Landessozialgericht Hamburg - L 3 U 48/05 - Urteil vom 05.09.2006
Zur Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung in Folge eines Verkehrsunfalls.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztengeld bzw. –rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v. H. in der Zeit vom 1. Oktober 1996 bis 8. Dezember 1996, vom 23. Januar bis 4. Februar 1997 und ab 8. Februar 1997 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund eines am 14. September 1996 erlittenen Arbeitsunfalls streitig.
Der 1961 geborene Kläger (türkischer Staatsangehöriger) ist seit dem 1. April 1992 als Taxiunternehmer Mitglied bei der Beklagten. Am 14. September 1996 gegen 2.20 Uhr erlitt er während seiner versicherten Tätigkeit einen Verkehrsunfall. Er stand mit seinem Taxi, einem Mercedes Benz 220 Diesel, vor einer roten Ampel, als ein anderer Pkw hinten auffuhr. Der Kläger wurde mit dem Rettungswagen in das Allgemeine Krankenhaus A. eingeliefert. Dort gab er diffuse Nackenschmerzen und aufsteigende Kopfschmerzen, eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule ohne punktuellem Druckschmerz sowie diffuse Rückenschmerzen an. Die röntgenologische Untersuchung der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule ergab weder eine Fraktur noch eine Luxation. Die Diagnose lautete: Diskrete degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule, leichte Skoliose der Lendenwirbelsäule, Halswirbelsäulen-Distorsionstrauma. Als unfallunabhängige Veränderung wurde ein altes Kreuzleiden aufgeführt. Das voraussichtliche Ende der Arbeitsunfähigkeit wurde mit dem 21. September 1996 angegeben. Es wurde eine so genannte Halskrause für eine Woche verordnet.
Am 16. September 1996 suchte der Kläger den Chirurgen Dr. S. auf. Er klagte über anhaltenden Kopfschmerz, Schwindelgefühl und Konzentrationsstörungen, des Weiteren über anhaltende Beschwerden von Seiten der Wirbelsäule mit Parästhesien im Bereich der Verletzung und Miktionsstörungen. Dr. S. kam zu dem Ergebnis, dass es bei dem Unfall zu einer Schädelprellung und Halswirbelsäulendistorsion gekommen sei. Die weitere Beschwerdesymptomatik sei als Folge einer degenerativen Lendenwirbelsäulenerkrankung (Spondylolisthesis – Wirbelgleiten – mit Irritation der Wurzel L 5 rechts) unfallfremd. Am 23. September 1996 wurde der Kläger von dem Urologen Dr. K. untersucht, da er über Erektionsstörungen klagte. Dr. K. fand einen Druckschmerz im Bereich der Lendenwirbelsäule und beider Nieren. Seine Diagnose lautete: Zustand nach Schädelprellung, Zustand nach Distorsion und Verrenkung der gesamten Wirbelsäule, erektile Dysfunktion, Nierenprellung beiderseits. Am 10. Oktober 1996 stellte sich der Kläger in der Orthopädischen Poliklinik des Universitätskrankenhauses E. (UKE) wegen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in das rechte Bein vor. In dem Befundbericht vom 15. Oktober 1996 hieß es, die Spondylolisthesis sei dem Patienten seit 1992 bekannt. Bislang sei er diesbezüglich nahezu beschwerdefrei gewesen. Nach dem Unfall hätten sich Schmerzen entwickelt. Seinen Beruf als Taxifahrer könne er derzeit nicht ausüben. Es wurde ein Hamburger Flexionskorsett verordnet. Einen Tag zuvor (am 9. Oktober 1996) war der Kläger von dem Neurologen B. untersucht worden. Auch dort gab er Schmerzen im Nacken und Hinterkopfbereich sowie im gesamten Wirbelsäulenbereich bis in das rechte Bein ausstrahlend an. Es sei am Unfalltag auch zu Übelkeit und einmaligem Erbrechen gekommen. Eine seit dem Unfall bestehende Erektionsschwäche werde durch den Urologen Dr. K. behandelt. In seinem Bericht vom 16. Oktober 1996 teilte der Neurologe B. der Beklagten mit, ein cranielles Computertomogramm vom 17. September 1996 sei unauffällig gewesen. Ein lumbales Computertomogramm zeige einen breitbasigen medio-lateralen Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1. Die geklagte Erektionsschwäche sei durch das Wirbelsäulentrauma nicht im Sinne einer organischen Schädigung zu erklären, sondern eher Folge der subjektiv stark empfundenen Schmerzsymptomatik. Die Röntgenpraxis Dres. F./ V. berichtete über eine am 18. September 1996 auf Veranlassung von Dr. S. durchgeführte lumbale Computertomographie: es lägen die bekannte Spondylolyse mit Spondylolisthesis des 5. Lendenwirbelkörpers, die bekannte mediolaterale sich cranialwärts ausdehnende Hernie der 5. lumbalen Bandscheibe mit rechtsbetonter Wurzeltaschenirritation sowie eine sekundäre Spinalstenose L5/S1 vor.
Am 23. Oktober 1996 wurde bei dem Kläger auf Veranlassung von Dr. S. eine Linksherzkatheteruntersuchung in der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. H./Prof. Dr. M. zum Ausschluss einer coronaren Herzkrankheit durchgeführt. Am 25. November 1996 stellte sich der Kläger in der Neurologischen Abteilung des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg bei Dr. H1 vor. Der Kläger gab an, er leide nach wie vor unter Kreuzschmerzen, Schmerzen im Kopf, Schwindelgefühl sowie ausgeprägten Potenzproblemen. Er könne seinem Beruf nicht mehr nachgehen, habe einen Ersatzfahrer einstellen müssen und mache nur noch Schulden. Es gehe ihm psychisch sehr schlecht. Er sei 1987 schon einmal in psychiatrischer Behandlung gewesen, nachdem eines seiner Kinder mit einem halben Jahr gestorben sei. Dr. H1 führte in seinem Bericht aus, der Kläger wirke erheblich deprimiert, verzweifelt, agitiert. Es sei im Rahmen des Unfallgeschehens zu einer erheblichen Neurotisierung des Klägers gekommen. Zur Abgrenzung der Unfallfolgen und insbesondere wegen der psychischen Auffälligkeiten sei eine stationäre Aufnahme erforderlich. Diese erfolgte in der Zeit vom 9. Dezember 1996 bis 22. Januar 1997. In seinem Gutachten vom 17. Februar 1997 kam Dr. H1 zu dem Ergebnis, es sei durch den Unfall zu keiner wesentlichen Verletzung in dem Bereich des Kopfes oder der Halswirbelsäule gekommen. Die Art der geklagten Beschwerden und deren Fülle lasse auf eine deutliche psychogene Komponente am Zustandekommen der Beschwerden schließen. Dafür spreche auch die relativ gering ausgeprägte Motivation des Klägers, mit Hilfe der ihm angebotenen Therapien eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Diese bestehenden psychischen Auffälligkeiten seien jedoch als unfallunabhängig aufzufassen, da der Kläger im Rahmen des Auffahrunfalles nur eine leichte Verletzung erlitten habe und somit ein psychisch schwer traumatisierendes Unfallerlebnis nicht stattgefunden haben könne. Eine messbare MdE ergebe sich nicht. Zu diesem Ergebnis kamen auch die Chirurgen Dr. P. und Dr. K1 auf Grund ihrer Untersuchung am 21. Januar 1997 im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus. Die noch geklagten Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf die vorbestehende Veränderung der Wirbelsäule im Segment L5/S1 mit so genannter Spondylolyse und Wirbelgleiten mit begleitendem Bandscheibenvorfall zurückzuführen. Hinweise auf eine richtungsgebende Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens lägen nicht vor.
Am 5. Februar 1997 wurde der Kläger für drei Tage erneut stationär aufgenommen, und zwar in der urologischen Abteilung. Die Urologen Dr. B1 und Dr. R. kamen zu dem Ergebnis, dass sich eine organisch traumatisch bedingte Sexualfunktionsstörung nicht feststellen lasse. Anhand der durchgeführten Untersuchungen könne kein Zusammenhang zwischen den glaubhaften Sexualfunktionsstörungen und dem Unfall hergestellt werden. Im Rahmen des Unfallgeschehens sei es nach den neurologischen Befundberichten zu einer erheblichen Neurotisierung des Klägers gekommen. Diese Neurotisierung sei mit großer Wahrscheinlichkeit auch Teilursache für die derzeit bestehende Erektionsstörung.
Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B2 erklärte in einem am 13. Februar 1997 ausgestellten Zeugnis, der Kläger sei wegen Unfallfolgen im Bereich der Lendenwirbelsäule, die noch nicht ausgeheilt seien, zurzeit nicht geeignet, ein Taxi zu führen. Mit einer Wiederherstellung der Gesundheit könne nicht vor September 1997 gerechnet werden.
Mit Bescheid vom 28. Mai 1997 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Entschädigungsleistungen über den 30. September 1996 hinaus mit der Begründung ab, die über diesen Zeitpunkt hinausgehende Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit seien nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Für die Zeit vom 14. bis 30. September 1996, 9. Dezember 1996 bis 22. Januar 1997 und 5. bis 7. Februar 1997 wurde dem Kläger Verletztengeld in Höhe von 86,67 DM täglich bewilligt (Bescheid vom 28. Mai 1997).
Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, ohne diesen näher zu begründen. Der Bevollmächtigte des Klägers teilte mit, dass der Kläger für die Zeit vom 9. Oktober bis 4. Dezember 1997 in der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Bad B3 aufgenommen worden sei. Ein Befundbericht konnte wegen des fehlenden Einverständnisses des Klägers nicht eingeholt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage erhoben. Im gerichtlichen Verfahren sind Berichte der behandelnden Ärzte B. und Dr. S. eingeholt worden, in denen der Kläger als psychisch deutlich depressiv herabgestimmt und erheblich beschwerdefixiert mit Zukunftsängsten und sexuellen Störungen beschrieben wird.
In dem beigezogenen Bericht der Psychosomatischen Klinik Bad B3 über die Behandlung vom 9. Oktober bis 4. Dezember 1997 wurden folgende Diagnosen aufgeführt: "Chronische Kopf- und Rückschmerzen, körperlicher Zustand, bei dem psychische Faktoren eine Rolle spielen, depressive Störung, chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp, chronische Lumbalgie/Lumboischialgie, pseudoradikulär bei Diskusprolaps L5/S1, Spondylolisthesis und Spinalkanalstenose L5/S1 und episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp." In dem Bericht heißt es weiter, neben dem organischen Korrelat würden auch psychosoziale Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Kopf- und Rückenschmerzen eine Rolle spielen. Als prädisponierende Faktoren für die Entstehung der Schmerzproblematik kämen früh entwickelte Norm- und Wertvorstellungen in Bezug auf Werte wie Ehre und Gerechtigkeit sowie damit verbunden das fest in der Persönlichkeit verwurzelte Bestreben "ein guter Deutscher zu sein" in Frage. Weitere prädisponierende Faktoren seien eine leichte innere Erregbarkeit sowie eine psychophysiologische Reaktionsstereotypie zur Anspannung der Rückenmuskulatur in Stresssituationen hinzu. Auslösend für die Schmerzproblematik sei neben dem vermutlich aufgetretenen akuten Schmerz die Reaktion der Unfallgegner nach dem Unfall ("das kann gar nicht sein, dass Du solche Schmerzen hast"), die über die von dem Kläger wahrgenommene Ungerechtigkeit eine massive Stressreaktion ausgelöst haben könne, die deutlich zur Verstärkung der Schmerzen beigetragen haben könne. Das von dem Kläger im weiteren Verlauf erlebte nicht Ernstnehmen seiner Beschwerden könne über den oben genannten Mechanismus zum einen direkt zur Aufrechterhaltung der Schmerzen beigetragen haben, zum anderen wiederum über die erlebte Hilflosigkeit hierbei auslösend für die depressive Entwicklung gewesen sein, die sich in der Folge zusätzlich über sozialen Rückzug, auch auf Grund der wahrgenommenen Schmerzen, ihrerseits aufrechterhalten habe. Mit der depressiven Entwicklung ergebe sich nun ein weiterer aufrechterhaltender Faktor für den Schmerz. Sowohl die vom Kläger wahrgenommenen Schmerzen als auch die sich zuspitzende depressive Entwicklung auf Grund der andauernden Hilflosigkeit könne darüber hinaus auslösend für die sexuelle Funktionsstörung gewesen sein, die ihrerseits nun eine aufrechterhaltende Funktion auf die depressive Entwicklung habe. Im Übrigen wird in dem Bericht erwähnt, dass die Frau des Klägers inzwischen erneut schwanger sei.
Das Sozialgericht hat ein nervenärztliches Gutachten durch Dr. F1 (Medizinisches Gutachteninstitut Hamburg) vom 10. April 2000 nach Untersuchung am 20. März 2000 erstellen lassen. Dr. F1 hat ausgeführt, bei dem Kläger lägen die von der Klinik Bad B3 mitgeteilten Diagnosen vor. Lediglich bestehe die Spondolylisthesis nicht im Segment L5/S1, sondern im Segment L4/5. Die testpsychologische Diagnostik in Bad B3 habe eine vergleichsweise schwere depressive Störung mit starker Beeinträchtigung der Leistungsqualität erkennen lassen, welche sich im Verlauf etwas gebessert habe. Die kausale Beziehung einer psychogenen Symptomatik, welche nach einem belastenden Lebensereignis auftrete, sei einzuschätzen "im Spannungsfeld von a) objektiver bzw. plausibler Schwere und Beeindruckung der Seele des betroffenen Menschen durch das in Rede stehende Ereignis, b) den lebensgewachsenen und neben einem Anlagefaktor in der Regel bis in die kindlichen und frühkindlichen Beziehungen zurückzuverfolgenden Lebensbewältigungsstrategien des betroffenen Menschen, c) ereignisunabhängigen Lebensbelastungen, welche von den betroffenen Menschen zwar oft ereignisassoziiert erlebt würden, dies aber im sozialmedizinischen Sinne nicht seien und die Leistungspflicht des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers nicht begründen könnten." Eine Kausalität bezogen auf das versicherte Ereignis sei dann anzunehmen, wenn ihm im Ensemble der verschiedenen, die seelische Symptomatik bedingenden Faktoren der seelischen Beeindruckung durch den Unfall bzw. der danach notwendigen Therapie oder der verbliebenen Behinderung und Beeinträchtigung der Rang einer wesentlich mitwirkenden Teilursache unter den übrigen Faktoren einzuräumen sei. Nach den internationalen Diagnosemanualen seien länger dauernde psychogene Störungen nach belastenden Lebensereignissen in der Regel unter den Diagnosen posttraumatische Belastungsstörung bzw. Anpassungsstörung nach schwerem Lebensereignis zu fassen. Wichtiges Eingangskriterium für die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung sei, dass das als auslösend angesehene Ereignis von erheblicher Schwere und Beeindruckungscharakter auf die Seele des betroffenen Menschen sein müsse, und zwar der Gestalt, dass es dadurch zu einer nachhaltigen Störung des seelischen Gleichgewichts komme. Anpassungsstörungen würden eher bei Menschen entstehen, bei denen das belastende äußere Ereignis bereits auf eine gestörte Fähigkeit der Anpassung treffe, d. h. bei Menschen, welche bereits vorausgehend unter manifesten psychogenen Erkrankungen litten bzw. welche mit einer lebensbegleitend bestehenden und im Rahmen der biografischen Anamnese zurückzuverfolgenden Einschränkung der Lebensbewältigungsstrategien über eine Art "Schadensanlage" im Sinne einer neurotischen psychosomatischen Reaktionsbereitschaft verfügten. Bei dem Kläger sei die seelische Beeindruckung im Rahmen des Unfalls gering gewesen. Wenn er sich heute beeindruckt zeige, so gehe es um die Auseinandersetzungen nach dem Unfall, speziell mit den behandelnden Ärzten, von denen er sich subjektiv nicht ernst genommen und in sachgemäßer Weise behandelt gefühlt habe. Dass von diesen Ärzten objektive Behandlungsfehler gemacht worden seien, sei nicht ersichtlich. Wenn ein Mensch auf Grund der ihm eigenen Persönlichkeit eine regelhafte Behandlung nicht adäquat verarbeite und sich hierdurch belastet fühle, so könne eine etwaige, sich aus dieser Konstellation entwickelnde psychogene Symptomatik nicht dem vom Unfallversicherungsträger abzudeckenden Risikobereich zugerechnet werden. Der Kläger habe bereits vor dem Unfall psychogene Symptome von erheblichem Krankheitswert entwickelt (Suizidversuche). Das psychogene Krankheitsbild sei nicht durch das Unfallereignis hervorgerufen worden. Es habe auch nicht den Rang einer rechtlich wesentlichen Teilursache.
In einem weiteren Bericht aus der medizinisch-psychosomatischen Klinik Bad B3 über den Aufenthalt des Klägers dort vom 26. November bis 19. Dezember 2001 heißt es, bei dem Kläger liege eine Anpassungsstörung mit Einengung des Gefühlserlebens und Störungen des Sozialverhaltens vor. Es gelinge ihm nicht, Abstand zum Unfallgeschehen und zu den nachfolgenden erfolglosen gerichtlichen Bemühungen und Auseinandersetzungen mit der Berufsgenossenschaft herzustellen. Dadurch gelinge es ihm auch immer weniger, seinen Schmerzen gegenüber angemessene Bewältigungsstrategien entgegenzusetzen. Sowohl die stationäre Behandlung 1997 als auch die seit Jahren bestehende enge ambulante Anbindung an den behandelnden Psychiater hätten nicht dazu beigetragen, den Chronifizierungsprozess der Anpassungsstörung und der somatoformen Schmerzstörung entscheidend zu beeinflussen. Der Kläger könne zeitweise nicht als Taxifahrer arbeiten und habe deswegen finanzielle Schwierigkeiten. Der Kläger wurde als für voraussichtlich längere Zeit arbeitsunfähig entlassen. Es wurde empfohlen, ihn über einen befristeten Zeitraum von drei Jahren erwerbsunfähig zu berenten.
Im Bericht vom 23. September 2002 über den stationären Aufenthalt des Klägers im Klinikum N., Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, in der Zeit vom 20. August bis 6. September 2002 lautet die Diagnose: Depressives Syndrom mit somatoformer Schmerzstörung bei narzisstischer Persönlichkeitsstörung.
Auf Antrag und Kosten des Klägers hat das Sozialgericht das nervenärztliche Gutachten von Dr. S1 vom 10. Dezember 2002 nach Untersuchung vom 12. November 2002 erstellen lassen, dessen ergänzende Stellungnahmen vom 7. Januar 2003 und ohne Datum (Eingang: 25. Mai 2004) eingeholt und ihn in der mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2005 gehört. Dr. S1 hat ausgeführt, der Kläger habe zum Zeitpunkt des Unfalls nach einer biografischen Phase der Unruhe und Ambivalenz langsam Stabilität, wirtschaftliche Konsolidierung, eine geborgenheitsliefernde familiäre Situation mit Ehefrau und drei Kindern erreicht. Folge des Unfalls sei für ihn der Einkommensverlust, Stellungsverlust innerhalb der Familie, Ehrverlust vor der Umgebung sowie vor der Ehefrau infolge massiv gestörter Potenz und im eigenen Selbstverständnis infolge nachhaltiger Störung von Vitalität, Lebendigkeit und Schmerzbewältigungskompetenz gewesen. Der Kläger habe auf Grund seiner lebensgeschichtlichen Entwicklung ganz sicher eine verminderte Konfliktbewältigungskompetenz in das Unfallereignis hineingebracht. Er sei infolge des Traumas als wesentliche Ursache an seinen verminderten Bewältigungskompetenzen bis heute gescheitert. Die vorbestehenden Gesundheitsstörungen hätten sich sämtlich durch das Unfallereignis wesentlich verschlimmert, richtungsgebend für eine chronifizierte depressive Anpassungsstörung mit Somatisierungsstörung, Angst und Phobie (Vermeidungshaltung). Dr. S1 habe den Kläger aus Interesse an der speziellen Psychopathologie nach der Gutachtenerstellung von Oktober 2003 bis März 2004 regelmäßig, danach unregelmäßig behandelt. Hinsichtlich der diagnostischen Einordnung habe sich bei ihm die Überzeugung verdichtet, dass eine posttraumatische Belastungsstörung mit den charakteristischen Kennzeichen eingeengten, zuweilen tranceartigen Bewusstseins, aktualisierten Wiedererlebens traumatisierender Inhalte und teils heftiger affektiver Reaktionen hierauf vorläge. Das Trauma bestehe in dem Unfall selbst sowie der zeitnahe erfolgten mit einer Narkose einhergehenden urologischen Befunderhebung im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus. Der Kläger sei seinen krankhaften Verhaltensmustern ausgeliefert. Ein Rentenbegehren oder eine Simulation lägen nicht vor. Die unfallbedingte verminderte Arbeitsfähigkeit bestehe seit dem Unfall bis zum Tag der Untersuchung fort, als selbstständiger Taxifahrer könne der Kläger sich in Grenzen an sein eigenes Leiden anpassen (er bevorzuge ausschließlich nächtliche ruhige Touren in der Stadt unter Vermeidung von den üblichen Belastungen des Tagesstraßenverkehrs). Die MdE sei unter Berücksichtigung der mittelgradigen Anpassungs- und Gestaltungshindernisse, in denen der Kläger gefangen sei, mit 50 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte hat eine beratende Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. H2 vom 14. Februar 2003 vorgelegt. Dr. H2 hat ausgeführt, dass das lumbale Syndrom mit der angeborenen Fehlbildung und dem Wirbelgleiten nicht unfallbedingt und auch nicht durch den Unfall verändert worden sei. Das Gutachten von Dr. S1 sei hinsichtlich der psychiatrischen Diagnose nicht brauchbar, weil es vorhandene Fakten verdrehe und die bestehende Symptomatik einseitig in ihrer kausalen Zuordnung darstelle. Die Vorstellung, dass ein bis dato klinisch völlig gesunder und unauffälliger Mensch, der körperlich und seelisch ohne irgendwelche Störungen, Symptome oder Krankheiten gewesen sei, durch ein derartiges Ereignis psychisch völlig dekompensieren könne und zur Hälfte in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt sein solle, sei nicht haltbar. Das Unfallereignis sei nicht geeignet gewesen, eine schwere depressive Störung zu begründen. Die Begründung liege vielmehr in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Das Ereignis sei möglicherweise Anlass für die Reaktionsbildung gewesen, nicht aber die Ursache.
Das Sozialgericht hat ein weiteres nervenärztliches Gutachten von Dr. F1 nach Aktenlage am 9. November 2004 erstellen lassen. Dieser hat ausgeführt, ein Erstschaden am Nervensystem in Höhe des lumbosakralen Übergangs oder eine Hirnstammprellung, wie von Dr. S1 angenommen, sei unplausibel. Die psychische Störung des Klägers sei nicht im Wege der unfallbedingten seelischen Beeindruckung oder einer Fehlverarbeitung körperlicher Unfallfolgen zustande gekommen, sondern ausschließlich im Zusammenspiel von Persönlichkeitsbesonderheiten mit unfallfremden Belastungsfaktoren.
Mit Urteil vom 29. Juni 2005 hat das Sozialgericht die Beklagte wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 14. September 1996 in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung zur Gewährung von Verletztengeld für die Zeiträume vom 1. Oktober bis 8. Dezember 1996 und 23. Januar bis 4. Februar 1997 sowie von Verletztenrente ab 8. Februar 1997 nach einer MdE von 50 v. H. verurteilt. Nach den überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. S1, dem soweit er körperliche Unfallfolgen feststelle nicht gefolgt werden könne, liege bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Konkrete Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Klägers vor dem Unfall lägen nicht vor, wohl aber eine verminderte Konfliktbewältigungskompetenz. Diese habe die Verarbeitung des Unfalls und seiner Folgen erschwert. Auch wenn das direkte Unfallgeschehen nicht zu einer erheblichen seelischen Beeindruckung geführt habe, sei der Kläger durch die sich anschließenden Behandlungen und Befunderhebungen im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus traumatisiert worden und reagierte bis heute auf die hierzu gehörigen Auslösereize (Arztkontakte, Begriffe zum Unfallgeschehen und Untersuchungsvorgaben) mit teils wahnhaft komplizierten Bildern und akustischen Wahrnehmungen, die affektiv höchst instabil unzureichend bewältigt würden. Es habe eines spezifischen Ereignisses bedurft, um diese schwere Erkrankung hervorzurufen. Daher sei nicht von einer Gelegenheitsursache auszugehen. Ebenso lägen keine bewusstseinsnahen Wunsch- oder Begehrensvorstellungen bei dem Kläger vor, so dass die psychische Reaktion auch nicht als Folge wunschbedingter Vorstellungen gewertet werden könne.
Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt. Zu Unrecht sei das Sozialgericht den Ausführungen im Gutachten von Dr. S1 gefolgt, dessen Ausführungen durch die von Dr. F1 widerlegt worden seien. Ein ursächlicher Zusammenhang der Beschwerden des Klägers mit dem Unfall sei nicht als wahrscheinlich anzusehen. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei deswegen aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juni 2005 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 28. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 1998 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
- das Verfahren zu vertagen und Herrn Dr. S1 als sachverständigen Zeugen zu den Feststellungen in seinem Gutachten vom 10. Dezember 2002, in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 7. Januar 2003 und 25. April 2004 sowie zu den Feststellungen im Rahmen der anschließenden nervenärztlichen Behandlungen des Klägers ab Oktober 2003, die er in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2006 vor dem Sozialgericht Hamburg erläutert und zu Protokoll erklärt hat, zu hören,
- die Berufung zurückzuweisen, - die an der urologischen Untersuchung des Klägers am 5. bis zum 7. Februar 1997 im Unfallkrankenhaus B4 beteiligten Ärzte Dr. B1 und Dr. R. zum Gang der Untersuchung, insbesondere soweit sie die Sexualfunktionen betraf, zu hören.
Er ist der Auffassung, dass die Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden sei. Der Unfall sei nicht lediglich Gelegenheitsursache für die psychische Traumatisierung. Eine andere Ursache für seine psychische Reaktion, zumal nach übereinstimmender Beurteilung aller Gutachter kein bewusstseinsnahe Wunsch- und Begehrensvorstellungen gezeigt würden, sei aus den bis zum Unfall stabilen und geordneten Familienverhältnissen sowie der selbständigen Erwerbstätigkeit als Taxifahrer nicht abzuleiten. Ein Beleg für ein vor dem Unfall bestehendes psychogenes Krankheitsbild lasse sich ebenfalls nicht finden. Auch die Höhe der MdE habe das Sozialgericht zutreffend eingeschätzt.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der Sitzungsniederschrift vom 5. September 2006 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Entschädigung psychischer Folgen des Arbeitsunfalls vom 14. September 1996, denn es kann bereits eine schädigende Einwirkung als möglicher Auslöser einer psychischen Störung nicht festgestellt werden.
Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) Anwendung, weil ein Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).
Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, der Teil der Vollrente, der dem Grade der MdE entspricht (Teilrente) als Verletztenrente gewährt. Verletztengeld erhält ein Verletzter, solange er infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und kein Anspruch auf Übergangsgeld nach den §§ 568, 568a Abs. 2 oder 3 hat (§ 560 Abs. 1 Satz 1 RVO). Das Verletztengeld fällt gemäß § 562 Abs. 1 RVO mit dem Tage weg, für den erstmalig Verletztenrente gewährt wird.
Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Unfallfolge ist, dass die schädigende Einwirkung ursächlich unmittelbar oder mittelbar auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und den Gesundheitsschaden verursacht hat (so genannte haftungsausfüllende Kausalität). Während die einzelnen Glieder der Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, ohne dass eine völlige Gewissheit zu fordern ist, genügt für den – doppelten – Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen.
Vorliegend kann eine schädigende Einwirkung nicht festgestellt werden. Der Unfall selbst war auch unter Berücksichtigung der beim Kläger vorliegenden mangelnden Konfliktbewältigungskompetenz nicht geeignet, auf die Psyche des Klägers einzuwirken und hat eine wie auch immer geartete psychische Reaktion nicht ausgelöst. So nimmt bereits Dr. H1 eine Beeindruckung des Klägers durch das Unfallereignis selbst nicht an und in den Berichten der Klinik Bad B3 wird nur erwähnt, dass der Kläger die seiner Meinung nach vorliegenden Folgen des Unfalls schildert. Der Senat folgt hier aber vor allem den Ausführungen von Dr. F1, der in seinem Gutachten überzeugend darlegt, dass der Unfall den Kläger nur gering beeindruckt habe, denn er schildere das Ereignis nicht einmal hinsichtlich seines Ablauf oder sonstiger Umstände in entsprechender Weise, sondern lege die seiner Auffassung nach aus dem Ereignis folgenden Schäden und deren Behandlung dar. Demgegenüber gibt zwar Dr. S1 in seinem Gutachten an, das Trauma bestehe in dem Unfall selbst sowie der urologischen Befunderhebung, legt jedoch nicht dar, was den Kläger hinsichtlich des Unfallereignisses, welches auch Dr. S1 gegenüber vom Kläger kurz und sachlich nüchtern geschildert wird, eine seelische Beeindruckung ausgelöst haben soll.
Nach dem Unfall wurde der Kläger nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft ordnungsgemäß behandelt. Er selbst macht keinerlei Behandlungsfehler geltend. Es können nach den Darlegungen von Dr. F1, denen der Senat folgt, keine Anhaltspunkte für Behandlungsfehler oder auch nur eine falsche Einschätzung der Unfallfolgen gefunden werden. Insbesondere hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die vom Kläger seit dem Unfallzeitpunkt geklagten Potenzstörungen – unterstellt diese liegen vor, obwohl seine Frau ausweislich des Berichts über die stationäre Behandlung in der Klinik Bad B3 Ende 1997 erneut schwanger war – nach dem überzeugenden Gutachten von Dres. B1 und R. keine organische Ursache haben. Zwar behauptet Dr. S1, es gebe eine organische Mitursache, gibt für diese Auffassung jedoch keinerlei Begründung an. Soweit Dr. S1 teilweise sehr pauschal einzelne ärztliche Einschätzungen kritisiert, macht er nicht nachvollziehbar deutlich, inwieweit diese unzutreffend sein sollen und welche Gesichtspunkte gegen ihre Richtigkeit sprechen. Vor allem aber gibt er nicht an, dass sich bei einer anderen Einschätzung am Ablauf der Untersuchungen oder hinsichtlich der Annahme weiterer Unfallfolgen etwas geändert hätte. Selbst stellt er keine körperlichen Unfallfolgen fest.
Soweit Dr. S1 die psychische Reaktion des Klägers im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung darauf zurückführt, dass dieser während der Arztkontakte den Eindruck gehabt habe, es werde ihm was verschwiegen, er werde als Versuchskaninchen missbraucht, nicht ernst genommen und als Simulant abgestempelt, findet sich hierfür ebenfalls kein Anhalt. Der Kläger selbst schildert keine konkrete Situation, in der sich einer der behandelnden Ärzte des Unfallkrankenhauses ihm gegenüber in zu beanstandender Weise verhalten habe, sondern äußert gegenüber den Gutachtern nur allgemein Wut und Aggression, wenn das Gespräch auf die Behandlung kommt. Lediglich in Bezug auf eine urologische Untersuchung im Rahmen der Begutachtung im Unfallkrankenhaus, bei der dem Kläger ein Katheter gelegt wurde, gibt er gegenüber Dr. S1 erstmals an, er sei kollabiert und die Untersuchung sei nach cardialer Notfallbehandlung unter Narkose dennoch durchgeführt worden. Entgegen dieser Angabe enthält das ausführliche Gutachten von Dres. B1 und R. keinerlei Hinweis auf eine Unregelmäßigkeit im Untersuchungsablauf oder auf eine Narkotisierung. Aber selbst unterstellt, die Katheterlegung hätte in der vom Kläger beschriebenen Weise stattgefunden, gibt auch Dr. S1 nicht an, was dabei zu einer (psychischen) Schädigung des Klägers geeignet gewesen sein soll. Zwar mag die Legung eines Blasenkatheters nicht angenehm sein, aber angesichts der Schilderung, bei dem Kläger seien bereits Gefühle der Hilflosigkeit aufgetreten als er auf eine Behandlung habe warten müssen, während die Krankenschwestern Kaffee getrunken hätten, macht auch Dr. S1 nicht plausibel, dass es überhaupt einen denkbar schädigenden Mechanismus gegeben hat. Die Klage ist mithin bereits deshalb abzuweisen, weil es an einer denkbaren Schädigung durch das angeschuldigte Ereignis fehlt.
Aber selbst wenn man die Untersuchung der Potenzstörung als geeignetes Ereignis ansehen würde, kann die Klage keinen Erfolg haben, denn es besteht kein Zusammenhang zwischen der Untersuchung und dem Unfall. Die Potenzstörung (ihr Vorhandensein unterstellt) ist eine unfallunabhängige Störung ohne körperliche Ursache. Das wird im überzeugenden Gutachten von Dres. B1/R. dargelegt. Der behandelnde Urologe Dr. K. hat einen Unfallzusammenhang nur vermutet, indem er meint, die Lendenwirbelsäulenbeschwerden hätten einen Unfallzusammenhang und - fachfremd - eine Nierenprellung annimmt, die kein anderer Arzt festgestellt hat. Bereits im Bericht des erstaufnehmenden Krankenhauses wurde jedoch ein altes Kreuzleiden als unfallunabhängige Veränderung aufgeführt. Dr. S. kam ebenfalls bereits bei Aufnahme der Behandlung des Klägers zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdesymptomatik im Lendenwirbelsäulenbereich sicher unfallfremd auf Grund einer degenerativen Lendenwirbelsäulenerkrankung (Spondylolisthesis – Wirbelgleiten – mit Irritation der Wurzel L 5 rechts) sei. Soweit der Neurologe B. im Oktober 1996 feststellt, ein lumbales Computertomogramm zeige einen breitbasigen medio-lateralen Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1 und die geklagte Erektionsschwäche sei durch das Wirbelsäulentrauma nicht im Sinne einer organischen Schädigung erklärt, sondern eher Folge der subjektiv stark empfundenen Schmerzsymptomatik, geht er ebenfalls von keinem Unfallzusammenhang aus. Wenn aufgrund des Insistierens des Klägers, der bis heute vehement die Auffassung vertritt, vor allem die Lendenwirbelsäulenbeschwerden und die Erektionsstörung seien unfallbedingt, nach dem Unfall das Vorliegen einer nicht unfallbedingten Störung geprüft wird, ist bei einer solche Untersuchung kein Zusammenhang mit dem Unfallereignis gegeben.
Selbst wenn man nicht darauf abstellen wollte, dass es bereits an einem schädigenden Ereignis fehlt, würde der geltend gemachte Anspruch scheitern. Die bei dem Kläger vorliegende psychische Beeinträchtigung ist nicht Folge des Arbeitsunfalls, denn es fehlt an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges.
Soweit Dr. S1 angibt, beim Kläger gebe es eine posttraumatische Belastungsstörung, die auf den Unfall bzw. dessen anschließende Behandlung zurückzuführen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Dr. S1 begründet seine Auffassung damit, dass der Kläger bis heute vorhersehbar regelmäßig auf Auslöserreize in Form von Arztkontakten, Begriffen zum Unfallgeschehen und Untersuchungsvorgaben sowie eigenen körperlichen Symptomen wie Schmerz und Gefühlsstörungen mit teils wahnhaft komplizierten Bildern und akustischen Wahrnehmungen reagiere, welche affektiv höchst instabil unzureichend bewältigt würden. Der Kläger gebe an, durch die Folgen des Unfalls sei sein Leben aus dem Gleichgewicht geraten, bringe negative Affekte auf vorbehandelnde Ärzte zum Ausdruck, letztes im Zusammenhang mit nicht erlangten privaten Krankenversicherungsleistungen. Manchmal habe der Kläger Visionen, er würde gegen die beteiligten Ärzte vorgehen. Seine Tagebuchnotizen zeigten überwertige Ideen von schwarzen Messen, Schuldthemen archaischen Ritualen, Kampf zwischen Innen- und Außenwelt, Vorwürfen gegenüber den namentlich genannten Ärzten im Unfallkrankenhaus, Rachegedanken und Zukunftsängsten. Soweit eingewendet werde, es könne sich um eine "persönlichkeitsgetragene Haltung" handeln, liege darin die indirekte Unterstellung von Rentenbegehren oder Simulation. Tatsächlich sei aber der Kläger seiner Krankheit ausgeliefert und könne nicht frei gestalten. Mit diesen Ausführungen legt Dr. S1 keine Kausalität zum Unfall dar, denn sowohl bei den von ihm genannten Auslöserreizen als auch den Bezugspunkten der negativen Affekte und den Inhalten der Wahnvorstellungen handelt es sich nicht allein um Aspekte, die sich auf den Unfall beziehen, sondern um ein Sammelsurium verschiedener Gesichtspunkte, mit denen sich der Kläger in seinem Leben auseinandersetzt. Dr. S1 kann nicht begründen, warum er von einer Verursachung oder Mitverursachung der psychischen Reaktionen durch den Unfall ausgeht und gerade nicht beispielsweise von einer schicksalhaften psychischen Störung, aufgrund derer der Kläger überwertige Ideen entwickelt, Fragen von Schuld und Unschuld thematisiert und Gefühle der Hilflosigkeit auch auf Ärzte bezieht, zu denen er im Rahmen der Begutachtungen nach dem Unfall Kontakt hatte. Ebenso grenzt Dr. S1 eine Enttäuschung durch einen (zu Recht) nicht erfüllten Versorgungswunsch ("nicht erlangte private Krankenversicherungsleistungen") nicht von einer unfallbedingten Verursachung ab. Damit beschreibt Dr. S1 lediglich eine psychische Erkrankung, die sich (wohl) in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall (weiter-)entwickelt, ohne Gründe für einen Ursachenzusammenhang oder eine Mitverursachung nennen zu können. Es fehlt daher an der notwendigen Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für einen solchen Zusammenhang.
Der Senat geht mit Dr. F1 davon aus, dass weder der Unfall noch seine Behandlung ursächlich oder mitursächlich für die psychische Erkrankung des Klägers waren. Soweit eine nicht adäquate Verarbeitung der Ereignisse vorliegt, ist diese nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. F1 durch persönlichkeitsgebundene Faktoren hervorgerufen, wie sie sich bereits in früheren psychogenen Symptomen von erheblichem Krankheitswert gezeigt haben, z. B. den Suizidversuchen. Die psychogene Störung ist danach nicht durch eine "unfallbedingte Beeindruckung" oder eine "Fehlverarbeitung" zustande gekommen, sondern unfallfremd durch Belastungen in der Familie, Probleme in der Ehe und Potenzstörungen. Eine Enttäuschung über die fehlende Durchsetzbarkeit von Seiten des Klägers für berechtigt gehaltener Ansprüche mag eine Rolle gespielt haben. Nicht die ärztliche Behandlung beeindruckte den Kläger, sondern das, was er selbst in seinem Erleben und innerseelischen Interpretieren daraus gemacht hat.
Des Weiteren scheitert der geltend gemachte Anspruch daran, dass selbst bei einer Bejahung eines Ursachenzusammenhanges eine Entschädigung der psychischen Erkrankung als Unfallfolge ausscheidet, weil die ärztlichen Untersuchungen nach dem Unfall für die psychische Erkrankung allenfalls eine Gelegenheitsursache darstellen. Dr. S1 setzt sich angesichts der Annahme einer Ursächlichkeit nicht gründlich genug mit der Frage auseinander, ob die beim Kläger vorliegenden psychischen Auffälligkeiten auch durch ein anderes alltägliches Ereignis zur annähernd selben Zeit und in annähernd gleichem Ausmaß eingetreten wären. Dies hätte insbesondere nahe gelegen, weil er selbst als ursächlich mitwirkend die "prädisponierende Persönlichkeit des Klägers als forciert akulturierten Migranten mit hoher Empfindsamkeit, Ambition, Kränkbarkeit, verzögerter adolszenter Entwicklung zu einem verlässlichen partnerschaftlichen Selbst- und Fremdkonzept" sowie vorbestehende schmerzhafte Wirbelsäulenbeschwerden beschreibt. Da nach dem Unfall nur regelhafte, angemessene und nicht mit Fehlern belastete Behandlungen sowie Begutachtungen erfolgten, die auch im Rahmen anderer schicksalhafter alltäglicher Erkrankungen erfolgt wären, muss angenommen werden, dass die psychische Grundverfassung des Klägers so gestaltet war, dass die Unfallbehandlung lediglich eine Gelegenheitsursache für die aufgetretene psychische Erkrankung ist.
Dem Antrag des Klägers auf Anhörung von Dr. S1 als sachverständiger Zeuge ist der Senat nicht nachgekommen, weil Dr. S1 seine Feststellungen in seinem Gutachten, in seinen schriftlichen Stellungnahmen und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ausführlich dargelegt hat und der Senat zwar von dessen Einschätzung, nicht aber von dessen tatsächlichen Feststellungen abweicht. Die Auffassung des Klägers, der Senat dürfe von der Beurteilung Dr. S1’s nicht abweichen, ohne diesen persönlich zu hören, trifft nicht zu. Im Übrigen hat der Kläger nicht deutlich gemacht, was sich bei einer Anhörung über die schriftlichen bzw. protokollierten Ausführungen hinaus hätte ergeben sollen.
Dem Beweisantrag auf Vernehmung der Ärzte Dres. B1 und R. zum Verlauf der Untersuchung der Potenzstörung ist der Senat ebenfalls nicht gefolgt. Eine solche Beweisaufnahme ist bereits deshalb entbehrlich, weil diese Untersuchung nach der Rechtsauffassung des Senats – wie oben ausgeführt – als ein unfallbedingtes Ereignis ausscheidet und deren Verlauf daher nicht rechtlich relevant ist. Davon unabhängig gibt es nach den gutachterlichen Äußerungen keinen Anhalt, am ordnungsgemäßen Ablauf der Untersuchungen zu zweifeln. Demgegenüber hat der Kläger weder gegenüber den beiden medizinischen Sachverständigen noch als Vortrag im gerichtlichen Verfahren einschließlich der Stellung des Beweisantrags etwas vorgetragen, das als ärztliches Fehlverhalten angesehen werden kann. Es fehlt mithin an entscheidungserheblichen Tatsachen, die eine – weitere – Beweisaufnahme rechtfertigen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.