Sächsisches Landessozialgericht - L 2 U 77/06 - Beschluss vom 19.12.2007
Ob der Sachverständige, der zu einem Befangenheitsantrag gegen ihn Stellung nimmt, diese Stellungnahme nach dem JVEG abrechnen kann, beantwortet sich danach, ob das Gericht den Sachverständigen aufgefordert hat, Stellung zu nehmen oder ob ihm lediglich die Gelegenheit geboten wurde. Schon von der Wortwahl her erschließt es sich dann auch für den Sachverständigen, dass er freiwillig und in eigener Sache tätig wird, wenn ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde. Wird er jedoch aufgefordert Stellung zu nehmen, so besteht kein Unterschied zum Ergänzungsgutachten bzw. zur ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme. Was Beweisthema einer solchen ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme ist, entscheidet das Gericht. Hält das Gericht es für eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Entscheidung für erforderlich, dass der Sachverständige zum Vorwurf der Befangenheit Stellung nimmt, so fordert es ihn zu einer entsprechenden Stellungnahme auf, mit der Folge, dass diese Stellungnahme vom Sachverständigen in Rechnung gestellt werden kann.
Gründe:
I.
Am 13.06.2007 erstattete der Antragsteller für das Sächsische Landessozialgericht in seiner Funktion als Sachverständiger im Rechtsstreit L 2 U 77/06 ein neurologisches Gutachten, welches inzwischen antragsgemäß entschädigt wurde. Bevor dieses Gutachten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Stellungnahme übersandt worden war, äußerte sich dieser kritisch zu der Untersuchung am 30.05.2007 und führte am Ende seines Schriftsatzes vom 18.06.2007 aus: "Die Klägerin ist daher besorgt und muss bereits vor Vorliegen des Gutachtens feststellen, dass der Gutachter offensichtlich nicht unvoreingenommen und unbeeinflusst sein Gutachten abgegeben hat, sondern offensichtlich mit einer nicht objektiven Grundhaltung der Klägerin gegenübergetreten ist."
Das Landessozialgericht hat daraufhin diesen Schriftsatz dem Gutachter übersandt "mit der Bitte, zum Vorwurf der Befangenheit Stellung zu nehmen". Dieser Bitte kam der Gutachter nach und übersandte dem Landessozialgericht am 26.07.2007 eine 2 1/2-seitige Stellungnahme, in welcher zu den erhobenen Vorwürfen im Einzelnen erwidert wurde. Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf Entschädigung und rechnete die Stellungnahme wie folgt ab:
Aktenstudium 4 Seiten 0,04 Std. schriftliche Stellungnahme 2 Seiten 2,00 Std. Diktat und Korrektur 2 Seiten 0,33 Std. gesamt 2,37 Std. aufgerundet 2,50 Std. Std.-Satz 85,00 EUR 212,50 EUR Schreibgebühren (Tsd. Anschl.) 3,36 x 0,75 EUR 2,52 EUR Summe 215,02 EUR Umsatzsteuer 19% 40,85 EUR Portokosten 1,45 EUR Gesamt: 257,32 EUR.
Von dem zuständigen Kostensachbearbeiter wurde ihm daraufhin mitgeteilt, dass die Stellungnahme zum Befangenheitsantrag für sich allein keinen gesonderten Entschädigungsanspruch nach dem JVEG auslöse, sondern eine Nebenpflicht aus der Ernennung zum Sachverständigen darstelle (Bescheid vom 07.08.2007). Der Antragsteller hat daraufhin den Antrag auf richterliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG gestellt und sich auf einen Beschluss des LG Wiesbaden vom 26.10.2006 - 10 OH 5/02 - und einen Beschluss des LSG Stuttgart vom 12.02.2007 - L 12 RA 1624/03 KO-A - berufen.
Der Bezirksrevisor hat sich mit Schreiben vom 20.08.2007 zu der Sache dahingehend geäußert, dass der Gutachter hinsichtlich der Stellungnahme zum Vorwurf der Befangenheit nicht im Sinne des § 118 SGG i. V. m. § 402 ff. ZPO zu Beweiszwecken in Anspruch genommen worden sei. Ausschließlich eine Heranziehung zu Beweiszwecken löse aber einen Entschädigungsanspruch im Sinne von § 1 ZSEG aus. Die Stellungnahme eines Sachverständigen zum Vorwurf der Befangenheit stelle eine Nebenpflicht aus der Ernennung zum Sachverständigen dar; dies sei auch die Auffassung des LSG Brandenburg (Beschluss vom 04.01.2002 – L 2 SF 19/01).II.
Auf den Antrag gemäß § 4 Abs. 1 JVEG war die Sachverständigenentschädigung, die der Höhe nach nicht angegriffen wurde, wie erfolgt festzusetzen.
Die Rechtsprechung zu der Frage, ob die Stellungnahme eines Sachverständigen zu einer Ablehnung wegen Befangenheit einen gesonderten Entschädigungsanspruch auslöse, ist uneinheitlich. Dies hängt damit zusammen, dass auch die zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellationen uneinheitlich sind. Während nach Auffassung des LSG Brandenburg (Beschluss vom 04.09.2001 - L 2 SF 19/01 - grundsätzlich eine Entschädigung nicht zusteht, weil der Sachverständige nicht zu Beweiszwecken herangezogen werde, wurde vom Landessozialgericht Baden-Württemberg (Entscheidung vom 17.02.2004 - L 2 RA 1624/03 KO-A) die Auffassung vertreten, dass es nur dann richtig sei, ihn für eine Stellungnahme nicht zu entschädigen, wenn die Besorgnis der Befangenheit im persönlichen Verhalten des Sachverständigen gesehen werde, etwa in seinen Äußerungen gegenüber einem Prozessbeteiligten. In diese Richtung geht auch ein Beschluss des LG Wiesbaden, wonach es darauf ankommt, ob sich das Ablehnungsgesuch auf den Inhalt des Gutachtens bezieht oder das Grundverhältnis zwischen Gutachter und Gericht betrifft, etwa wie die Aufstellung der Rechnung oder die Anfertigung des Übersendungsschreibens, was nicht gesondert vergütet werden könne (LG Wiesbaden, Entscheidung vom 26.10.2006 - 10 OH 5/02 -). Diese Auffassung wird auch vom OLG Frankfurt vertreten, wonach ein Entschädigungsanspruch dann zusteht, wenn die Verwertbarkeit eines Gutachtens durch den Vorwurf der Befangenheit infrage gestellt wird (OLG Frankfurt, Entscheidung vom 24.02.1993 - 4 WF 13/93 -). Das OLG München hat in Kenntnis dieser Rechtsprechung an dem Grundsatz festgehalten, dass der Sachverständige für die Stellungnahme zu dem gegen ihn gerichteten Ablehnungsantrag nicht zu entschädigen sei (Beschluss vom 16.05.1994 - 11 W 1463/94 -), schließlich lasse sich nicht immer feststellen, wann es sich um eine die Gutachtenserstellung unterstützende Tätigkeit handele. Auch das OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.05.1994 - 10 W 60/94 -) hat darauf hingewiesen, dass für den Sachverständigen ohnehin keine Pflicht zur Stellungnahme bestehe. In dem der zitierten Entscheidung des OLG München zugrunde liegenden Fall war dem Gutachter das Befangenheitsgesuch mit den Worten "es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme" übersandt worden. Auch nach Auffassung des Senats kann es für den Entschädigungsanspruch nicht darauf ankommen, ob die Ablehnung wegen Befangenheit sich vorrangig auf ein Verhalten des Sachverständigen oder auf inhaltliche Punkte des Gutachtens stützt. Eine entsprechende Differenzierung dürfte unpraktikabel, wenn nicht sogar schlechthin unmöglich sein.
Ob der Sachverständige zu Beweiszwecken herangezogen wird - der Bezirksrevisor hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es allein auf diese Fragestellung ankommt - ist jedoch nicht im Nachhinein bei der Frage der Entschädigung zu prüfen, sondern beantwortet sich danach, ob das Gericht den Sachverständigen aufgefordert hat, Stellung zu nehmen oder ob ihm lediglich die Gelegenheit geboten wurde. Schon von der Wortwahl her erschließt es sich dann auch für den Sachverständigen, dass er freiwillig und in eigener Sache tätig wird, wenn ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde. Wird er jedoch aufgefordert Stellung zu nehmen, so besteht kein Unterschied zum Ergänzungsgutachten bzw. zur ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme. Was Beweisthema einer solchen ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme ist, entscheidet das Gericht. Hält das Gericht es für eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Entscheidung für erforderlich, dass der Sachverständige zum Vorwurf der Befangenheit Stellung nimmt, so fordert es ihn zu einer entsprechenden Stellungnahme auf, die damit Beweiszwecken dient. Es ist denkbar, dass sich das Gericht auch ohne eine Stellungnahme des Gutachters eine Überzeugung zu der Frage bilden kann, ob das Befangenheitsgesuch begründet ist oder nicht, ob das Gutachten also verwertbar ist oder nicht. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob der Gutachter seinen Vergütungsanspruch verliert oder nicht. Dies dürfte nur in Ausnahmefällen der Fall sein, wenn nämlich der Gutachter vorsätzlich oder grob fahrlässig die Gründe für die Unverwertbarkeit seines Gutachtens gesetzt hat. Eine Ablehnung wegen Befangenheit kann aber auch schon dann begründet sein, wenn lediglich aus der Sicht eines objektivierten Beteiligten "der Anschein einer Parteilichkeit entstanden ist, die in Wahrheit aber gar nicht vorliegt.
Wird dem Gutachter also eine Ablehnung seiner Person übersandt mit den Worten, dass "Gelegenheit zur Stellungnahme bestehe", so gibt der Gutachter eine solche Stellungnahme gewissermaßen auf eigene Rechnung und in eigener Sache ab. Es steht ihm dann frei, eine solche Stellungnahme nicht abzugeben. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Frage für ihn "in eigener Sache" ja auch erst dann akut wird, wenn ihm von der Kostensachbearbeitung mitgeteilt wird, dass das Gutachten nicht oder nur teilweise entschädigt werde, da ihm der Vorwurf gemacht werde, vorsätzlich oder grob fahrlässig zur Nichtverwertbarkeit dieses Gutachtens beigetragen zu haben. Dann besteht immer noch die Möglichkeit, "in eigener Sache" (ohne gesonderten Entschädigungsanspruch) vorzutragen. Wurde der Gutachter aber aufgefordert - und auch eine freundliche Bitte des Gerichtes ist in diesem Zusammenhang als Aufforderung zu verstehen - Stellung zu nehmen, so wurde er gewissermaßen beauftragt und muss befürchten, bei Nichtbefolgen dieser Bitte den Maßnahmen des § 411 Abs. 2 ZPO (Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft) ausgesetzt zu sein. Die vom Gericht bestellte Stellungnahme vom 22.07.2007 ist daher zu entschädigen. Der Höhe nach wurden keine Einwendungen erhoben, die Berechnung des Sachverständigen entspricht dem Gesetz.
Diese Entscheidung ergeht durch den zuständigen Kostensenat des Sächsischen LSG, die Sache wurde gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG wegen der grundsätzlichen Bedeutung auf den Senat übertragen.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).