Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 5 SB 23/05 - Urteil vom 14.12.2005
Kann der behinderte Mensch selbst unter Zuhilfenahme eines Rollators nur ca. 30 m am Stück gehen und muss er dann wegen der infolge der Anstrengung auftretenden Luftnot eine Pause machen, steht ihm der Nachteilsausgleich "aG" zu.
Tatbestand
Streitig ist die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "aG" (außergewöhnliche
Gehbehinderung).
Bei dem 1947 geborenen Kläger war zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 70
festgestellt (Bescheid vom 10. Januar 2002). Auf den Antrag vom 23. März 2003
stellte der Beklagte mit Bescheid vom 17. September 2003 i.d.F. des
Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2004 einen GdB von 80 ab Antragstellung
fest, lehnte dagegen die Zuerkennung des beantragten Nachteilsausgleiches "aG"
ab. Die GdB-Feststellung beruhte auf folgenden Gesundheitsstörungen:
1. Chronisch entzündliche Lungenerkrankung (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 50),
2. Osteoporose, Wirbelsäulenleiden (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 50).
Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der GdB des Klägers allein auf den
o.g. Gesundheitsstörungen beruhe. Die darüber hinaus bestehenden degenerativen
Gelenkveränderungen (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 20) wirkten sich nicht mehr
GdB-erhöhend aus. Der Nachteilsausgleich "aG" könne nicht zuerkannt werden, weil
trotz erheblicher Gehbehinderung das Gehvermögen nicht auf das Schwerste
eingeschränkt sei. Der Kläger könne nach versorgungsärztlicher Beurteilung
hinsichtlich seines Gehvermögens nicht einem Doppeloberschenkelamputierten
gleichgestellt werden. Auch liege keine dauernde Einschränkung der
Lungenfunktion schweren Grades mit einem Einzel-GdB von mindestens 80 vor. Der
Vortrag des Klägers, dass er behinderungsbedingt beim Ein- und Aussteigen aus
dem PKW die Fahrertür besonders weit öffnen müsse und deshalb auf breite
Behindertenparkplätze angewiesen sei, könne nach der Rechtsprechung des BSG die
Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "aG" nicht rechtfertigen. Der Entscheidung
des Beklagten lagen die Befundberichte des Internisten Dr. F. vom 24. Juni 2003,
des Orthopäden Dipl.-Med. G. vom 21. Juni 2003, des Allgemeinmediziners Dr. H.
vom 24. Juli 2003 bzw. ohne Datum (Eingang beim Beklagten am 20. Oktober 2003)
sowie die beratungsärztlichen Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin
und Arbeitsmedizin Dr. I. und des Dr. J. vom 18. August und 6. November 2003
zugrunde.
Mit der am 23. Januar 2004 beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobenen Klage hat
der Kläger geltend gemacht, aufgrund seiner Behinderungen "übergroße
Schwierigkeiten" beim Besteigen und Verlassen seines Autos zu haben. Er sei auf
die Benutzung eines Rollators angewiesen (ärztliche Verordnung vom 15. Mai
2003). Das SG hat Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. H. vom 27. Mai
2004, des Internisten Dr. F. vom 8. Juni 2004, des Orthopäden Dipl.-Med. G. vom
14. Juni 2004 (jeweils nebst umfangreicher Anlagen) eingeholt. Der Kläger hat
u.a. einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters K. vom 18. Juni 2003 zur
Gerichtsakte gereicht. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15. Februar 2005 mit
der Begründung abgewiesen, dass der Kläger aufgrund der aktenkundigen
Befundberichte sowie aufgrund des persönlichen Eindrucks der Kammer keinen
Anspruch auf den Nachteilsausgleich "aG" habe. Zwar hätten die behandelnden
Ärzte maximale Gehstrecken von 20 m bzw. 40 - 50 m angegeben. Zur mündlichen
Verhandlung sei der Kläger dagegen mit einem Gehstock erschienen, mit dessen
Hilfe er sich zwar deutlich behindert, jedoch keinesfalls so eingeschränkt wie
ein Doppeloberschenkelamputierter bewegt habe. Der Kläger habe in der mündlichen
Verhandlung die wenigen Meter zwischen der Richterbank und seinem Sitzplatz ohne
Stock zurückgelegt. Im Hinblick auf die vom Kläger geschilderten Auswirkungen
der Osteoporose (Gefahr von Knochenbrüchen bereits bei falschen Bewegungen ohne
Belastung) sei es der Kammer völlig unverständlich, dass der Kläger noch Auto
fahre, weil bereits ein einziges Schlagloch oder ein heftiges Bremsmanöver
unvermeidlich zu Knochenbrüchen führen müsse. Auch sei von einer Luftknappheit
während der mündlichen Verhandlung von 25 Minuten Dauer nichts zu erkennen
gewesen. Ein Sauerstoffmangel der Gesichtshaut oder der Lippen habe eindeutig
nicht vorgelegen. Auch sei der Kläger in der Lage gewesen, seinen Anspruch sehr
engagiert zu vertreten und dabei ca. 15 Minuten ohne Unterbrechung laut und
angeregt zu sprechen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 22. Februar 2005 eingelegte Berufung,
mit der der Kläger eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes
geltend macht. Er sei kaum noch in der Lage, Wegstrecken von 10 bis maximal 20 m
ohne Pause zu gehen. Zudem leide er unter erheblichen Schmerzen infolge der
Osteoporose.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des SG Lüneburg vom 15. Februar 2005 aufzuheben,
- den Bescheid des Beklagten vom 17. September 2003 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2004 abzuändern,
- den Beklagten zu verpflichten, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass der Kläger zwar erheblich gehbehindert sei, seine
Gehfähigkeit jedoch nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei. Zur Begründung
beruft sich der Beklagte auf die zur Gerichtsakte gereichten beratungsärztlichen
Stellungnahmen der Fachärztin für Neurologie Dr. L. vom 11. März und 13. Oktober
2005.
Der Senat hat zur weiteren Ermittlung des medizinischen Sachverhaltes die
Entlassungsberichte des Krankenhauses M. (Zentrum für Pneumologie und
Thoraxchirurgie) vom 7. März und 3. Mai 2005 beigezogen sowie das auf einer
Untersuchung des Klägers am 31. August 2005 beruhende fachinternistische
Gutachten des Dr. N. eingeholt. Der Gutachter hat zusammenfassend ausgeführt,
dass die Gehfähigkeit des Klägers maßgeblich durch die entzündliche
Lungenerkrankung (Luftnot/Einschränkung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit)
sowie durch die Osteoporose eingeschränkt werde. Der Kläger sei unter Verwendung
eines Rollators noch in der Lage, zweimal pro Tag (mit jeweils mindestens 2
Pausen) außerhalb des Hauses Strecken von 150 m zurückzulegen. Innerhalb der
Wohnung würden kürzere Strecken mit Unterarmgehstützen bzw. mittels Festhaltens
an Einrichtungsgegenständen zurückgelegt. Trotz dieser Einschränkungen sei die
Gehfähigkeit des Klägers besser als bei einem querschnittsgelähmten,
doppeloberschenkelamputierten, doppelunterschenkelamputierten,
hüftexartikulierten oder einem einseitig oberschenkelamputierten Behinderten,
dem die Benutzung eines Kunstbeins unmöglich ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens
der Beteiligten wird auf die den Kläger betreffende Schwerbehinderten-Akte sowie
die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Sie waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und insoweit
begründet, als der Kläger Anspruch auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG"
ab 1. Mai 2004 hat. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung ist auf der
Rückseite des Schwerbehindertenausweises das Merkzeichen "aG" einzutragen, wenn
der schwerbehinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr.
14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender
straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist. Nach Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 bis
3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Nr. 11 der
Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO, BAnz 1998, Beilage Nr. 246b und BAnz 2001, S.
1419) sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche
Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit
fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges
bewegen können. Hierzu zählen: Querschnittsgelähmte,
Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte
und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein
Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder
zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte,
die - auch aufgrund von Erkrankungen - dem vorstehend aufgeführten Personenkreis
gleichzustellen sind.
Der Kläger gehört nicht zu der in der Verwaltungsvorschrift ausdrücklich
genannten Gruppe von schwerbehinderten Menschen. Allerdings hat er aufgrund der
Gleichstellungsklausel (Satz 3, letzter Teilsatz) Anspruch auf den
Nachteilsausgleich "aG" ab 1. Mai 2004.
Bei der Prüfung einer Gleichstellung ist maßgeblich auf Satz 1 der o.g.
Verwaltungsvorschrift abzustellen. Denn die in Satz 3 der VwV-StVO genannte
Gruppe von Schwerbehinderten ist nicht homogen. Vielmehr können einzelne der in
der Vorschrift genannten Schwerbehinderten bei einem Zusammentreffen von gutem
gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und
optimaler orthopädischer Versorgung nahezu das Gehvermögen eines
Nichtbehinderten erreichen (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002, BSGE 90,
180; LSG Berlin, Urteil vom 25. März 2004 - L 11 SB 15/02). Es ist deshalb nicht
erforderlich, dass der Betroffene - wie etwa ein Querschnittsgelähmter - nahezu
unfähig ist, sich fortzubewegen. Ausreichend ist vielmehr, dass er auch unter
Einsatz orthopädischer Hilfsmittel praktisch von den ersten Schritten außerhalb
seines Kfz nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung gehen kann (BSG
a.a.O.). Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lässt sich deshalb weder
quantifizieren noch qualifizieren; eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugt
dazu grundsätzlich nicht. Entscheidend ist, dass die Gehfähigkeit so stark
eingeschränkt ist, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß
zurückzulegen (BSG a.a.O., unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien).
Der Kläger konnte im Oktober 2003 mit Hilfe des Rollators noch Wegstrecken von
ca. 200 m zurücklegen (vgl. den Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. H.,
ohne Datum, Eingang beim Beklagten am 20. Oktober 2003). Nach wenigen Minuten
Pause war das Zurücklegen einer solchen Wegstrecke erneut möglich. Eine solche
Gehfähigkeit begründet noch keine schwerste Einschränkung der Gehfähigkeit.
Deshalb stellt sich zumindest für diesen Zeitpunkt (Oktober 2003) die ablehnende
Entscheidung des Beklagten auch für den erkennenden Senat als rechtmäßig dar.
In der Folgezeit ist es jedoch zu einer weiteren Verschlechterung des
Gesundheitszustandes gekommen, die insbesondere auch zu einer weiteren
Einschränkung der Gehfähigkeit geführt hat. Dies wurde anschaulich vom
behandelnden Allgemeinmediziner Dr. H. beschrieben: Im Mai 2004 konnte der
Kläger sich nur noch langsam mit Hilfe des Rollators über maximal 20 m
fortbewegen (Befundbericht vom 27. Mai 2004). Der Sachverständige Dr. N. führt
aus, dass der Kläger sich im Wesentlichen nur noch innerhalb seiner Wohnung
sowie in seinem Garten bewegt. In der Wohnung werden Wegstrecken von 5 bis 10 m
zurückgelegt, wobei sich der Kläger an Einrichtungsgegenständen abstützt oder
aber Unterarmgehstützen benutzt. Begibt er sich in den Garten, legt er maximal
150 m pro Weg zurück. Die infolge der Anstrengung auftretende Luftnot zwingt ihn
spätestens nach 30 m zu einer Pause. Er muss sich dann auf seinen Rollator
setzen. Beim Gehen verstärken sich die (sowie bereits dauerhaft bestehenden)
Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Zeitweise treten heftig einschießende
Schmerzen aus der Wirbelsäule in die Beine auf (vergleichbar einem elektrischen
Schlag). In den Füßen besteht ein Taubheitsgefühl. Der Kläger ist beim Gehen
zusätzlich deshalb unsicher, weil infolge der Osteoporose die dauernde Gefahr
von Knochenbrüchen besteht. Bereits in der Vergangenheit hat die Osteoporose
mehrfach zu Rippen- und Wirbelkörperbrüchen geführt.
Der Senat legt diese Befundbeschreibungen des behandelnden Dr. H. und des
Sachverständigen Dr. N. seiner Entscheidung zugrunde, da sich die Angaben des
Klägers zu seiner Gehfähigkeit mit den vom Sachverständigen erhobenen
medizinischen Befunden in vollem Umfang decken (vgl. S. 24 des Gutachtens des
Dr. N.). Deshalb teilt der Senat auch nicht die Bedenken des SG gegen die
Glaubwürdigkeit des Klägers.
Diese Einschränkungen der Gehfähigkeit des Klägers begründen - entgegen der
Auffassung des Beklagten und des SG - einen Anspruch auf Zuerkennung des
Nachteilsausgleiches aG. Denn es ist - wie bereits ausgeführt - bei der
Gleichstellungsklausel nicht auf einzelne der in der o.g. Verwaltungsvorschrift
genannten Gruppen von Schwerbehinderten abzustellen, etwa auf die Gruppe der
Doppeloberschenkelamputierten (so aber: S. 3 des Bescheides vom 17. September
2003 und S. 4 des Urteils), sondern auf den Einleitungssatz des Abschnitts II Nr
1 der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Nr. 11 StVO. Hierbei ist auch der
Gesetzeszweck des 9. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX - Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen) zu beachten, nämlich u.a. die Förderung der
Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilnahme des Behinderten am Leben
in der Gesellschaft. Dieses Ziel kann bei außergewöhnlich gehbehinderten
Schwerbehinderten insbesondere durch die Nutzung von sog. Behindertenparkplätzen
erreicht werden. Erst durch die Vermeidung längerer Fußwege ist dem
außergewöhnlich gehbehinderten Menschen das Erreichen vieler z.B. öffentlicher
und medizinischer Einrichtungen möglich. Ob im Einzelfall die Gehbehinderung so
stark ist, dass der Nachteilsausgleich aG zuerkannt werden kann, stellt damit
letztlich eine wertende Entscheidung dar, die sämtliche Umstände des Einzelfalls
berücksichtigen muss. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Kriterium der
Zumutbarkeit zu (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002, a.a.O.).
Wäre der Kläger auf die Nutzung allgemeiner Parkmöglichkeiten angewiesen, müsste
er praktisch ausnahmslos auf dem erforderlichen Fußweg zwischen Kraftfahrzeug
und eigentlichem Ziel (z.B. Arztpraxis, Geschäft, Veranstaltungsort) Pausen
einlegen. Denn der Kläger kann - sogar unter Zuhilfenahme des Rollators - nur
ca. 30 m am Stück gehen. Da bei Großparkplätzen (wie z.B. bei Einkaufszentren
oder Großveranstaltungen) die Entfernungen zwischen Parkplatz und Eingang
oftmals deutlich mehr als 100 m betragen, wäre der Kläger bei Nutzung der
allgemeinen Parkflächen gezwungen, auf dem Fußweg zwischen Auto und Eingang noch
auf dem Parkplatzgelände (u.U. sogar mehrfach) zu pausieren (sitzend auf dem
Rollator infolge Luftnot und Schmerzen). Dieses Pausieren zwischen parkenden
Fahrzeugen bzw. im allgemeinen Kraftfahrzeugverkehr auf einem Parkplatz ist
unzumutbar. Dem schwer gehbehinderten Kläger würde bei einer Versagung des
Nachteilsausgleiches aG die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft unzumutbar
erschwert (vgl. hierzu erneut § 1 SGB IX). Die vom Beklagten und vom SG
vorgenommene restriktive Auslegung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches
"aG" berücksichtigt im vorliegenden Fall nach Auffassung des Senats auch nicht
hinreichend die in § 1 Absatz 1 SGB I formulierten Ziele des Sozialgesetzbuches
(Ausgleich besonderer Belastungen des Lebens; Schaffung gleicher Voraussetzungen
für die freie Entfaltung der Persönlichkeit; vgl. eingehend zu den sozialen
Rechten zur Teilhabe behinderter Menschen: § 10 SGB I). Diese Ziele des
Sozialgesetzbuches sind jedoch bei der Auslegung der Vorschriften aller Teile
des SGB zu beachten; die sozialen Rechte sind möglichst weitgehend zu
verwirklichen (§ 2 Abs. 2 SGB I). Zwar sprechen durchaus auch gewichtige
Gesichtspunkte für eine restriktive Auslegung des Nachteilsausgleiches "aG" (wie
insbesondere die Tatsache, dass Behindertenparkplätze nur beschränkt zur
Verfügung stehen und deshalb bei einer zu großzügigen Vergabe des
Nachteisausgleichs "aG" dem Kreis der vollständig gehunfähigen Behinderten u.U.
zu wenig Behindertenparkplätze zur Verfügung stehen, vgl. hierzu BSG, Urteil vom
03.02.1988, SozR 3870 § 3 Nr. 28). Eine generell restriktive Normanwendung
befreit jedoch nicht von der erforderlichen Einzelfallprüfung, in deren Rahmen
insbesondere auch Zumutbarkeitskriterien zu beachten sind. Zudem ist von der
Rechtsprechung auch bereits in anderen Fällen bei einer maximal zumutbaren
ununterbrochenen Wegstrecke von 36 Metern (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
17. Dezember 2003 - L 10 SB 20/03, Versorgungsverwaltung 2004, 25) bzw. bei
einer nur unter Schmerzen und nur mit der Gefahr von sturzbedingten Frakturen
möglichen Wegstrecke von über 100 Metern (LSG Berlin, Urteil vom 25. März 2004 -
L 11 SB 15/02) ein Anspruch auf den Nachteilsausgleich "aG" bejaht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie
berücksichtigt den Teilerfolg des Klägers, der nicht bereits seit Antragstellung
sondern erst seit Anfang Mai 2004 Anspruch auf den Nachteilsausgleich aG hat.
Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtsfrage zugelassen, welche konkreten Kriterien im Rahmen der Prüfung der
Zumutbarkeit bzw. Unzumutbarkeit längerer Wegstrecken zu berücksichtigen sind.