Sächsisches Landessozialgericht - Beschluss vom 15.12.2005 - Az.: L 6 B 10/05 R-KN-PKH -
Ein
erst bei Beginn der mündlichen Verhandlung gestellter Antrag auf
Prozesskostenhilfe kann nicht allein aus diesem Grund als verspätet abgelehnt
werden. Denn es ist durchaus denkbar, dass sich ein mittelloser Kläger erst
für die mündliche Verhandlung einen Rechtsanwalt nimmt. Genauso erscheint es
möglich, dass erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung Mittellosigkeit
eintritt oder sich diese erst dann herausstellt, so dass der Kläger zur
Fortsetzung des Mandatsverhältnisses mit seinem bisherigen
Prozessbevollmächtigten, insbesondere für dessen Auftreten in der mündlichen
Verhandlung, der Prozesskostenhilfe bedürfen könnte.
Daran ändert nichts, dass kostenauslösende Handlungen, die der Anwalt im
Rahmen des Mandats vorgenommen hat und die vor dem Zeitpunkt der Beiordnung
liegen, im Rahmen der PKH-Kostenfestsetzung nicht ansetzbar sind, so dass dem
Prozesskostenhilfeantrag das Rechtsschutz- bzw. Bewilligungsbedürfnis fehlen
kann, wenn deshalb nach Beiordnung keine Kosten mehr von der Staatskasse im Wege
der Prozesskostenhilfe zu übernehmen wären. Dies betrifft jedoch bei einem
Prozesskostenhilfeantrag am Beginn der mündlichen Verhandlung vor allem die
Auslagen des Rechtsanwalts (z.B. vorher angefallene Kopierkosten), nicht jedoch
die kostenmäßig wesentlichen Rahmengebühren gemäß § 116 BRAGO bzw. die
Betragsrahmengebühren gemäß § 3 RVG. Denn bei diesen ist unschädlich, wenn
ihr Gebührentatbestand schon vor der Beiordnung erfüllt war, solange er nach
der Beiordnung erneut verwirklicht wird, so dass derartige Gebühren auch dann
anfallen und im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu übernehmen sind, wenn die
Beiordnung ab Beginn der mündlichen Verhandlung erfolgt und der Rechtsanwalt in
der mündlichen Verhandlung tätig wird.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe. In der Hauptsache streiten die Beteiligten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, wobei das erstinstanzliche Verfahren inzwischen durch Urteil vom 28.10.2004 abgeschlossen und nunmehr das Berufungsverfahren unter dem Az. L 6 KN 134/04 beim erkennenden Senat geführt wird. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte sich in erster Instanz nach der am 18.09.2004 erfolgten Terminsladung des bis dahin nicht vertretenen Klägers unter dem 07.10.2004 bestellt und nach vorheriger Einsicht in die Verfahrensakten am Beginn der mündlichen Verhandlung am 28.10.2004 von einem dort in Untervollmacht erschienenen Rechtsreferendar einen Antrag, dem Kläger Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung zu gewähren, zu den Akten reichen lassen. Dem Antrag war neben einer Begründung, wonach der Kläger nicht in der Lage sei, die Kosten des Verfahrens aus eigenen Mitteln zu bestreiten, ein vom Kläger ausgefülltes und unterzeichnetes Formular über dessen persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse beigefügt (Blatt 3 der erstinstanzlichen PKH-Akte). Belege zu den Angaben in diesem Formular wurden nicht vorgelegt. Nach Anhörung des Beklagten zum gestellten Prozesskostenhilfeantrag noch in der mündlichen Verhandlung lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 02.11.2004 ab, weil aus den Gründen des Hauptsacheurteils keine hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage bestehe und der Antrag ohnehin unzulässig sei, weil er erst in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt worden sei, was in diesem Sinne sowohl das OLG Bamberg (JurBüro 1996, 254) als auch das OLG Karlsruhe (FamRZ 1996, 1287) entschieden habe. Mit der - nach Zustellung dieses Beschlusses am 04.11.2004 - beim Sozialgericht Chemnitz am Montag, dem 06.12.2004, eingelegten Beschwerde macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass der Antrag auf Prozesskostenhilfe rechtzeitig vor Abschluss der Instanz gestellt worden sei. Die vom Sozialgericht zitierten Entscheidungen seien nicht einschlägig, da sie Prozesskostenhilfeanträge betreffen, die erst nach Abschluss der Instanz oder jedenfalls erst am Ende der mündlichen Verhandlung, nicht jedoch wie hier bei Beginn der mündlichen Verhandlung gestellt worden seien. Auch könne sich das Sozialgericht nicht auf die fehlenden Erfolgsaussichten berufen, weil insoweit keine Erfolgsgewissheit erforderlich sei, sondern nur eine schlüssige Darlegung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, was der Kläger in seiner Klagebegründung vom 16.08.2004 getan habe. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß den §§ 73a, 172 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) statthafte sowie gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat den Anspruch des Klägers auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 73a SGG i.V.m. den §§ 114 ff. ZPO zu Recht abgelehnt.
Zwar kann entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ein erst bei Beginn der mündlichen Verhandlung gestellter Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht allein aus diesem Grund als verspätet abgelehnt werden. Denn es ist durchaus denkbar, dass sich ein mittelloser Kläger erst für die mündliche Verhandlung einen Rechtsanwalt nimmt. Genauso erscheint es möglich, dass erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung Mittellosigkeit eintritt oder sich diese erst dann herausstellt, so dass der Kläger zur Fortsetzung des Mandatsverhältnisses mit seinem bisherigen Prozessbevollmächtigten, insbesondere für dessen Auftreten in der mündlichen Verhandlung, der Prozesskostenhilfe bedürfen könnte. Daran ändert nichts, dass kostenauslösende Handlungen, die der Anwalt im Rahmen des Mandats vorgenommen hat und die vor dem Zeitpunkt der Beiordnung liegen, im Rahmen der PKH-Kostenfestsetzung nicht ansetzbar sind (SächsLSG v. 08.02.2000, Az: L 1 B 79/99 RJ-KO, NZS 2001, Seiten 165 ff.), so dass dem Prozesskostenhilfeantrag das Rechtsschutz- bzw. Bewilligungsbedürfnis fehlen kann, wenn deshalb nach Beiordnung keine Kosten mehr von der Staatskasse im Wege der Prozesskostenhilfe zu übernehmen wären. Dies betrifft jedoch bei einem Prozesskostenhilfeantrag am Beginn der mündlichen Verhandlung vor allem die Auslagen des Rechtsanwalts (z.B. vorher angefallene Kopierkosten), nicht jedoch die kostenmäßig wesentlichen Rahmengebühren gemäß § 116 BRAGO bzw. die Betragsrahmengebühren gemäß § 3 RVG. Denn bei diesen ist unschädlich, wenn ihr Gebührentatbestand schon vor der Beiordnung erfüllt war, solange er nach der Beiordnung erneut verwirklicht wird (von Eicken in: Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, 15. Aufl. 2002, § 122 BRAGO, Rn. 69 bzw. in: Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, 16. Aufl. 2004, § 48 RVG, Rn. 69), so dass derartige Gebühren auch dann anfallen und im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu übernehmen sind, wenn die Beiordnung ab Beginn der mündlichen Verhandlung erfolgt und der Rechtsanwalt in der mündlichen Verhandlung tätig wird. Ungeachtet dessen hat der Kläger vorliegend keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, weil er entgegen § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse keine Belege beigefügt hat, welche die Richtigkeit seiner Angaben bestätigen könnten. Zwar kann das Gericht verlangen, dass der Antragsteller seine tatsächlichen Angaben glaubhaft macht (§ 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO), wozu auch die Glaubhaftmachung mittels einer Versicherung an Eides Statt gehört (§ 294 Abs. 1 ZPO), zu deren Abnahme das Sozialgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung befugt gewesen wäre. Jedoch können die - im Ermessen des Gerichts stehenden - Mittel des § 118 Abs. 2 ZPO einen ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrag gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht ersetzen (zu dem auch die Vorlage von Belegen gehört), sondern allenfalls ergänzen. Deshalb kommt eine eidesstattliche Versicherung zur Glaubhaftmachung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur in Betracht, wenn die Vorlage von Belegen aus dargelegten, nachvollziehbaren Gründen unmöglich oder unzumutbar erschwert ist (OLG Köln v. 11.07.1991, Az: 10 WF 141/91, FamRZ 1992, 701 f.; OLG Brandenburg v. 26.11.2001, Az: 10 WF 169/01, FamRZ 2002, 1415). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil keine Gründe ersichtlich sind, weshalb die Angaben des Klägers nicht durch geeignete Belege nachweisbar sein sollen. Schon allein aus diesem Grund wäre das Sozialgericht deshalb berechtigt gewesen, den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung abzulehnen, weil jedenfalls von einem anwaltlich vertretenen Kläger erwartet werden kann, dass er die Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrags kennt und Hinderungsgründe für die rechtzeitige Vorlage der Belege weder dargelegt noch ersichtlich sind (vgl. OLG Oldenburg v. 27.04.1981, Az: 11 U 19/81, JurBüro 1981, 1255 ff.; Dehn in: Schoreit/Dehn, BerH/PKH, 8. Aufl. 2004, Rn. 7 m.w.N.). Der Kläger kann, nachdem das erstinstanzliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, die erforderlichen Belege auch nicht mehr nachreichen. Denn nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens ist - abgesehen von der hier nicht gegebenen Ausnahme, dass die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag durch das Gericht verzögert wurde - keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe mehr möglich, weil Prozesskostenhilfe dann ihren Zweck, eine (noch) beabsichtigte Rechtsverfolgung zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen kann (u.a. SächsLSG v. 30.08.2002, Az: L 3 B 96/01 AL-PKH, zitiert nach JURIS). Dies träfe auch bei einem Nachreichen der Belege zu, weil dann die Prozesskostenhilfe nicht rückwirkend ab Antragstellung am 28.10.2004, sondern erst ab Eingang der erforderlichen Belege bewilligt werden könnte. Dies wiederum folgt daraus, dass Prozesskostenhilfe rückwirkend frühestens ab dem Zeitpunkt des Eingangs eines vollständigen Antrags im Sinne des § 117 ZPO gewährt werden kann, wobei selbst dies streitig ist. Teilweise wird auch auf den (regelmäßig späteren) Zeitpunkt der sog. Bewilligungsreife als frühestmöglichen Zeitpunkt abgestellt (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, PKH u. BerH, 3. Aufl. 2003, Rn. 503/504 m.w.N.). Da aber vorliegend - wie bereits ausgeführt - wegen der fehlenden Belege ein ordnungsgemäßer Prozesskostenhilfeantrag im Sinne des § 117 ZPO bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gestellt wurde, konnte das Sozialgericht am 02.11.2004 auch eine rückwirkende Bewilligung auf den 28.10.2004 nicht mehr vornehmen (ebenso wie hier: OLG Brandenburg v. 13.06.1997, Az: 10 WF 20/97, FamRZ 1998, 249 f.; OLG Bamberg v. 09.01.1997, Az: 7 WF 190/96, FamRZ 1998, 250; OLG Karlsruhe v. 16.09.1994, Az: 16 WF 199/93, FamRZ 1996, 1287 f.). Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).