Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" streitig.

Der 1977 geborene Kläger leidet unter anderem unter einem Morbus Bechterew. Im Juni 2011 wurde ihm darüber hinaus eine Hüft-Totalendoprothese rechts implantiert. Mit Bescheid vom 6. März 1996 hatte das beklagte Land wegen des Morbus Bechterew den Grad der Behinderung (GdB) auf 70 festgesetzt und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" erkannt. Verschlimmerungsanträge des Klägers vom 22. März 1999 und vom 25. Juni 2007 hatte es abschlägig beschieden (Bescheide vom 6. Juli 1999 und 19. September 2007). Am 9. Dezember 2010 machte der Kläger eine Verschlimmerung seiner Rückenbeschwerden und eine Blutanämie geltend; er beantragte eine höhere Festsetzung des GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens " aG". Der behandelnde Hausarzt des Klägers Dr. B teilte in einem Befundbericht vom 16. Februar 2011 mit, dass bei dem Kläger die Wirbelsäule in Beugehaltung fixiert und bewegungsunfähig sei. Die rechte Hüfte des Klägers sei in Beugehaltung fixiert. Die maximale Gehstrecke betrage 300 m. Im Hinblick darauf lehnte das beklagte Land mit Bescheid vom 24. Februar 2011 eine Verschlimmerung ab. Mit seinem Widerspruch dagegen verwies der Kläger auf seine Beschwerden. Den Widerspruch wies das beklagte Land mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2011 zurück.

Am 15. Mai 2011 begehrte der Kläger die Rücknahme dieser Entscheidung; am 9. Juni 2011 stellte er wegen einer Verschlimmerung einen Neufeststellungsantrag, mit dem er vor allem wegen der Beschwerden eine höhere Festsetzung des GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geltend machte. Mit Bescheid vom 5. Juli 2011 lehnte das beklagte Land den Neufeststellungsantrag ab. Mit seinem Widerspruch dagegen verwies der Kläger auf den Befundbericht von Dr. B , auf einen Bericht der Universitätsklinik Schleswig-Holstein vom 19. April 2011 und auf einen Bericht aus der Lubinus-Klinik vom 6. Juli 2011. Das beklagte Land führte aus, die Folgen der Endoprothesenversorgung am rechten Hüftgelenk könnten erst nach Ablauf von 6 Monaten als Behinderung beurteilt werden. Der Kläger begehrte jedoch eine sofortige Bescheidung seines Widerspruchs. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2011 wies das beklagte Land daraufhin den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger am 18. November 2011 bei dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben. Er hat ausgeführt, bereits wegen des Morbus Bechterew sei der GdB mit 80-100 festzusetzen. Eine derartige Festsetzung habe zu erfolgen, wenn Wirbelsäulenschäden zur Geh- und Stehunfähigkeit führten. Das sei bei ihm der Fall, da er nicht gehen oder stehen könne, ohne sich abzustützen. Außerdem sei er dem namentlich in der Regelungsnorm zu dem Merkzeichen "aG" genannten Personenkreis gleichzustellen, weil ihm das Gehen von Anfang an große Beschwerden bereite.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 5. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2011 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Februar 2011 und Widerspruchsbescheides vom 24. März 2011 das Merkzeichen "aG" ab dem 17. Mai 2011 zuzuerkennen.

Das beklagte Land hat ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass der GdB des Klägers ab 9. Dezember 2010 mit 100 bewertet wird. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen. Im Übrigen hat das beklagte Land beantragt,

die Klage, soweit sie über das Teilanerkenntnis hinausgeht, abzuweisen.

Es hat sich hierzu auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Orthopäden Dr. L vom 13. August 2013 und eine ergänzende Stellungnahme vom 22. September 2013 eingeholt. Der Gutachter ist zu dem Ergebnis gekommen, dass zwar der GdB des Klägers auf 100 festzusetzen sei, dass aber die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen " aG" nicht vorlägen. Mit Urteil vom 30. April 2014 hat das Sozialgericht Schleswig die Klage abgewiesen, soweit sie über das angenommene Teilanerkenntnis hinausging. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und des Abschnitt II Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) für das Merkzeichen "aG" lägen nicht vor. Der Kläger gehöre nicht zu dem in den Vorschriften genannten Kreis der behinderten Menschen und sei diesem auch nicht gleichzustellen. Die Gleichstellung setze voraus, dass die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sei und der behinderte Mensch sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Vorschrift aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen könne. Zwar handele es sich bei den beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen in Bezug auf ihr Gehvermögen nicht um einen homogenen Personenkreis, sodass es möglich sei, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen aufgrund eines günstigen Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichten, was namentlich bei körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mithilfe moderner Orthopädietechnik der Fall sein könne. Derartige Besonderheiten seien aber nicht geeignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer schwer behinderter Menschen mit dem genannten Personenkreis richte. Vielmehr habe sich der Maßstab der Gleichstellung an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz zu orientieren. Es komme nicht darauf an, ob der schwerbehinderte Mensch funktional einem doppeloberschenkelamputierten oder querschnittsgelähmten behinderten Menschen gleichstehe, sondern ob er sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges wegen der Schwere seines Leidens entweder nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen könne und zwar praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an. Die Gehfähigkeit müsse so stark eingeschränkt sein, dass es den Betroffenen unzumutbar sei, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Nach eigenen Angaben könne der Kläger noch 200-300 m gehen. Der Sachverständige Dr. L habe das Gangbild mit den verwendeten Gehstützen als kleinschrittig und wenig raumgreifend beschrieben. Es spreche gegen eine außergewöhnliche Gehbehinderung, dass der Kläger noch längere Wege als 30 Meter bewältigen könne. Damit sei auch widerlegt, dass der Kläger trotz seiner Einschränkungen bereits ab dem ersten Schritt sich nur mühevoll und schmerzhaft fortbewegen könne.

Gegen die seinem Prozessbevollmächtigten am 12. Mai 2014 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, die am 12. Juni 2014 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Der Kläger macht geltend, der Sachverständige Dr. L habe die zu den Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" ergangene Rechtsprechung nicht beachtet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 30. April 2014 aufzuheben und den Bescheid des beklagten Landes vom 5. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2011 zu ändern und das beklagte Land zu verpflichten, ihm die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es sieht auf der Grundlage der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" nicht als gegeben an.

Der Senat hat einen Behandlungsbericht des Allgemeinarztes Dr. B vom 26. Juni 2015 nebst weiteren Arztbriefen eingeholt. Er hat Beweis erhoben und ein Gutachten des Arztes für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin Dr. T eingeholt, den er auch in der mündlichen Verhandlung vernommen hat. In der mündlichen Verhandlung haben dem Senat die Verwaltungsakte des beklagten Landes und die Verfahrensakte vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 30. April 2014 ist form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingegangen und insgesamt zulässig. Sie ist auch begründet. Denn der Kläger hat gegenüber dem beklagten Land einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Schleswig war daher aufzuheben und der Klage gegen die angefochtene ablehnende Entscheidung stattzugeben.

Gegenstand des Verfahrens ist alleine der Neufeststellungsantrag des Klägers vom 9. Juni 2011, nicht aber der Antrag gemäß § 44 SGB X auf Rücknahme des Bescheides vom 24. Februar 2011 vom 15. Mai 2011. Zwar waren beide Anträge Gegenstand des angefochtenen Bescheides vom 5. Juli 2011, des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2011 und des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Schleswig vom 30. April 2014. Jedoch hat der Kläger in der Berufungsverhandlung sein Begehren allein an der Neufeststellung wegen einer eingetretenen Verschlimmerung, nicht aber mehr an der Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 24. Februar 2011 ausgerichtet. Dies war sachgerecht, nachdem die Höhe des GdB in der Folge des Anerkenntnisses des beklagten Landes im Verfahren vor dem Sozialgericht unstreitig gestellt war und der Rechtsstreit allein noch die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" zum Gegenstand hat. Die Vorteile dieses Merkzeichens sind jedoch allein zukunftsbezogen, so das diesbezüglich die Aufhebung des früheren Bescheides keine Bedeutung mehr für den Kläger hat.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Die Aufhebung ist für die Zukunft vorzunehmen und soll darüber hinaus mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse erfolgen, soweit dies zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2 Nummer 1 der Vorschrift). Diese Voraussetzungen liegen vor; der letzte Verwaltungsakt mit Dauerwirkung war der Feststellungsbescheid vom 6. März 1996; seitdem haben sich die gesamten medizinischen Verhältnisse und damit die Auswirkungen seiner Behinderungen verändert. Die Änderung liegt in einer Zunahme der Hüftbeschwerden und der fixierten Hüfte sowie in einer Verschlimmerung der Folgen des Morbus Bechterew (Einzel-GdB 80 gegenüber 70 im Jahr 1996).

Der Senat kommt nach der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" bei dem Kläger vorliegen. Nach § 69 Abs. 1 und 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch weitere gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Absatz 1Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen sogenannten Behindertenparkplätzen. Nähere Einzelheiten für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung regelt Abschnitt II Nr. 3 zu § 46 Absatz 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) in der ab dem 1. September 2009 gültigen Fassung vom 17.07.2009, die als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Art. 84 Abs. 2 GG wirksam erlassen worden ist. Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind nach dessen Rn. 129 solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen nach Rn. 130 Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (sogenannte Regelbeispiele), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Stellungnahme, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (sogenannte Gleichstellungsfälle). Die weitere Präzisierung des vorgenannten Personenkreises schwerbehinderter Menschen ergibt sich aus der auf der Grundlage des § 70 Abs. 2 SGB IX erlassenen Versorgungsmedizinverordnung, als dessen Anlage zu § 2 die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG) entwickelt worden sind. Abschnitt D 3 der VmG stellt für die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ebenfalls auf den oben genannten Personenkreis ab (zu diesem rechtlichen Hintergrund BSG vom 16.3.2016 - B 9 SB 1/15 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 22).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gehört der Kläger zu diesem Personenkreis, der einen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" und damit auf die Gewährung der Parkerleichterung nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften hat. Allerdings unterfällt er unstreitig nicht den oben bezeichneten Regelfällen für die Zuerkennung des Merkzeichens. Denn eine der dort genannten Behinderungen liegt bei ihm nicht vor. Der Kläger ist maßgeblich beeinträchtigt durch die Auswirkungen des Morbus Bechterew und die Auswirkungen der Hüftgelenkserkrankung, die auch durch die prothetische Versorgung der rechten Hüfte funktional im Hinblick auf das Gehvermögen nicht verbessert werden konnte. Der Sachverständige Dr. T , der selbst zu einer Einschätzung des Gehvermögens des Klägers von (noch) bis zu 500 m kam, hat geschildert, dass der Kläger infolge seiner krankheitsbedingten Rückenkrümmung und der Fixierung des Hüftgelenk in einer sehr starken Beugestellung eine nahezu waagerechte Oberkörperhaltung hat. Es ist ihm nicht möglich zu gehen, ohne sich mit seinen zwei Unterarmstützen abzustützen; anderenfalls würde er infolge der Gewichtsverlagerung vornüber fallen. Ferner ist es dem Kläger infolge der Körperhaltung erschwert, beim Gehen geradeaus zu blicken. Der Sachverständige hat sehr differenziert ausgesagt, der Kläger sei zwar nicht einem behinderten Menschen mit einer Querschnittslähmung, Hüftexartikulation oder einseitigen Oberschenkelamputation vergleichbar, sondern vielmehr einem behinderten Menschen mit einer doppelten Oberschenkelamputation oder doppelten Unterschenkelamputation. Der Sachverständige hat ferner deutlich gemacht, dass das Gehen für den Kläger als Bewegungsablauf, und damit unabhängig von den damit verbundenen Anstrengungen und Mühen, sehr erheblich erschwert ist. Damit hat der Sachverständige die Vergleichbarkeit mit einzelnen der in Abschnitt D 3 VmG genannten behinderten Menschen bestätigt.

Allerdings bedarf die Feststellung, ob eine Gleichstellung in diesem Sinne mit dem Kreis der behinderten Menschen mit den namentlich in der VwV-StVO benannten Behinderungen vorliegt, stets einer Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände; eine Anlehnung allein an einen der ausdrücklich genannten Regelfälle rechtfertigt noch nicht ohne weiteres die Annahme für die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (BSG vom 11. Mai 2016 - B 9 SB 94/15 B - juris, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung). Auch diese Gesamtwürdigung erfordert jedoch die Gleichstellung des Klägers mit dem namentlich genannten Personenkreis. Zum einen hat der Sachverständige zwar ausgesagt, der Kläger könne noch 500 m gehen. Der Kläger selbst hat sein Gehvermögen noch mit 200-300 m angegeben; mit dieser Aussage steht er im Einklang mit der Einschätzung seines Hausarztes in den eingereichten Befundberichten. Auch der Sachverständige Dr. L kam zu einer entsprechenden Einschätzung. Der Senat geht daher von einer möglichen Wegstrecke in dieser Größenordnung aus. Allerdings hat Dr. T dem Kläger auch attestiert, dass er eine solche Wegstrecke quasi vom ersten Schritt an nur unter großen Anstrengungen und Beschwerden zurücklegen kann, da er durch die sehr ungünstige Körperhaltung so stark beeinträchtigt ist. Das BSG lehnt es in ständiger Rechtsprechung ab, eine restliche noch zu bewältigende Wegstrecke als Maßgabe für die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" benennen, da sich die Auswirkungen der unterschiedlichen Behinderungen nicht in hinreichender und gleicher Weise quantifizieren können (BSG vom 10. Dezember 2002 - B 9 SB 7/01 R - SozR 3-3250 § 69 Nr. 1). Daher ist es nach Auffassung des Senats unerheblich, dass der Kläger noch mehrere hundert Meter zu Fuß bewältigen kann. Maßgeblich ist vielmehr, dass die äußerst großen Anstrengungen bei der Bewältigung einer wie auch immer gearteten Wegstrecke vom ersten Schritt an bestehen müssen. Dies ist bei dem Kläger der Fall.

Zum anderen sind nach Abschnitt II Nr. 3 c der VwV-StVO (vgl. auch BSG vom 16. März 2016, a.a.O.) die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" dann anzunehmen, wenn bei dem schwerbehinderten Menschen die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B vorliegen und ein GdB von wenigstens 80 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sie sich auf das Gehvermögen auswirken) festgestellt ist. Bei dem Kläger sind zwar nicht die Voraussetzungen des Merkzeichens B, wohl aber die des Merkzeichens G zuerkannt. Der Senat sieht jedoch trotz des Wortlauts in der Regelung als "und"-Verknüpfung in der VwV.StVO es lediglich als erforderlich an, dass alternativ die Voraussetzungen des Merkzeichens G oder B vorliegen müssen, denn die Voraussetzungen des Merkzeichens G sind wesentlicher Bestandteil des Merkzeichens B, das darüber hinaus noch die ständige Begleitung im öffentlichen Personennahverkehr erfordert. Es ist aber nicht erkennbar, inwiefern die Voraussetzungen der Parkerleichterung zwingend auf die Belange des öffentlichen Personennahverkehrs abstellen. Denn Ziel der Parkerleichterung ist es, dem behinderten Menschen eine ortsnahe Abstellmöglichkeit für das Kraftfahrzeug zu eröffnen. Eine vergleichbare Ortsnähe wäre bei Inanspruchnahme des öffentlichen Personennahverkehrs jedoch nicht gegeben, da allein dessen Haltestellen regelmäßig in größeren Abständen angelegt sind. Aus dem Grunde ist allein eine alternative Voraussetzung der beiden Merkzeichen G oder B als Grundvoraussetzung für das Merkzeichen "aG" als erforderlich anzunehmen.

Bei dem Kläger ist ferner ein GdB von 100 anerkannt, der sich auf das Gehvermögen auswirkt. Allerdings stellt Abschnitt II 3 c der VwV-StVO darauf ab, dass der GdB von 80 auf die unteren Extremitäten entfällt oder auf die Lendenwirbelsäule, sofern sich dieses auf das Gehvermögen auswirkt. Der Einschätzung des GdB von 100 des Klägers liegt die Begutachtung durch Dr. L zu Grunde. Dieser hat die Folgen des Morbus Bechterew mit einem Einzel-GdB von 80 eingeschätzt, die Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenks mittleren Grades mit einem GdB von 30 und den Ersatz des rechten Hüftgelenks mit ungünstiger funktioneller Ausheilung mit einem GdB von 20. Daneben hat er noch einen hochgradigen Verschleiß beider Schultergelenke mit erheblicher Einschränkung der Armbewegung mit einem GdB von 40 und eine Drogenabhängigkeit mit Substitutionsbehandlung mit einem GdB von 30 eingeschätzt. Damit entfallen auf die unteren Extremitäten des Klägers keine Funktionsstörungen, die allein einen GdB von 80 bewirken. Die Funktionsstörungen der unteren Extremitäten in Zusammenwirken mit den Folgen des Morbus Bechterew bewirken zwar einen GdB von 80, sie wirken sich auch in vollem Umfang auf das Gehvermögen des Klägers aus. Allerdings umfassen die Funktionsstörungen des Morbus Bechterew nicht nur die Lendenwirbelsäule, sondern die gesamte Wirbelsäule. Dies ist im Sinne der o. a. Regelung jedoch unschädlich, denn unstreitig wirken sich die Funktionsstörungen der gesamten Wirbelsäule auf das Gehvermögen aus. Dies ergibt sich aus der Darstellung des Sachverständigen Dr. T über die Beeinträchtigungen des Klägers in seinem Gehvermögen, die sehr wesentlich ihre Ursache darin hat, dass er nur in einer äußerst vorgebeugten Haltung gehen oder stehen kann. Aus dem Grunde muss nach Auffassung des Senats diese Situation den Auswirkungen gleichgestellt werden, die zu einer Gehbeeinträchtigung durch Behinderungen allein an den unteren Extremitäten und der Lendenwirbelsäule führen. Auch unter Berücksichtigung der stets vom BSG geforderten engen Auslegung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" (BSG vom 16.3.2016 - a.a.O.) sind daher die Voraussetzungen bei dem Kläger zu bejahen. Die geforderten Äußersten Beschwerden und Anstrengungen liegen vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die Tatsache zugelassen, dass der Kläger zwar noch mehrere hundert Meter gehen kann, dies aber unter äußersten Beschwerden vom ersten Schritt an, und im Hinblick darauf, dass dem Kläger allein die Voraussetzungen des Merkzeichens G, nicht aber die des Merkzeichen B zuerkannt wurden und ein GdB von wenigstens 80 auf die gesamte Wirbelsäule und die unteren Extremitäten das Gehvermögen des Klägers beeinträchtigt.