Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente streitig.

Der 1978 geborene Kläger erlitt am 22.02.1989 als Schüler der vierten Volksschulklasse während der Pause auf dem Pausenhof der Volksschule S. einen Schlag auf das linke Auge. Dr. K. diagnostizierte am 14.03.1989 einen Zustand nach schwerer Prellung des linken Auges, Linsenluxation, traumatischer Katarakt, Buphtalmus und Netzhautablösung. Am 21.03.1989 erfolgte eine Entfernung der getrübten und verlagerten Linse und eine Netzhautoperation mit Entfernung des Glaskörpers am linken Auge.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Augenarztes Dr. S.. vom 12.03.1990 ein, der ausführte, beim Kläger habe seit frühester Kindheit ein kindliches Glaukom bestanden, so dass die Sehschärfe des linken Auges seit 1985 auf die Wahrnehmung von Handbewegungen herabgesetzt gewesen sei. Durch die unfallbedingte Augapfelprellung, Linsenluxation und Netzhautablösung sei es gegenüber der vor dem Unfall bestandenen praktischen Erblindung des linken Auges zu keiner weiteren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) gekommen. Die Beklagte lehnte daraufhin die Gewährung von Verletztenrente mit Bescheid vom 27.03.1990 ab.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg holte dieses ein Gutachten der Augenärztin Dr. S.. vom 18.03.1991 ein. Diese führte aus, dass vor dem Unfall bereits eine Sehleistungsminderung auf 1/20 oder mehr bestanden habe. Durch den Unfall sei keine weitere MdE verursacht. Mit Urteil vom 18.06.1991 wies das SG die Klage ab.

Im anschließenden Berufungsverfahren holte der Senat ein Gutachten des Prof. Dr. L. , Augenklinik der Universität M. , vom 23.01.1992/11.05.1992/05.04.1993 ein. Dieser bewertete die Verschlechterung des Sehvermögens von 0,1 vor dem Unfall und der Verschlimmerung auf ein 1/50 nach dem Unfall mit 5 v.H. Aus einem beigezogenen Attest des Dr. K. vom 09.07.1992 ergebe sich, dass die Sehleistung vor dem Unfall zwischen 0,05 und 0,1 gewechselt habe. Nunmehr sei nur noch eine Lichtscheinwahrnehmung möglich. Die inzwischen erfolgte deutliche kosmetische Beeinträchtigung in Form von Rötung der Bindehaut, Eintrübung der Hornhaut, Verziehung der Pupille nach 12,00 Uhr, Irisschlottern, Linsenlosigkeit und narbiger Veränderung von Netzhaut und Aderhaut erhöhe die MdE um weitere 10 v.H. Die Gesamt-MdE betrage 35 v.H.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 27.10.1993 wurde die Berufung zurückgewiesen. Eine unfallbedingte MdE in Höhe von 20 v.H. werde nicht erreicht.

Am 30.04.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Verletztenrente, denn sein Sehvermögen links sei erloschen. Die Beklagte holte ein Gutachten des Augenarztes Dr.L. vom 21.06.2002 ein, der ausführte, es bestehe am linken Auge eine kosmetisch entstellende großflächige, weiße Hornhautnarbe. Die Lidspaltenweite des linken Auges sei etwas kleiner als die des rechten Auges. Es liege ein leichtes Rücksinken des Augapfels vor. Wegen der äußerlich sichtbaren kosmetischen Entstellung betrage die Gesamt-MdE 30 v.H.

Mit Bescheid vom 25.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ab.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ab Antragstellung Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren. Er hat vorgetragen, seit der Begutachtung durch Prof. Dr. L. sei eine erhebliche Verschlechterung insbesondere auf kosmetischem Gebiet eingetreten, da sich die Hornhaut in den vergangenen Jahren mehr und mehr weißlich eingetrübt habe. Auch sei das Auge nunmehr vollständig erblindet. Er legte ein Attest des Dr. K. vom 14.09.2001 vor.

Das SG hat mit Urteil vom 22.04.2005 die Klage abgewiesen. Es hat sich auf das Gutachten des Dr.L. gestützt und zusätzlich ausgeführt, eine höhere Gesamt-MdE als 30 v.H. wie sie Prof. Dr. L. angenommen habe, werde nicht erreicht.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und einen Befundbericht der Augenklinik M. vom 29.01.2007 vorgelegt. Der Senat hat ein Attest des Dr. K. vom 12.05.2006 beigezogen und ein Gutachten der Augenärztin Dr.W. vom 16.06.2007 eingeholt. Sie hat ausgeführt, es liege unfallbedingt ein Zustand nach Augapfelprellung mit Netzhautablösung und Linsenluxation sowie ein Zustand nach operativer Linsenentfernung, eine Hornhauteintrübung, eine Amaurose (Blindheit), eine beginnende Schrumpfung des Augapfels, eine Visusminderung und eine kosmetische Entstellung vor. Die vor dem Unfall vorhandene Sehschärfe sei mit einem Mittelwert von 0,1 anzunehmen, so dass die MdE für den Vorschaden mit 20 v.H. zu bewerten sei. Dies entspreche auch der Einschätzung in dem Gutachten des Prof.Dr.L ... Die kosmetische Situation habe sich seit der Begutachtung 1992 durch Dr. S.. und 1993 durch Prof. Dr. L. verschlechtert. Während zum damaligen Zeitpunkt noch Details der vorderen Augenabschnitte auszumachen waren, schemenhaft sogar noch der Sehnerv am Augenhintergrund zu sehen war, sei dies jetzt nicht mehr möglich. Da das Unfallauge nunmehr blind sei, betrage die MdE 25 v.H. Die MdE steigere sich wegen der kosmetischen Entstellung auf 30 v.H. entsprechend der Anmerkung in der Sehschärfentabelle (abgedruckt in Schönberger/Mehrtens/Va-lentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage S. 382). Die unfallbedingte MdE betrage daher 10 v.H.

Der Kläger beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22.04.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund des Unfalls vom 22.02.1989 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, 

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22.04.2005 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Beklagtenakten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Akten des SG Augsburg S 2 U 116/90 und Bayer. LSG L 2 U 198/91 hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Verletztenrente, denn seine Erwerbsfähigkeit ist aufgrund unfallbedingter Gesundheitsstörungen im rentenberechtigten Grade von 20 v.H. gemindert (§ 56 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII). Anzuwenden sind die Vorschriften des Siebten Buches, weil der Kläger eine materielle Anspruchsentstehung aufgrund einer Verschlimmerung nach dem 01.01.1997 geltend macht (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII).

Im vorliegenden Fall ist die unfallbedingte MdE unter Berücksichtigung des beim Kläger bestandenen Vorschadens - beim Kläger bestand seit frühester Kindheit ein Buphtalmus (Vergrößerung des Augapfels mit Kurzsichtigkeit und angeborenem Grünen Star), der bereits vor dem Unfall Operationen erforderlich machte und die Sehschärfe auf dem verletzten Auge schon vor dem Unfall stark reduzierte - sowie der nach dem Unfall im Laufe der Jahre eingetretenen völligen Erblindung und der nach dem Unfall eingetretenen kosmetischen Beeinträchtigungen, einzuschätzen.

Die Entscheidung der Frage, in welchem Grad die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs.1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; BSGE 6, 267, 268; BSG, Urteil vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Die Frage, welche MdE vorliegt, ist eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden.

Der Senat ist der Auffassung, dass die Gesamt-MdE beim Kläger auf 40 v.H. zu schätzen ist, wobei eine MdE von 20 v.H. unfallbedingt ist. Für diese Einschätzung sind folgende Erwägungen maßgebend: Das Sehvermögen des Klägers hat sich dahingehend verschlechtert, dass nun von einer 100 %igen Blindheit auszugehen ist, während im Unfallzeitpunkt bei einem geringen Restsehvermögen von teilweise 0,1 Visus (Dr. K. im Attest vom 17.07.1990) eine MdE von 20 v.H. erreicht wurde. Wie Prof. Dr. L. überzeugend darlegte, ist inzwischen durch die weitere unfallbedingte Herabsetzung des Sehvermögens auf unter 1/50 (Gutachten Prof. Dr.L.) bzw. die völlige Erblindung (Gutachten Dr.L. , Dr.W.) eine MdE von 25 v.H. erreicht.

Hinzukommt, dass zweifelsohne eine erhebliche kosmetische Entstellung beim Kläger vorliegt. Hiervon hat sich auch der Senat in der heutigen mündlichen Verhandlung überzeugt. Nachdem vor dem Unfall ein unauffälliger optischer Aspekt gegeben war und der Laie trotz des angeborenen Buphtalmus nicht in der Lage war, eine schwerwiegende Augenerkrankung zu erkennen (so Dr. W.) hat sich die Situation in der Folgezeit verschlechtert. Während 1992 (Gutachten Dr. S..) und 1993 (Gutachten Prof. Dr. L.) trotz der Hornhauttrübung noch Details der vorderen Augenabschnitte auszumachen waren und noch schemenhaft der Sehnerv am Augenhintergrund erkennbar war, ist dies nun nicht mehr möglich. Es besteht eine entstellende großflächige, weiße Hornhautnarbe mit verkleinerter Lidspalte (so Dr. L. im Gutachten vom 21.06.2002). Diese Veränderung ist im Ergebnis vergleichbar mit dem "Verlust des Auges mit Gesichtsentstellung". Mit dem Auge nämlich ist dem Kläger nicht nur keine Sehleistung mehr möglich, sondern auch kein "Augen"kontakt mit den ihn umgebenden Menschen, da das Auge wegen der großflächigen Hornhautnarbe nicht mehr als "Auge" zu erkennen ist.

Die beim Kläger bestehende Einschränkung geht somit über die (einfache) Erblindung des Auges hinaus, denn der Kläger kann mit dem Auge auch nicht mehr kommunizieren.

Es steht außer Frage, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Erblindung und den Augenzustand, der einen Augenkontakt nicht zulässt sowie die störende Entstellung erheblich gemindert ist. Nachdem eine kosmetisch störende Entstellung mit einer MdE von 20 v.H. eingeschätzt werden kann (Schönberger-Mehrtens-Valentin a.a.O. S. 342), bei einem "Verlust eines Auges mit Gesichtsentstellung" eine MdE von 40 v.H. infrage kommt (Mehrhoff-Murr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage S. 132) hält es der Senat im vorliegenden Fall in Anbetracht der Tatsache, dass gerade durch den Vorschaden der vom Kläger erlittene Unglücksfall sich auf seine Erwerbsfähigkeit besonders auswirkte - und dies ist zu beachten (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 SGB VII Anm.10.6) - für gerechtfertigt, von einer Gesamt-MdE von 40 v.H. auszugehen und eine MdE von 20 v.H. als unfallbedingt zu schätzen.

Der vom Senat gehörten Sachverständigen Dr.W. kann insoweit nicht gefolgt werden, als sie eine Gesamt-MdE von 30 v.H. schätzt. Sie geht bei ihren Überlegungen nur "von einer Erblindung mit kosmetischer Entstellung" aus und zieht die Anmerkung zur Sehschärfentabelle, abgedruckt bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S.382, heran, ohne zu beachten und zu bewerten, dass nicht nur eine äußerlich in Erscheinung getretene Veränderung beim Kläger aufgetreten ist, sondern dass der Kläger mit dem linken Auge keinen Kontakt herstellen kann. Dass das Auge für den Betrachter tot ist und damit dem Verlust eines Auges gleichgesetzt werden muss, zieht sie in ihre Erwägungen nicht mit ein und geht schematisch von der abgedruckten Sehschärfentabelle aus.

Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass Prof. Dr. L. im Gutachten vom 23.01.1992 schon damals in Anbetracht der Entstellung von einer Gesamt-MdE von 35 v.H. ausgegangen ist und sich die Entstellung in der Folgezeit erhöht hat.

Aus diesen Erwägungen folgt, dass bei einer Gesamt-MdE von 40 v.H. und einem abzusetzenden Vorschaden, der eine MdE von 20 v.H. bedingt hat, eine unfallbedingte MdE von 20 v.H. vorliegt.

Die Beklagte hat dem Kläger daher Verletztenrente ab Antragstellung zu gewähren.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe gemäß § 160 Abs.2 vorliegen.