Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Der 1974 geborene Antragsteller war mit der im Jahre 2000 19-jährigen B. verlobt. Im August 2000 beendete B. die Beziehung und zog aus der gemeinsamen Wohnung aus. Am 31.10.2000 wurde sie in der Wohnung des Antragstellers von diesem vergewaltigt. Das Landgericht Bochum verurteilte den vorbestraften Antragsteller wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten (Urteil vom 11.04.2002, 22 Kls 36 J 593/00 I 55/01, rechtskräftig).

Am 02.11.2000 verletzte C., der Vater der B., den Antragsteller vorsätzlich mit einem Messer und Faustschlägen. Das Amtsgericht Recklinghausen verurteilte den B. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten sowie zu einer Geldstrafe (Urteil vom 20.06.2002, 26 Ls 11 Js 710/00, rechtskräftig). Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Der Antragsteller stellte am 24.03.2004 bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Versorgung nach dem OEG. Unter Beifügung von Arztberichten des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt D. vom 04.02.2004, des Neurologen und Psychiaters Dr. E. vom 16.02.2001 und des Allgemeinmediziners Dr. F. vom 16.12.2002 gab er an, wegen der Messerstiche des C. an erheblichen Funktionsstörungen der Hand sowie an Platzangst, Angstgefühlen und Schlafstörung zu leiden. Der Beklagte zog das Erkrankungsverzeichnis der DAK, einen Arztbrief der Chirurgischen Abteilung des G.-Krankenhauses H. vom 16.04.2004 sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Bochum (11 Js 710/00 - Strafverfahren gegen B.) und des Landgerichts Bochum (1 O 281/03 - Schadensersatzklage T1./. W) bei.

Mit Bescheid vom 01.12.2004 lehnte der Beklagte den Antrag auf Versorgung ab. Zur Begründung gab er an, dass Leistungen nach § 2 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. OEG versagt werden müssten, wenn dem Gewaltopfer die erlittene Schädigung zuzurechnen sei. Eine solche Zurechnung müsse angenommen werden, wenn der Angriff - wie hier - im Rahmen einer Auseinandersetzung über eine vorangegangene Straftat des Gewaltopfers erfolge.

Den Widerspruch des Antragstellers vom 23.12.2004 wies der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2005 zurück.

Der Antragsteller hat am 28.06.2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben und am 28.07.2005 bzw. 04.08.2005 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt I. beantragt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.09.2005 abgewiesen und den Antrag auf Gewährung von PKH mit Beschluss vom gleichen Tag abgelehnt. Es hat in der am 14.10.2005 zur Geschäftsstelle gegebenen Urteilsbegründung ausgeführt, dass die Gewährung von Leistungen gem. § 2 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. OEG unbillig wäre, weil der Kläger sich mit der Vergewaltigung der B. außerhalb der staatlichen Rechtsgemeinschaft gestellt habe. Zwar werde auch das Verhalten von C. nicht von der Rechtsordnung gebilligt, da Selbstjustiz ausgeschlossen sei. Allerdings habe die Gewalttat des Klägers einen viel höheren Unrechtsgehalt als die darauf folgende Körperverletzung. Nach seiner gravierenden Straftat, der Vergewaltigung, habe der Kläger damit rechnen müssen, dass von B. oder ihrem nächsten Umfeld eine Reaktion erfolge. Das OEG, das unschuldige Opfer von Straftaten schützen solle, werde pervertiert, wenn Täter von so gravierenden Straftaten wie einer Vergewaltigung eine Entschädigung aufgrund von Straftaten mit einem geringeren Gewicht, nämlich einer Körperverletzung erhielten. Die Ablehnung des PKH-Antrags hat das SG in dem ebenfalls am 14.10.2005 zur Geschäftsstelle gegebenen Beschluss damit begründet, dass die Prozessführung des Antragstellers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Antragsteller habe sich durch seine vorangegangene Vergewaltigung außerhalb der Rechtsordnung gestellt. Im Übrigen hat das SG auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.

Gegen Urteil und Beschluss des SG hat der Antragsteller am 04.11.2005 Berufung bzw. Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH hat er damit begründet, dass der PKH-Antrag bereits mit Einreichung der vollständigen Unterlagen am 04.08.2005 entscheidungsreif gewesen sei. Diese Entscheidung habe das Gericht dann aber bis zum Termin in der Sache verzögert. Noch in der mündlichen Verhandlung sei die Frage intensiv diskutiert worden, ob die Vergewaltigung einen Fall rechtsfeindlicher Betätigung darstelle. Hierzu habe er in der Verhandlung zu bedenken gegeben, dass der Staat sich gerade in einer Situation, in der möglicherweise mit "Racheakten" zu rechnen sei, besonders um den Schutz des potentiellen Opfers bemühen müsse. Darüber hinaus habe kein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der verübten Straftat des Antragstellers und der Straftat des Vaters des Opfers vorgelegen. Vor dem Hintergrund, dass die Sach- und Rechtslage noch im Termin ausführlich diskutiert worden sei, zeige sich, dass das Gericht seine Auffassung über die Erfolgsaussicht der Klage bis zum Termin gerade noch nicht festgelegt habe. Schon von daher sei der PKH-Antrag positiv zu bescheiden gewesen.



II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Dem Kläger ist für das Klageverfahren PKH zu bewilligen.

Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73 a Abs.1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist der Fall, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers für zumindest vertretbar hält (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 73 a Rn 7a; st. Rspr. des LSG NRW, z.B. Beschluss vom 29.08.2005, L 6 B 10/05 SB). Lediglich dann, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist, darf PKH verweigert werden (BVerfG, Beschluss vom 13.07.2005, 1 BvR 175/05 = NJW 2005, 3489 f. m.w.N.). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH bewilligt werden (BVerfG, Beschluss vom 10.12.2001, 1 BvR 1803/97 = NJW-RR 2002, 793 ff.; Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88 = BVerfGE 81, 347 ff.). Die bedürftige Person muss die Möglichkeit haben, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren zu vertreten und u.U. Rechtsmittel einlegen können.

Diesen Anforderungen wird die streitige Entscheidung über die Ablehnung der PKH nicht gerecht. Das SG hatte über eine schwierige und klärungsbedürftige Rechtsfrage zu befinden. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt maßgeblich von der Frage ab, ob ein Gewaltopfer, das sich zeitlich zuvor selbst einer Vergewaltigung strafbar gemacht hat, bei "Racheakten" oder - wie das SG wohl meint - zumindest bei den Racheakten, die in ihrer Schwere hinter der Vergewaltigung zurückstehen, mit Ansprüchen nach dem Opferentschädigungsgesetz gem. § 2 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. OEG (Unbilligkeit) ausgeschlossen ist. Diese Frage ist bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt. Entgegen der Auffassung des SG lässt sich die vorliegende Fallgestaltung auch nicht ohne Weiteres unter die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) subsumieren, nach der sich das spätere Opfer mit einer im Vorfeld der Tat liegenden eigenen rechtsfeindlichen Betätigung selbst außerhalb der staatlichen Rechtsgemeinschaft gestellt hat (BSG, Urteil vom 24.03.1993, 9/9a RVg 3/91 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 2). Diese Rechtsprechung des BSG bezog sich lediglich auf einen Sachverhalt, bei dem das spätere Opfer einem "Milieu" bzw. einer "Szene" angehört (hat), in denen Straftaten an der Tagesordnung waren. So liegt der Fall hier aber gerade nicht.

Der Gewährung von PKH steht nicht entgegen, dass das SG im Zeitpunkt der PKH-Entscheidung das klageabweisende Urteil bereits verkündet hatte. Der ablehnende PKH-Beschluss vom 15.09.2005, der das Datum des Tages der mündlichen Verhandlung trägt, ist nach dem Aktenverlauf am 14.10.2005 zur Geschäftsstelle gelangt und damit wohl am 14.10.2005, jedenfalls erst nach dem für den Kläger erfolglosen Abschluss des Klageverfahrens, ergangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die - bereits abgewiesene - Klage naturgemäß keine Aussicht auf Erfolg mehr. Das SG hat bei der Prüfung der Erfolgsaussicht zu Unrecht auf diesen Zeitpunkt abgestellt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Voraussetzungen der PKH ist zwar grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gerichts (LSG NRW, Beschluss vom 10.05.2004, L 6 B 4/04 P; Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl. 2005, § 119 Rn 4). Etwas Anderes gilt jedoch dann, wenn das Gericht die Entscheidung über einen - hier seit dem 04.08.2005 - vollständigen und entscheidungsreifen PKH-Antrag ohne erkennbaren sachlichen Grund erst nach Abschluss des Verfahrens trifft. Das Gericht ist gehalten, den Beschluss zeitlich vor oder spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung zu fassen und den Beteiligten bekannt zu geben. Anderenfalls würde das Recht eines bedürftigen Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unvertretbar beschnitten und damit der Grundsatz des fairen Verfahrens missachtet. Denn das "Liegenlassen" von PKH-Anträgen bis nach Klageabweisung zöge dann zwangsläufig immer auch den Verlust des Rechts auf Prozesskostenhilfe nach sich. Dies aber widerspricht den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.07.2005, 1 BvR 175/05, a.a.O.).

Da der Kläger die Kosten der Prozessführung nach den von ihm angegebenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, ist ihm ratenfreie Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).