Thüringer Landessozialgericht - L 6 SF 238/12 B - Beschluss vom 21.03.2012
Voraussetzung für die Auslösung einer Terminsgebühr ist eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung, an der beide Seiten mitgewirkt haben. Damit wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für außergerichtliche Einigungen schaffen. Eine solche Besprechung liegt vor, wenn der Beschwerdeführer und die Beklagte telefonisch konkret (nicht nur allgemein und hinsichtlich einer abstrakten Möglichkeit einer außergerichtlichen Erledigung) über den Abschluss eines Vergleichs verhandeln. Dies ist für die Terminsgebühr ausreichend.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen (Az.: S 11 AS 2988/08) streitig.
Am 22. September 2008 erhob die von dem Beschwerdegegner vertretene Klägerin Klage gegen einen Bescheid der Beklagten (Grundsicherungsamt eines Landkreises) vom 20. September 2007 in der Fassung von fünf Änderungsbescheiden, einen Bescheid vom 21. April 2008 in der Fassung von zwei Änderungsbescheiden und des Widerspruchsbescheids und beantragte in der Hauptsache, höhere Heizkosten zu übernehmen und von einem höheren Abzug für die Kosten von Warmwasserbereitung abzusehen. Die Beklagte erließ am 16. April 2009 einen Änderungsbescheid. Mit Beschluss vom 6. Mai 2009 gewährte das SG der Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung und ordnete den Beschwerdegegner bei. Im Rahmen von außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen erklärte sich die Beklagte bereit, zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten zu übernehmen. Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2009 stellte der Beschwerdegegner für die Klägerin die Erledigung des Klageverfahrens fest und beantragte in seiner Kostenrechnung vom 19. Mai 2009 die Festsetzung von 839,55 Euro: Verfahrensgebühr Nr. 3103, 3102 VV-RVG 230,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG 200,00 Euro Einigungsgebühr Nr. 1006, 1005 VV-RVG 220,00 Euro 650,00 Euro Pauschale Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG 20,00 Euro Dokumentenpauschale für 120 Seiten (Nr. 7000 Nr. 1a VV-RVG 35,50 Euro 705,50 Euro MWSt 134,05 Euro Gesamtbetrag 839,55 Euro
Mit Verfügung vom 18. Juni 2009 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Gebühren auf 523,60 Euro und führte aus, eine Terminsgebühr komme mangels Termin nicht in Betracht. Auch sei kein vollumfängliches Anerkenntnis abgegeben worden. Hinsichtlich der Einigungsgebühr sei die Mittelgebühr (190,00 Euro) angemessen, denn Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Leistung seien durchschnittlich gewesen. Die Dokumentenpauschale komme mangels Akteneinsicht nicht in Betracht.
Am 31. Juli 2009 hat der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt und sich gegen die Ablehnung der Termins- und die Kürzung der Einigungsgebühr gewandt. Auf gerichtliche Anfrage hat die Beklagte unter dem 15. Juli 2010 mitgeteilt, am 14. Mai 2009 sei ein Telefonat mit dem Beschwerdegegner durchgeführt worden, in der "man sich grundsätzlich auf eine Kostenquote von 90 % einigte". Der Beschwerdegegner hat ergänzt, es sei auch um die weiteren Vergleichsbedingungen gegangen. Unter dem 15. Juni 2011 hat der Beschwerdeführer ein Teilanerkenntnis hinsichtlich der Einigungsgebühr abgegeben, das der Beschwerdegegner am 10. August 2011 angenommen hat.
Mit Beschluss vom 3. Januar 2012 hat das Sozialgericht den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Juni 2009 abgeändert und "die dem Kläger zu erstattenden Kosten" auf 797,30 Euro festgesetzt. Zur Begründung hat es auf die Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) hingewiesen. Abzustellen sei allein darauf, ob es zu außergerichtlichen Gesprächen gekommen sei, nicht dagegen, dass das Verfahren vermieden oder erledigt wurde. Von Besprechungen seien auch telefonische Gespräche umfasst. Angemessen sei hier die Mittelgebühr in Höhe von 200,00 Euro.
Gegen den am 19. Januar 2012 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 26. Januar 2012 mit E-Mail ("zur Fristwahrung") und am 1. Februar 2012 schriftlich Beschwerde eingelegt und sich zur Begründung auf seine Anträge und die Ausführungen der UKB bezogen.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 3. Januar 2012 aufzuheben und die Vergütung des Beschwerdeführers auf 559,30 Euro festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen im Beschluss des SG Nordhausen vom 3. Januar 2012.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 16. Februar 2012) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren mit Beschluss vom 16. März 2012 dem Senat übertragen.
II.
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 15. März 2011 - Az.: L 6 SF 975/10 B, 25 Oktober 2010 - Az.: L 6 SF 652/10 B, 26. Januar 2009 - Az.: L 6 B 256/08 SF; 16. Januar 2009 - Az.: L 6 B 255/08 SF, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro. Sie ist auch innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses vom 3. Januar 2012 eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 S. 3 RVG). Angesichts des Eingangs des Beschwerdeschriftsatzes beim Sozialgericht am 1. Februar 2012 kommt es auf die Einlegung mit einfacher E-Mail nicht an. Zur Vollständigkeit weist der Senat darauf hin, dass diese Möglichkeit auch bei Beschwerden nicht in Betracht kommt. Nach § 33 Abs. 7 S. 1 1.Halbs. RVG können Anträge und Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich erklärt werden. Die Einlegung mit einem elektronischen Dokument entsprechend § 130a der Zivilprozessordnung (ZPO) scheidet aus, weil die Landesregierung des Freistaats Thüringen diese Möglichkeit noch nicht eröffnet hat.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Die Klägerin, der PKH gewährt wurde, war kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG). Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - Az.: L 6 SF 808/10 B, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF, 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF, 14. März 2001 - Az.: L 6 B 3/01 SF; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rdnr. 13 f.; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, § 14 Rdnr. 12). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2010 - Az.: L 6 SF 808/10 B; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 – Az.: L 1 B 320/05 SF SK, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Vorab weist der Senat darauf hin, dass der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung insoweit unrichtig war, als nicht dem Kläger, sondern dem Erinnerungsführer seine Gebühren (nicht "Kosten") festzusetzen waren. Insoweit erfolgt eine Berichtigung dieses Beschlusses entsprechend § 138 S. 1 SGG von Amts wegen durch den erkennenden Senat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - Az.: 6 PB 17/06, nach juris).
Keine Bedenken bestehen hinsichtlich der Festsetzung der Verfahrens- und Einigungsgebühr. Nachdem zwischen den Beteiligten die Höhe der Einigungsgebühr nicht mehr streitig ist und kein Anhalt für eine fehlerhafte Festsetzung besteht, erübrigen sich weitere Ausführungen.
Der Beschwerdegegner hat zudem Anspruch auf Festsetzung einer Terminsgebühr in Höhe der Mittelgebühr von 200,00 Euro nach Nr. 3106 VV-RVG zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG. Sie ist nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alt. 3 VV-RVG entstanden. Die Gebühr entsteht danach für die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber. Voraussetzung für die Auslösung einer Terminsgebühr nach dieser Alternative ist also eine auf die Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung, an der beide Seiten mitgewirkt haben (vgl. Thüringer FG, Beschluss vom 16. Mai 2011 - Az.: 4 Ko 772/10, nach juris). Damit wollte der Gesetzgeber einen Anreiz für außergerichtliche Einigungen schaffen (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 209). Eine solche Besprechung hat am 14. Mai 2009 stattgefunden; dort haben der Beschwerdeführer und die Beklagte telefonisch konkret (nicht nur allgemein und hinsichtlich einer abstrakten Möglichkeit einer außergerichtlichen Erledigung, vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 - Az.: XI ZB 38/05, nach juris) über den Abschluss eines Vergleichs verhandelt. Dies ist für die Terminsgebühr ausreichend (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2006 - Az.: II ZB 6/06 m.w.N., nach juris; Sächsisches LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - Az.: L 6 AS 438/10 B KO; Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 4. Auflage 2009, Vorbemerkung 3 Rdnr. 50).
Diesem Ergebnis stehen nicht die Beschlüsse des erkennenden Senats vom 26. Januar 2009 - Az.: L 6 B 130/08 SF und 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF entgegen. Dort hatten keine entsprechenden Besprechungen der Verfahrensbeteiligten stattgefunden.
Nachdem der Beschwerdeführer auf die Entscheidung der Vorinstanz inhaltlich nicht eingegangen ist, erübrigen sich weitere Ausführungen. Hinsichtlich der Gebührenhöhe verweist der Senat auf deren Ausführungen.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).