Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Höhe der zu erstattenden Kosten eines Vorverfahrens.

Der Kläger, der bis 31.08.2003 Leistungen der Arbeitsverwaltung bezog, beantragte am 06.10.2004 über seinen Bevollmächtigten wegen einer ab 08.09.2003 festgestellten Arbeitsunfähigkeit Krankengeld. Nach der Kenntnisnahme von der rückwirkenden Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung ab 30.07.2003 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 12.10.2004 fest, ein Krankengeldanspruch habe nur bis 29.07.2003 bestanden.

Dem widersprach der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 03.11.2004 mit der Begründung, der Kläger habe zumindest bis zur Einstellung des Leistungsbezugs von Seiten der Arbeitsverwaltung Leistungen erhalten, so dass er am 08.09.2003 pflichtversichert gewesen sei. Dem Widerspruch half die Beklagte am 17.11.2004 durch Anerkennung eines nachgehenden Leistungsanspruchs bis 30.09.2003 ab.

Mit Kostennote vom 24.11.2004 machte der Klägerbevollmächtigte eine Gesamtsumme von 626,40 EUR geltend (Gebühr nach § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG - i.V.m. Nr.2500 Vergütungsverzeichnis RVG - VV RVG - 240,00 EUR, Erledigungsgebühr nach Nr.1005 VV RVG 280,00 EUR, Auslagenpauschale nach Nr.7002 VV RVG 20,00 EUR inklusive Umsatzsteuer). Dem entsprach die Beklagte mit Kostenfestsetzung vom 07.12.2004 in Höhe von 301,60 EUR. Die Erstattung der Erledigungsgebühr lehnte sie ab, da sie dem Widerspruch abgeholfen habe.

Dem widersprach der Klägerbevollmächtigte am 05.01.2005 und machte geltend, durch anwaltliche Mitwirkung sei eine Erledigung eingetreten, ohne dass gerichtliche Hilfe oder eine Entscheidung des Widerspruchsausschusses notwendig wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Tätigkeit in Form der Begründung des eingelegten Widerspruchs werde bereits mit der entsprechenden Tätigkeitsgebühr (Geschäftsgebühr) abgegolten. Nur eine darüber hinausgehende besondere Verfahrensförderung des Rechtsanwalts mit dem Ziel der Erledigung der Rechtssache könne eine zusätzliche Erledigungsgebühr begründen. Eine derartige besondere Bemühung der Bevollmächtigten sei vorliegend nicht gegeben gewesen.

Dagegen hat der Kläger am 02.05.2005 Klage erhoben. Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 09.08.2005 ohne mündliche Verhandlung die Beklagte zur Zahlung von weiteren 324,80 EUR verurteilt und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. § 3 RVG i.V.m. Nr.1002 VV RVG gehe über den Wortlaut des § 24 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung - BRAGO - hinaus. Die herrschende Meinung zu § 24 BRAGO habe bereits früher die Auffassung vertreten, dass eine Erledigungsgebühr auch dann anzuerkennen sei, wenn es der Tätigkeit des Rechtsanwalts gelungen war, den eingenommenen Standpunkt der Verwaltungsbehörde zugunsten seines Auftraggebers zu ändern. Die Intention der Nr.1002 VV RVG gehe entsprechend den Materialien dahin, die streitbeendende Tätigkeit des Rechtsanwalts zu fördern. Eine Erledigungsgebühr falle jedenfalls dann an, wenn der Rechtsanwalt, wie im vorliegenden Fall, Widerspruch eingelegt, diesen umfassend begründet und der Sozialversicherungsträger daraufhin seinen bisherigen Standpunkt aufgegeben habe. So habe dies auch das Sozialgericht Aachen entschieden (Urteil vom 19. April 2005 - Az.: S 13 KR 15/05).

Gegen das der Beklagten am 17.08.2005 zugestellte Urteil hat diese am 02.09.2005 Berufung eingelegt. Die Rechtsprechung zu § 24 BRAGO behalte auch unter der Geltung des RVG Gültigkeit, weil die Nrn.1002, 1005 VV RVG anwaltliche Mitwirkung forderten. Es sei nicht erklärbar, weshalb der Anwalt für die Widerspruchsbegründung noch eine zusätzliche Gebühr bekommen solle, wenn er bereits die Geschäftsgebühr erhalte.

Der Klägerbevollmächtigte hat erwidert, aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass eine außergerichtliche Erledigung z.B. durch die Umgestaltung zu einer Einigungsgebühr für jede Form der Streitbeilegung gefördert werden solle. Zweck des Gesetzes sei es, eine Entlastung der Gerichte herbeizuführen und so das Bemühen des Anwalts anzuerkennen, in jeder Phase des Verfahrens darauf zu drängen, dass der begehrte Bescheid ergehe oder die Behörde den Anspruch anerkenne. Die Gesetzesbegründung nehme nur Bezug auf RdNr.4, nicht jedoch auf die RdNr.7 und 8 zu § 24 BRAGO in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, (14. Aufl.).

Die Beklagte beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.08.2005 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 07.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2005 abzuweisen.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt, 

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.08.2005 zurückzuweisen und die Revision zuzulassen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.08.2005 kann keinen Bestand haben. Zutreffend hat es die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2005 abgelehnt, die Kosten einer Erledigungsgebühr zu übernehmen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung weiterer 324,80 EUR.

Gemäß § 63 Abs.2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Verwaltungsverfahren notwendig war. Dabei richtet sich die Bemessung von Gebühren für eine anwaltliche Tätigkeit seit dem 1. Juli 2004 nach dem RVG, das mit seinem In-Kraft-Treten die zuvor maßgebliche Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte abgelöst hat (Art.6 Nr.4 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 in BGBl.I 2004, S.717 ff.). Da der Klägerbevollmächtigte nach dem 30. Juni 2004 beauftragt worden ist, ist das RVG anwendbar.

Gemäß § 3 Abs.1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Nach Abs.2 der Vorschrift gilt Abs.1 entsprechend für eine außergerichtliche Tätigkeit. Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV), das dem RVG als Anlage angefügt ist. Zu Recht gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Geschäftsgebühr nach Nr.2005 der VV angefallen und mit dem Regelhöchstwert von 240,00 EUR zu bemessen ist und außerdem eine Unkostenpauschale und Umsatzsteuer zu Recht und in richtiger Höhe berechnet wurden. Eine Erledigungsgebühr ist daneben (vgl. dazu die Vorbemerkung 1 zum Teil 1 der VV "Allgemeine Gebühren") nicht angefallen.

Nach Nr.1005 VV entsteht eine Erledigungsgebühr bei Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen. Nach Nr.1002 VV, auf die Nr.1005 VV für ihren Anwendungsbereich Bezug nimmt, entsteht die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt (Satz 1). Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt (Satz 2). Zweifellos hat sich durch anwaltliche Intervention der Streit um das Krankengeld ganz erledigt, indem die Beklagte den angefochtenen Ablehnungsbescheid vom 12.10.2004 abgeändert und einen nachgehenden Leistungsanspruch bis 30.09.2003 zuerkannt hat. Entscheidend ist aber, dass dies nicht aufgrund einer qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung im Sinne von Nr.1002 VV RVG geschehen ist.

Der in der Nr.1005 VV enthaltene Gebührentatbestand stellt kein neues, erst zum 1. Juli 2004 in Kraft getretenes Recht dar, sondern schreibt die zuvor bereits maßgebliche Rechtslage fort, wonach die Entstehung der Erledigungsgebühr eine Mitwirkung des Rechtsanwalts erfordert, die auf den besonderen Erfolg einer Erledigung der Sache ohne förmliche Entscheidung gerichtet ist (zum früheren Recht vgl. BSG, Urteil vom 22.02.1993 - 14b/4 REg 12/91, BSG SozR 3-1930 § 116 Nr.4; BSG, Beschluss vom 13.12.1994 - 9 BVs 48/94; BayVGH, Beschluss vom 02.05.1990, Az.: 23 C 90.1087). In der BT-Drucksache 15/1971 heißt es auf S.204 zu Nr.1002: "Die Erledigungsgebühr der Nr.1002 VV RVG entstammt § 24 BRAGO." Zugleich wird darauf hingewiesen, die Neuregelung in Satz 2 entspreche der in Rechtsprechung und Literatur bereits zu § 24 BRAGO vertretenen Auffassung. Von einer Abkehr der in § 24 BRAGO enthaltenen Grundsätze ist in der Gesetzesbegründung nicht die Rede (ebenso Beschluss des Bayer.LSG vom 08.02.2006, L 4 Kr 316/05 NZB). Satz 2 der Nr.1002 VV RVG stellt eine Tatbestandsergänzung hinsichtlich der Art der Erledigung dar, bedeutet aber keine Relativierung der zu Satz 1 geforderten "anwaltlichen Mitwirkung". Deshalb wird in der Gesetzesbegründung auch lediglich auf die RdNr.4 der einschlägigen Kommentierung (Gerold/Schmidt/v.Eick-en/Madert) verwiesen.

Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung weiter, es sei gerechtfertigt, auch in dem Fall, dass sich eine Verwaltungsrechtssache ganz oder teilweise nach Zurücknahme oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes erledige, dem Rechtsanwalt eine Gebühr mit einem Gebührensatz von 1,5 zuzubilligen, wenn dadurch der Verwaltungsrechtsstreit bzw. ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe vermieden werde. Wegen der gleichzeitigen Bezugnahme auf die in Nr.1000 enthaltene Einigungsgebühr sind die dort enthaltenen Ausführungen maßgeblich, wonach nicht schon die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs oder der Verzicht auf Weiterverfolgung eines Anspruchs die Gebühr auslösen kann.

Die Einlegung und Begründung des Widerspruchs, auf die sich hier die Tätigkeit des Klägerbevollmächtigten beschränkt hat, genügt nicht, die Erledigungsgebühr entstehen zu lassen. Daneben ist ein qualifiziertes Tätigwerden des Rechtsanwalts erforderlich. Eine zweite Gebühr neben der Geschäftsgebühr setzte nach der bisher herrschenden Meinung zu § 24 BRAGO ein zweites zusätzliches Tätigwerden voraus. Wollte man die einfache Widerspruchsbegründung für die Entstehung der Erledigungsgebühr ausreichen lassen, wäre, wie die Beklagte zu Recht moniert, fraglich, wofür die Geschäftsgebühr zu entrichten ist. Wegen der geforderten anwaltlichen Mitwirkung ist eine über die Begründung hinausgehende besondere Verfahrensförderung des Rechtsanwalts mit dem Ziel der Erledigung der Rechtssache zu fordern (Geroldt/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller/Rabe, Kommentar zum RVG, 16.Aufl. 2004, 1002 VV Rdnr.8 ff. und 15 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.09.2005, Az.: L 2 KR 43/05; Plagemann, Sozialrecht, 2. Aufl. 2005, § 48 Rdnr.63).

Wenn sich demgegenüber das Sozialgericht München auf den Wortlaut des Satzes 2 der Nr.1002 VV RVG bezieht, der über den bisherigen Wortlaut des § 24 BRAGO hinausgeht, so ist dem entgegenzuhalten, dass Satz 2 vorliegend gar nicht einschlägig ist. Wie bereits oben dargestellt, hat sich die Rechtssache des Klägers durch Änderung des mit dem Widerspruch angefochtenen ablehnenden Verwaltungsaktes erledigt. Damit ist der Tatbestand von Satz 1 der Nr.1002 VV RVG erfüllt. Wenngleich die Förderung der außergerichtlichen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten zu begrüßen ist, geht die vom Sozialgericht intendierte Verdoppelung der Gebühr im Fall eines erfolgreichen Widerspruchs am Ziel des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vorbei. Damit sollten das Kostenrecht transparenter und einfacher gestaltet sowie die zuletzt 1994 angehobenen Gebühren angepasst werden. Die Neustrukturierung des Vergütungsrechts sollte für die Anwaltschaft zu einer angemessenen Erhöhung ihrer Einnahmen führen (BT-Drucksache 15/1971 S.1). Daraus kann keinesfalls abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber einen Systemwechsel hin zu einer Erfolgsorientierung der Vergütung wollte. Nach wie vor sollen nur besondere Bemühungen des Rechtsanwalts um eine außergerichtliche Erledigung belohnt werden. Eine achtzeilige Widerspruchsbegründung mit dem Hinweis auf die einschlägige Rechtsnorm reicht hierfür nicht aus.

Aus diesen Gründen war das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.08.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 II Ziff.1 SGG zugelassen, da bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob die Erledigungsgebühr nach Nr.1005 VV RVG nach anderen Kriterien beansprucht werden kann als sie von der Rechtsprechung zu den §§ 23, 24 BRAGO aufgestellt worden sind.