Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) für die Zeit vom 02.05. bis 31.10.2005 aufgehoben hat, weil der Kläger am 02.05.2005 eine Ausbildung zum Physiotherapeuten aufgenommen hat.

Dem 1970 geborenen Kläger war von der Beklagten mit Bescheid vom 25.11.2004 Alg II für die Zeit vom 01.01. bis 31.05.2005 bewilligt worden. Am 07.04.2005 hatte der Kläger der Beklagten schriftlich unter Vorlage des Ausbildungsvertrages mitgeteilt, dass er am 02.05.2005 eine Ausbildung zum Physiotherapeuten an der S.-Schule in Bad W. aufnehmen werde. Auf den bei der Beklagten am 02.05.2005 eingegangenen Weiterbewilligungsantrag bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 17.05.2005 Alg II für die Zeit vom 01.06. bis 31.10. 2005. Der Bescheid enthält folgenden Zusatz: "Sollten Sie die S.-Schule in Bad W. besuchen und den Platz für das Wohnheim ab Oktober tatsächlich erhalten, bitten wir um Mitteilung, die Kosten der Unterkunft können dann gegebenenfalls nachberechnet werden".

Mit Bescheid vom 23.05.2005 wurde das Alg II von der Beklagten mit Wirkung zum 02.05.2005 mit der Begründung "eingestellt", eine Hilfeberechtigung sei nicht mehr gegeben, weil der Kläger die Ausbildung begonnen habe. Nach § 7 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bestehe kein Anspruch auf Leistungen, weil die Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) förderfähig sei.

Mit seinem Widerspruch vom 01.06.2005 machte der Kläger geltend, er erhalte keine Leistungen nach dem BAföG, weil er dafür bereits die Altersgrenze von 30 Jahren überschritten habe. Dass er von keiner Seite Leistungen erhalte, verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip. Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2005 unter Bezugnahme auf die Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II zurückgewiesen. Das Alg II sei mit Beginn der Ausbildung einzustellen gewesen.

Zur Begründung seiner am 12.07.2005 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verwies der Kläger auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17.01.2006 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eintrete, sei der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -). Eine solche wesentliche Änderung sei mit Aufnahme der Ausbildung am 02.05.2005 eingetreten, weil mit Beginn der Ausbildung die Berechtigung für den Bezug auf Alg II nach § 7 Abs. 5 SGB II entfallen sei. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei, hätten nach dieser Vorschrift keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Der Anspruch bestehe auch dann nicht, wenn sie konkret keine Leistungen nach dem BAföG erhalten würden, die Ausbildung aber dem Grunde nach förderungsfähig sei. Es spiele dann keine Rolle, dass die Förderung der konkreten Ausbildung, zum Beispiel weil die Altersgrenze überschritten sei, nicht nach dem BAföG förderungsfähig sei.

Der Kläger hat gegen das am 25.01.2006 zugestellte Urteil am 24.02.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, damit die Vorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II verfassungsgemäß sei, müsse eine Ausnahme für den Fall geschaffen werden, dass der Antragsteller bereits die Altersgrenze nach dem BAföG überschritten habe. Ohne eine solche Ausnahme habe er weder Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II noch nach dem BAföG. Er habe somit nichts, womit er seinen Lebensunterhalt bestreiten könne.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Januar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie sieht von einer Stellungnahme ab, weil der Kläger eine gesetzliche Regelung in Frage stelle.

Mit Schreiben vom 21.06.2006 hat die Beklagte auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, dass der Kläger nicht darüber belehrt worden sei, dass der Anspruch auf Alg II mit Aufnahme einer Ausbildung entfalle. Eine (rückwirkende) Aufhebung für den Monat Mai 2005 sei deshalb nicht möglich gewesen, so dass die Leistungen für diesen Monat erbracht werden könnten.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Akte der Beklagten und die Akten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, weil eine Geldleistung von mehr als 500 EUR streitig ist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Das Rechtsmittel ist sachlich begründet, weil die Beklagte die Bewilligung des Alg II zu Unrecht für die Zeit vom 02.05. bis 31.10.2005 aufgehoben hat. Die Beklagte hat zwar nach dem Verfügungssatz des Bescheides vom 23.05.2005 das Alg II "eingestellt", der Bescheid ist aber dahingehend auszulegen, dass sie die Leistung nicht nach § 331 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), der gemäß § 40 SGB II entsprechend anwendbar ist, einstellen, sondern die Bewilligung des Alg II aufheben wollte. Eine Einstellung wäre nämlich nur für die Zukunft möglich gewesen. Zudem ergibt sich aus § 331 Abs. 2 SGB III, dass die Beklagte die Leistungsbewilligung innerhalb von zwei Monaten nach einer vorläufigen Zahlungseinstellung hätte aufheben müssen.

Bezüglich des Monats Mai 2005 war die Beklagte entsprechend ihrem Anerkenntnis im Schreiben vom 21.06.2006 durch Teilanerkenntnisurteil zu verurteilen. Zudem ist die Aufhebung auch für den Monat Mai 2005 aus den nachfolgend dargestellten Gründen rechtswidrig.

Die Berufung ist auch im Übrigen begründet. Streitig ist infolge des Teilanerkenntnisses nur noch, ob auch die Aufhebung der Bewilligung für den Zeitraum vom 01.06. bis 31.10.2005 rechtswidrig ist.

Als Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides vom 23.05. 2005, mit dem das Alg II für den noch streitigen Zeitraum bewilligt wurde, kommt nur § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III in Betracht. Diese Vorschriften sind gemäß § 40 Abs. 1 SGB II bei der Aufhebung von Verwaltungsakten, die nach dem SGB II erlassenen wurden, anzuwenden. Wird zugunsten der Beklagten unterstellt, dass der Kläger nach § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hatte, weil er zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides bereits seine Ausbildung aufgenommen hatte, war der Bewilligungsbescheid rechtswidrig, so dass entgegen der Ansicht des SG eine Aufhebung nicht nach § 48 SGB X, sondern nur nach § 45 SGB X in Betracht kam.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X sind jedoch nicht erfüllt. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt - um einen solchen handelte es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom 23.05.2005 - nur zurückgenommen werden, wenn die in § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X genannten Voraussetzungen vorliegen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf der Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Der Kläger hat keine Vermögensdisposition im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X getroffen. Eine Prüfung, ob er das ihm zu Unrecht bewilligte Alg II verbraucht hat, ist nur bei einer Rücknahme der Bewilligungsentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit beachtlich (Wiesner in: Schroeder-Printzen, SGB X, 3. Aufl. 1996, RdNr 19 zu § 45 SGB X).

Im Rahmen der Vertrauensschutzprüfung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X sind die Belange des vom rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigten mit dem öffentlichen Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände abzuwägen (BSGE 81, 156, 159 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 37 S 116). Da es sich bei der Gewährung von Alg II um die Bewilligung einer Dauerleistung handelt, ist in der Regel das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes höher einzuschätzen als bei der Gewährung einmaliger Leistungen, weil eine Dauerleistung die Allgemeinheit in der Regel stärker belastet als eine einmalige Leistung (BSGE 60, 147, 152 = SozR 1300 § 45 Nr. 24 S. 77). Hinzu kommt, dass die Bewilligung des Alg II hier erst ab dem 01.06.2005 erfolgt ist, so dass die Leistungsbewilligung erst für die Zeit nach der Rücknahmeentscheidung der Beklagten erfolgte. Die rechtswidrige Bewilligung kann daher nicht in die Vertrauensschutzprüfung zugunsten des Klägers einfließen.

Die Beklagte hat aber bei ihrer Entscheidung kein Ermessen ausgeübt, so dass deshalb die Aufhebung der Bewilligung des Alg II rechtswidrig ist. Die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X setzt die Ausübung von Ermessen voraus (Steinwedel, Kasseler Kommentar, § 45 SGB X, RdNr. 50 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die Verpflichtung zur Ermessensausübung ist vorliegend nicht durch die Spezialnorm des § 330 Abs. 2 SGB III ausgeschlossen; denn diese Regelung schließt diese Verpflichtung nur dann aus, wenn ein Tatbestand im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegt. Nach dem hier allein in Frage kommenden § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X hätte der Kläger bösgläubig sein müssen, er hätte also aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen wissen müssen, dass der Bewilligungsbescheid vom 17.05.2005 rechtswidrig war. Eine solche Bösgläubigkeit des Klägers lag jedoch nicht vor; denn es ist für einen mit den Regelungen des SGB II nicht vertrauten Bürger nicht naheliegend, dass mit dem Beginn einer Ausbildung der Anspruch auf Alg II entfallen kann. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides war offenbar auch der Beklagten bei Erlass des Bewilligungsbescheides nicht bekannt; denn sie ging nach dem im Bescheid enthaltenen Zusatz davon aus, dass bei Aufnahme der Ausbildung gegebenenfalls nur die Kosten der Unterkunft nachberechnet werden müssten, nicht aber, dass der Anspruch ganz entfallen würde.

Die Beklagte hätte eine wirksame Rücknahme daher nur mit einer Ermessensentscheidung vornehmen können. Der Bescheid vom 23.05. 2005 und der Widerspruchsbescheid enthalten jedoch keinerlei Ermessenserwägungen, vielmehr wird ausdrücklich festgestellt, dass die Leistungen eingestellt werden mussten. In beiden Bescheiden sind in den Begründungen keinerlei Ermessenserwägungen der Beklagten erkennbar, so dass die Bescheide schon aus diesem Grund aufzuheben waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.