Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 2 U 30/11 - Urteil vom 03.11.2011 - B 2 U 3/12 R
Es ist in Literatur und Rechtsprechung dem Grunde nach unstreitig, dass die generelle Ursächlichkeit/Geeignetheit der Einwirkung wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen muss, damit eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt werden kann. Dies setzt normalerweise voraus, dass der Nachweis anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von Geschehensabläufen erfolgt. Die Feststellung, dass eine Krankheit in einer bestimmten beruflich exponierten Personengruppe erheblich häufiger auftritt als in der übrigen Bevölkerung - so genannte Gruppentypik, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache der Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt.
Tatbestand:
Umstritten ist die Feststellung der Halswirbelsäulen- (HWS) Erkrankung des Klägers als Wie Berufskrankheit (Wie BK) nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) aufgrund seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Violinist.
Für den 1930 geborenen Kläger erstattete der Facharzt für Orthopädie Dr. E unter dem 19. Dezember 2002 eine ärztliche Anzeige wegen des Verdachtes einer BK. Er leide unter rezidivierenden Zervikobrachialgien, zunehmender Schmerzsymptomatik der HWS sowie des linken Schultergelenkes. Der Kläger habe seit seinem siebten Lebensjahr Violine gespielt. Daraus resultierten eine jahrzehntelange Zwangshaltung der Wirbelsäule und eine Überbelastung der Schultergelenke. Im Rahmen des Feststellungsverfahrens auf Anerkennung dieser Erkrankung als Listen BK eröffnete die Beklagte im Oktober 2005 ein Feststellungsverfahren im Hinblick auf die vorliegend streitige Wie BK.
Zu seinem beruflichen Werdegang gab der Kläger an, von Februar 1946 bis September 1949 Musik studiert und nach Abschluss des Studiums von August 1949 bis Dezember 1952 als Violinist im SW gearbeitet zu haben. Daran habe sich von 1953 bis 1961 eine Tätigkeit als Violinist beim S angeschlossen. Vom 01. Dezember 1991 bis zum 31. März 1995 sei er als Violinist bei der D beschäftigt gewesen.
In der Arbeitgeberauskunft der S vom 21. Oktober 2003 bestätigte diese, dass der Kläger vom 01. Oktober 1961 bis 31. März 1995 im Arbeitsbereich Staatskapelle als Violinist beschäftigt gewesen sei. Der Tag der letzten gefährdenden Tätigkeit sei der 18. August 1993 gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei durch Auflösungsvertrag zum 31. März 1995 beendet worden.
Der Kläger war seit Juli 1993 berufsunfähig, weil er sich einen Strecksehnenabriss des linken Kleinfingerendgelenkes zugezogen hatte, als er versuchte, sein Fahrrad zu reparieren.
Im "Ersten Untersuchungsbefund" führte Prof. Dr. S unter dem 18. November 2003 aus, dass den beigezogenen medizinischen Unterlagen (z.B. Sozialversicherungsausweis, unfallärztliche Bescheinigung des Dr. P vom 20. Juni 1995) zu entnehmen sei, dass der Kläger erstmalig 1973 über Halswirbelsäulenbeschwerden geklagt habe. An einer überbeanspruchenden Belastung durch den Beruf sei nicht zu zweifeln. Soweit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorlägen, sei deshalb eine orthopädische Fachbegutachtung zu empfehlen. Es sei allerdings darauf hinzuweisen, dass der offensichtlich hoch qualifizierte Künstler zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen sei, seine berufliche Tätigkeit wegen der chronischen Erkrankungen des Skelettsystems vorwiegend im Bereich der HWS aufzugeben. Hierdurch sei er erst im Jahre 1993 durch die Verletzung des Kleinfingers gezwungen gewesen.
Nach Einholung einer Stellungnahme der Gewerbeärztin M vom 21. April 2006 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01. Juni 2006 die Anerkennung der seit Jahren auftretenden Zervikalsyndrome als Wie BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII ab. Eine Entschädigung der Erkrankung komme nicht in Betracht, weil diesbezüglich keine neuen medizinischen Erkenntnisse vorlägen.
An dieser Auffassung hielt sie im Widerspruchsbescheid vom 22. September 2006 fest. Zur Begründung führte sie aus, dass eine Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII nur in Betracht komme, wenn der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Arbeit im konkreten Fall hinreichend wahrscheinlich sei, eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung dieser besonderen Einwirkung ausgesetzt gewesen sei und diese Einwirkung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sei, Krankheiten der angeschuldigten Art zu verursachen und diese medizinischen Erkenntnisse im Zeitpunkt der Entscheidung neu seien. Dies mache deutlich, dass § 9 Abs. 2 SGB VII gerade nicht auf eine Lückenlosigkeit des Versicherungsschutzes für alle Versicherten abstelle, die an einer durch die versicherte Tätigkeit verursachten Krankheit litten. Vielmehr müsse sich ein gruppenspezifisches Risiko verwirklicht haben. Es lägen keine statistisch gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, dass die Berufsgruppe der Violinisten durch ihre berufliche Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung einer generell erhöhten Gesundheitsgefährdung ausgesetzt sei. Ebenso wenig sei nach dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand gesichert, dass die ausgeübte berufliche Tätigkeit generell geeignet gewesen sei, die geltend gemachte HWS Erkrankung zu verursachen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass in der Bundesrepublik Deutschland etwa 4100 Musiker in Kultur- und Kammerorchestern hohe Streichinstrumente (Geige, Violine, Bratsche) spielten. Insoweit sei nicht zu verkennen, dass die Studien des Mediziners Dr. Danckwerth nur über statistisch verschwindende Fallzahlen verfasst worden seien. Allerdings könne nicht außer Betracht bleiben, dass in der ehemaligen DDR zwölf Streicher nach der dort gültigen BK Nr. 70 entschädigt worden seien. Dem hätten epidemiologische Untersuchungen im Betriebsambulatorium der Berliner Bühnen/Arbeitshygienische Beratungsstelle zugrunde gelegen. Zur weiteren Begründung seines Begehrens bezog der Kläger sich auf eine Habilitationsschrift des Siegfried Kahle von 1965, einen Aufsatz mit dem Titel "Hinweise für morphologische HWS Veränderungen bei professionellen oberen Streichinstrumentalisten?" der Mediziner Danckwerth, Castro und Assheuer, einen Aufsatz des Dr. Danckwerth mit dem Titel "Abnutzungsschäden durch Geigen- und Bratschenspiel?", ein Gutachten des Prof. Dr. B vom 01. März 2004 (J Universität M, Klinikum), erstattet in einem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Hannover, der die Auffassung vertrat, dass die Anerkennung von HWS Erkrankungen nach § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine BK empfohlen werden könne, auch wenn große epidemiologische Studien mit einer entsprechend großen Fallzahl aufgrund der Kleinheit der Berufsgruppe professioneller Musiker ausscheiden würde.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in einer Auskunft vom 07. August 2006 mitgeteilt, dass sich der Verordnungsgeber nach Erlass der Verordnung vom Dezember 1992 nicht erneut mit der Frage befasst habe, ob bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS auch durch andere Tätigkeiten als durch Tragen auf der Schulter im Sinne des Berufskrankheitenrechts (BK 2109) verursacht werden könnten. Insoweit lägen keine neuen medizinischen Erkenntnisse zu dieser Fragestellung vor. Auch der das Bundesministerium beratende Ärztliche Sachverständigenbeirat habe sich mit der Problematik nicht mehr befasst.
Daraufhin hat das Sozialgericht ein Gutachten des Prof. Dr. A, Arzt für Neurologie, Hochschule für Musik und Theater H, Spezialambulanz für Musiker-Erkrankungen, vom 03. Mai 2010 eingeholt. Dieser führte aus, der Kläger leide auf neurologischem Fachgebiet unter einem Wurzelkompressionssyndrom der 6. Halsmarksnervenwurzel (C6) rechts mit noch bestehender geringer Sensibilitätsstörung in den von dieser Halsmarksnervenwurzel versorgten Hautgebieten des Unterarmes und des Zeigefingers, einem Impingement-Syndrom Stadium III linke Schulter, einer Acromioclavicular-Gelenksarthrose links und einer partiellen Ruptur der Rotatorenmanschette links. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger als Berufsgeiger einer erheblichen Belastung der HWS durch die Zwangshaltung der HWS während des Spiels ausgesetzt gewesen sei. Es sei im Berufsleben von 50 000 bis 90 000 Stunden Geigenspiel auszugehen. Die besondere Fixierung der Geige zwischen Schlüsselbein und Kinn werde als so genannte "Schulter Kinn Zange" bezeichnet. Dabei komme es neben der Haltearbeit zusätzlich zu individuell unterschiedlich ausgeprägter Seitneigung und Drehbewegung des Kopfes. Dadurch würden die Bandscheiben und Kleinwirbelgelenke der HWS fehlbelastet und reagierten mit degenerativen Umbauten. Gerade diese degenerativen Umbauten könnten beim Kläger eindeutig belegt werden. Nachdem in epidemiologischen Studien eindeutig geklärt worden sei, dass HWS Beschwerden bei Streichern häufiger seien als bei Angehörigen anderer Berufe, sei zu klären, inwiefern die entsprechenden pathophysiologischen Vorgänge die jetzt bestehende Symptomatik beim Kläger erklärten. Die neuroradiologischen Befunde, insbesondere die Kernspintomografieaufnahmen, zeigten eindeutig die starke Belastung der HWS mit multiplen Bandscheibenvorfällen. Diese müssten im Hinblick auf die genannten Literaturarbeiten mit höchster Wahrscheinlichkeit als beruflich bedingt angesehen werden, wobei die bereits genannte Zwangshaltung und die so genannte "Schulter Kinn Zange" hier wesentlich ursächlich sein dürften. Einschränkend sei allerdings zu sagen, dass ein klarer Beweis der Kausalität trotz der o. g. eindeutigen Evidenzen bislang nicht vorliege. Dazu fehlten nach wie vor Studien, die langfristig vorausschauend Berufsmusiker mit entsprechenden Arbeitnehmern anderer Berufe verglichen und die spezifischen Risikofaktoren eindeutig ursächlich auf die musikalische Aktivität zurückführten. Auch im Hinblick auf die Veränderungen der Schulter müsse ausgeführt werden, dass auch hier keine langfristig angelegten vorausschauenden Studien existieren würden, die Berufsmusiker und insbesondere Streichinstrumentalisten mit anderen Gruppen von Musikern und anderen Berufstätigkeiten verglichen. So zeige sich aber in den Untersuchungen von Prof. Dr. S, dass immerhin im Rahmen der Weimarer Studie von 1999 17 % der Orchestermusiker Schulterbeschwerden hatten, bei Musikstudenten sogar 30 % über Schulterbeschwerden klagten. Insgesamt vertrete er die Auffassung, dass die Erkrankungen des Klägers im HWS und Schulterbereich auf die berufliche Tätigkeit als Streicher zurückzuführen seien. Unglücklicherweise fehlten bislang weltweit lang angelegte epidemiologische Untersuchungen an großen Gruppen von Berufsstreichern, die vergleichend mit anderen Berufsgruppen hinsichtlich der degenerativen Veränderungen von Schulter und von Wirbelsäule bzw. hinsichtlich von Wurzelkompressionssyndromen im Bereich der HWS durchgeführt worden seien. Hier bestehe dringender Forschungsbedarf, der seines Erachtens durch die Arbeitsmedizin gedeckt werden müsse. Aus den genannten epidemiologischen Studien sei jedoch allgemein bekannt, dass Berufsstreicher häufiger unter HWS Erkrankungen litten als andere Arbeitnehmer. Daher sei eine Anerkennung der Beschwerden des Klägers als "Wie BK" zu empfehlen.
Mit Urteil vom 23. September 2010 hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, mit der Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII solle nicht in der Art einer Generalklausel erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich sei, wie eine BK zu entschädigen sei. Vielmehr sollten dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK Liste aufgenommen worden seien, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden gewesen seien oder trotz Nachprüfung noch nicht zur Anerkennung ausgereicht hätten. Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung sei erfüllt, wenn die Personengruppe, im vorliegenden Fall die Streichinstrumente spielenden Berufsmusiker, zu denen der Kläger zu zählen sei, durch die Arbeit Einwirkungen ausgesetzt sei, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maße in Kontakt komme und die geeignet seien, die vorliegende Erkrankung hervorzurufen. Die gruppenspezifische Risikoerhöhung müsse sich in jedem Fall aus Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft ergeben. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen müsse zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besäßen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse lägen jedoch in der Regel erst dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügten, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt seien. Vereinzelt vertretene Auffassungen reichten dazu eben nicht aus. Vorliegend mache der Kläger geltend, dass eine Anerkennung seiner Erkrankungen an der HWS wie eine Berufskrankheit doch möglich sein sollte, da entsprechende Studien zu erheben sehr schwierig sein dürfte. Dies ändere aber nichts daran, dass die entsprechenden Erkenntnisse nicht vorlägen.
Gegen dieses ihm am 10. Januar 2011 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung vom 28. Januar 2011.
Unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens bezieht er sich u. a. auf ein der Klageschrift als Anlage BK 1 beigefügtes Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 09. August 2007 an Dr. Danckwerth, auf ein Schreiben des Prof. Dr. med. Seidel "Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Musikermedizin" vom 20. Mai 2001 (Anlage BK 2), den Aufsatz des Dr. Danckwerth "Abnutzungsschäden durch Geigen- und Bratschenspiel?" (Anlage BK 3), ein Schreiben des Dr. D vom 22. Mai 2002 an das Sächsische Landessozialgericht (Anlage BK 4), eine "Zusammenfassende Darstellung des Erkenntnisstandes bezüglich der berufsbedingten Einflüsse auf die Systeme der Halswirbelsäule, des kraniomandibulären Systems sowie der Kopfgelenke bei hohen Streichern und Bläsern" des Prof. Dr. Seidel vom 29. Juli 2008, Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar (Anlage BK 5), die Habilitationsschrift des Siegfried Kahle aus 1965 (Anlage BK 6), einen Aufsatz mit dem Titel "Die Wirbelsäule des Musikers, 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin 2001", verfasst von Prof. Dr. Seidel (Anlage BK 7), einen Brief des Herrn Benoit Leclerc vom "L’Orchestre de Paris" vom 09. April 2010 über die Rechtslage in Frankreich (Anlage BK 8), ein Schreiben an den Sächsischen Gemeindeunfallversicherungsverband vom 28. Januar 1997 vom Bundesverband der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand (Anlage BK 9), einen Widerspruchsbescheid der Bayerischen Landesunfallkasse (Anlage BK 10), ein Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 29. Juli 2010 (Anlage BK 11), ein Schreiben des Sächsischen Landesinstituts für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vom 9. April 1997 (Anlage BK 12), die GUV-Informationen "Musikermedizin, Musikerarbeitsplätze", dort insbesondere Blatt 38 ff (Anlage BK 13) und ein Schreiben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung vom 28. April 2008 (Anlage BK 14). Weiter macht er geltend, das Landessozialgericht (LSG) für das Land Niedersachsen habe im Urteil vom 17. September 1998 (L 6 U 222/98) eine Beweiserleichterung für die wesentlich größere Gruppe der Fußbodenleger anerkannt, so dass diese Rechtsprechung erst Recht auf die vorliegende wesentlich kleinere Gruppe der hohen Streicher anzuwenden sei. Außerdem könne es nicht unberücksichtigt bleiben, dass vergleichbare Erkrankungen in der ehemaligen DDR nach der dortigen BK 70 anerkannt worden seien. Es müsse angenommen werden, dass der Gesetzgeber es im Rahmen des Einigungsvertrages aus nachvollziehbaren Gründen schlicht übersehen habe, die beruflich verursachten Erkrankungen der hohen Streicher in die Liste der entschädigungsfähigen Berufskrankheiten aufzunehmen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. September 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 01. Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bei ihm vorliegende Erkrankung der Halswirbelsäule und der Schultergelenke als Wie BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide, die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Neuruppin im angefochtenen Urteil und die vom Kläger selbst vorgelegten Unterlagen, die die generelle Geeignetheit der Tätigkeit als Streicher für die Verursachung von HWS- und Schulterbeschwerden im Sinne eines gruppenspezifischen Risikos gerade nicht belegten.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, auf die Gerichtsakten und insbesondere auf die vom Kläger eingereichte Beiakte Bezug genommen. Die Akten haben im Termin vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner HWS und Schulterbeschwerden als Wie BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII. Die Beklagte hat diesen Anspruch in den angefochtenen Bescheiden zu Recht abgelehnt, so dass das Sozialgericht Neuruppin die Klage gegen diese Bescheide zu Recht abgewiesen hat.
Rechtsgrundlage der Anerkennung der Erkrankungen als Wie BK ist § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung; erst wenn deren Voraussetzungen bejaht werden könnten, wäre in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob auch die Voraussetzungen einer Anerkennung nach Nrn. 70 oder 71 der Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26. Februar 1981 (BKV-DDR) der ehemaligen DDR vorgelegen haben.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann die BKV der ehemaligen DDR, hier insbesondere die Ziffern 70 und 71, für sich allein betrachtet nicht mehr Gegenstand der Anerkennung sein. Nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 215 Abs. 1 SGB VII gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sind und nach dem dort bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten gewesen waren, grundsätzlich auch als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach bundesdeutschem Recht. Dies gilt jedoch nicht für Krankheiten, die einem ab dem 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden sind und die nach bundesdeutschem Recht nicht zu entschädigen waren (§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO). In dieser Fallgestaltung kommt es nur zur Anerkennung einer BK, wenn die Erkrankung sowohl die Voraussetzungen nach dem Recht des Beitrittsgebiets als auch die nach der RVO/dem SGB VII erfüllt (BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001, Az.: B 2 U 35/00 R, SozR 3-8440 Nr. 50, Nr. 1, zitiert nach juris).
Vorliegend steht ohne Zweifel fest, dass die Erkrankung dem zuständigen Träger, hier der Beklagten, erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden ist. Denn die HWS Erkrankung des Klägers ist der Beklagten erstmals durch ärztliche Anzeige des Facharztes für Orthopädie Dr. E vom 19. Dezember 2002 bekannt geworden. Entgegen der Annahme des Klägers kommt es nicht allein darauf an, ob der Versicherungsfall bereits 1973, 1984 oder im Jahre 1993 eingetreten ist. Die Anwendung des Rechts der ehemaligen DDR als alleinige Rechtsgrundlage für die Anerkennung der hier streitgegenständlichen Erkrankung kommt damit nicht in Betracht.
Deshalb ist zunächst zu prüfen, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nach bundesdeutschem Recht im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO bzw. § 9 Abs. 2 SGB VII vorgelegen haben. Dabei kann der Senat es im Hinblick auf den Eintritt eines möglichen Versicherungsfalles dahingestellt sein lassen, welche Norm Anwendung findet, da für den hier streitgegenständlichen Sachverhalt einer Anerkennung als Wie BK kein entscheidungserheblicher Unterschied zwischen beiden Vorschriften besteht.
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Die sich aus dieser Vorschrift ergebenden Tatbestandsmerkmale für die Feststellung einer Wie BK bei einem Versicherten sind (1.) das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine in der BKV bezeichnete Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, (3.) nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie BK im Einzelfall beim konkreten Versicherten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) enthält diese Vorschrift keine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als Wie BK anzuerkennen wäre (vgl. nur BSG vom 23. Juni 1977 2 RU 53/76 , BSGE 44, 90 = SozR 2200 § 551 Nr. 9; BSG vom 14. November 1996 2 RU 9/96 , BSGE 79, 250 = 3 2200 § 551 Nr. 9, und zuletzt Urteil des BSG vom 27. April 2010 B 2 U 13/09 R , zitiert nach juris).
Die aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 SGB VII ableitbaren allgemeinen Voraussetzungen für das Tatbestandsmerkmal "Bezeichnung einer Krankheit als BK" sind eine versicherte Tätigkeit, durch die bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind. Diese Einwirkungen müssen eine Krankheit nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft verursacht haben. Das BSG hat im Urteil vom 27. April 2010 darauf hingewiesen, dass es in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit verschiedene andere Begriffe verwandt hat, wie Gruppentypik, generelle Geeignetheit oder auch den Begriff einer gruppentypischen oder gruppenspezifischen Risikoerhöhung. Es hat darauf hingewiesen, dass mit dieser anderen Begrifflichkeit aber keine anderen Anforderungen aufgestellt wurden als die, die im Urteil vom 27. April 2010 dargestellt sind.
Vorliegend ist unstreitig, dass die Gruppe der Streicher besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die in der übrigen Arbeitswelt nicht vorkommen. Denn die Zwangshaltung eines hohen Streichers i. S. der Schulter-Kinn-Zange kommt nur in diesem Berufsstand vor.
Problematisch ist im vorliegenden Fall vor allem die Frage, ob diese Einwirkung, nämlich die Zwangshaltung, auch als Schulter-Kinn Zange bezeichnet, generell geeignet ist, die hier angeschuldigten HWS- und Schultergelenksbeschwerden hervorzurufen.
Es ist in Literatur und Rechtsprechung dem Grunde nach unstreitig, dass die generelle Ursächlichkeit/Geeignetheit der Einwirkung wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen muss, damit eine Krankheit als Berufskrankheit anerkannt werden kann. Dies setzt normalerweise voraus, dass der Nachweis anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von Geschehensabläufen erfolgt. Die Feststellung, dass eine Krankheit in einer bestimmten beruflich exponierten Personengruppe erheblich häufiger auftritt als in der übrigen Bevölkerung - so genannte Gruppentypik , erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache der Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (vgl. BVerfG SozR 2200 § 551 Nr. 11; BSG 59, 295, 298; Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, Band 1, § 9, Rn. 256ff und Rn. 263ff; Römer in Hauck, SGB VII, Kommentar, K § 9 Rn 39; und insbesondere Schmitt, SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, 4. Auflage, Rn. 13). Vorliegend ist nicht streitig, dass derartige epidemiologische Erkenntnisse aufgrund der geringen Zahl der in der Bundesrepublik tätigen Streichmusiker nicht vorliegen. Dies hat Prof. Dr. A in dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten noch einmal überzeugend ausgeführt. Aus den im Berufungsverfahren eingereichten Unterlagen, die im Übrigen älter sind als das Gutachten des Prof. Dr. A, ergibt sich nichts anderes. Aus den in Fachkreisen bekannten Äußerungen insbesondere des Prof. Dr. S und des Dr. D ergeben sich keine epidemiologischen Erkenntnisse in der hier vom Recht geforderten Weise. Der Senat verkennt nicht, dass die Untersuchungen eine gewisse Plausibilität für den Ursachenzusammenhang zwischen Zwangshaltung und HWS Erkrankung belegen. Soweit z.B. Prof. Dr. S von arthromuskulären Dysbalancen spricht, die zu Dysfunktionen und Schmerzsyndromen im Bereich des craniomandibulären Systems, des craniocervikalen Systems und des cervikothorakalen Übergangsbereichs führten (vgl. sein oben zitiertes Schreiben vom 29. Juli 2008), ist dies zwar ohne weiteres plausibel, zielt aber nicht einmal auf die bestimmte Erkrankung ab, die hier entschädigt werden soll. Denn der Kläger leidet an einer ganzen Reihe von Bandscheibenvorfällen im HWS Bereich.
Darüber hinaus ist anerkannt, dass die Ursächlichkeit im Sinne der Gruppentypik auch durch arbeitsmedizinische Untersuchungen, die Auswertung betriebsbezogener oder betriebsübergreifender Daten der Unfallversicherungsträger sowie andere medizinische Erkenntnisse nachgewiesen werden kann (vgl. nur Koch in Lauterbach a.a.O. dort Rn. 263 und Schmitt, a.a.O., § 9 Rn. 13). Derartige (nach Schmitt unter Hinweis auf Kater/Leube § 9 Rn 65) subsidiäre Nachweise sollen allerdings nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie jedenfalls nicht im Widerspruch zu den bisher vorliegenden epidemiologischen Erkenntnissen stehen. Letztlich ist jedoch festzustellen, dass das Gesetz offen lässt, mit welchen wissenschaftlichen Methoden die Gruppentypik zu belegen ist. Ein ausdrücklicher Vorrang epidemiologisch-statistischer Methoden besteht nicht, auch wenn derartige Erkenntnisse ein erstrangiges Anzeichen für die Gruppentypik einer Gefährdung sind (Koch, a.a.O.). Dem folgt auch der Senat.
Vorliegend kann der Senat auch derartige, von epidemiologischen Studien zu unterscheidende, Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft i. S. des Nachweises der generellen Geeignetheit der Schulter-Kinn-Zange für die Verursachung von HWS- und Schulterbeschwerden nicht nachvollziehen. Die von Prof. Dr. A in seinem Gutachten für das Sozialgericht in den Vordergrund gestellte Plausibilität reicht nicht aus. Er selber hat darauf hingewiesen, dass hier erheblicher Forschungsbedarf besteht. Dies lässt sich auch den Ausführungen des Prof. Dr. Seidel und des Dr. Danckwerth entnehmen. So räumte der Kläger selbst ein, dass die von Dr. Danckwerth untersuchten Kollektive von verschwindender Fallzahl waren.
Zwar hat Prof. Dr. B in seinem Gutachten vom 01. März 2004 für das Sozialgericht Hannover auf Seite 30 ausgeführt, dass die publizierte Erfahrung jener Ärzte, die speziell mit erkrankten Musikern vertraut seien, den Ursachenzusammenhang belege. Der Senat vermag den genannten Unterlagen aber nur zu entnehmen, dass die Kausalität im Einzelfall als hinreichend wahrscheinlich beurteilt wird, nicht aber dargelegt werden kann, dass das Kollektiv der hohen Streicher häufiger als die übrige Bevölkerung an HWS/Schulter-Erkrankungen leidet. Dies wäre aber für die Anerkennung als Wie BK erforderlich. Die Plausibilität einer Krankheitsentstehung im Einzelfall ersetzt nicht den Nachweis einer generellen Geeignetheit einer Einwirkung, bestimmte Erkrankungen hervorzurufen. Dies gilt umso mehr, als HWS Erkrankungen wie alle Wirbelsäulenerkrankungen eine so genannte "Volkskrankheit" darstellen, an der sowohl Menschen mit schwerer körperlicher Tätigkeit leiden als auch solche, deren Wirbelsäule nicht durch schwere körperliche Arbeit beansprucht worden ist.
Vor dem Hintergrund, dass nicht nur das betroffene Kollektiv mit etwa 4100 Streichern in der Bundesrepublik klein ist, sondern die geltend gemachte Erkrankung auch noch eine sogenannte "Volkskrankheit" darstellt, potenzieren sich die Beweisschwierigkeiten des Klägers beim Nachweis der gruppentypischen Gefährdung, die er im Sinne der ihn im Sozialgerichtsverfahren treffenden Feststellungslast zu tragen hat. So erscheint es möglich, dass die generelle Geeignetheit einer Einwirkung, eine bestimmte Erkrankung zu verursachen, dann relativ leicht bejaht werden kann, wenn die Einwirkung, z. B. eine bestimmte chemische Substanz, nur im Berufsleben vorkommt und nur entsprechende Arbeitnehmer erkranken. In einem solchen Fall mag sogar die medizinisch belegte Plausibilität eines Ursachenzusammenhanges ausreichen, um darzulegen, dass die bestimmte Einwirkung generell geeignet ist, die bestimmte Erkrankung hervorzurufen. Dies ist vorliegend bei der "Volkskrankheit" HWS/Schulter- bzw. Zervikalsyndrom so nicht möglich. Denn an solchen Erkrankungen leidet eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichster Bevölkerungsschichten mit unterschiedlichsten beruflichen Tätigkeiten. Deshalb kann der Nachweis einer generellen Geeignetheit bzw. eines gruppenspezifischen Risikos nicht dadurch geführt werden, dass mit der Erkrankung von Musikern befasste Fachärzte den Eindruck gewinnen, dass diese Erkrankung bei Berufsmusikern, hier Streichern, häufiger vorliegt als in übrigen Bevölkerungsteilen.
Soweit der Kläger im Verfahren wiederholt auf das Urteil des LSG für das Land Niedersachsen vom 17. September 1998 (L 6 U 22/98) hingewiesen hat, folgt daraus für den hier erkennenden Senat nichts anderes. Auch er ist der Auffassung, dass der Nachweis der Gruppentypik, wie ausgeführt, nicht nur auf statistisch-epidemiologische Erkenntnisse gestützt werden kann. Vorliegend sind aber auch andere ausreichende medizinische Erkenntnisquellen nicht vorhanden.
Wie ebenfalls ausgeführt, reicht die Feststellung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit zwischen den beruflichen Belastungen des Klägers und der Entwicklung seiner vorliegenden Gesundheitsstörungen im HWS/Schulter-Bereich, die der Senat aufgrund des Gutachtens des Prof. Dr. A durchaus treffen kann, nicht aus, um eine Wie-BK zu bejahen. Denn der Nachweis der Kausalität im zu entscheidenden Einzelfall i.S. der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist nur ein Prüfungspunkt der Anspruchsgrundlage des § 9 Abs. 2 SGB VII (s.o.).
Die vom Kläger beanspruchten Beweiserleichterungen finden im Gesetz keine Stütze, sind darin auch nicht angelegt und auch nicht etwa aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Auf die widerlegbare Rechtsvermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII kann der Kläger sich schon deshalb nicht berufen, weil er 1. keine Listen-BK geltend macht und 2. schon die für Abs. 1 erforderliche Erkrankungsgefahr nicht belegen kann, geschweige denn ein in erhöhtem Maße bestehendes Erkrankungsrisiko. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob § 9 Abs. 3 SGB VII eine noch über die Aufnahmeschwelle einer BK in die Liste hinausgehende Expositionsqualität erfordert oder ob die Vorschrift nichts anderes als eine Kodifizierung der Rechtsprechung des BSG zum Beweis des ersten Anscheins darstellt (vgl. den bei Koch a.a.O. Rn 303a dargestellten Meinungsstreit und für den Anscheinsbeweis auch Römer, a.a.O. Rn. 31), denn der Kläger kann aus beiden Auffassungen nichts Positives für sich herleiten. Über diese Rechtsvermutung hinaus sieht das Gesetz keine Beweiserleichterungen vor.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Kläger wegen des kleinen Kollektivs der hohen Streicher und der angeschuldigten "Volkskrankheit" vor besonderen Beweisproblemen steht. Diese sind jedoch der Entscheidung des Gesetzgebers für ein Listensystem geschuldet, das in seiner derzeitigen Ausgestaltung eine gruppentypische Gefährdung voraussetzt (vgl. § 9 Abs. 1 SGB VII). Es versteht sich nahezu von selbst, dass diese Voraussetzung dann auch positiv feststellbar sein muss. Jede Beweiserleichterung in diesem Prüfungspunkt betreffend die generelle Geeignetheit einer Einwirkung zur Verursachung einer bestimmten Erkrankung führt notwendigerweise zu einer Relativierung des Listensystems. So betrifft die Rechtsvermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII die Beweiswürdigung im Einzelfall bei der Prüfung des Vorliegens einer Listen-BK und nicht etwa das Tatbestandsmerkmal "generelle Geeignetheit" bei Aufnahme einer BK in die Liste oder bei der Entschädigung nach § 9 Abs. 2 SGB VII (Koch a.a.O. Rn. 299, 301; Römer, a.a.O., Rn. 32a). Die Beweiserleichterung betrifft somit rechtssystematisch nicht das Listensystem, sondern die Beweiswürdigung im Einzelfall. Dies zeigt, dass Beweiserleichterungen auf der Ebene der Feststellung eines gruppenspezifischen Risikos für die Aufnahme einer BK in die Liste oder eine Entschädigung als Wie-BK im Gesetz gerade nicht angelegt sind.
Es ist auch nicht etwa so, dass der Gesetzgeber das Problem der Gewinnung ausreichender medizinischer Erkenntnisse im Falle des Vorliegens vergleichbarer Arbeitsplätze in geringer Zahl nicht gesehen hätte. In der Stellungnahme des Bundesrates (BT-Drucksache 13/2333, Seite 5, Ziff., zitiert nach Koch a.a.O. Rn 252) zum Entwurf des UVEG, welches letztlich am 7. August 1996 Gesetz geworden ist, wurde für diese Fallgestaltung eine Anerkennungsmöglichkeit unter weiteren Voraussetzungen vorgeschlagen, die jedoch nicht Gesetz geworden ist. Schon wegen dieser späteren Befassung des Gesetzgebers mit dieser Problematik muss es auch unerheblich bleiben, ob er im Rahmen des Vereinigungsprozesses beider deutscher Staaten diese Problematik, die nach den durchaus nachvollziehbaren Behauptungen des Klägers in der ehemaligen DDR zumindest im Falle der Geiger einer anderen Lösung zugeführt worden sei, übersehen hat. Hinweise für eine von der Rechtsprechung zu schließende planwidrige Gesetzeslücke ergeben sich jedenfalls nicht.
Beweiserleichterungen sind auch nicht etwa aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Dass die Entscheidung des Gesetzgebers für ein Listensystem nicht zu beanstanden ist, erscheint geklärt (vgl. z.B. BVerfG, SozR 2200 § 551 Nr. 11). Daraus folgt aus der Sicht des Senats dann aber auch konsequenter Weise, dass eine Entschädigung nicht in Betracht kommt, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen nicht feststellen lassen, unabhängig davon, weshalb dies so ist.
Damit ist festzustellen, dass der Kläger trotz der Feststellung im Einzelfall, dass seine HWS-/Schulter-Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf seine Tätigkeit als Geiger zurückzuführen ist, weder die Anerkennung als BK noch eine Entschädigung erhalten kann.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil er der Auffassung war, dass eine höchstrichterliche Entscheidung in dieser seltenen Fallkonstellation zur Rechtsfortbildung beitragen kann (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).