LSG NRW - L 6 VG 10/05 - Urteil vom 14.02.2006
Spondylarthrotische Veränderungen der Wirbelsäule zeigen auf, dass eine erhebliche Vorschädigung bestanden hat. Eine derartig vorgeschädigte Wirbelsäule ist zwar leichter verletzungsanfällig, aber es hat dennoch eine Abwägung stattzufinden, ob die Vorschädigung die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Schadenseintritt war oder dem schädigenden Ereignis trotz Vorschädigung wenigstens die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache beizumessen ist.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Versorgungsanspruch nach
dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung
mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Die 1941 geborene Klägerin stellte am 23.10.2000 bei dem Beklagten den Antrag,
ihr Versorgung nach dem OEG wegen eines Lendenwirbelsäulen-, eines
Halswirbelsäulen- und eines Beckenleidens zu gewähren. Sie sei am 15.06.2000 auf
dem Weg zu Aldi von einem ihr unbekannten Mann völlig unerwartet und wortlos auf
die Fahrbahn gestoßen worden, wo sie der Länge nach auf dem Rücken gelegen habe.
Sie habe sich dann schnellstens wieder auf den Bürgersteig bewegt und dem
Geschäftsführer von Aldi den Vorgang geschildert. Dieser habe die Polizei
alarmiert und der Täter sei festgenommen worden. Seit dem Vorfall leide sie an
Dauerschmerzen, die durch ärztliche Behandlungen und Krankengymnastik nicht
hätten gelindert werden können.
Der Beklagte holte Befundberichte des Neurochirurgen Dr. Co. vom 22.11.2000 und
des Internisten Dr. Ca. vom 26.05.2001 ein und zog die Akten des
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens bei (Staatsanwaltschaft
Bielefeld, 63 Js 166/01 - Verfahren eingestellt wegen Schuldunfähigkeit des
psychisch kranken Täters). Anschließend ließ der Beklagte die Klägerin von dem
Sachverständigen Dr. O. fachorthopädisch begutachten. Dr. O. gelangte in seinem
Gutachten vom 22.08.2001 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin Prellungen der
Wirbelsäule und des Rumpfes erlitten habe, die inzwischen abgeklungen seien. Die
bei ihr bestehenden Veränderungen und Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule
(HWS) sowie ein aufgetretener Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule (LWS)
stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Sturz auf die Straße. Der
Sturz sei in unfallmechanischer Hinsicht nicht geeignet gewesen, einen
Bandscheibenvorfall zu verursachen. Für die geklagten Beschwerden seien
anlagebedingte Schäden ursächlich.
Mit Bescheid vom 14.09.2001 erkannte der Beklagte "Prellungen der Wirbelsäule
und des Rumpfes" als Schädigungsfolgen des Ereignisses vom 15.06.2000 und einen
Heilbehandlungsanspruch für 6 Monate nach Schädigung an. Darüber hinaus lehnte
er den Antrag der Klägerin auf Versorgung nach dem OEG ab.
Auf den ausführlich begründeten Widerspruch der Klägerin vom 08.10.2001 holte
der Beklagte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. O. vom 07.02.2002 ein. Dieser
bekräftigte seine vorige Auffassung, dass bei der Klägerin unzweifelhaft
anlagebedingte Schädigungen bestünden. Die vorgefundenen Röntgenaufnahmen würden
Veränderungen aufzeigen, die zu ihrer Entstehung Jahre bis Jahrzehnte
benötigten. Im Hinblick auf diese Stellungnahme wies der Beklagte den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2002 zurück.
Die Klägerin hat am 23.04.2002 Klage beim Sozialgericht (SG) Detmold eingelegt
und weiterhin Leistungen nach dem OEG geltend gemacht.
Das SG hat zunächst den Facharzt für Orthopädie, Dr. T., zum Sachverständigen
bestellt. Auf die Beschwerde der Klägerin, dass nur ein Neurochirurg für die
streitige Frage fachlich ausreichend qualifiziert sei, ist die Beweisanordnung
geändert und der Neurochirurg Prof. Dr. B. um die Erstellung eines Gutachtens
gebeten worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 05.05.2003 die Auffassung
vertreten, dass der Bandscheibenvorfall der LWS als Schädigungsfolge angesehen
werden müsse. Das Schädigungsereignis erfülle die Kriterien eines adäquaten
Traumas, weil die Klägerin aufgrund des Überraschungsmoments keine
reflektorischen Abstützvorgänge habe vornehmen können. Zwar gehe aus den
radiologischen Befunden hervor, dass bei der Klägerin im Bereich der LWS bereits
vor dem Ereignis degenerative Veränderungen bestanden hätten. Ein gewisses Maß
an Vorschädigung mit gesteigerter Verletzlichkeit der Bandscheiben sei aber bei
jedem Menschen - vor allem im mittleren Lebensalter - vorauszusetzen. Es bestehe
ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis und den Beschwerden, da
die Klägerin vorher beschwerdefrei gewesen sei. Auch im Bereich der HWS seien
degenerative Veränderungen nachzuweisen. Die hier noch bestehenden Beschwerden
der Klägerin könnten nicht ursächlich auf die Gewalttat zurückgeführt werden.
Für die Dauer des ersten Jahres nach dem Ereignis seien die glaubhaft
angegebenen Beschwerden jedoch als schädigungsbedingt zu beurteilen. Für das
erste Jahr nach der Schädigung werde eine MdE von 40 v.H., danach von 30 v.H.
vorgeschlagen.
Das SG hat die Akten des Schwerbehindertenverfahrens beigezogen sowie einen
weiteren Befundbericht von Dr. Ca. vom 01.09.2003 eingeholt. Auf die Rüge der
Klägerin, sie habe zu beidem ihr Einverständnis nicht erklärt, hat das SG die
Schwerbehindertenakte zurückgesandt. Anschließend hat es den Sachverständigen
Dr. T. mit der Erstattung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. Die
Klägerin hat mitgeteilt, dass sie ein Gutachten eines Orthopäden ablehne, wohl
aber bereit sei, sich von einem Neurochirurgen untersuchen zu lassen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.04.2005 hat die Klägerin neben dem
Antrag in der Sache begehrt, einen Obergutachter zu der Frage zu hören, welcher
Arzt mit welcher Fachrichtung zur Begutachtung in Betracht komme (Orthopäde oder
Neurochirurg).
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.04.2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es
angeführt, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Sturz und dem
Bandscheibenvorfall nicht wahrscheinlich sei. Die Kriterien, die die herrschende
medizinische Lehrmeinung für einen solchen Zusammenhang aufgestellt habe, seien
nicht erfüllt. Das Ereignis sei zwar Anlass, nicht aber wesentliche Ursache im
Sinne des sozialen Entschädigungsrechts gewesen. Die Ausführungen von Prof. Dr.
B. hätten nicht überzeugen können. Eine weitere Aufklärung durch ein
orthopädisches Gutachten habe die Klägerin abgelehnt. Es sei nicht indiziert,
ein neurochirurgisches Gutachten einzuholen, da Orthopäden die biomechanische
Wirkung verschiedener Sturzabläufe besser beurteilen könnten. Ein Obergutachten
zu dieser Frage habe nicht eingeholt werden müssen.
Die Klägerin hat gegen das am 20.05.2005 zugestellte Urteil am 30.05.2005
Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass das Unfallereignis
geeignet gewesen sei, einen Bandscheibenvorfall auszulösen. Anspruchsgrundlage
sei § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 249 BGB. Da das OEG
Ansprüche eines Geschädigten gegen den Schädiger auf die öffentliche Hand
überleite, müsse auch im OEG vom Kausalitätsbegriff des Zivilrechts ausgegangen
werden. An der naturwissenschaftlichen Ursächlichkeit zwischen Sturz und
Bandscheibenvorfall bestehe kein Zweifel. Der Begriff der wesentlichen Bedingung
des BVG gelte nicht. Soweit das OEG auf das BVG verweise, handele es sich
lediglich um eine Rechtsfolgen-, nicht aber um eine Rechtsgrundverweisung. Die
Tatsache, dass die Klägerin an Vorschäden gelitten habe, könne die Kausalität
nicht ausschließen. Hier sei zunächst zu beachten, dass die Klägerin vor dem
schädigenden Ereignis beschwerdefrei gewesen sei. Im Übrigen müsse nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) der Schädiger, der einen Kranken
verletze, sogar ein Mehr an Schadensersatz leisten. Soweit der im
Berufungsverfahren gehörte Sachverständige Prof. Dr. H. diesen Grundsatz nicht
berücksichtige, sei sein Gutachten menschenverachtend und damit nicht
verwertbar.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 14. April 2005 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 zu verurteilen, bei ihr ein Halswirbelsäulenschleudertrauma und einen Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulenbereich als Schädigungsfolge aufgrund der erlittenen Gewalttat vom 15.06.2000 anzuerkennen und Beschädigtenversorgung nach einer MdE von 40 v. H. und Heilbehandlung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen aufgrund der Antragstellung am 23.10.2000 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend und
sieht sich im Übrigen durch die Beweisermittlung im Berufungsverfahren
bestätigt.
Der Senat hat ein Gutachten des Neurochirurgen Prof. Dr. H. vom 04.10.2005
eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die
Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem Sturz und dem
Bandscheibenvorfall der LWS nicht gegeben seien. Zwar bestehe ein zeitlicher
Zusammenhang zwischen der Gewalteinwirkung und dem Auftreten der Symptome.
Allerdings stelle das Sturzereignis kein ausreichend schweres Trauma - nach der
herrschenden Meinung entsprechend einem Sturz aus großer Höhe oder einem
Autounfall mit Deformierung der Fahrgastzelle - dar. Auch sei bei der Klägerin
von einer deutlichen Degeneration bzw. Vorschädigung auszugehen. Der Sturz habe
den Bandscheibenvorfall nur ausgelöst, nicht aber wesentlich bedingt. Im Bereich
der HWS könne es zu einer Prellung gekommen sein. Diese heile jedoch zügig ab.
Dauerfolgen über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten ließen sich hieraus nicht
ableiten.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf den
Inhalt der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Diese waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom
14.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 ist nicht
rechtswidrig. Zutreffend hat es der Beklagte abgelehnt, weitere
Schädigungsfolgen festzustellen, die über die bereits anerkannten
Schädigungsfolgen "Prellungen der Wirbelsäule und des Rumpfes" hinausgehen sowie
eine Versorgungsrente zu zahlen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der
Senat auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insofern von
einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Das SG
hat die entscheidungserheblichen Kriterien zutreffend und den Senat überzeugend
dargestellt. Die dort getroffenen Feststellungen werden durch das im
Berufungsverfahren eingeholte Gutachten von Prof. Dr. H. vom 04.10.2005
bestätigt. Obwohl ein Facharzt für Orthopädie die Beweisfragen hätte ebenso
beantworten können, ist der Senat dem Wunsch der Klägerin nachgekommen und hat
einen Arzt für Neurochirurgie gehört. Nach dem Gutachten des Sachverständigen
kommen traumatische Bandscheibenschädigungen nur bei einer Häufigkeit von unter
2 % vor. Übereinstimmend mit allen anderen Gutachtern geht Prof. Dr. H. im
Weiteren von einer erheblichen Vorschädigung der Wirbelsäule der Klägerin aus.
Schließlich bestätigt er die Ausführungen des SG dazu, dass der Sturz der
Klägerin keine ausreichende Gewalteinwirkung für einen Riss der Bandscheibe
darstellt, weil sich ein Sturz aus Körperhöhe auch dann nicht mit einem Sturz
aus großer Höhe oder einer Autokollision mit Deformierung der Fahrgastzelle
vergleichen lasse, wenn Schutzreflexe wegen des Überraschungsmoments vermindert
seien.
Die vom SG getroffenen und von Prof. Dr. H. bestätigten Feststellungen stimmen
mit den für die Beurteilung im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen
"Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004" (Anhaltspunkte)
überein. Die Anhaltspunkte geben im Bereich der Kausalitätsbeurteilung die
maßgebende herrschende medizinische Lehrmeinung wieder. Die Eigenart und
Ausprägung der bei der Klägerin mit bildgebenden Verfahren aufgefundenen
spondylarthrotischen Veränderungen an der Wirbelsäule, d.h. die Degeneration
bzw. Hypertrophie der kleinen Wirbelgelenke zeigen nach der Beurteilung aller
Sachverständigen, dass eine erhebliche Vorschädigung bestanden hat. Derartige
Veränderungen setzen einen jahrelangen Veränderungsprozess voraus. Diese
Auffassung wird durch Nr. 128 (7) der Anhaltspunkte bestätigt. Danach entsteht
eine - wie bei der Klägerin vorgefundene - Spondylarthrose im Wesentlichen dann,
wenn eine Bandscheibe durch einen Flüssigkeits- und Elastizitätsverlust
degeneriert ist. Hier wird auch hervorgehoben, dass traumatische
Bandscheibenschädigungen selten sind und insbesondere dann auftreten, wenn es zu
weiteren Verletzungen im Umgebungsbereich gekommen ist, so z.B. bei
Wirbelkörperbrüchen an der benachbarten Zwischenwirbelscheibe oder bei Stich-
und Schussverletzungen, die die Bandscheibe direkt treffen. Nach aktueller
medizinischer Lehrmeinung müssen mindestens minimale Begleitverletzungen
vorliegen, damit ein Bandscheibenvorfall als unfallbedingt gewertet werden kann
(vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02 m.w.N.). Entsprechende
Verletzungen sind bei der Klägerin nicht festgestellt worden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt es im Opferentschädigungsrecht
nicht, dass die Gewalttat den Bandscheibenvorfall im naturwissenschaftlichen
Sinn verursacht hat (Condition sine qua non). Vielmehr beurteilt sich der
Ursachenzusammenhang allein nach der Kausalitätslehre von der wesentlichen
Bedingung. Mag sich ein weiterer Ursachenbegriff im Zivilrecht dadurch
rechtfertigen, dass im Zivilrechtsstreit ein Ausgleich zwischen Schädiger und
Geschädigtem erzielt werden soll, so kann dies nicht gleichermaßen auf die
Einstandspflicht des Staates im sozialen Entschädigungsrecht übertragen werden.
Anderenfalls würde die persönliche Risikosphäre des Geschädigten unangemessen
weit in den Verantwortungsbereich des Versorgungsträgers verlagert werden, mit
der Folge, dass die Allgemeinheit einen Schaden finanziell zu tragen hätte, der
eher zufällig durch eine "versicherte" Handlung ausgelöst worden ist.
Soweit die Klägerin ihre entsprechende Auffassung darauf stützt, dass das OEG
Ansprüche eines Geschädigten gegen den Schädiger (Anspruchsgrundlage § 823 Abs.
1 i.V.m. § 249 BGB) auf die öffentliche Hand überleite, verkennt sie die
Grundlagen des Opferentschädigungsrechts. Tatsächlich macht das OEG die
Geltendmachung eines Anspruchs gerade nicht von zivilrechtlichen Ansprüchen
abhängig, sondern begründet vielmehr einen originären Anspruch des Geschädigten
gegen die öffentliche Hand. Dieser Anspruch hängt gerade nicht davon ab, ob ein
Schädiger zu ermitteln ist, ob die Voraussetzungen für einen zivilrechtlichen
Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger bestehen und ob der
Geschädigte einen solchen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den
Schädiger tatsächlich geltend macht. Lediglich dann, wenn der Geschädigte
Leistungen nach dem OEG erhält, geht ein etwaiger Regressanspruch gegen den
Schädiger auf den Versorgungsträger über (§ 5 OEG). Dies aber beeinflusst die
Voraussetzungen eines Anspruchs des Geschädigten gegen den Versorgungsträger
nicht. Insoweit geht auch der Gedanke der Klägerin, das OEG stelle eine
Rechtsfolgenverweisung auf das BVG dar, fehl.
Die Klägerin irrt auch, wenn sie meint, die bei ihr bestehenden Vorschäden
könnten den Ursachenzusammenhang nicht ausschließen, sondern würden vielmehr zu
einer stärkeren Haftung führen. Diese Auffassung verkennt die im Sozialrecht
geltende Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Zwar ist eine
vorgeschädigte Wirbelsäule leichter verletzungsanfällig, so dass auch eine
geringere Gewalteinwirkung als bei einer Wirbelsäule mit gesunden Strukturen
einen weiteren Schaden hervorrufen kann. Grundsätzlich ist auch jeder in dem
gesundheitlichen Zustand geschützt, der im Zeitpunkt des schädigenden
Ereignisses bestand. Stets hat aber eine Abwägung stattzufinden, ob die
Vorschädigung (Krankheitsanlage) die rechtlich allein wesentliche Ursache für
den Schadenseintritt war oder dem schädigenden Ereignis trotz Vorschädigung
wenigstens die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache beizumessen ist (vgl.
LSG NRW, Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02). Eine Krankheitsanlage ist als
Ursache dann von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht
ansprechbar war, dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter
Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen
bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die
Erscheinungen verursacht hätte. War die Krankheitsanlage von überragender
Bedeutung, so ist eine weitere naturwissenschaftliche Ursache nicht als
wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen
Bedingung im Sinne des Sozialrechts aus; sie ist dann lediglich eine sogenannte
Gelegenheitsursache (BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in Breith 2005,
929 ff. m.w.N. zur st. Rspr.).
Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass das schädigende Ereignis in seiner
Bedeutung weit hinter die Vorschädigung der Wirbelsäule zurücktritt und durch
diese als wesentliche Bedingung für den Eintritt des Bandscheibenvorfalls
verdrängt wird. In Übereinstimmung mit der herrschenden medizinischen
Lehrmeinung hat das SG ausgeführt, dass beim Bestehen von spondylotischen
Veränderungen der Wirbelsäule - wie hier - in aller Regel bereits ein geringer
Zusatzimpuls genügt, um aktuelle klinische Symptome auszulösen. Ausreichender
Anlass seien bereits alltägliche Bewegungen wie etwa das Ausziehen eines Schuhs,
das Umdrehen im Bett, ein heftiger Husten- oder Niesanfall oder das Anheben
einer unbedeutenden Last in Körpervorneigung (vgl. hierzu auch Schönberger/Mehrtens,
Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 530; LSG NRW,
Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02). Es ist daher davon auszugehen, dass
entsprechende alltägliche Bewegungen den Bandscheibenvorfall der Klägerin hätten
auslösen können. Damit ist der tätliche Angriff lediglich als rechtlich
unbeachtliche Gelegenheitsursache zu werten.
Dem steht - anders als die Klägerin mit der Berufung meint - nicht entgegen,
dass sie vor dem Ereignis keine Beschwerden gehabt hat. Ein pathologisches
physisches Geschehen setzt nicht notwendigerweise voraus, dass sich dieses auch
klinisch manifestiert (vgl. auch Nr. 42 (1) der Anhaltspunkte). Vielmehr gehört
es zu den Besonderheiten gerade bandscheibenbedingter Veränderungen, dass diese
auch bei ausgeprägtem morphologischen Befund klinisch stumm vorliegen können
(vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02). Wird eine solch stumme
Krankheitsanlage symptomatisch, so belegt dies allein nicht die
schädigungsbedingte Entstehung des Bandscheibenvorfalls sondern - bei Fehlen von
Begleitverletzungen - vielmehr das Vorhandensein einer erheblichen und leicht
ansprechbaren Anlage für die Entwicklung eines solchen Vorfalls.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2
Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.