Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen (Az.: S 9 AL 598/02) streitig, in dem der Kläger Arbeitslosengeld ab Antragstellung begehrte.

Gegen den Widerspruchsbescheid der Bundesanstalt für Arbeit vom 5. April 2002 legte der Beschwerdegegner Klage ein. Mit Schriftsatz vom 14. August 2002 begründete er die Klage, beantragte die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) und reichte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 8. Mai 2002 sowie zusätzliche Unterlagen ein. Mit Beschluss vom 22. August 2002 gewährte das Sozialgericht dem Kläger PKH ohne Ratenzahlung und ordnete den Beschwerdegegner bei.

Am 17. Oktober 2002 beantragte dieser, die Beiordnung wegen einer „unbehebbaren Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant" aufzuheben. Mit Beschluss vom 13. Juni 2003 hob das Sozialgericht die Beiordnung auf.

In seinem Antrag vom 19. Juni 2003 begehrte der Beschwerdegegner die Erstattung folgender Gebühren:

Gebühr nach § 116 Abs.1 BRAGO 322,11 € Auslagen nach § 26 BRAGO 20,45 € 342,56 € MWSt 54,81 € Insgesamt 397,37 €

Mit Verfügung vom 31. Juli 2003 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die zu erstattende Gebühr auf 234,61 € fest (Gebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO 182,25 €, Auslagen nach § 26 BRAGO 20,00 €, MWSt 32,36 €).

Mit seiner Erinnerung hat der Beschwerdeführer u.a. vorgetragen, diese Festsetzung entspreche nicht ansatzweise seinem Arbeitsaufwand. Wegen der mangelhaften Sprachkenntnisse des Klägers seien zeitraubende und schwierige Rücksprachen erforderlich gewesen. Zudem habe er ca. 150 Seiten Arbeitsamtsakten durchgearbeitet und mit dem Kläger erörtert.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 13. August 2003 beantragt, die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 234,61 € festzusetzen. Angesichts der Umstände seien eine Gebühr zwischen Mindest- und Mittelgebühr sowie die Erstattung der Auslagenpauschale und der MWSt angemessen.

Mit Beschluss vom 24 März 2004 hat das Sozialgericht die aus der Staatskasse zu zahlende Gebühr auf 301,17 € festgesetzt und im Übrigen die Erinnerung zurückgewiesen. Angemessen sei eine um 25 v.H. reduzierte Mittelgebühr. Die Schwierigkeit der Sache sei als durchschnittlich anzusehen. Der Umfang der Tätigkeit und die finanziellen Verhältnisse seien als unterdurchschnittlich, die Bedeutung der Sache als leicht überdurchschnittlich zu bewerten. Ein Anspruch auf Verzinsung komme nicht in Betracht.

Gegen den Beschluss hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt und sich zur Begründung auf seinen Schriftsatz vom 13. August 2003 sowie die Ausführungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bezogen.

Der Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. März 2004 aufzuheben und die durch die Staatskasse zu zahlende Gebühr auf 234,61 € festzusetzen.

Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Thüringer Landessozialgericht zu Entscheidung vorgelegt.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nach § 128 Abs. 4 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) zulässig. Danach ist gegen den Beschluss die Beschwerde zulässig, wenn – wie hier - der Beschwerdegegenstand 50 € übersteigt.

Gegenstand der Beschwerde ist die gesamte Kostenfestsetzung (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2003 – Az.: L 6 B 19/02 SF).

Nach § 116 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRAGO erhielt ein Rechtsanwalt, der – wie hier - vor dem 1. Juli 2004 beigeordnet worden ist (vgl. § 61 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG)) in Verfahren vor dem Sozialgericht 50,00 bis 660,00 €.

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisses des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten – oder sinngemäß von einem Vergütungsschuldner (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2003 – Az.: L 6 B 19/02 SF; LSG Schleswig-Holstein in Breithaupt 1995, S. 738, 739) – zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO). Abweichungen bis zu 20 v. H. von der als billig erscheinenden Gebühr werden im Einzelfall im Allgemeinen als verbindlich angesehen (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 21. April 1999 – Az: L 6 B 59/98 SF und vom 8. Februar 2000 – Az: L 6 B 71/99 SF; Madert in Gerold/Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, Kommentar, 15. Auflage 2002, § 12 Rdnr. 9).

Nach der so genannten Kompensationstheorie kann ein einziger Umstand im Sinne des § 12 BRAGO ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen; eine Automatik besteht diesbezüglich nicht. Vielmehr kann ein im Einzelfall besonders ins Gewicht fallendes Kriterium die relevanten übrigen Umstände kompensierend zurückdrängen (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 14. März 2001 – Az.: L 6 B 3/01 SF, 6. Oktober 2000 – Az.: L 6 B 47/00 SF, 17. Juli 2000 – Az.: L 6 B 27/00 SF, 17. Mai 1999 – Az.: L 6 B 34/98 SF).

Im vorliegenden Fall ist eine Gebühr von 182,25 € angemessen. Sie ergibt sich aus der Hälfte zwischen der Mindest- (50,00 €) und der Mittelgebühr (355,00 €), beides gemindert um 10 v.H. Die Mindestgebühr kommt nur für ganz einfache Sachen von geringem Umfang in Betracht. Die Mittelgebühr ist in ausgesprochenen Normalfällen ohne Besonderheiten und ohne Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit und bei durchschnittlichen Vermögensverhältnissen des Klägers, für die regelmäßig drei volle Gebühren anfallen, zu erstatten (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 18. April 2001 – Az.: L 6 B 2/01 SF in: JurBüro 2001, 8. Februar 2000 – Az.: L 6 B 71/99 SF und 21. April 1999 – Az.: L 6 B 59/98 SF.; LSG Schleswig-Holstein, a.a.O., S. 738, 740; Hartmann, a.a.O., § 116 BRAGO Rdnr. 7).

Das Hauptsacheverfahren hatte für den Kläger eine durchschnittliche Bedeutung. Relevant sind hierfür neben den unmittelbaren Zielen der anwaltlichen Tätigkeit auch weitere Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers oder seine Stellung im öffentlichen Leben, sein Ansehen, seinen Namen und die rechtliche und tatsächliche Klärung für andere Fälle (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. März 2001 - Az.: L 6 B 3/01 SF in: MDR 2002, 606 f. = NJ 2002, 278 = JurBüro 2002, 421 f. und 26. August 1999 - Az.: L 6 B 44/99 SF; Madert in Gerold/Schmidt, a.a.O., § 12 Rdnr. 11). Anhaltspunkte für eine leicht überdurchschnittliche Bedeutung (so die Vorinstanz) sind nicht ersichtlich und können auch nicht damit begründet werden, dass der Kläger bei Ablehnung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld möglicherweise auf Sozialhilfe angewiesen gewesen wäre.

Der weiteren Umstände des vorliegenden Falls (Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit; Einkommensverhältnisse des Klägers) rechtfertigen es, die Mittelgebühr entsprechend zu kürzen, weil dieser vom „Normalfall" erheblich abweicht.

Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit lag erheblich unter dem Durchschnitt. Diese erstreckte sich vom 14. August 2002 (PKH-Antragstellung mit vollständigen Unterlagen – vgl. BGH in NJW-RR 1998, 642; Senatsbeschluss vom 19. Mai 2003 – Az.: L 6 B 18/03 SF in: JurBüro 2004, 82) bis 13. Juni 2003. In dieser Zeit begründete der Antragsgegner die Berufung kurz. Weitere Schriftsätze wurden im Hauptsacheverfahren nicht eingereicht; eine mündliche Verhandlung fand nicht statt. Zwar kann der Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht allein nach dem Seitenumfang der eingereichten Schriftsätze beurteilt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 1999 – Az.: L 6 B 34/98 SF), weil diese u.a. auch Aktenstudium, Fertigung von Notizen, Überprüfung von Rechtsprechung und Literatur sowie Besprechung mit der Mandantschaft umfasst. Angesichts der vorliegenden Umstände gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Tätigkeiten für einen erfahrenen Rechtsanwalt im relevanten Zeitraum tatsächlich umfangreich waren.

Alle weiteren Tätigkeiten lagen entweder vor der Antragstellung (z.B. die Akteneinsicht oder erste Beratungen des Mandanten) oder bezogen sich auf die Beiordnung und sind damit nicht relevant. Nachdem der Beschwerdegegner sich auf die Klageerwiderung nicht mehr äußerte, ist die Notwendigkeit der vorgetragenen zeitraubenden und schwierigen Rücksprachen mit dem Kläger nicht mehr feststellbar.

Die Schwierigkeit der Tätigkeit war – soweit ersichtlich – durchschnittlich, selbst wenn der Senat davon ausgeht, dass sozialrechtliche Fragestellungen für einen Rechtsanwalt mit üblichem Klientel nicht alltäglich auftreten. Allerdings kann an dieser Stelle grundsätzlich auch eine schwierige Persönlichkeitsstruktur des Klägers berücksichtigt werden. Hierfür hätte der Antragsgegner hierfür relevante Tatsachen vortragen müssen. Allein die „erhebliche Störung des Mandantschaftsverhältnisses" im Antrag auf Aufhebung der Beiordnung genügt diesem Erfordernis nicht.

Zudem sind im vorliegenden Fall die schlechten Einkommensverhältnisse des Klägers in die Überlegungen einzubeziehen.

Die Gebühr war um 10 v.H. nach Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt 3 Nr. 26 Buchst. a S. 2 EV, §§ 1 und 3 der Verordnung zur Anpassung der für die Kostengesetze in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet geltenden Ermäßigungssätze (Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung) vom 15. April 1996 (BGBl. I S. 604) zu kürzen. Angesichts des Wortlauts des EV („..wenn ein Rechtsanwalt vor Gerichten oder Behörden, die ihren Sitz in dem in Art. 1 Abs. 1 des Vertrages genannten Gebiet haben, im Auftrag eines Beteiligten tätig wird, der seinen Wohnsitz oder Sitz in dem in Art. 3 des Vertrages genannten Gebiet hat") ist dies zwingend. Sitz der Kanzlei des Beschwerdegegners und des Sozialgerichts Nordhausen liegen in Thüringen, also im Beitrittsgebiet. Gegen die Anwendung der Kürzungsvorschriften bestehen angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. Januar 2003 (Az.: 1 BvR 487/01) keine Bedenken.

Zusätzlich zu erstatten sind die Postgebühren nach § 26 BRAGO und die Mehrwertsteuer nach § 25 BRAGO im gesetzlich vorgesehenen Umfang.

Damit werden folgende Kosten erstattet: Rechtsanwaltsgebühren nach § 116 Abs. 1 BRAGO 182,25 € Auslagen § 26 BRAGO 20,00 € 202,25 € MWSt 32,36 € Insgesamt 234, 61 €

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 des Sozialgerichtsgesetzes, § 128 Abs. 4 Satz 3 BRAGO).