Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Neufeststellungsverfahren über die Bewertung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers.

Der im Jahr 1946 geborene Kläger bezieht Erwerbsunfähigkeitsrente. Direkte Steuern hat er nicht abzuführen. Im Jahr 1996 hatte die Beklagte erstmals gegenüber dem Kläger einen Feststellungsbescheid nach dem Schwerbehindertengesetz erlassen. In der Folge war es zu Neufeststellungsbescheiden gekommen. Mit Bescheid vom 17. Februar 2004 hatte die Beklagte für den Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt und ihm das Merkzeichen "G" zuerkannt. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Im Juli 2004 stellte der Kläger einen Neufeststellungsantrag und bat um Erhöhung des GdB. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Oktober 2004 ab: Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) seien nicht erfüllt. Eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers sei seit der letzten maßgeblichen Feststellung nicht eingetreten.

Der Kläger erhob Widerspruch, der mit Bescheid vom 25. Oktober 2004 zurückgewiesen wurde. In der Begründung führte die Beklagte aus, die rechtliche und medizinische Prüfung nach den §§ 2 und 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) habe ergeben, dass die festgestellte Behinderung des Klägers mit einem GdB von 60 - weiterhin - angemessen beurteilt sei.

Am 28. Oktober 2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. September 2005 abgewiesen und auf die Gründe der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 3. November 2005 zugestellt worden. Am 7. November 2005 hat er Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte hätte richtigerweise zu einem Gesamt-GdB von 70 kommen müssen. Aufgefordert, zum Rechtsschutzbedürfnis Stellung zu nehmen, hat der Kläger persönlich ausgeführt, es sei nicht Aufgabe des Gerichts, ihm die Frage zu stellen, welche Vorteile er durch die Anerkennung eines höheren GdB habe. Dies zu bewerten sei allein seine Privatangelegenheit. Sein Bevollmächtigter hat vorgetragen, es genüge, dass eine Heraufsetzung des GdB in der Zukunft einen Nutzen bringen könne; bei weiteren Veränderungen des Gesundheitszustandes könne eine bereits vorgenommene Heraufsetzung des GdB von Vorteil sein.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. September 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2004, soweit dieser entgegensteht, seinen Grad der Behinderung auf 70 festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten des Versorgungsamtes der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe


Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat seine Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Es fehlt ihr nämlich am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) voraus. Es ist nur gegeben, wenn der Rechtsschutz Suchende mit dem von ihm betriebenen gerichtlichen Verfahren ein legitimes Interesse verfolgt, wenn er einen angestrebten Erfolg nicht auf einfachere, schnellere oder billige Art und Weise erreichen kann und wenn er nicht rechtsmissbräuchlich handelt. Das setzt regelmäßig voraus, dass dem Betroffenen im Falle des Prozesserfolges ein beachtlicher Vorteil gegenüber seiner bereits innegehabten Rechtsposition erwächst oder dass er eine bedrohte Rechtsposition verteidigen kann (dazu allgemein Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2003, § 22 Rn. 56). Daran fehlt es im Falle des Klägers. Die Beklagte hat ihm gegenüber zuletzt mit Bescheid vom 17. Februar 2004 nach Schwerbehindertenrecht einen GdB von 60 anerkannt und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Die vom Kläger mit seiner Klage zu erstreitende Erhöhung des GdB auf 70 stellt demgegenüber keinen erheblichen Vorteil dar, weil sie ihm keinen zusätzlichen Nachteilsausgleich ermöglicht.

Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag eines behinderten Mensch die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Sind den vorliegenden Behinderungen weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die in Anspruchnahme von Nachteilsausgleichen (vgl. § 126 SGB IX), so haben diese Behörden die erforderlichen Feststellungen ebenfalls im Verfahren nach § 69 Abs.1 SGB IX zu treffen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag ist u.a. darüber nach § 69 Abs. 5 Satz 5 SGB IX ein Ausweis auszustellen, der als Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen oder sonstigen Hilfen dient, die schwer behinderten Menschen nach Teil 2 SGB IX oder nach anderen Vorschriften zustehen (§ 69 Abs. 5 Satz 2 SGB IX). Soweit sich nach Feststellung der Versorgungsverwaltung eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ergibt, ist gemäß § 48 Abs. 1 SGB X zu verfahren. Danach fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis für die vom Kläger erstrebte Entscheidung.

Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhöhung des GdB von 60 auf 70 ergibt sich nicht bereits aus dem Gesetz. Zwar sind nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Diese Norm begründet jedoch nicht allein durch ihre Existenz bereits ein Rechtsschutzbedürfnis als das eines rechtlich geschützten Interesses an einer gerichtlichen Klärung. Sie regelt vielmehr nur die materiell-rechtliche Frage, wie eine Behinderung festzustellen und bemessen sei. Bei der Inanspruchnahme der Gerichte muss darüber hinaus das eingangs genannte Interesse an einer Erhöhung des GdB von 60 auf 70 bestehen. Dies ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen und zusätzlich auch daraus, dass die genannte Vorschrift mit der Nennung von Zehnergraden nur sagt, dass der GdB nicht (mehr) nach Fünfergraden festzustellen ist (Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Juli 1999, Breithaupt 1999, S. 1093). Auch das Bundessozialgericht - BSG - (Urteil vom 6. Oktober 1981, BSGE Bd. 52, S. 168, desgl. juris), dessen Rechtsprechung der Senat folgt, verlangt im Schwerbehindertenverfahren für Feststellungen der Versorgungsbehörden ein rechtlich geschütztes Interesse des Betroffenen. Entscheidungen der Versorgungsbehörden seien nicht zu erstreiten, wenn sie zwecklos und nutzlos wären, keinen Sinn oder Verwendungszweck hätten und deshalb das notwendige rechtliche Interesse nicht bestände (a.a.O., dort - Veröffentlichung juris - insbesondere Abs. 24, 25, 27, 30). So aber verhält es sich im Falle des Klägers. Zusätzliche Leistungen und Hilfen könnte er nämlich im Falle einer Anhebung des GdB auf 70 nach dem Gesetz nicht beanspruchen. Insoweit kämen allenfalls Vorteile im Zusammenhang mit der Einkommensteuerpflicht in Betracht (vgl. § 9 Abs. 2, § 33, § 33b Einkommensteuergesetz). Der Kläger zahlt jedoch, wie sich aus seiner zum Zwecke der Beantragung von Prozesskostenhilfe abgegebenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. Oktober 2004 ergibt, bei seinen Einkünften als Rentner keine Einkommensteuer, und es liegt eine solche Steuerpflicht in absehbarer Zeit nicht nahe. Auch sonst hat der Kläger, zur Erklärung aufgefordert, keinen Vorteil benannt, der für ihn mit einer Anhebung des GdB auf 70 verbunden sein könnte. Seine Auffassung, diese Frage betreffe nur seinen privaten Bereich und dürfe vom Gericht nicht thematisiert werden, verkennt den Charakter staatlicher Rechtsschutzgewährung.

Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass das (materielle) Gesetz mögliche Begünstigungen nicht voraussetze und daher dem Betroffenen ein uneingeschränktes Klagerecht einräume (Bayerisches LSG, Beschluss vom 23. Juli 2004, L 18 B 305/04 SB PKH; vgl. auch BSG, Urteil vom 16. März 1982, SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 14; dem folgend Schillings, "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem Schwerbehindertengesetz", Kommentar, Düsseldorf o.J., S. 278;), weil eine GdB-Erhöhung in vielfältiger Weise Vorteile erbringen könne, auch wenn diese im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht konkretisierbar seien (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2005, vor § 51 Rdn. 16a). Maßgeblich sind nämlich nur vom Gesetz vorgesehene - hier nicht ersichtliche - Nachteilsausgleiche (so ausdrücklich § 69 Abs. 5 Satz 2 SGB IX). Selbst wenn man Vergünstigungen irgendwelcher Art im privatwirtschaftlichen Bereich ausreichen ließe, die mit einer Erhöhung des GdB von 60 auf 70 verbunden wären, so überforderte man den Kläger nicht, wenn man von ihm erwartet, dass er diese auf Nachfrage benennt, um sein Rechtsschutzbedürfnis bejahen zu können (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., S.1094). Er hat solche Vorteile jedoch weder bezeichnet noch dargelegt. Entsprechendes gilt im Hinblick auf seine Argumentation, eine höhere Festsetzung des GdB biete bei späteren Verschlechterungen des Gesundheitszustandes eine bessere Ausgangsposition. Ihr liegt die falsche Vorstellung zugrunde, dass der GdB relativ zu früheren Bewertungen festzusetzen sei (siehe auch dazu LSG Baden-Württemberg, a.a.O.).

Schließlich ist das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht deswegen entbehrlich, weil es sich bei den Entscheidungen der Versorgungsbehörden nach Schwerbehindertenrecht nicht um Gewährung von Sozialleistungen, sondern um die Anerkennung eines bestimmten Status handelt, dem Betroffenen also eine besondere Rechtsposition eingeräumt wird (vgl. LSG Berlin, Beschluss vom 14. Dezember 2004, L 11 B 25/04 SB). Selbst wenn der Behindertenstatus - das Gesetz selbst verwendet einen solchen Begriff nicht - ein besonderer sein sollte (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 2 GG), so ist damit nichts für die Frage gesagt, ob im Streit um seine Durchsetzung ein Feststellungsinteresse zu verlangen sei. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 6. Oktober 1981, a.a.O., Abs. 27) jedenfalls fordert auch im Rahmen von Statusfeststellungen der Versorgungsbehörden ein Feststellungs- bzw. Rechtsschutzinteresse. Im Übrigen ist im Falle des Klägers der Schwerbehindertenstatus gar nicht im Streit; ein GdB von 60 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft (vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX) ist bereits bestandskräftig festgestellt worden. Nicht jede marginale Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Betroffenen, die zwar eine Anpassung des GdB nach sich ziehen mag, jedoch nicht die Behinderten- bzw. Schwerbehinderteneigenschaft als solche begründet oder aufhebt, berührt bereits den möglicherweise persönlichkeitsrechtlich geschützten Status als solchen.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 193 und § 160 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz.