L 2 U 339/00 LSG Rheinland-Pfalz - Urteil vom 12.Januar 2004


Tatbestand:

Umstritten ist, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit Nr 2301 (Lärmschwerhörigkeit) hat.

Der 1948 geborene Kläger, gelernter Schlosser, war von November 1970 bis Ende August 1985 bei der Firma A in T in der Abteilung Fahrgestellrahmenbau tätig. Seit September 1985 war er in der Wehrtechnischen Dienststelle für Pionier- und Truppengerät in K als Erprobungshelfer beschäftigt.

Im Dezember 1976 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige über eine BK (Lärmschwerhörigkeit) ein. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten ermittelte für die Tätigkeit in der Firma A einen Beurteilungspegel von 90 dB (A).

In einem Gutachten vom Dezember 1980 führte der HNO-Arzt Dr E vom B krankenhaus K aus, beim Kläger sei ein berufsbedingter Hörverlust (rechnerischer Hörverlust aber noch 0 %) wahrscheinlich; die hierdurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage unter 10 vH.

Die Beklagte lehnte daraufhin die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Lärmschwerhörigkeit durch Bescheid vom 19.3.1981 ab. Sie erkannte in diesem Bescheid dem Grunde nach eine BK Nr 2301 an.

Zwei Neufeststellungsanträge wurden von der Beklagten mit Bescheiden vom 18.9.1986 (im Hinblick auf ein Gutachten von Dr E – mit Dr A – vom Juni 1986) und 19.6.1992 (nach Einholung eines Gutachtens des HNO-Arztes Dr H aus T vom Mai 1992) abgelehnt.

Mit am 14.8.1997 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben stellte der Kläger einen erneuten Neufeststellungsantrag. Der Kläger führte hierin an: Die Schwerhörigkeit sei schlimmer geworden, und bei der Tätigkeit in seiner Dienststelle sei er weiterhin Lärm ausgesetzt.

Die Beklagte führte Ermittlungen durch. Sie holte eine Auskunft der Wehrtechnischen Dienststelle für Pionier- und Truppengerät vom November 1997 ein. Diese teilte mit, der Kläger sei während seiner Arbeit keinen regelmäßigen Lärmbelastungen ausgesetzt; bei kurzzeitig auftretenden Lärmbelastungen sei er verpflichtet, Gehörschutz zu tragen.

In einer Stellungnahme vom November 1998 schilderte die Abteilung öffentlich-rechtliche Aufsicht/Arbeitssicherheit/Technischer Umweltschutz der Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden ausführlich die Tätigkeiten des Klägers als Erprobungshelfer bei der Wehrtechnischen Dienststelle für Pionier- und Truppengerät in Koblenz. Sie führte aus: Der personenbezogene Beurteilungspegel des Klägers habe den Schallpegelrichtwert vor allem an Tagen mit folgenden Tätigkeiten erreicht oder überschritten: Überwachung des Kompressors Diro 60 TA; Arbeit mit dem Rüttler bei Baumaßnahmen; Arbeiten mit Handschleifgeräten. Bei der Vorbeifahrt von Panzern seien unter Umständen hohe Schallpegelwerte (Mittelungspegel bis etwa 100 dB[A]) aufgetreten, jedoch nur sehr kurzzeitig. Eine langjährige regelmäßige Einwirkung von Lärm mit einem Beurteilungspegel über 85 dB(A) liege nicht vor, auch wenn lärmintensive Phasen der Tätigkeit zu verzeichnen seien.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt für HNO-Krankheiten Dr D aus E vom Januar 1999 (persönliche Untersuchung des Klägers am 20.1.1999). Dieser berichtete, der Kläger habe angegeben: An Schießübungen sei er nicht beteiligt. "Vertäubungen irgendwelcher Art" durch "plötzliche Lärmeinwirkungen wie Explosionen" seien nicht vorgekommen. Seit etwa zwei Jahren bestehe ein Ohrgeräusch am linken Ohr, das plötzlich, ohne eine spürbare Hörverschlechterung, aufgetreten sei. Dieses werde besonders im Ruhezustand als störend empfunden; es bestünden keine Ein- oder Durchschlafstörungen. Das Ohrgeräusch sei mehrfach therapiert worden, zunächst durch Medikamenteneinnahme, später mit Infusionen; eine Besserung habe sich dadurch nicht eingestellt. Der Gutachter führte aus: Das beim Kläger vorliegende Ohrgeräusch sei nicht auf schädigenden beruflichen Dauerlärm zurückzuführen. Nach den Feststellungen der technischen Abteilung der Beigeladenen vom November 1998 und den eigenen Angaben des Versicherten, wonach das Ohrgeräusch plötzlich ohne Verbindung mit einer vorhergehenden Lärmtätigkeit aufgetreten sei, könne von einem lärmunabhängigen Mechanismus im Innenohr bei der Entstehung dieser Störung ausgegangen werden. Beim Kläger bestehe nach wie vor eine beginnende Lärmschwerhörigkeit beidseits mit einer MdE von unter 10 vH. Linksseitig habe sich, wahrscheinlich lärmunabhängig, das Gehör inzwischen verschlechtert, wobei jetzt links ein prozentualer Hörverlust von 10 % vorliege.

Durch Bescheid vom 10.3.1999 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer Verletztenrente ab. Zur Begründung hieß es, die durch die BK bedingte MdE erreiche keinen rentenberechtigenden Grad.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs legte der Kläger ein Attest der HNO-Ärztin Dr H aus K vom Juni 1999 vor. Diese erklärte hierin, dass beim Kläger ausgehend von der beiderseitigen Hörbeeinträchtigung eine MdE von 15 % anzunehmen sei.

Durch Widerspruchsbescheid vom 13.8.1999 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hieß es: Nach dem Gutachten von Dr D ergebe sich kein Hinweis, dass wegen der BK Nr 2301 Funktionsstörungen in rentenberechtigendem Ausmaß vorlägen. Nach herrschender medizinischer Lehrmeinung könne die Lärmschwerhörigkeit nicht fortschreiten, wenn der Versicherte nicht mehr im Lärmbereich tätig sei, was nach den Feststellungen der Abteilung öffentlich-rechtliche Aufsicht/Arbeitssicherheit/Technischer Umweltschutz der Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden der Fall sei.

Am 20.8.1999 hat der Kläger Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 17.10.2000 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und finde seine Rechtsgrundlage in § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) in Verbindung mit § 56 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII). Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vom 18.9.1986 vorgelegen hätten, sei nach dem Gutachten von Dr D nicht eingetreten. Selbst wenn man der Auffassung der Ärztin Dr H folgen und den gesamten Hörverlust einschließlich der Ohrgeräusche als lärmbedingt einstufen würde, werde eine MdE rentenberechtigenden Grades von 20 vH nicht erreicht.

Gegen dieses ihm am 7.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.11.2000 beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung des Klägers.

Der Senat hat Befundberichte der HNO-Ärzte Dres H aus A vom April 2001 und der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr R aus K vom Juni 2001 eingeholt. Die Dres H haben ua angegeben, "ab 18.7.1997" bestehe ein plötzlicher Tinnitus rechts mit Schwerhörigkeit. Als Diagnose haben sie ua eine mittelgradige Perzeptionsschwerhörigkeit beiderseits mit chronischem Tinnitus rechts angeführt. Die Ärztin Dr R hat mitgeteilt: Der Kläger sei am 23.7.1997 in seine Praxis gekommen und habe über Ohrenrauschen links geklagt. Das Geräusch sei kaum zu ertragen gewesen und erstmals nach einem "Knall", den ein Panzer neben ihm verursacht habe, aufgetreten. Wegen des Tinnitus links, der zu Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen führe, seien Behandlungen erfolgt; der Tinnitus sei so schlimm, dass Konzentrations- und Schlafstörungen bestünden.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren einen Vorfall am 18.7.1997 angegeben, bei dem durch einen vorbeifahrenden Panzer infolge einer Fehlzündung ein knallartiges Geräusch verursacht worden sei. Außerdem hat er erklärt, am 24.3.2001 sei es wiederum zu einer starken Lärmeinwirkung gekommen.

Die Beigeladene hat durch die öffentlich-rechtliche Aufsicht/Arbeitssicherheit/Technischer Umweltschutz der Wehrbereichsverwaltung IV eine Überprüfung durchführen lassen. In deren Stellungnahme vom November 2001 heißt es: Eine Rücksprache mit der Dienststelle des Klägers habe ergeben, dass dieser am 24.3.2001 einer derartigen Lärmeinwirkung ausgesetzt gewesen sei, dass sie eine Arbeitsunfähigkeit und HNO-ärztliche Behandlung zur Folge gehabt habe. An diesem Tag sei bei dem aufgrund einer drohenden Hochwassergefahr erforderlich gewordenen Anheben einer Drehmaschine mit einem Gabelstapler die Späneauffangwanne verrutscht und zu Boden gefallen. Dieser Vorgang habe ein einmaliges Geräusch verursacht, dem der Kläger ausgesetzt gewesen sei. Für diese einmalige Lärmeinwirkung in den allgemeinen Werkstätten liege kein Messwert vor. Eine Reproduktion dieses Geräusches, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten, sei nicht möglich; Vergleichswerte seien nicht vorhanden. Für die Vorbeifahrt von 10 Panzern sei ein Beurteilungspegel von 81 dB(A), für die Vorbeifahrt von 20 Panzern ein Beurteilungspegel von 84 dB(A) und für die Vorbeifahrt von 30 Panzern ein Beurteilungspegel von 85 dB(A) ermittelt worden. Für die Vorbeifahrt von Schlauch- und Sturmbooten im Zeitraum von 1990 bis 1993 seien keine Angaben möglich. Das Fahrgeräusch eines vorbeifahrenden Panzers sei normalerweise ein von der Drehzahl abhängiges konstantes Geräusch. Lediglich bei Fehlzündungen oder anderen Defekten im Bereich des Aggregats könnten knallartige Geräusche entstehen. Da es sich nach Angabe der Dienststelle und des Klägers bei dem vom Kläger beschriebenen Vorfall vom 18.7.1997 um ein knallartiges Geräusch im Bereich des Auspuffs gehandelt habe, ohne dass der Kläger dieses näher erläutert habe, bestehe keine Möglichkeit, das Geräusch zu reproduzieren und eine exakte Schallpegelmessung durchzuführen. Ein Vergleichswert könne ohne exakte Beschreibung des Geräuschs nicht ermittelt werden.

Der Senat hat im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Chefarztes der HNO-Klinik am E D krankenhaus K , ProfDr S , vom November 2002 eingeholt. Dieser hat dargelegt, der Kläger habe angegeben: Vor ca 6-7 Jahren sei ein linksseitiges Ohrgeräusch aufgetreten, das durch die Fehlzündung eines vorbeifahrenden Panzers verursacht worden sei. Nach dem Vorfall vom 24.3.2001, bei dem die schwere Eisenplatte vom Gabelstapler gefallen sei, habe sich der Tinnitus so verstärkt, dass er vier Wochen krankgeschrieben gewesen sei. Eine Infusionsbehandlung des Tinnitus habe zu keiner Besserung geführt. Es handele sich um ein Dauergeräusch, das ihn beim Einschlafen störe, manchmal etwas schwankend in der Lautstärke sei und eher einem Rauschen als einem Pfeifen gleichkomme. Der Gutachter ProfDr S hat ausgeführt: Beim Kläger bestehe rechts ein Hörverlust von 30 % und links ein Hörverlust von 40 %. Es sei von einem lärmbedingten Hochtonabfall der Innenohrleistung mit einem Hörverlust von 0 % auszugehen, wie er bereits durch die Gutachten von Dr E im Jahre 1980 festgestellt worden sei. In der Zeit nach dessen Begutachtung sei es zu einer Verschlechterung der Innenohrleistung im tiefen und mittleren Frequenzbereich beidseits gekommen. Deren Ursache sei unbekannt und mit Wahrscheinlichkeit nicht durch eine exogene Schädigung bedingt. Ferner bestehe eine Schallleitungsschwerhörigkeit rechts, die unbekannter Ursache sei und nicht auf äußere Einflüsse zurückgehe. Mit Wahrscheinlichkeit hätten sich durch die zwei vom Kläger angegebenen Knalltraumen 1997 und 2001 eine Verschlechterung der Innenohrleistung links ergeben und der Tinnitus entwickelt, wobei der Hörverlust links jetzt 40 % betrage. Ziehe man für das linke Ohr von dem Hörverlust von 40 % einen Hörverlust von 10 % ab, wie er am rechten Ohr lärmunabhängig wegen der Verschlechterung der Innenohrleistung im tiefen und mittleren Frequenzbereich bestehe, ergebe sich ein lärmbedingter Hörverlust links von 30 %. Für einen einseitigen Hörverlust von 30 % in Verbindung mit dem Tinnitus könne eine MdE von 10 vH angesetzt werden. Zu diskutieren sei, ob nicht der alte Lärmschaden beidseits und der ungeklärte Hörverlust im Tief- und Mittelfrequenzbereich als Vorschaden vor den jetzigen Knalltraumen anzusehen sei und damit in die Entschädigung mit einfließen müsse. Die MdE für den gesamten, an beiden Ohren vorliegenden innenohrbedingten Hörverlust (10 % rechts, 40 % links) betrage unter Ausklammerung der rechtsseitigen Schallleitungskomponente 10 % und unter zusätzlicher Berücksichtigung des linksseitigen Tinnitus 15 vH.

Ferner hat der Senat auf Antrag des Klägers ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde Dr W aus N vom Juli 2003 eingeholt. Dieser hat dargelegt: Beim Kläger liege eine protrahiert und prolongiert verlaufende schwere dysthym-depressive Störung auf dem Boden eines anhaltenden Tinnitus linksseitig vor. Die MdE wegen der psychischen Folgen und Begleiterscheinungen des Tinnitus sei für die Zeit von 1997 (erstes Knalltrauma) bis 2001 (zweites Knalltrauma) mit 20 vH und für die Zeit ab 2001 (zweites Knalltrauma) mit 30 vH zu bewerten.

Der Senat hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.1.2004 persönlich angehört. Dieser hat die beiden Knalltraumen eingehend geschildert.

Der Kläger trägt vor: Er könne sich der MdE-Beurteilung von ProfDr S nicht anschließen. Er sei der Auffassung, dass ihm wegen der BK Nr 2301, im Rahmen derer der Folgen der beiden Knalltraumen zu berücksichtigen seien, eine Verletztenrente zustehe. Dem Gutachten von Dr W sei zu folgen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Koblenz vom 17.10.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.3.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.8.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK Nr 2301 eine Verletztenrente zu gewähren, hilfsweise, die Beigeladene zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK Nr 2301 eine Verletztenrente zu gewähren, weiter hilfsweise, die Beklagte und die Beigeladene zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung der beiden Knalltraumen Stützrenten zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Der Kläger habe bei seiner Tätigkeit keiner Personengruppe angehört, die einer erheblichen lärmbedingten Belastung ausgesetzt gewesen sei, da nur bei wenigen Tätigkeiten der personenbezogene Beurteilungspegel wahrscheinlich über dem Schallpegelrichtwert von 85 dB(A) gelegen habe. Es spreche mehr dafür, dass, wenn überhaupt, zwei einmalige Ereignisse im Sinne von Arbeitsunfällen zur Verschlechterung des Hörvermögens geführt hätten, als dass eine Entschädigung unter dem Gesichtspunkt einer BK in Betracht käme. Wenn die Auffassung von Dr W hinsichtlich der Kausalitätsbeurteilung zutreffend sei, sei sie, die Beklagte, für die Entschädigung nicht zuständig.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene trägt vor: Hinsichtlich des Ereignisses vom 18.7.1997 könnten Zweifel an einem ausreichenden Nachweis bestehen. Auch erscheine es zweifelhaft, ob der Kläger aufgrund von zwei möglichen Lärmtraumen innerhalb eines Zeitraumes von vier Jahren einer diesbezüglich besonders gefährdeten Personengruppe zuzurechnen sei. Sie halte das Gutachten von Dr W für nicht nachvollziehbar. Dieser habe es versäumt festzuhalten, ob der Kläger spontan oder erst nach gezieltem Nachfragen über Ohrgeräusche geklagt habe; auch enthalte dessen Gutachten keine Äußerungen über Art, Häufigkeit und Belästigungscharakter der Ohrgeräusche. Psychische Folgen könne ein Tinnitus nur dann nach sich ziehen, wenn der Betroffene äußerst massiv in seiner Lebensqualität beeinträchtigt sei. Hierzu zählten insbesondere Erfahrungen wie Ausgrenzungen im sozialen und beruflichen Umfeld, mangelnde Akzeptanz in der Familie, von der Umwelt nicht anerkanntes Leiden etc. Dazu fehlten Ausführungen in dem Gutachten von Dr W. Unverständlich sei die Annahme, dass bei dem bestehenden Tinnitus durch das behauptete zweite Lärmtrauma eine nochmalige Verschlimmerung habe eintreten können.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verletztenrente wegen der BK Nr 2301, weil diese keine MdE rentenberechtigenden Grades bedingt. Vielmehr verursacht sie nur eine MdE von weniger als 10 vH, sodass auch eine Stützrente nicht in Betracht kommt.

Insgesamt (unabhängig von der Verursachung) liegen beim Kläger nach dem Gutachten von ProfDr S ein Hörverlust von rechts 30 % und links 40 % sowie ein linksseitiger Tinnitus vor. Die Kausalität ist im Anschluss an das Gutachten von ProfDr S wie folgt zu beurteilen:

- Der geringfügige beidseitige Hörverlust (rechnerisch jeweils 0 %), wie er von Dr E in den Jahren 1980 und 1985 festgestellt wurde, ist lärmbedingt und auf die Tätigkeit in der Firma A in T zurückzuführen.

- In der Folge hat sich eine Verschlechterung der Innenohrleistung im tiefen und mittleren Frequenzbereich an beiden Ohren um 10 % ergeben, deren Ursache unbekannt ist, wobei kein wahrscheinlicher Zusammenhang mit beruflichen Lärmeinwirkungen besteht.

- Ferner ist am rechten Ohr eine lärmunabhängige Schallleitungsschwerhörigkeit hinzugetreten, worauf die Zunahme des Hörverlusts von jetzt 30 % beruht.

- Am linken Ohr ist es durch die zwei 1997 und 2001 erlittenen Lärmtraumen mit Wahrscheinlichkeit zu einer Zunahme des Hörverlustes gekommen, wobei der Hörverlust links jetzt 40 % beträgt. Außerdem ist der linksseitige Tinnitus auf die beiden Ereignisse von 1997 und 2001 zurückzuführen.

Der Senat geht davon aus, dass sich die beiden vom Kläger behaupteten Ereignisse von 1997 und 2001 so abgespielt haben, wie er es geschildert hat. Hinsichtlich des Vorfalls von 2001 können insoweit wegen der entsprechenden Dokumentation durch seine Dienststelle keine Bedenken bestehen. Aber auch in Bezug auf das Ereignis von 1997 hält der Senat die Angaben des Klägers im Hinblick auf den persönlichen Eindruck im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.1.2004 für glaubhaft. Letztlich kommt es aber darauf nicht entscheidend an, weil die Folgen der beiden Knalltraumen nicht in die BK 2301 einzubeziehen sind.

Hinsichtlich einmaliger Traumen auf HNO-fachärztlichem Gebiet wird unterschieden zwischen dem Knall- und Explosionstrauma, dem akustischen Unfall und dem akuten Lärmtrauma (dazu und zum Folgenden Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Seite 412 ff). Charakteristisch für das Knalltrauma (kurzdauernde, jedoch sehr laute Schallerlebnisse, zB Mündungsknall, Knallkörper, Tätigkeiten mit Pressluftnaglern und Bolzenschussgeräten) ist die ausschließliche Innenohrschwerhörigkeit ohne Verletzung des Trommelfells oder Zerreißung der Gehörknöchelchen. Ein Explosionstrauma führt im Gegensatz zum Knalltrauma auch zu einem Schaden im Mittelohr. Als akustischer Unfall wird das Auftreten einer einseitigen, oft hochgradigen Schwerhörigkeit bezeichnet, die Symptome eines Hörsturzes aufweist. Beim akuten Lärmtrauma führen Lärmexpositionen oberhalb von 130 bis 160 dB zur ein- oder doppelseitigen akuten Schwerhörigkeit. Vorliegend sind die Traumen von 1997 und 2001 nach dem Gutachten von ProfDr S als Knalltraumen zu bezeichnen.

Die Frage, ob und – bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen - innerhalb einer Arbeitsschicht auftretende Gehörschädigungen, insbesondere Knalltraumen, nicht nur die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls, sondern auch die Anforderungen einer BK erfüllen können (wobei, wenn diese Frage bejaht würde, die Entschädigung wegen der BK vorrangig sein würde; vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, Anm 7.3.2, S 412; Ricke in Kasseler Kommentar, § 9, RdNr 3), ist in der Rechtsprechung bisher – soweit ersichtlich - nicht entschieden worden, auch wenn vereinzelt – ohne diese Frage zu problematisieren – ohne weiteres von einer Entschädigung unter dem Gesichtspunkt eines Arbeitsunfalls ausgegangen wurde (vgl LSG Niedersachsen, Urt v 17.5.2001, Az L 6/3 U 473/97 = HVBG-Info 2001, 2337; LSG Schleswig-Holstein, Urt v 19.12.2001, Az L 8 U 80/01 = HVBG-Info 2002, 729).

Im Schrifttum wurde zu dieser Frage nur vereinzelt Stellung genommen. Schönberger/Mehrtens/Valentin (aaO) vertreten dazu folgende Auffassung: Die innerhalb einer Arbeitsschicht eintretende Gehörschädigung erfülle begrifflich sowohl die Merkmale eines Unfalls als auch diejenigen einer BK. "Aufgrund der Sonderregelung" seien die Vorschriften für BKen anzuwenden, sofern der Betroffene bei seiner Tätigkeit einer Personengruppe angehöre, "deren Gefährdung herausrage". Dies sei beim akuten Unfall und Lärmtrauma überwiegend anzunehmen; beim Explosions- und Knalltrauma bedürfe es stets einer individuellen Bewertung. Warum dies der Fall ist und wann eine "Gefährdung herausragt", erläutern Schönberger/Mehrtens/Valentin (aaO) nicht näher. Ricke (in Kasseler in Kommentar, § 9 SGB VII, Rz 45 mit dem Zitat "vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, 7.3.2) vertritt die Auffassung, Hörstörungen infolge einmaliger Ereignisse (zB Explosion) seien "je nach Gegebenheit" BK oder Arbeitsunfall.

Demgegenüber haben sich mehrere Autoren aus dem medizinischen Bereich für eine schematisierende Betrachtungsweise ausgesprochen. Brusis und Feldmann (zitiert nach Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO) ordnen das Knall- und Explosionstrauma dem Bereich des Arbeitsunfalls und das akute Lärmtrauma der BK zu.

Der Senat ist der Auffassung, dass ein Knalltrauma dann – aber auch nur dann - der BK Nr 2301 zuzuordnen ist (mit der Folge, dass die Entschädigung als BK gegenüber der Entschädigung unter dem Gesichtspunkt eines Arbeitsunfalls vorrangig ist), wenn es in einen Zeitraum fällt, in dem Lärmeinwirkungen über einen längeren Zeitraum vorlagen, die nach dem ermittelten "Beurteilungspegel" (vgl Bekanntmachung des BMA v 20.7.1977; abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach, BKV, M 2301 S 1) für eine BK Nr 2301 ausreichen.

Der Wortlaut der BK Nr 2301 ("Lärmschwerhörigkeit") schließt es allerdings nicht von vornherein aus, ein Knall- oder Explosionstrauma - unabhängig von dem Beurteilungspegel bei der versicherten Tätigkeit – dieser BK zuzuordnen. Der Begriff "Lärmschwerhörigkeit" ist synonym mit "Innenohrerkrankung durch Lärm" (Mehrtens/Perlebach, aaO Rz 3). Lärm ist Schall (Geräusch), der das Gehör schädigen kann (Bekanntmachung des BMA v 20.7.1977 aaO).

Nach Auffassung des Senats ergibt sich jedoch eine Einschränkung der Anwendbarkeit der BK Nr 2301 bei einmaligen, das Gehör schädigenden Traumen aus der Entstehungsgeschichte dieser Norm.

Die BK "Lärmschwerhörigkeit" wurde erstmals durch die Vierte Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf BKen vom 29.1.1943 (RGBl I, S 85) mit der Bezeichnung "durch Lärm verursachte Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit" in die Verordnung aufgenommen. Durch die Sechste Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 28.4.1961 (BGBl I 505) wurde die Bezeichnung in "Lärmschwerhörigkeit und Lärmtaubheit" geändert. Die heutige Bezeichnung beruht auf der Verordnung zur Änderung der Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung vom 8.12.1976.

Eine Erläuterung dieser BK findet sich in der bereits erwähnten Bekanntmachung des BMA vom 20.7.1977. Darin heißt es ua: "Bei einem Beurteilungspegel von 90 dB(A) und mehr sowie andauernder Einwirkung besteht für einen beträchtlichen Teil der Betroffenen die Gefahr einer Gehörschädigung. Gehörschäden können jedoch auch bereits durch einen Lärm verursacht werden, dessen Beurteilungspegel den Wert von 85 dB(A) erreicht oder überschreitet. Der Beurteilungspegel kennzeichnet die Wirkung eines Geräusches auf das Ohr Am Arbeitsplatz kann Lärm nach mehrjähriger Einwirkung zu Lärmschäden des Gehörs führen. Bei sehr lauten Lautstärken sind bleibende Gehörschäden schon nach wenigen Tagen oder Wochen möglich ... Durch Lärm verursachte Gehörschäden können eine Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" werden".

Da diese Erläuterung in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Verordnung vom 8.12.1976 steht, muss davon ausgegangen werden, dass sie dem entspricht, wovon der Verordnungsgeber seinerzeit ausging. Der Hinweis darauf, dass der "Beurteilungspegel" entscheidend ist, deutet darauf hin, dass ein Knalltrauma durch einmalige Lärmeinwirkung ohne für eine Lärmschwerhörigkeit geeigneten Dauerlärm über einen längeren Zeitraum nicht die Voraussetzungen der BK Nr 2301 erfüllt. Nach Auffassung des Senats ist deshalb ein Knalltrauma nur dann Bestandteil der BK Nr 2301, wenn es in einen Zeitraum fällt, in dem Lärmeinwirkungen über einen längeren Zeitraum vorlagen, die für eine BK Nr 2301 ausreichten.

Dafür spricht auch folgende Erwägung: Würde man bei Knalltraumen einschränkungslos eine Entschädigung als BK für möglich halten, wäre wegen des Vorrangs der BK gegenüber dem Arbeitsunfall eine Entschädigung als Arbeitsunfall generell ausgeschlossen. Dass der Verordnungsgeber bei der Verordnung vom 8.12.1976 davon ausging, kann nicht angenommen werden. Denn die Auffassung, dass Knalltraumen ohne für eine Lärmschädigung geeignete Einwirkung von gewisser Dauer bei der betreffenden Tätigkeit in die BK Nr 2301 einzubeziehen seien, wurde – soweit ersichtlich – vor der Verordnung vom 8.12.1976 nicht vertreten. Vielmehr entspricht es hergebrachter Ansicht, dass Knalltraumen als Arbeitsunfälle zu entschädigen sind (vgl LSG Niedersachsen, Urt v 17.5.2001, aaO; LSG Schleswig-Holstein, Urt v 19.12.2001, aaO).

Die vom Senat vorgenommene und oben dargestellte Abgrenzung führt auch zu praktisch sachgerechten Ergebnissen. Sie bewirkt, dass ein Knalltrauma dann Bestandteil der BK Nr 2301 ist, wenn bei dem Versicherten innerhalb des betreffenden Zeitraums dauerhafte Lärmeinwirkungen vorliegen, die geeignet sind, einen Lärmschaden zu verursachen. Bei einer solchen Sachlage wäre eine Abgrenzung zu einem durch ein einzelnes Ereignis verursachten Lärmschaden kaum möglich. Diese Abgrenzungsprobleme entstehen aber nicht, wenn keine Lärmeinwirkungen von gewisser Dauer vorliegen, die geeignet sind, einen hierdurch verursachten Lärmschaden zu verursachen.

Im Falle des Klägers waren bei seiner Tätigkeit für die Bundeswehr – über die beiden einmaligen Einwirkungen bei den Ereignissen vom 18.7.1997 und 24.3.2001 hinaus – keine Lärmeinwirkungen vorhanden, welche geeignet waren, einen Lärmschaden zu verursachen. Dies geht aus den eingehenden Darlegungen des Technischen Dienstes der Wehrbereichsverwaltung IV hervor, worauf der Senat verweist.

Sofern man – im Gegensatz zu den obigen Darlegungen - die Auffassung vertreten würde, es genüge für eine Einbeziehung von Knalltraumen in die BK Nr 2301, wenn bei der versicherten Tätigkeit die Gefahr von einmaligen Traumen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erhöht ist, könnte auch dies nicht festgestellt werden. Zwar hat der Kläger – ausgehend von seinen Angaben – zwei Lärmtraumen erlitten, was als Argument für eine nicht unerhebliche Risikoerhöhung angeführt werden könnte. Es kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Art der beiden Knalltraumen – zum einen ein lautes Motorgeräusch, zum anderen ein herunterfallendes Gerät - völlig unterschiedlich war und deshalb nicht für eine wesentliche Gefahrerhöhung spricht. Bei der Fehlzündung am 18.7.1997 handelt es sich um einen einmaligen Vorgang – ein außergewöhnliches Ereignis -, wie er sich sonst bei der Tätigkeit des Klägers nicht mehr ereignet hat. Gleiches gilt für den Vorgang vom 24.3.2001, wie aus den Angaben des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.1.2004 folgt. Würdigt man die Tätigkeit des Klägers bei der Bundeswehr insgesamt, gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine wesentliche Risikoerhöhung von Knalltraumen durch einmalige Ereignisse.

Da nach alledem im Rahmen der BK Nr 2301 nur die Hörschädigung zu berücksichtigen ist, wie sie im Zeitpunkt der Gutachten von Dr E in den Jahren 1980 und 1985 vorlag, beträgt die BK-bedingte MdE unter 10 vH. Bei dieser Sachlage scheidet auch eine Stützrente aus, wobei nicht zu entscheiden ist, ob insoweit § 581 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) – bis 31.12.1996 in Kraft – oder § 56 Abs 1 Satz 2–4 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) anzuwenden wäre.

Über eine Entschädigung der beiden behaupteten Knalltraumen unter dem Gesichtspunkt von Arbeitsunfällen hat der Senat – entsprechend dem Antrag des Klägers - nicht zu entscheiden, zumal es diesbezüglich an einer Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), da die Frage, ob – und bejahendenfalls – unter welchen Voraussetzungen ein Knalltrauma Bestandteil der BK Nr 2301 sein kann, höchstrichterlich nicht geklärt ist.