Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 4 B 4/06 - Beschluss vom 24.05.2006
Das Literaturstudium eines Sachverständigen ist in der Regel nicht vergütungsfähig.
Gründe:
I.
Im Hauptsacheverfahren begehrte die Klägerin die Feststellung eines Grades der Behinderung von zumindest 50 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Nach Einholung von 2 Gutachten (12.03. und 21.04.2005) beauftragte das Sozialgericht (SG) auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Beschwerdegegner mit der Erstattung eines Gutachtens unter Berücksichtigung eines vorab einzuholenden Zusatzgutachtens (Beweisanordnung vom 30.05.2005). Für sein am 21.11.2005 beim SG eingegangenes Gutachten stellte der Beschwerdegegner insgesamt 2067,03 Euro in Rechnung (Schreiben vom 17.11.2005). Neben Porto (7,00 Euro), Schreibgebühren (45,75 Euro) und Röntgengebühren nach GOÄ (144,28 Euro) legte er dabei einen Gesamtaufwand von 22 Stunden (Aktenstudium 5 Stunden, Literaturstudium 1 Stunde, Anamnese und klinische Befunderhebung 4 Stunden, Auswertung von Röntgenaufnahmen 2 Stunden sowie Diktat und Korrektur 10 Stunden) mit einem Stundensatz von 85 Euro ausgehend von der Honorargruppe M 3 im Sinne von § 9 Abs. 1 Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) zugrunde. Die Kostenbeamtin des SG kürzte die Rechnung auf insgesamt 1553,06 Euro (Schreiben vom 06.12.2005) und führte dazu aus, das Gutachten sei der Honorargruppe M 2 zuzuordnen. Zeitaufwand, Schreibgebühren und Portoauslagen seien wie beantragt berücksichtigt worden. Die besonderen Leistungen (Röntgengebühren nach GÖÄ) seien – höher als beantragt – mit 180,31 Euro festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragte mit Schreiben vom 08.12.2005 die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 JVEG und vertrat dazu die Auffassung, sein Gutachten entspreche einem mit hohem Schwierigkeitsgrad und sei in die Honorargruppe M 3 einzuordnen.
Der Beschwerdeführer legte "ebenfalls Erinnerung gemäß § 4 JVEG ein" und beantragte, die Vergütung des Beschwerdegegners auf 1200,31 Euro festzusetzen. Die Ausführungen der Kostenbeamtin seien hinsichtlich der Höhe des Stundensatzes von 60,00 Euro und der Aufwendungen nach der GOÄ zutreffend. Jedoch seien lediglich 17 Stunden zu vergüten, da Zeiten für das Literaturstudium nicht geltend gemacht werden könnten und für Diktat und Korrektur lediglich 5,8 Stunden Zeitaufwand zu berücksichtigen seien.
Das SG hat die Vergütung des Beschwerdegegners ausgehend von einer zutreffenden Einstufung in die Honorargruppe M 2 und einem zu berücksichtigendem Zeitaufwand von 21 Stunden bei nicht zu vergütender Zeit für das Literaturstudium auf insgesamt 1493,06 Euro festgesetzt (Beschluss vom 02.02.2006) und der hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegten Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 13.02.2006).
Der Beschwerdeführer vertritt weiter die Meinung, für Diktat und Korrektur sei ausgehend von dem Erfahrungswert, dass ein Sachverständiger für etwa 6 Seiten eine Stunde benötige und das Gutachten 35 Seiten umfasse, lediglich ein Zeitaufwand von 5,8 Stunden zu berücksichtigen.
Der Beschwerdegegner ist weiter der Auffassung, aufgrund der Größe des Gutachtens, des zeitlichen Aufwandes sowie der komplexen Fragestellung sei die Eingruppierung in die Honorargruppe M 3 gerechtfertigt.
II.
Die zulässige Beschwerde des Beschwerdeführers ist teilweise begründet, die Anschlussbeschwerde des Beschwerdegegners unbegründet.
Der gemäß § 4 Abs. 3 erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,00 Euro. Offen bleiben kann, ob die Beschwerde fristgebunden einzulegen ist, da sie sowohl vom Beschwerdeführer als auch vom Beschwerdegegner jedenfalls binnen eines Monats eingelegt worden ist, wie es bei einer – mangels spezialgesetzlicher Regelung im JVEG – unmittelbaren Anwendung von § 173 SGG erforderlich ist.
Der Beschwerdegegner hat für sein Gutachten Anspruch auf Vergütung i.H.v. insgesamt 1253,06 Euro. Dies folgt aus einem zu berücksichtigendem Zeitaufwand von insgesamt 17 Stunden bei Eingruppierung in die Honorargruppe M 2 im Sinne von § 9 JVEG (1200,31 Euro) sowie ferner zu berücksichtigenden Schreibauslagen (45,75 Euro), Porto (7,00 Euro) und Honorar für besondere Leistungen (§ 10 JVEG) für die Aufwendungen nach der GOÄ (180,31 Euro).
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners ist in Übereinstimmung mit der Meinung des Beschwerdeführers nicht ein Zeitaufwand von 22 Stunden, sondern von (aufgerundet) 17 Stunden zu berücksichtigen. Der von dem Beschwerdegegner geltend gemachte Zeitaufwand von 1 Stunde für das Literaturstudium ist grundsätzlich nicht zu vergüten. Von einem Sachverständigen muss nämlich erwartet werden, dass er sich laufend mit dem für seinen Fachbereich bedeutsamen Schrifttum beschäftigt. Die dafür aufgewendete Zeit gehört zu seinen allgemeinen Unkosten, die er nicht mit Erfolg als Kosten eines Gutachtens in Rechnung stellen kann (vgl. Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2003 – L 4 B 5/03 – mit weiteren Nachweisen). Einwendungen dagegen hat der Beschwerdegegner auch nach Kenntnis des Schreibens der Kostenbeamtin und des Beschlusses des SG nicht mehr erhoben.
In Einklang mit der Auffassung des Beschwerdeführers ist der geltend gemachte Zeitaufwand für Diktat und Korrektur des Gutachtens vom 12.11.2005 lediglich mit (aufgerundet) 6 Stunden zu berücksichtigen. Der Senat hat bereits in einem - den Beteiligten bekannten – Beschluss vom 19.01.2005 – L 4 B 9/04 – grundsätzlich dargelegt, wie der Zeitaufwand für den Arbeitsschritt "Diktat und Korrektur" zu berücksichtigen ist. Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die von dem Beschwerdegegner angesetzten 10 Stunden jedenfalls zu hoch. Dabei kann offen bleiben, ob zu Recht von einem Gutachtenumfang von 35 Seiten auszugehen ist oder die Seitenzahl aufgrund der Wiederholung der Beweisfragen weiter zu kürzen wäre. Jedenfalls ist ausgehend von dem Erfahrungssatz, dass ein Sachverständiger für Diktat und Korrektur von etwa 6 Seiten eine Stunde benötigt, allenfalls ein Zeitaufwand von 6 Stunden für diesen Arbeitsschritt auszugehen. Das sich ein höherer Zeitaufwand aufgrund einer unüblichen Schreibweise, insbesondere einer ungewöhnlich hohen Zahl der Anschläge pro Seite, ergibt, ist weder ersichtlich noch von dem Beschwerdegegner vorgetragen.
Den Aufwand für den Arbeitsschritt "Beurteilung und Abfassen des Gutachtens" sieht der Senat dadurch abgegolten, dass der Beschwerdegegner 2 Stunden Zeitaufwand für "Auswertung von Röntgenaufnahmen" geltend gemacht und erhalten hat.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Vergütung allerdings nicht auf 1200,31 Euro festzusetzen. Dabei bliebe zu Unrecht der geltend gemachte Aufwand für Porto (7,00 Euro) und Schreibgebühren (45,75 Euro) unberücksichtigt, worauf bereits die Kostenbeamtin in ihrer Nichtabhilfeentscheidung (26.01.2006) hingewiesen hat. Dieser Aufwand ist zutreffend vom SG berücksichtigt worden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer insoweit den Beschluss vom 02.02.2006 für rechtswidrig hält, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners ist dessen Gutachten zutreffend nach der Honorargruppe M 2 im Sinne von § 9 JVEG honoriert worden. Dies hat das SG in dem angefochtenen Beschluss in Einklang mit der Rechtssprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom 10.05.2006 – L 4 B 1/06 -) dargelegt. Entsprechend § 153 Abs. 2 SGG nimmt der Senat insoweit auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug.
Die Entscheidung über Gebühren und Kosten des Verfahrens folgt aus § 4 Abs. 8 JVEG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 5 JVEG, § 177 SGG).