L 6 B 8/04 SF Thüringer Landessozialgericht - Beschluss vom 8. Juli 2004
Eine Sachverständigenernennung durch das Gericht muss grundsätzlich vor der Gutachtenerstattung erfolgen. Ansonsten kann das Gutachten nicht vom Gericht entschädigt werden.
Tatbestand
Mit Beweisanordnung vom 2. August 2002 beauftragte der Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Nordhausen in dem Verfahren C. B. ./. Freistaat Thüringen (Az.: S 7 SB 105/02) die in dem „Institut für medizinische Begutachtung" in K. tätigen Ärzte Dr. T. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens und Dr. S. mit der Fertigung eines psychiatrisch-neurologischen Zusatzgutachtens.
In dem Institut wurden die Akten versehentlich dem Beschwerdeführer - ebenfalls Orthopäde - zugeschrieben. Unter dem 17. September 2002 bestätigte das Organisationsbüro des Instituts dem Sozialgericht den Gutachtensauftrag und teilte die vorgesehenen Untersuchungstermine (12. November 2002 11:00 Uhr bei dem Beschwerdeführer, 14:00 Uhr bei Dr. S.) mit. Es werde um telefonische Rücksprache gebeten, wenn der Termin nicht Zustimmung finde.
Am 12. November 2002 fertigte der Beschwerdeführer sein Gutachten. Dieses, das Gutachten des Dr. S. und die Liquidation des Beschwerdeführers vom 4. Dezember 2002 (Gesamtbetrag einschließlich MWSt 603,21 €) gingen beim Sozialgericht – soweit ersichtlich - am 18. Dezember 2002 ein. Der Vorsitzende der 7. Kammer verfügte die Übersendung der Gutachten an die Beteiligten.
Nachdem sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 16. Januar 2003 gegen deren Inhalt gewandt hatte, bat der Vorsitzende der 7. Kammer beide Ärzte mit Verfügung vom 20. Januar 2003 „möglichst umgehend" um Stellungnahme. Diese fertigten Dr. S. unter dem 27. Januar 2003 und der Beschwerdeführer unter dem 28. Januar 2003.
Unter dem 5. Februar 2003 liquidierte der Beschwerdeführer für seine zusätzliche Stellungnahme vom 28. Januar 2003 insgesamt 165,81 €. Diesen Betrag wies der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle am 4. März 2003 zur Zahlung an. Mit Verfügung vom gleichen Tag teilte er dem Beschwerdeführer mit, er könne die Rechnung vom 4. Dezember 2002 nicht entschädigen, da dieser nicht zum Gutachter bestellt worden war und ihm kein Entschädigungsanspruch zustehe.
Am 24. März 2004 hat der Beschwerdeführer die richterliche Festsetzung beantragt und u.a. ausgeführt, versehentlich habe er anstatt seines Kollegen Dr. T. das Gutachten erstattet. Damit sei keinem Beteiligten ein Schaden entstanden. Er habe die vom Gericht gewünschte Leistung erbracht und ordnungsgemäß abgerechnet. Der Beschwerdegegner hat sich auf den Standpunkt gestellt, eine gerichtliche Heranziehung des Beschwerdeführers sei nicht erfolgt; daher sei die Entschädigung des Gutachtens ausgeschlossen.
Mit Beschluss vom 2. Oktober 2003 hat das Sozialgericht des Antrag des Beschwerdeführers auf Entschädigung des Gutachtens vom 12. November 2002 abgelehnt.
Unter dem 9. Februar 2004 hat der Beschwerdeführer das Sozialgericht aufgefordert, sein Gutachten aus der Akte zu entfernen und im Original zurückzuschicken und beim Thüringer Landessozialgericht Beschwerde gegen den Beschluss vom 10. Oktober 2003 eingelegt.
Mit Verfügung vom 12. Februar 2004 hat der Vorsitzende der 7. Kammer die Entfernung des Gutachtens aus der Gerichtsakte angeordnet und die Beteiligten zur Rückgabe ihrer Gutachtenskopien aufgefordert. Mit Urteil vom 24. März 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Gutachten des Beschwerdeführers wird in ihm nicht erwähnt.
Der Beschwerdeführer trägt vor, das Sozialgericht habe trotz des „Formfehlers" sein Gutachten in das Verfahren eingeführt, ausgewertet und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Durch die Einholung der ergänzenden Stellungnahme sei der Fehler seines Hauses geheilt worden. Das Sozialgericht hätte das Gutachten auf den formellen Aspekt überprüfen und umgehend zurücksenden müssen, was nicht geschehen sei. Das Thüringer Landessozialgericht habe in einem Verfahren seines Kollegen Dr. T. mit gleichartiger Problematik (Az.: L-2/B-9/92) entschieden, dass eine Entschädigung gezahlt werden müsse. Zahlreiche Gerichte würden in ähnlichen Fällen im Nachhinein den Beweisbeschluss abändern, z.B. wenn ein nachgeordneter (aber nicht beauftragter) Arzt ein Gutachten erstattet habe.
Der Beschwerdeführer beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 10. Oktober 2003 aufzuheben und die Entschädigung für sein Gutachten vom 14. November 2002 auf 603,21 € festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Antragserwiderung und die Ausführungen im Beschluss des Sozialgerichts.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 12. März 2003) und die Akten des Senat vorgelegt. Dieser hat den Beteiligten eine Kopie des Beschlusses des 2. Senats des Thüringer Landessozialgerichts vom 14. August 1997 (Az.: L-2/B-9/97) übersandt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZuSEG) zulässig.
Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 ZuSEG ist gegen die richterliche Festsetzung die Beschwerde zulässig, wenn – wie hier - der Wert des Beschwerdegegenstandes 50 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist entgegen der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung im Beschluss vom 2. Oktober 2003 nicht an eine Frist gebunden.
Sie ist jedoch im Ergebnis unbegründet. Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Sachverständigenentschädigung nach §§ 3 Abs. 1, 1 ZuSEG.
Nach § 3 Abs. 1 ZuSEG werden Sachverständige für ihre Leistung entschädigt. Der Entschädigungsanspruch setzt nach § 1 ZuSEG voraus, dass der Sachverständige vom Gericht zu Beweiszwecken herangezogen worden ist und ein schriftliches Gutachten auf Grund einer Anordnung eines Gerichts erstellt wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 2000 – Az.: L 6 B 60/99 SF in: E-LSG B-171; OLG Düsseldorf in JurBüro 1986, 1686). Nachdem das Sozialgericht in der Beweisanordnung vom 2. August 2002 ausdrücklich Dr. T., nicht aber den Beschwerdeführer, mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte, wurde dieser nicht im Sinne des Gesetzes herangezogen; eine Entschädigung nach dem ZuSEG kommt nicht in Betracht.
Das Gutachten vom 12. November 2002 entspricht damit nicht der vom Sozialgericht gewünschten Leistung. Dass der Beschwerdeführer aus fachlicher Sicht unzweifelhaft in der Lage war, ein qualifiziertes Gutachten zu erstellen, ist unerheblich, denn die Auswahl des Sachverständigen obliegt allein dem Sozialgericht (vgl. § 118 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 404 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO)).
Zwar wäre es dem Sozialgericht – vor der Gutachtenserstattung - möglich gewesen, der Bestätigung des Gutachtensauftrages des Instituts vom 17. September 2002 zu entnehmen, dass die orthopädische Untersuchung durch den nicht beauftragten Beschwerdeführer geplant war. In diesem Fall hätte es die Person des Sachverständigen noch austauschen können (Dr. T. war am 12. November 2002 zeitlich verhindert eine Untersuchung durchzuführen). Jedoch enthielt die Bestätigung vom 17. September 2002 nach ihrem Wortlaut keinen Neuvorschlag zur Person des Sachverständigen; ein solcher war auch nicht gewollt. Wie der Beschwerdeführer selbst zugibt, wurde ihm die Begutachtung durch einen internen Fehler des Instituts zugeschrieben; auch er erkannte diesen damals nicht. In einem solchen Fall sind Vertrauensgesichtspunkte nicht einschlägig und eine Zustimmung zur Abänderung der Beweisanordnung durch Schweigen des Gerichts (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 2003 – Az.: L 6 B 25/02 SF) kommt nicht in Betracht.
Nachdem auch der Vorsitzende der 7. Kammer den Fehler nicht bemerkt hatte, war er weder gesetzlich noch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet, den Beschwerdeführer oder das Institut auf den Fehler aufmerksam zu machen (wenn dies auch im konkreten Fall Ärger und erhebliche zusätzliche Arbeit verhindert hätte).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wurde die Erstellung des Gutachtens nicht nachträglich durch den Vorsitzenden der 7. Kammer (konkludent) genehmigt. Weder in der Übersendung des Gutachtens an die Beteiligten noch in der Bitte an den Beschwerdeführer um „möglichst umgehende" Stellungnahme zu den Einwendungen (Verfügung vom 20. Januar 2003) liegt eine nachträgliche richterliche Bestellung zum Sachverständigen. Diese scheidet schon deshalb aus, weil eine Sachverständigenernennung (oder Abänderung) grundsätzlich vor der Gutachtenserstattung erfolgen muss (vgl. BSG vom 25. Oktober 1989 – Az.: 2 RU 38/89, nach juris; BSG vom 28. März 1984 – Az.: 9a RV 29/83 in SozR 1500 § 128 Nr. 24; BSG vom 1. Dezember 1964 – Az.: 11 RA 146/64 in Breithaupt 1965, 263, 264; Senatsbeschluss vom 2. Mai 2000 – Az.: L 6 B 61/99 SF). Eine nachträgliche Genehmigung mit der Folge einer wirksamen Bestellung zum Sachverständigen ist unwirksam (vgl. BSG vom 25. Oktober 1989, a.a.O.; BSG vom 29. November 1984 – Az.: 5b RJ 8/84, nach juris; BSG vom 1. Dezember 1964, a.a.O.; a.A. wohl BGH vom 8. Januar 1985 – Az.: VI ZR 15/83 in NJW 1985, 1399, 1400), denn dann wird der gesetzlich zwingend gebotene Verfahrensgang (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 404 Abs. 1 ZPO) umgekehrt. Eine Kostenerstattung aus Vertrauensgesichtspunkten setzt immer voraus, dass diese vor dem Zeitpunkt der Gutachtenserstattung liegen.
Diesem Ergebnis steht auch nicht der Beschluss des 2. Senats des Thüringer Landessozialgerichts vom 14. August 1997 (a.a.O.) entgegen, denn dort war lediglich entschieden worden, dass eine vor der Gutachtenserstattung ergangene richterliche Verfügung als Genehmigung eines Zusatzgutachtens verstanden werden durfte.
Der Vortrag des Beschwerdeführers, „zahlreiche Gerichte" genehmigten nachträglich die von nachgeordneten (aber nicht beauftragten) Ärzten erstellten Gutachten, ist unerheblich, denn das Sozialgericht hat den Beschwerdeführer nicht nachträglich zum Sachverständigen ernannt und der Senat ist hierzu im Beschwerdeverfahren nicht berechtigt. Aus den gleichen Gründen kann dahingestellt bleiben, ob das Sozialgericht den Beschwerdeführer im Verfahren - nunmehr ausdrücklich - mit der Erstellung eines neuen Gutachtens oder der Beantwortung zusätzlicher Fragen (ohne Untersuchung) hätte beauftragen dürfen. Die von dem Beschwerdeführer angeregte Verfahrensweise wäre zudem nach der o.g. Rechtsprechung des BSG verfahrensfehlerhaft.
Ob das Sozialgericht das Gutachten - nach Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage 2002, § 107 Rdnr. 6a) - als Urkundenbeweis hätte verwerten dürfen (zweifelnd BSG vom 25. Oktober 1989, a.a.O.; offen gelassen in BSG vom 29. November 1984, a.a.O.) kann dahingestellt bleiben, weil dies nicht geschehen ist.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 16 Abs. 5 ZuSEG, 177 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -).