Tatbestand

Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Bei der 1978 geborenen Klägerin liegt ein Diabetes mellitus vom Typ I vor. Auf ihren Antrag vom August 2001 erkannte der Beklagte bei ihr mit Bescheid vom 29.10.2001 für die Blutzuckerfettstoffwechselstörung einen GdB von 40 an.

Im Juni 2002 stellte die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag mit dem Hinweis, dass sie die "Einspruchsfrist" versäumt habe. Auf Anforderung eines Befundberichtes bei dem behandelnden Arzt Dr. T. übersandte dieser Arztbriefe u.a. des W.-Klinikums K. vom 20.08.2001, 11.10.2001, 12.10.2001 sowie vom 06.06.2002. In diesen wird über die Erstmanifestation des Diabetes mellitus Typ I im Juni/Juli 2001 und die Verlaufskontrolle der intensivierten Insulintherapie berichtet. Der Bericht vom 06.06.2002 enthält den Hinweis auf eine sehr gute Einstellung des Kohlenhydratstoffwechsels und den unkomplizierten Verlauf der Insulintherapie. Ausgeführt ist außerdem, dass die Klägerin noch sehr stark unter der Störung ihrer körperlichen Integrität leide, mit den technischen Details, etwa dem Blutzucker-Messen und Insulinspritzen, dagegen keine Probleme habe.

Mit Bescheid vom 05.07.2002 wurde der Antrag auf Änderung des bisherigen Bescheides durch den Beklagten mit der Begründung abgelehnt, dass eine Verschlimmerung nicht eingetreten sei.

Der dagegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 24.07.2002 zurückgewiesen.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Speyer hat die Klägerin die Erhöhung des GdB auf 50 mit der Begründung begehrt, dass sie die gute Blutzuckereinstellung durch einen erhöhten Aufwand erreiche, der gerade die Anhebung des GdB auf 50 rechtfertige. Im Übrigen leide sie unter enormen psychischen Belastungen bis hin zu leichten Depressionen.

Das SG hat einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. B. vom W.-Klinikum K. vom 19.12.2002 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, im Laufe des ersten Behandlungsjahres seien formal eine bedenkliche Hypoglykämie und sonst eher leichte Hypoglykämien (ca. einmal die Woche) aufgetreten. Nur durch intensives Selbstmanagement (fünf bis sechs über den Tag verteilte Blutzuckermessungen, individuell an Mahlzeiten angepasste Insulindosen und gegebenenfalls Korrekturinjektionen) sei die stabile Stoffwechseleinstellung erzielt worden, die erfreulicherweise nur selten zu schweren Hypoglykämien geführt habe.

Durch Urteil vom 07.11.2003 hat das SG Speyer den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 05.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2002 verurteilt, bei der Klägerin ein GdB von 50 festzustellen. Die Klägerin habe gemäß § 44 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) einen Anspruch auf Änderung des Bescheides vom 29.10.2001. Zwar sei nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (Ausgabe 1996) - AHP - der bei der Klägerin vorliegende Diabetes Typ I, der gut einstellbar sei, mit einem GdB von 40 zu bewerten. Allerdings entspreche der Beurteilungsrahmen der AHP nicht der herrschenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft, weshalb das Gericht berechtigt sei, die AHP insoweit außer Acht zu lassen. Diese ergebe sich aus einer Stellungnahme des Ausschusses Soziales der Deutschen Diabetes-Gesellschaft -DGG- (Diabetes und Stoffwechsel 7 ,1998, Seite 37). Diese habe im Rahmen der Novellierung der AHP 1996 eine Neufassung der Bewertung des GdB bei Vorliegen von Diabetes vorgeschlagen, die sich an den durchgeführten Therapiemaßnahmen orientiere. Es sei davon auszugehen, dass dieser Vorschlag der DGG den herrschenden Stand der medizinischen Wissenschaft widerspiegele. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung habe keine Begründung abgegeben, weshalb es diesem Vorschlag nicht gefolgt sei. Nach den von der DGG vorgeschlagenen Beurteilungskriterien sei der GdB der Klägerin mit 50 zu bewerten, da mehrfache Insulininjektionen pro Tag notwendig seien.

Gegen das ihm am 13.01.2004 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 27.01.2004 Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG entspreche der Vorschlag der DGG nicht dem Stand der Wissenschaft. Er sei bereits bei der Neufassung der AHP 1996 vom damals zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) verworfen worden. Im Übrigen habe sich der Sachverständigenbeirat beim genannten Bundesministerium auch in den letzten Jahren mehrfach mit dem Thema des Diabetes mellitus befasst und sei im Ergebnis noch zu einer restriktiveren Einschätzung gekommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Speyer vom 07.11.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, ob die von den Versorgungsämtern praktizierte und durch die Anhaltspunkte quasi vorgeschriebene, eine Berücksichtigung des Einzelfalls de facto nicht zulassende pauschale Einstufung von Diabetikern mit Art. 3 Abs. 1, Abs. 3, 20 Abs. 3 Grundgesetz vereinbar ist.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und verweist auf eine Stellungnahme von Kriegstein zur Neufassung der AHP 2004.

Der Senat hat beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat - Sektion Versorgungsmedizin - beim Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung Bonn (BMGS) eine Auskunft eingeholt. Das BMGS hat unter dem 24.05.2004 dazu ausgeführt: Die Zielgröße der versorgungsmedizinischen Begutachtung zur Feststellung eines GdB sei die Auswirkung einer durch eine Gesundheitsstörung verursachten Funktionseinschränkung auf Teilhabe an der Gesellschaft bzw. in allen Lebensbereichen. Beim Diabetes mellitus orientiere sich diese Größe an Typ der Erkrankung, Einstellbarkeit und Art und Ausmaß von Komplikationen. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat habe immer wieder bestätigt, dass diese Einteilung sachgerecht sei und auch heute dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Medizin entspreche. Diese Grundlage sei auch in der Formulierung der Neuauflage 2004 nicht verlassen worden. Es werde auf Aufsätze in der Zeitschrift "Der medizinische Sachverständige 2004, Nr. 1", zur Auseinandersetzung mit den Bewertungsvorschlägen der DGG verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Prozessakte verwiesen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß den §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden darf, ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung eines höheren GdB als 40, sodass der Bescheid des Beklagten vom 05.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2002, durch den die Erhöhung des GdB auf 50 abgelehnt wurde, rechtmäßig ist. Das entgegenstehende Urteil des SG ist daher aufzuheben.

Zu den Rechtsgrundlagen des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs einschließlich der Bedeutung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) verweist der Senat auf die zutreffende Darstellung des angefochtenen Urteils.

Zu Recht hat das SG auch darauf hingewiesen, dass die Klägerin unter Zugrundelegung der AHP, Stand 1996, auf die hier abzustellen ist, weil der Antrag der Klägerin auf Feststellung eines höheren GdB vom Juni 2002 als Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 29.10.2001 zu werten ist, keinen Anspruch auf Anerkennung eines höheren GdB als 40 hat. Nach den AHP ist ein GdB von 40 anzuerkennen, wenn der Diabetes mellitus durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar ist. Ein GdB von 50 kommt nur dann in Betracht, wenn der Diabetes schwer einstellbar ist (häufig bei Kindern) und auch gelegentliche, ausgeprägte Hypoglykämien vorkommen. Häufige, ausgeprägte Hypoglykämien sowie Organkomplikationen sind ihren Auswirkungen entsprechend zusätzlich zu bewerten.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den von der Beklagten und dem SG beigezogenen Befundberichten, dass der Kohlenhydratstoffwechsel der Klägerin sehr gut eingestellt ist und es bisher nur einmal zu einer schweren Hypoglykämie gekommen ist. Auch diabetische Folgeschäden sind bisher nicht dokumentiert. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, seelisch, "bis hin zu leichten Depressionen" unter der Erkrankung zu leiden, ist trotz ausdrückliche Hinweises des Senats bisher kein ärztlicher Befund vorgelegt worden, aus dem sich eine entsprechende Beeinträchtigung von Krankheitswert ergibt. Der von der Klägerin nach der Beratung der Sache durch den Senat vorgelegte Schriftsatz vom 20.10.2004 und der beigefügte Arztbrief des W.-Klinikums K. vom 20.01.04 sowie der am 11.11.2004 übersandte Arztbrief der Klinik vom 03.11.2004 führen weder zu einer anderen Beurteilung noch bieten sie Anlass für weitere Ermittlungen. In dem Arztbrief vom 20.01.2004 wird die Stoffwechseleinstellung als gut bezeichnet. Unter der Anamnese ist angegeben, dass die Stoffwechseleinstellung unkompliziert sei und weder Ketosen noch Hypogykämien aufgetreten seien. Eine durch die Erkrankung ausgelöste Depression oder sonstige Folgeerkrankungen sind weder im Arztbrief noch im Schriftsatz der Klägerin vom 20.10.2004 erwähnt. Soweit diese von einer nach der im Arztbrief vom 20.01.2004 dokumentierten Untersuchung eingetretenen "Verschlechterung der Werte" berichtet, beträgt diese nach dem jüngst vorgelegten Arztbrief vom 03.11.2004 lediglich 1%; schwere Hypoglykämien oder Ketosen sind anamnestisch nicht festgestellt worden. Zudem ergibt sich aus dem ärztlichen Bericht, dass die Verschlechterung der Einstellung des Kohlenhydratstoffwechsels nach den eigenen Angaben der Klägerin auf der wegen einem Trauerfall vernachlässigten Selbstkontrolle beruht. In dem Brief wird darauf verwiesen, dass bei engerer Selbstkontrolle die Werte sicher wieder zu stabilisieren seien. Es gibt damit keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass nunmehr vom Vorliegen eines schlecht einstellbaren Diabetes auszugehen ist.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass die gute Einstellung des Stoffwechsels Folge des von ihr betriebenen Therapieaufwandes sei, der gerade einen GdB von 50 rechtfertige, ist dem nicht zu folgen. Die AHP 1996 unterscheiden, wie auch die Neuauflage 2004, bei der GdB-Bewertung nicht nach dem Therapieaufwand, sondern stellen im Wesentlichen ab auf den Typ der Erkrankung (Diabetes mellitus Typ I oder II, klargestellt in den AHP 2004), auf Einstellbarkeit und Art und Ausmaß von Komplikationen.

Diese GdB-Bewertung ist hier zugrunde zu legen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) handelt es sich bei den AHP um antizipierte Sachverständigengutachten, deren Beachtlichkeit im konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sich daraus ergibt, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet ist, wenn die verschiedenen Behinderungen nach gleichen Maßstäben beurteilt werden; zum anderen stellen die AHP ein geeignetes, auf Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des GdB dar. Sie sind allerdings wie untergesetzliche Normen zu prüfen: auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetz und Verfassung, auf Berücksichtigung des gegenwärtigen Kenntnisstandes der sozialmedizinischen Wissenschaft sowie auf Lücken in Sonderfällen, die wegen der individuellen Verhältnisse gesondert zu beurteilen sind (BSG; Urt. v. 18.09.2003, Az.: B 9 SB 3/02 R in SozR 4-3250 § 69 Nr. 2, m.w.N.). Gegen eine solche Anwendung der AHP bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluss vom 06.03.1995, Az.: 1 BvR 60/95, SozR 3-3870 § 3 Nr. 6, ausgeführt hat. Der Senat sieht daher keinen Anlass, dem Hilfsantrag der Klägerin zu folgen und die Sache dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen.

Im vorliegenden Fall spricht unter Anwendung der oben dargelegten Grundsätze nichts gegen die Anwendung der AHP 1996. Entgegen der Auffassung des SG ist nicht festzustellen, dass die AHP insoweit nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen. Das SG hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass das BMA bei der Neufassung der AHP 1996 einem Vorschlag des Ausschusses Soziales der DGG zur Novellierung der Bewertung des Diabetes mellitus ohne Begründung nicht gefolgt sei. Es hat sich dabei auf einen Beitrag des genannten Ausschusses in "Diabetes und Stoffwechsel" 7 (1998) , S. 37 ff bezogen. Darin ist dargestellt, dass der Ausschuss dem BMA im Rahmen der Beteiligung an der Novellierung der AHP im November 1994 einen Vorschlag übermittelt habe, der folgende Formulierung zur Neufassung des Kapitels 26.15 Stoffwechsel, innere Sekretion enthalten habe:

"(.....) Diabetes mellitus GdB behandelt mit Diät

- ohne blutzuckerregulierende Medikation 10
-und Kohlenhydratresorptionsverzögerern oder Biguaniden (d.h. orale Antidiabetika, die allein nicht zur Hypoklykämie führen) 20
- und Sulfonylharnstoffen (auch bei zusätzlicher Gabe anderer oraler Antidiabetika) ...... 30

- und einer Insulininjektion pro Tag (auch bei zusätzlicher Gabe anderer oraler Antidiabetika 40 -
mit zwei und mehr Insulininjektionen pro Tag oder mit Insulininfusionssystemen, je nach Häufigkeit der notwendigen Stoffwechselkontrollen 50-60

Manifestationen des Diabetes mellitus an Organen sowie außergewöhnliche psychoreaktive Störungen sind zusätzlich zu bewerten." Eine Begründung, warum das BMA von diesem Vorschlag des zuständigen Ausschusses der zuständigen Fachgesellschaft abgewichen sei, sei nicht erfolgt.

Aus diesen Ausführungen kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der entsprechende Vorschlag der DGG bei der Neufassung der AHP schlechthin nicht gewürdigt bzw. einfach übergangen worden ist, die AHP somit neuere Entwicklungen der Wissenschaft außer Acht lassen. Vielmehr wird aus der vom Senat eingeholten Auskunft des BMGS vom 24.05.2004 ersichtlich, dass es für den Ärztliche Sachverständigenbeirat sachliche Gründe gibt, die gegen die Übernahme des Vorschlags sprechen. Das BMGS hat insoweit auf die Beiträge von Rösner et al in der Zeitschrift "Der medizinische Sachverständige", Heft 1/2004, S. 27 ff verwiesen. Darin ist für den Senat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass die Fassung der AHP 1996 dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Zunächst haben die Autoren darauf verwiesen, dass die in die AHP aufgenommenen Beurteilungskriterien nie auf Einzelmeinungen beruhen, auch nicht auf der Meinung einzelner Fachgesellschaften. Auch wenn die DGG sich für ihren Vorschlag auf renommierte Wissenschaftler stützen kann, ist daraus somit nicht per se zu schließen, dass die Ablehnung dieses Vorschlages gegen den Stand der Wissenschaft verstößt.

Weiterhin ist in dem Beitrag nachvollziehbar dargestellt, dass die Bewertungsmaßstäbe des Diabetes mellitus in den AHP sachgerecht sind. Sie stellen, wie oben bereits ausgeführt, im Wesentlichen auf die Art der Erkrankung und der sich aus ihr ergebenden Funktionseinschränkung ab. Rösner et al weisen darauf hin, dass die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden auf Dauer bestehenden Funktionseinbußen beim Diabetes durch die Folgeerkrankungen sowie durch die behandlungsbedingten Beeinträchtigungen und Risiken bestimmt werden. Bei insulinpflichtigen Betroffenen ergeben sich diese in erster Linie durch die Probleme bei der Einstellung einer Stoffwechselkonstanz im Bereich der Zielzuckerblutwerte, weniger durch die Anzahl der Stoffwechselkontrollen oder Injektionen. Aufgrund der Pathogenese der Erkrankung treten diese Probleme bei einem Typ I-Diabetiker, insbesondere bei Heranwachsenden, vorrangig in Erscheinung. Diesen unterschiedlichen Grundlagen wird in den AHP durch die unterschiedliche Bewertung des Typ I und des Typ II-Diabetikers Rechnung getragen. Insofern ist noch anzumerken, dass diese Unterscheidung in den nunmehr neu gefassten AHP 2004 ausdrücklich formuliert ist. Auch bei der aktuellen Neufassung der AHP ist man also bewusst bei der früher gewählten Differenzierung geblieben.

Zu der Kritik der DGG, dass die Stoffwechsellage manipulierbar sei und damit u.a. derjenige belohnt werde, der die Therapieempfehlungen nicht einhalte, ist in dem Beitrag überzeugend ausgeführt, dass dies sowohl im Schwerbehindertenrecht als auch in anderen sozialmedizinischen Bereichen gilt. So kann auch bei anderen Erkrankungen durch ungesunde Lebensweise oder Nichteinhalten von Therapiemaßnahmen eine Verschlimmerung des Leidens eintreten, die letztlich zu einer GdB-Erhöhung führt. Zu Recht weisen die Autoren aber darauf hin, dass dies sicher nicht der Regelfall ist und diese Problematik sich auch bei Anwendung des auf den Therapieaufwand abgestellten Vorschlags der DGG ergeben kann. So könnte z.B. ein übergewichtiger Diabetiker vom Typ II durch mehrere Insulingaben eine ausreichende Stoffwechseleinstellung erreichen, würde aber bei ausreichender Gewichtsreduktion möglicherweise gar kein Insulin benötigen. Er würde jedoch nach dem Vorschlag der DGG einen GdB von 50-60 erhalten und somit für die Non-Compliance bei der Gewichtsreduktion belohnt. Angesichts der Tatsache, dass es bei vielen Erkrankungen nicht ohne weiteres feststellbar ist, ob und wieweit sie auf dem Verhalten des Betroffenen beruhen, und weil durchaus unterstellt werden kann, dass ein Betroffener im eigenen Interesse die Aufrechterhaltung seiner Gesundheit anstrebt, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass im Bezug auf die Auswirkungen einer Erkrankung nach dem Schwerbehindertenrecht auf die vorliegenden Funktionseinschränkungen unabhängig von ihrer Kausalität abgestellt wird. Im Übrigen lässt sich z.B. durch das Merkmal der "Einstellbarkeit" gerade bei der Diabetes im Einzelfall mit einbeziehen, ob und wieweit der Betroffene zur bestehenden Stoffwechsellage beiträgt. Soweit bzgl. des Begriffes der Einstellbarkeit in dem Beitrag von Kriegstein Kritik an der Formulierung der AHP geäußert wird, vermag dies nicht deren Eignung zur Beurteilung der Diabetes in Frage zu stellen. Die darin geäußerten Problem beziehen sich auf die Schwierigkeit der Einschätzung des Einzelfalls, noch dazu nicht in Bezug auf die AHP, sondern auf Leitlinien der DGG. Es ist jedoch klar, dass die in den AHP zwangsläufig schematische Bewertung im Einzelfall zu Schwierigkeiten bei der Einordnung führen kann. Die grundsätzliche Eignung zur Bewertung der Behinderung wird dadurch nicht in Frage gestellt.

Soweit die Ausführungen von Kriegstein in dem von der Klägerin übersandten Beitrag dahingehend zu verstehen sind, dass die Festsetzung eines unterschiedlichen GdB für insulinpflichtige Diabetiker nach dem Typ der Erkrankung in den AHP kritisiert wird, bezieht sich dies im Wesentlichen auf die Neufassung der AHP 2004 und greift im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil der Klägerin als Typ I -Diabetikerin auf jeden Fall der im Vergleich höhere GdB von 40 zusteht. Ob darin eine Benachteiligung der Typ II- Diabetiker liegt, ist für den vorliegenden Rechtstreit ohne Belang.

Aus den Hinweisen Kriegsteins ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht zwingend, dass für Betroffene mit der Notwendigkeit mehrer Insulingaben am Tag ein GdB von 50-60 (entsprechend dem Vorschlag der DGG) angemessen ist. Die von Kriegstein herausgestellte Tatsache, dass Hypoglykämien bei einer normnahen Einstellung eines Typ I -Diabetikers krankheitsimmanent sind, wird gerade auch von Rösner et al betont. Dieser weist jedoch darauf hin, dass der Umgang mit solchen Symptomen und adäquaten Verhaltensweisen im Rahmen von Schulungen und Reha-Maßnahmen trainiert wird, sodass davon auszugehen ist, dass der "gut einstellbare Diabetiker" die sich daraus ergebenden Gesundheitsgefahren und mögliche Funktionseinschränkungen abfangen kann. Ist dies nicht der Fall und treten häufige, ausgeprägte Hypoglykämien mit Bewusstseinsverlust und Fremdhilfebedarf auf, rechtfertigt dies nach den AHP den höheren GdB von 50.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass alle mit Insulin behandelten Diabetiker gleichermaßen an der Teilhabe an der Gesellschaft gehindert sind.

Dies lässt sich z.B. gerade nicht aus den von Kriegstein in Bezug genommenen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (siehe das Gutachten "Krankheit und Verkehr" ) entnehmen. In dem Gutachten wird für die Frage der Fahreignung nur teilweise auf die Therapie des Diabetes abgestellt - so werden etwa mit Insulin behandelte Diabetiker wegen der grundsätzlich bestehenden Hypoglykämiegefahr nicht als in der Lage angesehen, Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 zu führen (dies sind etwa Fahrzeuge über 3,5 t )- die Fahreignung für leichtere Fahrzeuge steht aber nur dann in Frage, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, Hypoglykämien mit ausgprägten Symptomen rechtzeitig zu bemerken und zu behandeln. Auch hier wird also nach der Häufigkeit und Schwere der Hypoglykämien differenziert, sodass nicht der Schluss gezogen werden kann, alle mit Insulin behandelten Diabetiker würden gleichermaßen von der Möglichkeit der Führung eines Kfz ausgeschlossen.

Soweit Kriegstein die Nachteile aufzählt, die Diabetikern trotz bestehender Nachteile, etwa der Verschlossenheit bestimmter Berufe, durch die Nichtanerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft entstehen, stehen diese außer Frage. Allein dies rechtfertigt es jedoch nicht, dieser Gruppe von Erkrankten die Eigenschaft zuzugestehen, vielmehr muss sich dies auch im Vergleich zu anderen Erkrankten als richtig erweisen. Bei vielen Behinderungen sind, wie bei Diabetes, die Möglichkeiten zur Ausübung bestimmter Berufe eingeschränkt, auch wenn ein GdB von 50 nach den AHP nicht in Betracht kommt. Beispielhaft sei insoweit auf den Verlust beider Daumen verwiesen, der nach den AHP einen GdB von 40 bedingt, sicherlich aber einen Großteil von Berufen mit manuellen Tätigkeiten einschränkt. Der Senat hat daher keine Bedenken, der Einschätzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirates zu folgen, der den "gut einstellbaren Diabetiker" ausgehend von der Summe der Funktionseinschränkungen im Alltag (nur) mit einem GdB von 40 bewertet.

Ausgehend von dem Obengesagten bestehen auch keine Bedenken gegen die Bewertung des Diabetes mellitus Typ I nach den AHP 2004, die gegenüber den AHP 1996 lediglich eine Klarstellung zur Unterscheidung der Diabetestypen enthalten. Da eine Verschlechterung der Erkrankung der Klägerin nach dem Obengesagten nicht festzustellen ist, kommt die Anerkennung eines höheren GdB auch dann nicht in Betracht, wenn man ihren Antrag vom Juni 2002 an den Beklagten als Verschlimmerungsantrag versteht, wie es der Beklagte im Bescheid vom 05.07.2002 getan hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 SGG nicht vorliegen.