Sächsisches Landessozialgericht - L 6 B 33/08 AS-KO - Beschluss vom 07.02.2008
§ 14 RVG ist Ausdruck des traditionell ständisch strukturierten Anwaltsrechts. Das ganze System des RVG ist nicht auf eine Entlohnung nach "Leistung" oder "Arbeit" bzw. "Aufwand" abgestellt. Der Umstand, dass sich die Gebühren nach dem RVG in Abhängigkeit vom Streitwert berechnen, weist ebenso wie die Institution der Betragsrahmengebühren auf eine soziale Komponente hin: Der Anwalt soll als verantwortliches unabhängiges Organ der Rechtspflege durchaus auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, bei nicht begüterten Mandanten mehr Arbeit zu investieren, als von den zustehenden Gebühren her adäquat wäre. Auf diese Weise werden durch die einträglichen Mandate die anderen mit finanziert, was einen schon von dem Gesetzgeber der Reichsrechtsanwaltsgebührenordnung (RRAGO) durchaus beabsichtigten sozialen Umverteilungseffekt mit sich bringt. Durch die Einführung des Armenrechts bzw. der Prozesskostenhilfe wurde dieser Effekt im gewissen Sinne "nach unten abgefedert". Was die wirklich Bedürftigen im Sinne des Sozialhilferechts betrifft, von denen der Anwalt bei konsequenter Berücksichtigung der genannten sozialen Komponente überhaupt nichts oder nur einen symbolischen Betrag verlangen dürfte, springt der Staat ein. Es ist klar, dass hierdurch die "Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers" bei der Prozesskostenhilfe, jedenfalls wenn sie ohne Raten bewilligt wird, keine Rolle mehr spielen können. Auftraggeber ist der Staat, der hiermit ein eigenes sozialpolitisches Anliegen verfolgt; daher passt es nicht, ihn als erstattungspflichtigen Dritten im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (womit in der Regel der Prozessgegner gemeint ist) anzusehen. Dadurch, dass der Staat als Auftraggeber fungiert und dem Anwalt seine standesrechtliche Sozialpflichtigkeit partiell abnimmt, entfällt nach der Natur der Sache auch dessen Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB; Raum für eine ansonsten vom Gesetz vorgesehene "Sozialpolitik" des Anwalts seinen Mandanten gegenüber ist dann nicht mehr.
Gründe:
I.
Mit der Beschwerde wendet sich der Rechtsanwalt gegen die Kürzung der im Rahmen der Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren. Im Ausgangsverfahren - einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - hatte er beantragt, den Antragsgegner - Landkreis Kamenz - im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, zunächst bis zum 31. Mai 2006, sofern der Antragsteller nicht früher auszieht, die Kosten für die vom Antragsteller derzeit genutzten Wohnung auf der ...straße in P. in Höhe von monatlich 393,78 EUR zu übernehmen.
Der Antragsteller bewohnte diese Wohnung seit dem 1. September 2000 zusammen mit seiner Ehefrau, die sich Ende Juni 2005 von ihm trennte und auszog. Von der Antragsgegnerin wurde er daraufhin darauf aufmerksam gemacht, dass die Kosten der nunmehr für einen Alleinstehenden zu groß erscheinenden Wohnung längstens bis Dezember 2005 übernommen würden (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).
Während des ER-Verfahrens, welches insgesamt vom 9. März 2006 bis zum 3. April 2006 (ablehnender Beschluss, zugestellt am 07.04.2006) dauerte, wurde sowohl von Seiten des Gerichts als auch von Seiten des Beschwerdeführers in die Richtung ermittelt, ob und wenn ja, wo zumutbarer Ersatzwohnraum beschafft werden könne. Dadurch sowie durch die vom Beschwerdeführer übersandten Bescheide einschließlich Auszüge aus dem Scheidungsverfahren umfasste die Akte zum Schluss 162 Blatt.
Am 17.03.2006 hatte das Sozialgericht Dresden dem Antragsteller Prozesskostenhilfe bewilligt und Herrn Rechtsanwalt X beigeordnet.
Dieser beantragte am 01.06.2006 die Festsetzung seiner Vergütung wie folgt:
Verfahrensgebühr nach Ziffer 3102 VV-RVG 350,00 EUR Post- und Telekommunikationsentgelte gemäß Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR Zwischensumme 370,00 EUR 16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG 59,20 EUR Summe 429,20 EUR.
Mit Beschluss vom 24.07.2006 setzte das Sozialgericht Dresden die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 216,54 EUR fest. Die Bedeutung der Angelegenheit hat zwar etwas über dem Durchschnitt gelegen, alle anderen Kriterien zur Bestimmung der Gebührenhöhe, insbesondere auch unter Beachtung der sehr kurzen Verfahrensdauer seien als unterdurchschnittlich zu bewerten. Daher seien nur 2/3 der Mittelgebühr festzusetzen.
Mit der Erinnerung machte der Beschwerdeführer geltend, dass die kurze Verfahrensdauer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gerade nicht als Argument für ein Abweichen von der Mittelgebühr nach unten gewertet werden könne, sondern eher im Gegenteil sich im Hinblick auf den besonders erheblichen Arbeitsumfang unter Zurückstellung anderer Tätigkeiten gebührenerhöhend auswirken müsse. Allein die Rechercheaufwendungen zur Prüfung des Wohnungsmarktes hätten ca. 5 Zeitstunden in Anspruch genommen.
Das Sozialgericht hat die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung mit Beschluss vom 18.12.2007 zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 27.12.2007 zugestellt.
Hiergegen richtet sich die am 31.12.2007 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat.
II.
Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet.
Die Vergütung des Beschwerdeführers richtet sich im vorliegenden Fall nach dem RVG, weil ihm der Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit nach dem 01.07.2004 erteilt wurde (§§ 60, 61 Abs. 1 Satz 1 RVG). In Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, also in Verfahren wie dem vorliegenden mit nach § 183 SGG kostenprivilegierten Klägern (§ 197a Abs. 1 SGG) entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Verfahrensgebühr beträgt nach Nr. 3102 VV RVG 40,00 bis 460,00 EUR, die Mittelgebühr ist mithin bei 250,00 EUR anzusetzen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 werden in sonstigen Verfahren die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet. Für die Berechnung der Gebühr nach dem Gegenstandswert schreibt § 13 RVG eine starre Gebührentabelle vor.
Für die Fälle nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG (Fälle mit Betragsrahmengebühr) gilt allerdings eine grundsätzlich andere Berechnung. Es wird nicht auf die Tabelle nach § 13 JVG Bezug genommen, vielmehr nennt § 14 JVG mehrere Kriterien, die es ermöglichen, innerhalb des in der Regel sehr breit gefassten Rahmens eine Gebühr zu bestimmen. Die Verfahrensgebühr bestimmt sich in diesen Fällen nach Nr. 3102 VV RVG und beträgt 40,00 bis 460,00 EUR, im denkbar unkompliziertesten Fall also 40,00 EUR.
§ 14 RVG bestimmt, dass bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit der Bedeutung der Angelegenheit, sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die vom Rechtanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). § 14 Abs. 2 RVG schreibt vor, dass im Rechtsstreit das Gericht ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer einzuholen hat.
§ 14 RVG kann im Rahmen der Vergütung bei Prozesskostenhilfe nur bedingt Anwendung finden. § 14 RVG ist, wie schon die Vorläufervorschrift des § 12 BRAGO Ausdruck des traditionell ständisch strukturierten Anwaltsrechts. Das ganze System des RVG ist nicht auf eine Entlohnung nach "Leistung" oder "Arbeit" bzw. "Aufwand" abgestellt. Der Umstand, dass sich die Gebühren nach dem RVG in Abhängigkeit vom Streitwert berechnen, weist ebenso wie die Institution der Betragsrahmengebühren auf eine soziale Komponente hin: Der Anwalt soll als verantwortliches unabhängiges Organ der Rechtspflege durchaus auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, bei nicht begüterten Mandanten mehr Arbeit zu investieren, als von den zustehenden Gebühren her adäquat wäre. Auf diese Weise werden durch die einträglichen Mandate die anderen mit finanziert, was einen schon von dem Gesetzgeber der Reichsrechtsanwaltsgebührenordnung (RRAGO) durchaus beabsichtigten sozialen Umverteilungseffekt mit sich bringt.
Durch die Einführung des Armenrechts bzw. der Prozesskostenhilfe wurde dieser Effekt im gewissen Sinne "nach unten abgefedert". Was die wirklich Bedürftigen im Sinne des Sozialhilferechts betrifft, von denen der Anwalt bei konsequenter Berücksichtigung der genannten sozialen Komponente überhaupt nichts oder nur einen symbolischen Betrag verlangen dürfte, springt der Staat ein. Es ist klar, dass hierdurch die "Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers" bei der Prozesskostenhilfe, jedenfalls wenn sie ohne Raten bewilligt wird, keine Rolle mehr spielen können. Auftraggeber ist der Staat, der hiermit ein eigenes sozialpolitisches Anliegen verfolgt; daher passt es nicht, ihn als erstattungspflichtigen Dritten im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (womit in der Regel der Prozessgegner gemeint ist) anzusehen. Dadurch, dass der Staat als Auftraggeber fungiert und dem Anwalt seine standesrechtliche Sozialpflichtigkeit partiell abnimmt, entfällt nach der Natur der Sache auch dessen Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB; Raum für eine ansonsten vom Gesetz vorgesehene "Sozialpolitik" des Anwalts seinen Mandanten gegenüber ist dann nicht mehr. Durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe will der Staat die Chancengleichheit der Parteien bzw. Beteiligten vor Gericht herstellen, dies geschieht dadurch, dass er seine Standardleistung bei dem von der Partei auszuwählenden Anwalt bestellt. Es besteht eine vergleichbare Situation wie beim Pflichtverteidiger nach der StPO. Standardleistung heißt, dass der Anwalt seine Berufspflichten im vollen Umfange wahrzunehmen hat, eine darüber hinausgehende Verpflichtung besteht allerdings nicht. Er darf keine Fehler machen, ist aber auch nicht verpflichtet, sich darüber hinaus besonders eingehend der Sache seines Mandanten anzunehmen. Dass letzteres immer - und zwar ohne Begrenzung nach oben - möglich wäre, illustriert die Option der Honorarvereinbarung.
Für die geschuldete Standardleistung ist auch eine Standardvergütung zu gewähren. Systemwidrig wäre eine "Bewertung" der anwaltlichen Tätigkeit durch die Urkundsbeamten der Gerichte in jedem Einzelfall, wobei dann gegebenenfalls nicht sachgerechte Kriterien, wie Anzahl, Umfang der Schriftsätze etc. herangezogen werden. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit bemisst sich nicht nach den Spuren, die sie hinterlässt. Bei Rahmengebühren muss es ähnlich wie bei der Vergütung des Pflichtverteidigers nach Nr. 4100 ff. VV RVG, eine Standardisierung geben.
Was die Anwendung des § 14 RVG angeht, ist zu differenzieren: Im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant gilt § 315 BGB. Diese Überlassung des Leistungsbestimmungsrechtes an eine Partei setzt üblicherweise ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien voraus, § 315 BGB findet Anwendung, wenn dies ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbart wurde; im Verhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt wird diese Vereinbarung gesetzlich fingiert bzw. durch Gesetz ersetzt. Im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist Unbilligkeit nur bei typischen Ermessensfehlern (qualitative Ermessensprüfung) anzunehmen (Hartmann, § 14 RVG Rd.-Nr. 20 - 22).
Sind die Gebühren von einem Dritten zu ersetzen, gilt die Regel des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG. Hiernach findet nicht eine bloße Prüfung auf Ermessensfehler statt, vielmehr ist in diesen Fällen das anwaltliche Ermessen ergebnisorientiert zu überprüfen. Im Kostenfestsetzungsverfahren findet eine Überprüfung der Höhe nach statt (quantitative Ermessensprüfung), das anwaltliche Ermessen ist insoweit bereits eingeschränkt (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, § 14 RVG Rd.-Nr. 33). Auch wenn die Prüfung ergibt, dass weder ein Fall der Ermessensunter-, -überschreitung des Ermessensfehl- oder -nichtgebrauchs vorliegt, kann die Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG schon alleine deswegen "unbillig" sein, weil sie zu hoch erscheint. Dies wäre kein Fall von Ermessensüberschreitung; hiervon könnte nur bei einer Überschreitung des gesetzlichen Rahmens die Rede sein. Während also der Mandant noch seinen Anwalt, den er ja selbst ausgewählt hat, hinsichtlich der Gebührenbemessung bei Betragsrahmengebühren ziemlich ausgeliefert ist, kann dies beim Gegner des Mandanten nicht der Fall sein; die zu erstattende Summe muss - innerhalb eines begrenzten Spielraums - kalkulierbar sein. Manche Gerichte nehmen einen Spielraum von 10 % (LG Krefeld JB 85, 397), manche einen von 20 % (OLG Koblenz NJW 2005, 918; OLG München MDR 2004, 176, AG Aachen, AnwBl. 2005, 233) an, teilweise wird auch eine Abweichung von 30 % toleriert (Kitzinger FamRz 2005, 11).
Die dritte Fallgruppe bildet die Festsetzung von Rahmengebühren bei vom Staat bestellten und finanzierten Anwaltsleistungen wie der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt in Strafsachen und Prozesskostenhilfe. In Teil IV bis VI VV-RVG (Strafsachen, Bußgeldsachen, sonstige Verfahren) hat der Gesetzgeber eine eindeutige Regelung getroffen. Das Bestimmungsrecht des Anwalts entfällt völlig. Außerdem liegen die für den gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt festgelegten Gebühren regelmäßig unter der Mittelgebühr. Das Sächsische LSG hat in der Entscheidung vom 19.05.2006 (L 6 B 168/05 R-KO) darauf hingewiesen, dass die Interessenlage insoweit vergleichbar ist mit dem ebenfalls "gerichtlich bestellten bzw. beigeordneten" PKH-Anwalt. Dies hat zu dem Missverständnis geführt, es werde auf diesem Wege eine gesetzlich nicht vorgesehene Absenkung der Gebühren angestrebt (so: Keller Juris PR SozR 19/2006 Anm. 6). Es ist jedoch zu differenzieren: Das Entfallen des Leistungsbestimmungsrechts hat nicht logischer- und notwendigerweise eine Gebührenabsenkung zur Konsequenz. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das Bemühen, im Rahmen der Vergütungsfestsetzung durch Fallgruppen und Typisierungen eine gleichmäßige und nachvollziehbare Verwaltungspraxis zu institutionalisieren, dient der Vorhersehbarkeit von Entscheidungen und ist gegenüber fiskalischen Belangen (hierzu BVerfG, Beschl. vom 19.12.2006 – 1 BvR 2091/06) neutral. Mit einer Standardisierung und Typisierung ist nicht eine "Verschlichtung" der in Auftrag gegebenen Anwaltsdienstleistungen gemeint, sondern eine systemgerechte Gebührenbestimmung im Einzelfall, ohne bei einer von beiden Seiten jeweils interessengelenkten Beurteilung der "rechtlichen Schwierigkeiten" etc. verharren zu müssen.
Der Gesetzgeber hat durch § 14 Abs. 2 RVG (Gutachten der Rechtsanwaltskammer in Streitfällen) deutlich gemacht, dass er nach wie vor einer gerichtlichen Ermessensausübung im Einzelfall misstraut. Nichts anderes wäre aber der Regelfall, wenn von den Urkundsbeamten in freier Ermessensbetätigung und unter Auswertung des gesamten Akteninhalts sowie Abschätzung des Umfangs und Einschätzung der Qualität der anwaltlichen Tätigkeit eine eigene Gebührenfestsetzung getroffen wird, die dann mit der des Anwalts zu vergleichen ist. Auch wenn bei diesem Prozedere ein Toleranzrahmen von 20 % eingeräumt wird, so ändert das nichts an dem Grundproblem, dass Ausgangspunkt aller Vergleiche eine Bestimmung ist, bei welcher sich der Urkundsbeamte an die Stelle des Anwalts setzt. Es ist der Tendenz entgegen zu wirken, dass von Gerichten unter Berufung auf die nicht reproduzierbare und nicht verallgemeinerungsfähigen Besonderheiten des Einzelfalls eine Gebühr gefunden wird, die mehr als 20 % unter der vom Anwalt berechneten liegt, so dass dann die vom Anwalt errechnete als "unbillig" bezeichnet werden kann. Auch die reziproke Tendenz, dass nämlich Anwälte die vermutlich von den Gerichten als angemessen eingeschätzte Gebühr in ihren Forderungen um etwas weniger als 20 % überschreiten, wäre unzweckmäßig. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Spielraum von 20 % (nach beiden Seiten!) bereits einen Großteil des gesamten Gebührenrahmens abdecken würde (vgl. LSG, Beschluss vom 21.03.2007- L 6 B 38/07 AS-KO).
Im vorliegenden Fall bestimmt sich die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wie folgt:
Ausgangspunkt ist stets die Mittelgebühr, im vorliegenden Fall also der Betrag von 250,00 EUR. Im Streit waren nicht Leistungen für mehr als ein Jahr, was eine Erhöhung der Mittelgebühr rechtfertigen könnte. Auch war nicht eine Kausalitätsproblematik Gegenstand des Rechtsstreits, ebenso wenig waren in einem Verfahren mehrere Begehren zusammengefasst. Die Besonderheiten des Falls bestanden darin, dass streitig war, ob der nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II vorgesehene 6 Monats-Zeitraum im Einzelfall zu überschreiten war. Dem Kläger drohte also ein vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgesehener empfindlicher Einschnitt in die monatlichen zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Leistungen; Obdachlosigkeit drohte nicht. Bei drohender Obdachlosigkeit wäre an eine Erhöhung der Mittelgebühr um 30 % zu denken gewesen.
Der Senat verkennt nicht, dass das Verfahren für den Beschwerdeführer sehr arbeitsintensiv war. Es wurde aber bereits darauf hingewiesen, dass eine Vergütung nach Stundensätzen nicht in Betracht kommt. Hätte es sich nicht um ein Beschlussverfahren gehandelt, so wäre an eine Terminsgebühr (Nr. 3106 VV-RVG) zu denken gewesen, hierbei hätte die umfangreiche Ermittlung und Diskussion mit dem Gericht entsprechende Würdigung finden können. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch klargestellt, dass für eine analoge Anwendung dieser Norm auf Beschlussverfahren angesichts des eindeutigen Wortlauts kein Raum ist (BVerwG, Beschluss vom 05.12.2007 - 4 KSt 1000/07 - 4 KSt 1007/07 - 4 A 1070/06). Während also bei einer Entscheidung eines Klageverfahrens durch Gerichtsbescheid bei der Bestimmung der verdienten Terminsgebühr Kriterien Berücksichtigung finden können wie die Frage, wie umfangreich das Surrogat der mündlichen Verhandlung ("schriftliche Verhandlung") ist, entfällt bei Beschlussverfahren die Terminsgebühr grundsätzlich und durchgehend.
Ein Abzug dafür, dass es sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes handelte, ist nicht gerechtfertigt. Der kürzeren Verfahrensdauer steht hier regelmäßig die gedrängtere Bearbeitung, die Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit gegenüber, so dass sich diese zwei Parameter ausgleichen.
Abzustellen ist nicht auf die tatsächlich aufgewendete Zeit, sondern auf die typischerweise erforderliche Zeit. Es mag sein, dass im Rahmen des § 14 RVG ein objektiv überflüssiger Aufwand durchaus mit beachtlich sein kann, wenn er auf dem Wunsch des Auftraggebers beruhte (vgl. Hartmann Kostengesetze 37. Aufl. 2007 § 14 Rd.-Nr. 3); dies kann aber gerade im PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren keine Rolle spielen, weil in diesem Zusammenhang der Gleichheitssatz dominierend ist. Der Rechtsuchende soll nicht ohne Anwalt dastehen müssen, er hat allerdings auch nicht den Anspruch auf eine staatliche Finanzierung von Sonderwünschen. Alle zusätzlichen Tätigkeiten und Bemühungen, die ein auf dem Boden der gesetzlichen Gebühr mandatierter Rechtsanwalt ohne Verletzung des Anwaltsvertrages ablehnen dürfte, können also nicht gebührenerhöhend bei der PKH-Vergütung berücksichtigt werden.
Im vorliegenden Fall ging es vor allem um die Frage eines Anordnungsgrundes. Es stand die Frage im Vordergrund, ob durch die Anwendung der für den Regelfall vorgesehen Übergangsfrist von (nur) einem halben Jahr so unerträglich in Rechtspositionen des Klägers eingegriffen wurde, dass eine Leistungsverfügung - mit teilweiser Vorwegnahme der Hauptsache - Erfolg versprechend gewesen wäre.
Der Beschwerdeführer war als im Rahmen der PKH beigeordneter Rechtsanwalt nicht verpflichtet, bereits zum Hauptsacheverfahren abschließend schlüssig vorzutragen bzw. seinen Mandanten bei der Wohnungssuche behilflich zu sein.
Es ist daher von der Mittelgebühr auszugehen. Die Vergütung berechnet sich daher wie folgt:
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG (Mittelgebühr) 250,00 EUR Postpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR Zwischensumme 270,00 EUR 16 % Mehrwertsteuer gemäß Ziff. 7008 VV-RVG 43,20 EUR Summe 313,20 EUR.
Diese Sache wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung durch Beschluss des Berichterstatters auf den Senat übertragen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 RVG i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
Der Beschluss ist gebührenfrei, ohne dass dafür Kosten zu erstatten sind (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG) und kann nicht weiter angefochten werden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).