigen ergibt ein Verweis keinen rechten Sinn, wenn sodann die ebenfalls im Leistungsbezug stehende Ehefrau einen Anspruch auf Erstausstattung geltend machen müsste.
Schließlich besteht im Rahmen der Erstausstattung für Wohnungen regelmäßig auch Anspruch auf Ausstattung mit einer Waschmaschine. Der Erstbeschaffungsbedarf erfasst grundsätzlich alle Einrichtungsgeräte und -gegenstände, die für eine geordnete Haushaltsführung notwendig sind, wie insbesondere Möbel (wie Bett, Schrank, Tisch, Stuhl, Sofa etc.), Lampen, Gardinen, Herd, Kochtöpfe, Staubsauger, Bügeleisen sowie Kühlschrank (vgl. etwa Münder, a.a.O., RdNr. 29; Behrend, a.a.O., RdNr. 80). Hierzu zählt auch eine Waschmaschine (Sozialgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 18.07.2005, S 11 AS 75/05 ER; Lang, a.a.O., RdNr. 99; Behrend, a.a.O., RdNr. 80; Münder, a.a.O., RdNr. 30 – siehe aber auch RdNr. 29; vgl. zur verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes BVerwGE 107, 234ff.).
Der vom Sozialgericht angesetzte Betrag von 250 EUR begegnet unter Berücksichtigung der vom Senat nachvollziehbaren Erfahrungswerte (§ 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II) keinen Bedenken. Er ist von der Beklagten auch nicht angegriffen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen worden.