LSG Nordrhein-Westfalen - L 6 SB 101/06 - Urteil vom 12.02.2008
Die Aufgaben der Versorgungsverwaltung im Bereich des Schwerbehindertenrechts sind in Nordrhein-Westfalen wirksam auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen worden. Dies führt kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite zu einem Beteiligtenwechsel. Für die Kreise bzw. kreisfreien Städte handelt die Bezirksregierung Münster wirksam als besonders Beauftragte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, welcher Grad der Behinderung (GdB) bei dem Kläger vorliegt und ob dieser die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "G" (erhebliche Gehbehinderung) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) erfüllt.
Bei dem 1962 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt B mit Bescheid vom
20.07.2000 einen GdB von 40 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen
1. Seelische Beeinträchtigung (Einzel-GdB 30)
2. Funktionseinschränkung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20)
3. Funktionsstörung der rechten oberen Gliedmaße (Einzel-GdB 10)
4. Funktionsstörung der Verdauungsorgane (Einzel-GdB 10)
fest.
Im Mai 2003 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB sowie
des Nachteilsausgleichs "G". Das Versorgungsamt A. holte einen Befundbericht des
Praktischen Arztes Dr. N. vom 12.05.2003 mit Fremdarztbericht des Arztes für
Nervenheilkunde Dr. H. vom 12.03.2002 sowie einen Bericht des Nervenarztes Dr.
B. vom 09.05.2003 ein. Nach Auswertung der Befunde stellte das Versorgungsamt
bei dem Kläger mit Bescheid vom 13.06.2003 einen GdB von 50 wegen der
Funktionsbeeinträchtigungen
1. Seelische Beeinträchtigung (Einzel-GdB 40)
2. Funktionseinschränkung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20)
3. Funktionsstörung der Verdauungsorgane (Einzel-GdB 10)
4. Weichteilrheumatismus (Einzel-GdB 20)
5. Hautleiden (Einzel-GdB 10)
fest.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" lägen nicht vor. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch des Klägers vom 26.06.2003 wies die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2003 zurück.
Der Kläger hat am 29.09.2003 beim Sozialgericht Aachen (SG) Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen erhoben und beantragt, bei ihm einen GdB von mindestens 80 sowie den Nachteilsausgleich "G" anzuerkennen. Nach nur einer Gehstrecke von ungefähr 150 m träten bei ihm in beiden Beinen ausgeprägte Schwäche- und Trägheitsgefühle auf, so dass ein Weitergehen nur mit äußerster Anstrengung möglich sei. Nach maximal 10 Minuten sei er aufgrund "bleischwerer" Beine nicht mehr in der Lage weiterzugehen. Hinzu kämen - bei Berührung mit neurotoxischen Stoffen (z.B. Duftstoffen) - zusätzlich Gangunsicherheiten, Benommenheitsgefühle, Übelkeit sowie eine starke körperliche Erschöpfung.
Das SG hat die medizinischen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt R. u.a. mit Gutachten der Sozialmedizinerin R. vom 28.04.2003 und des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. F. vom 03.05.2004 beigezogen. Anschließend hat es ein internistisches Gutachten des Dr. M. vom 03.03.2005 eingeholt. Dieser hat die Auffassung vertreten, dass bei dem Kläger maßgeblich ein seelisches Leiden (Einzel-GdB 40) und ein Darmleiden (Einzel-GdB 20) vorlägen. Der Gesamt-GdB sei mit 40 festzustellen, da die Reizdarmsymptomatik in den GdB für die psychische Störung mit einfließe. Die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G" lägen nicht vor.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG anschließend ein nervenärztliches Gutachten des Dr. B. vom 17.04.2006 eingeholt. Dieser hat angenommen, dass bei dem Kläger ein Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung (Einzel-GdB 50), eine Hemiparese rechts (Einzel-GdB 30), eine mittelgradige Wesensänderung (Einzel-GdB 50) und vielfältige Überempfindlichkeiten (Einzel-GdB 30) bestünden. Der Gesamt-GdB betrage zumindest 80. Wegen der Hemiparese sei die Gehstrecke des Klägers auf 1 km begrenzt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 07.08.2006 abgewiesen. Es hat sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. M. bezogen. Dieser habe die bei dem Kläger bestehenden Beeinträchtigungen zutreffend erfasst und bewertet. Die Ausführungen des Dr. B. könnten hingegen nicht überzeugen. Eine Bewertung psychischer Störungen mit einem GdB von 50 komme nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (Anhaltspunkte) nur bei einer schweren Störung (z.B. schwere Zwangskrankheit) in Betracht. Eine solche lasse sich auch den von Dr. B. selbst erhobenen Befunden nicht entnehmen, da er den Kläger als klar, freundlich und offen im Gespräch bezeichne. Auch für die von Dr. B. angenommene Hirnschädigung mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung fehle es an entsprechenden medizinischen Befunden. Bei dem Kläger sei im Rahmen der mehrfachen Untersuchungen durch die Sachverständigen keine Konzentrationsstörung oder sonstige Leistungsbeeinträchtigung aufgefallen. Auch Dr. B. selbst beschreibe, dass bei dem Kläger während des Gesprächs keine Leistungsminderung bemerkbar gewesen sei. Ebenso könne auch eine Hemiparese rechts, die der Sachverständige Dr. B. mit einem GdB von 30 bewerte, anhand der vorliegenden Befunde nicht festgestellt werden. Während Dr. B. das Ausmaß der von ihm angenommenen Hemiparese nicht weiter graduiere und hierzu auch keine Befunde mitteile, habe der Sachverständige Dr. M. eine Hemiparese ausdrücklich nicht feststellen können. Vielmehr seien die Reflexe der oberen und unteren Extremitäten seitengleich lebhaft auslösbar und Zehenspitzstand und Hackenstand beidseits problemlos möglich gewesen. Ein GdB für eine Vielzahl von Unverträglichkeiten könne entgegen Dr. B. mangels ausreichender Spezifizierung nicht angenommen werden. Insgesamt verbleibe es bei einem Gesamt-GdB von 40.
Der Kläger hat gegen das ihm am 04.10.2006 zugestellte Urteil am 02.11.2006 Berufung eingelegt und weiterhin einen GdB von mindestens 80 und den Nachteilsausgleich "G" begehrt. Zur Begründung hat er auf ein im Rentenverfahren erstelltes psychiatrisch-testpsychologisches Gutachten der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie Dr. G. vom 03.05.2006 verwiesen. Im Übrigen sei die bei ihm bestehende Fibromyalgie als eine Erkrankung des internistisch-rheumatischen Fachgebiets zu berücksichtigen. Ebenfalls nicht berücksichtigt sei seine Chemikalien-Sensibilität.
Der Kläger hat auf die Terminsmitteilung der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass weder er noch sein Prozessbevollmächtigter am Terminstag erscheinen wollten. Er sei mit einer Entscheidung ohne seine Teilnahme einverstanden.
Der Kläger beantragt schriftlich,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 07.08.2006 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13.06.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2003 zu verurteilen, bei ihm einen GdB von mindestens 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide sowie des Urteils des Sozialgerichts und sieht diese durch die Beweiserhebung im Berufungsverfahren bestätigt.
Der Senat hat ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 20.09.2007 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass bei dem Kläger als wesentliche Funktionsbeeinträchtigung eine Fibromyalgie vorliege. Die Fibromyalgie werde heute ganz überwiegend als Psychosomatose angesehen und sei bei den beim Kläger vorliegenden Persönlichkeitsmerkmalen als chronifizierte psychische Erkrankung mit einer erheblichen Beeinträchtigung der sozialen Anpassungsfähigkeit mit einem GdB von 50 einzuschätzen. Alle weiteren Leiden des Klägers seien im Verhältnis zur Fibromyalgie unwesentlich und nicht geeignet, den Behinderungsgrad weiter zu erhöhen. Wenngleich der Kläger nach seinem subjektiven Empfinden nicht in der Lage sei, eine Wegstrecke von mehr als einem Kilometer zu bewältigen, so ergäbe sich jedoch kein Organbefund, der eine derartige Einschränkung plausibel mache. Dem Gutachten von Dr. B. könne nicht zugestimmt werden. Weder sei eine Hemiparese rechts nachzuweisen gewesen, noch eine hirnorganische Leistungsminderung. Im Übrigen sei das Gutachten von Dr. B. widersprüchlich, wenn dieser einerseits eine chronifizierte Depressivität diagnostiziere, andererseits aber den Kläger im psychischen Befund als klar, attent und freundlich beschreibe.
Der Senat hat den Beteiligten Stellungnahmen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW vom 07. und 22.01.2008 sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 14.01.2008, die dem Senat außerhalb dieses Verfahrens zur Kenntnis gegeben worden sind, übersandt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Richtiger Klagegegner im Berufungsverfahren ist der Kreis G. Das Land Nordrhein-Westfalen ist im Bereich des Schwerbehindertenrechts (SGB IX) durch Art. 1, Abschnitt I, §§ 1 und 2 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007 (GV.NRW S. 482, im Folgenden: Straffungsgesetz) zum 01.01.2008 durch einen Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes aus dem Verfahren ausgeschieden und durch den Kreis G. ersetzt worden. Dieser ist ab 01.01.2008 im Rahmen einer Funktionsnachfolge zuständige Behörde zur Wahrnehmung der vormals den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des Schwerbehindertenrechts geworden und nach materiellem Recht auch zur Gewährung oder Verweigerung der vom Kläger begehrten Leistung berechtigt (sog. Passivlegitimation).
Die durch Art. 1, Abschnitt I, §§ 1 und 2 des Straffungsgesetzes durchgeführte Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung im Aufgabenbereich des Schwerbehindertenrechts und hiermit die Übertragung der Aufgaben auf den Kreis G. ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 S. 7 SGB IX (S. 7 eingefügt mit Wirkung vom 01.05.2004 durch Gesetz vom 23.04.2004, BGBl I S. 606) kann die Zuständigkeit durch Landesrecht hiervon abweichend geregelt werden. Von dieser Regelungsbefugnis hat der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Straffungsgesetz Gebrauch gemacht. Durch Art. 1, Abschnitt I, § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 des Straffungsgesetzes hat der Landesgesetzgeber die den Versorgungsämtern nach §§ 69 und 145 SGB IX übertragenen Aufgaben mit Wirkung vom 01.01.2008 auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen.
Die Änderung der Zuständigkeiten und Aufgabenübertragung durch das Straffungsgesetz steht im Einklang mit der grundgesetzlichen Organisationsverteilung und verstößt nicht gegen (höherrangige) bundesgesetzliche Regelungen.
Die vom Landesgesetzgeber mit dem Straffungsgesetz vorgenommene Übertragung der Aufgaben im Schwerbehindertenrecht auf die Kommunen ist von der Ermächtigungsnorm des Art. 84 GG in der Fassung des 52. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.08.2006, BGBl. I S. 2034 (im Folgenden: n.F.) gedeckt.
Die Wahrnehmung der Aufgaben im Schwerbehindertenrecht nach den §§ 69, 145 SGB IX wird von den Bundesländern gemäß Art. 83 Grundgesetz (GG) als eigene Angelegenheit ausgeführt, da das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. Führen die Länder ein Bundesgesetz als eigene Angelegenheit aus, so ist es ihnen nach Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG überlassen, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren (letzteres mit der zeitlichen Einschränkung des Art. 125 b Abs. 2 GG) zu regeln. Insbesondere können sie aufgrund ihrer Organisationskompetenz eigenverantwortlich die für den Gesetzesvollzug zuständige Ebene und Stelle bestimmen (Henneke in Schmidt-Bleibtreu, GG, 11. Aufl. 2008, Art. 84 Rdn. 20 m.w.N.). Dem Land ist, solange bundes- und landesverfassungsrechtliche Schranken die Organisationskompetenz nicht einengen, ohne Weiteres die Entscheidung über die Frage überlassen, auf welcher Verwaltungsstufe die jeweilige Norm auszuführen ist (Lerche in Maunz-Düring, GG, Stand Juni 2007, Art. 84 Rdn 26). Anderes gilt für den Bundesgesetzgeber: dieser darf nach der Föderalismusreform gemäß Art 84 Abs. 1 Satz 7 GG den Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben ausdrücklich nicht übertragen.
Die in Art. 1, Abschnitt I, §§ 1 und 2 des Straffungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen vorgenommene Aufgabenübertragung auf die kommunale Ebene unterfällt allein dem in Art. 84 GG aufgeführten Regelungsbereich der "Einrichtung von Behörden". Regelungen zum "Verwaltungsverfahren", also gesetzliche Bestimmungen, die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden im Hinblick auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich ihrer Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf, somit das "Wie" des Verwaltungsverfahrens regeln, werden im Straffungsgesetz weder direkt noch indirekt festgelegt (vgl. zur Begriffsbestimmung des Verwaltungsverfahrens BVerfG, Urteil vom 10.12.1980, 2 BvF 3/77 = BVerfGE 55, 274 ff.).
Der Begriff der "Einrichtung der Behörden" i. S. d. Art. 84 Abs. 1 GG ist weit zu verstehen. (vgl. z.B. Trute in Mangoldt-Klein-Stark, Bonner Grundgesetz, 4. Auflage 2004, Art. 84 Rdn. 8 ff., Pieroth in Jarass/Pieroth, 9. Aufl. 2007, Art. 84 Rdn. 3 ff.). Unter den Begriff der "Behörde" i. S. d. Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG fallen die unmittelbaren und mittelbaren Landesverwaltungen einschließlich der selbstständigen Rechtsträger wie Gemeinden und Gemeindeverbände (Trute in Mangoldt-Klein-Stark, a.a.O., Art. 84 Rdn. 9, BVerfG, Beschluss vom 09.12.1987, 2 BvL 16/84 = BVerfGE 77, 299); die Kommunen sind verfassungsorganisatorisch als Bestandteil der Länder anzusehen (Henneke in Schmidt-Bleibtreu, a.a.O., Art. 84 Rdn. 22, 23; Trute in Mangoldt-Klein-Stark, a.a.O., Art 84. Rdn 10). Der Begriff der "Einrichtung" umfasst sowohl die Errichtung (Gründung) als auch die Einrichtung und innere Organisation der handelnden Organe (Ausgestaltung), einschließlich der Übertragung ihrer näheren Aufgabenkreise und Befugnisse (BSG, Urteil vom 12.06.2001, B 9 V 5/00 R = BSGE 88, 153; Pieroth in Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 84 Rdn. 3; Sachs, GG, 4. Aufl. 2007, Art. 84 Rdn. 7, BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987, 2 BvR 909/82 u.a. = BVerfGE 75, 108, 149 ff.; Urteil vom 17.07.2002, 1 BvF 1/01 u.a. = BVerfGE 105, 313, 331 ff.). Mithin ermöglicht die Regelung des Art. 84 GG den Ländern, die bundesrechtlich ausgeformten Aufgaben - wie hier im Bereich des SGB IX geschehen - hinsichtlich der Wahrnehmung auf die Kommunen zu übertragen (vgl. Henneke in Schmidt-Bleibtreu, a.a.O., Art. 84 Rdn. 29, 24).
Die mit dem Straffungsgesetz vorgenommene Aufgabenübertragung im Schwerbehindertenrecht verstößt nicht gegen bundesgesetzliche Regelungen. Das Straffungsgesetz enthält keine Vorschriften, die in unzulässiger Weise von (höherrangigen) bundesrechtlichen Normen abweichen. Dies gilt insbesondere für die Regelungen des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung (KOV-ErrG) vom 12.03.1951 (BGBl I, S. 169), zuletzt geändert durch das zweite Zuständigkeitslockerungsgesetz vom 03.05.2000 (BGBl I S. 632, 635) und des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) vom 02.05.1955 (BGBl I S. 2022) i.d.F. vom 19.06.2001 (BGBl I S. 1046) sowie für die Norm des § 71 Abs. 5 SGG.
Die vorgenannten Vorschriften treffen bereits von ihrem sachlichen Gehalt keine Regelungen, die - wie das Straffungsgesetz - die Einrichtung von Behörden im Bereich des Schwerbehindertenrechts beinhalten.
Soweit durch die Vorschriften des KOV-ErrG und des VfG-KOV geregelt ist, dass die Versorgung der Kriegsopfer von den Versorgungsämtern und den Landesversorgungsämtern oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, durchgeführt wird, bezieht sich dies allein auf den Bereich der Gewährung von Kriegesopferversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz bzw. in dessen entsprechender Anwendung. Nicht hingegen ist der hier streitige Bereich des Schwerbehindertenrechts erfasst, auch wenn die Aufgaben nach dem SGB IX und dem BVG herkömmlich miteinander verbunden waren. Im Bereich des Schwerbehindertenrechts hat der Bundesgesetzgeber es dem Landesgesetzgeber in § 69 Abs. 1 S. 7 SGB IX zum 01.05.2004, also zeitlich nach der letzten Änderung des KOV-ErrG vom 03.05.2000 bzw. des VfG-KOV vom 19.06.2001, aber noch vor der Föderalismusreform 2006 ausdrücklich und ohne Vorgaben überlassen, die Zuständigkeit abweichend von § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX zu regeln (vgl. hierzu BR-Drs. 48/04, Plenarprotokoll 798 des Bundesrates vom 02.04.2004).
Der Landesgesetzgeber hat mit der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung auch nicht gegen § 71 Abs. 5 SGG verstoßen. Nach dieser Vorschrift werden das Landesversorgungsamt bzw. die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, in den Fällen als Prozessvertreter bestimmt, in denen das Land selbst Beklagter ist. Der Inhalt des § 71 Abs. 5 SGG beschränkt sich somit darauf, die Prozessvertretung eines Bundeslandes für den Fall, dass es Beklagter eines sozialgerichtlichen Rechtsstreits ist, festzulegen. Ein weiterer, die Zuständigkeit bestimmender Regelungsgehalt kommt dieser Vorschrift, die allein die allgemeinen prozessrechtlichen Voraussetzungen betrifft, nicht zu. Insbesondere ist hier keine materielle Garantie dergestalt beinhaltet, dass bisherige Verwaltungsstrukturen der Länder betreffend das Schwerbehindertenrecht beizubehalten seien. § 71 Abs. 5 SGG kann demzufolge auch nicht als ein Instrument zur Koordinierung der Versorgungsverwaltung in den Bundesländern verstanden werden (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.02.2004, L 7 (5) SB 8/02). Für den Bereich des Schwerbehindertenrechts gilt dies um so mehr, als es der Bundesgesetzgeber den Landesgesetzgebern in § 69 Abs. 1 S. 7 SGB IX ausdrücklich überlassen hat, eigene - von den bisherigen Strukturen - abweichende Zuständigkeitsregelungen zu treffen. Würde man § 71 Abs. 5 SGG als materiell-rechtliche Regelung der Einrichtung der zuständigen Behörden verstehen, so liefe die Ermächtigung des § 69 Abs. 1 S. 7 SGB IX weitgehend leer. Im Übrigen zeigt auch die vom Bundesgesetzgeber vorgenommene Änderung des § 71 Abs. 5 SGG mit Wirkung zum 02.01.2002 im Anschluss an die Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Prozessfähigkeit der Bezirksregierung (BSG, Urteil vom 12.06.2001, B 9 V 5/00 R; Urteil vom 07.11.2001, B 9 SB 1/01 R), dass diese prozessrechtliche Vorschrift Änderungen in der Verwaltungsstruktur der Länder angepasst wird und der Bundesgesetzgeber nicht von einem feststehenden Konzept der Verwaltungsstrukturen ausgeht.
Im Übrigen ist die mit dem Straffungsgesetz vorgenommene Aufgabenübertragung selbst dann nicht wegen Verstoßes gegen bundesgesetzliche Vorschriften unzulässig, wenn man dem ErrG, dem VfG-KOV und/oder § 71 Abs. 5 SGG eine Regelung zur Einrichtung von Behörden im Bereich des Schwerbehindertenrechts zuspräche. Ausdrücklich ermächtigt das Grundgesetz den Landesgesetzgeber seit der Föderalismusreform, im Bereich der Einrichtung von Behörden Regelungen zu treffen, die von bereits bestehenden bundesgesetzlichen Normen abweichen (Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG n.F.). Eine zeitliche Einschränkung, wie sie Art. 125 b Abs. 2 GG n.F. für Regelungen des Verwaltungsverfahrens normiert, sieht das Grundgesetz bei der Einrichtung von Behörden nicht vor.
Die im Straffungsgesetz erfolgte Aufgabenübertragung im Bereich des Schwerbehindertenrechts auf die Kreise und kreisfreien Städte steht im Einklang mit der Landesverfassung NRW. In Art. 78 Abs. 3 der Landesverfassung wird das Land ausdrücklich ermächtigt, die Gemeinden und Gemeindeverbände durch gesetzliche Vorschriften - wie hier durch das Straffungsgesetz - zur Übernahme und Durchführung bestimmter öffentlicher Aufgaben zu verpflichten, sofern gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten getroffen werden. Letzteres ist mit § 23 des Straffungsgesetzes geschehen. Ob der hier geregelte Belastungsausgleich zutreffend bemessen ist, hat der Senat ebenso wenig zu entscheiden, wie die Frage, ob der Landesgesetzgeber die mit der Zuständigkeitsverlagerung verbundenen personalrechtlichen Maßnahmen (Art 1 , Abschnitt II Straffungsgesetz) zutreffend geregelt hat (vgl. hierzu: VG Münster, Beschluss vom 21.12.2007, 4 L 684/07; VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2007, 13 L 1824/07; VG Minden, Beschluss vom 21.12.2007, 4 L 636/07 zum Gesetz zur Kommunalisierung von Aufgaben den Umweltrechts vom 11.12.2007 - KURG). Bedenken sind von dem Berufungsbeklagten insoweit auch nicht angeführt worden.
Die Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und des GdB obliegt demnach seit dem 01.01.2008 dem für den in G. wohnhaften Kläger örtlich zuständigen Kreis G. Entsprechend hat ein Rechtsträgerwechsel vom Land NRW auf den Kreis G. stattgefunden. Überträgt ein zuständiger Rechtsträger Aufgaben auf ein anderes Organ, so bedeutet dies grundsätzlich einen Wechsel in der funktionalen Zuständigkeit und damit in der Rechtsträgerschaft. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ersichtlich ist, dass es sich lediglich um eine Aufgabenübertragung im Rahmen einer Organleihe bzw. Institutsleihe handeln soll, bei der nicht die Zuständigkeit als solche übertragen wird, sondern lediglich personelle und sächliche Mittel verlagert werden. Da der Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung gilt, stellt die Organleihe eine Ausnahme dar, die einen sachlichen Grund haben und eine eng umgrenzte Verwaltungsmaterie betreffen muss (zu den Voraussetzungen im Einzelnen s. BVerfG, Urteil vom 12.01.1983, 2 BvL 23/81 = BVerfGE 63, 1). Eine solche Ausnahme ist hier nicht anzunehmen. Es ist nicht erkennbar, dass der Landesgesetzgeber trotz Übertragung der Aufgaben im Straffungsgesetz die Zuständigkeit hierfür behalten wollte. Es sind auch im Gesetzgebungsverfahren keine sachlichen Gründe genannt oder ersichtlich, aufgrund derer der Ausnahmefall einer Organleihe in Betracht kommen könnte. Im Gegenteil hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in einem an die Vorsitzenden der Senate 6, 7 und 10 des Landessozialgerichts NRW gerichteten Schreiben vom 07.01.2008 ausdrücklich mitgeteilt, dass mit dem Straffungsgesetz die Rechtsträgerschaft der Aufgaben im Schwerbehindertenrecht und im Sozialen Entschädigungsrecht auf die Kreise und kreisfreien Städte bzw. Landschaftsverbände übergehen sollte. Darüber hinaus ist zu beachten, dass den Gemeinden und Gemeindeverbänden nach Art. 28 Abs. 2 GG ein Recht zur Regelung der Aufgaben in eigener Verantwortung (kommunale Selbstverwaltungsgarantie) eingeräumt worden ist und Art. 78 Abs. 2 der Landesverfassung NRW bestimmt, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände in ihrem Gebiet die alleinigen Träger der öffentlichen Verwaltung sind, soweit die Gesetze nichts anderes vorschreiben. Solange es somit an einer ausdrücklichen Regelung darüber fehlt, dass es sich bei der Aufgabenübertragung auf die Kreise und kreisfreien Städte lediglich um eine Organleihe handeln soll, ist davon auszugehen, dass eine funktionelle Aufgabenübertragung und damit eine Änderung der Rechtsträgerschaft erfolgen sollte und erfolgt ist.
Ein Wechsel in der Behördenzuständigkeit und damit ein Rechtsträgerwechsel führt in anhängigen Streitverfahren zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007, B 9/9a SB 2/07 R; Zeihe, SGG, 45. Ergänzungslieferung Stand 01.11.2007, Bem. 2 A VIII 2 vor § 54). Allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Träger kann die begehrten Rechte gewähren, so dass die Klage gegen diesen - hier den gem. § 3 Abs. 1 KOV-VfG örtlich zuständigen Kreis G. - gerichtet werden muss (BSG, a.a.O.).
Der Kreis G. ist hiervon ausgehend gemäß § 70 Nr. 1 SGG beteiligtenfähig. Er wird nach § 42 e Kreisordnung NRW durch den Landrat vertreten und ist damit gemäß § 71 Abs. 3 SGG prozessfähig. Die Vorschrift des § 71 Abs. 5 SGG findet nach der Neuregelung der Zuständigkeiten im Straffungsgesetz in Verfahren des Schwerbehindertenrechts, in denen der Beklagte jetzt ein kommunaler Träger und nicht mehr das Land NRW ist, keine Anwendung (vgl. hierzu oben).
Für den Berufungsbeklagten handelt gemäß § 71 Abs. 3 SGG die Bezirksregierung Münster als besonders Beauftragte. Ein solcher Auftrag kann im Rahmen der eigenen Organisationsgewalt erteilt und dem Gericht durch schriftliche Vereinbarung (hier vom 11.01.2008) nachgewiesen werden. Auch wenn in der Vereinbarung nicht ausdrücklich eine natürliche Person, sondern die Bezirkregierung Münster als besonders Beauftragte bezeichnet wird, hat der Senat keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vertretung. Soweit die Vollmacht der Aufsichtsbehörde (hier Art. 1, Abschnitt I, § 2 Abs. 2 S. 2 Straffungsgesetz) als Generalvollmacht erteilt wird, ist diese dahingehend auszulegen, dass die Bezirksregierung Münster durch ihren Präsidenten handelt, der seinerseits Angestellte und Beamte der Fachdezernate beauftragen kann. Der Senat sieht sich in dieser Auslegung durch das bereits verabschiedete und am 01.07.2008 in Kraft tretende Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 (BGBl I 2840 ff, Art 1 enthält das Rechtsdienstleistungsgesetz) bestätigt, in dem mit Art. 12 eine Änderung des § 71 Abs. 3 insoweit vorgenommen wird, als die Rechtsfigur des besonders Beauftragten, die nur im Verwaltungsgerichtsverfahren (hier § 62 Abs. 3 VwGO) und Sozialgerichtsverfahren besteht, gestrichen wird. § 73 SGG wird neugefasst: nach Abs. 2 S. 2 Ziffer 1, 2. Hs können sich Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse durch Beschäftigte der zuständigen Aufsichtsbehörde vertreten lassen. Genau diese Konstellation liegt hier vor.
Die danach insgesamt zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen und die angefochtenen Bescheide des Beklagten bestätigt.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte einen höheren GdB als 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "G" gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX feststellt. Dies hat das Sozialgericht zutreffend und mit ausführlicher Begründung, insbesondere unter differenzierter Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Dr. B., ausgeführt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. D. bestätigt die bisherigen Feststellungen, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers jedenfalls nicht mit einem höheren GdB als dem bisher bereits festgestellten GdB von 50 bewertet werden können. Entgegen der Auffassung des Klägers kann die bei ihm bestehende Fibromyalgie nicht als eigenständige internistisch-rheumatische Erkrankung neben einer psychischen Störung bewertet werden. Vielmehr handelt es sich bei der Fibromyalgie um ein Krankheitsbild, das nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil des erkennenden Senats vom 13.01.2004, L 6 SB 107/01 m.w.N.) unter die in Nr. 26.3 der Anhaltspunkten genannten psychovegetativen oder psychischen Störungen zu fassen und - wie vorliegend geschehen - entsprechend zu bewerten ist. Auch die Chemikalien-Sensitivität ist in diesem gesamten psychischen Leidenskomplex mit berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) als gegeben angesehen.