Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 B 36/07 AS - Beschluss vom 26.04.2007
Einstweilige Rechtsschutzverfahren aus dem Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende zeichnen sich weit überwiegend dadurch aus, dass Antragsteller wegen einer prekären finanziellen Situation einstweilige Regelungen begehren. Allein die Tatsache, dass wegen der Anrechnung der Eigenheimzulage als Einkommen die Prämien für die Lebensversicherung verspätet gezahlt worden sind, rechtfertigt nicht das Ausschöpfen des Gebührenrahmens. Alle weiteren in § 14 RVG genannten Umstände ermöglichen ebenso wenig eine andere Beurteilung. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist als gering einzustufen, da im Anschluss an die Begründung des Antrages auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz alsbald das Anerkenntnis der Antragsgegnerin abgegeben wurde.
Die Terminsgebühr entsteht auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Gründe:
I.
Im Streit ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren.
In dem durch angenommenes Anerkenntnis am 05.11.2005 erledigten einstweiligen Rechtsschutzverfahren war die Berücksichtigung der Eigenheimzulage als Einkommen bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) streitig. Die Antragsteller hatten am 04.10.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt, nachdem die Antragsgegnerin für die Zeit ab Juli 2005 die Eigenheimzulage als Einkommen angerechnet hatte (Bescheid vom 23.06.2005). Die Antragsteller begründeten ihre Ansicht, dass diese Vorgehensweise gegen § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II, verstoße und nahmen zum einen Bezug auf hierzu ergangene Rechtsprechung mehrerer Landessozialgerichte und zum anderen auf § 1 Abs. 1 Nr. 7 ALG 2-Verordnung in der Fassung vom 01.10.2005. Die Antragsgegnerin hat den Anspruch am 20.10.2005 anerkannt.
Mit Beschluss vom 15.02.2006 hat das Sozialgericht (SG) den Antragstellern Prozesskostenhilfe (PKH) für das einstweilige Anordnungsverfahren bewilligt und Rechtsanwalt H beigeordnet.
Die Antragsteller haben sodann die Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 55 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und im einzelnen folgender Gebühren beantragt:
Verfahrensgebühr für Verfahren VV-Nr. 3102 RVG, Gebührenerhöhung VV-Nr. 1008 RVG um 0,3 wegen zwei Auftraggebern 598,00 EUR
Terminsgebühr VV-Nr. 3106 RVG 380,00 EUR
Post und Telekommunikation VV-Nr. 7002 20,00 EUR
16 % Mehrwertsteuer VV-Nr. 7008 159,68 EUR
Gesamtbetrag: 1157,68 EUR
Bei der Verfahrens- und Terminsgebühr sei wegen der großen wirtschaftlichen Bedeutung - Gefährdung des Grundeigentums der Antragsteller - die Höchstgebühr anzusetzen.
Das SG hat die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.03.2006 auf 511,56 EUR festgesetzt mit der Begründung, unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) sei jeweils nur die Mittelgebühr erstattungsfähig unter Einbeziehung des Erhöhungstatbestandes VV-Nr. 1008 bei der Gebühr nach VV-Nr. 3103 RVG.
Das SG hat die rechtzeitig eingelegte Erinnerung der Antragsteller mit Beschluss vom 23.01.2007 zurückgewiesen. Es hat darauf hingewiesen, dass unter Beachtung der Grundsätze des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG und der Verfahrensart - einstweiliger Rechtsschutz im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende - der Ansatz der Höchstgebühr vorliegend unbillig wäre.
Zur Begründung der Beschwerde vom 07. Februar 2007 gegen den am 06.02.2007 zugestellten Beschluss betonen die Antragsteller, dass die Gefahr bestanden habe, das Einfamilienhaus zu verlieren, da sie nicht mehr in der Lage gewesen seien, die Darlehensraten zu zahlen. Allein die große wirtschaftliche Bedeutung rechtfertige das Ausschöpfen des Gebührenrahmens. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse hat gegen den ihm am 22.02.2007 zugestellten Beschluss des SG mit Schreiben vom 13.03.2007 Beschwerde eingelegt mit der Begründung, die Terminsgebühr VV-Nr. 3106 RVG sei weder nach VV-Nr. 3106 RVG Ziff. 3 noch nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 zu Teil 3 RVG entstanden, und betont, dass es vorliegend an der auf eine Erledigung gerichteten anwaltlichen Mitwirkung fehle. Er verweist auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R -; B 1 KR 22/06 R; B 1 KR 23/06 R) und beantragt die Festsetzung von Gebühren in Höhe von 279,56 EUR (Verfahrensgebühr 221,00 EUR, Auslagen von 20,00 EUR und der Umsatzsteuer von 38,56 EUR).
II.
Die Beschwerden sind zulässig. Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Festsetzung nach § 55 RVG wurde innerhalb der Frist der §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG erhoben. Da es sich bei der Beschwerde des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse um eine Anschlussbeschwerde handelt, ist es unschädlich, dass diese nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Zweiwochenfrist eingelegt wurde. Denn die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Dortmund, die mit Verfügung vom 25.02.2007 zugegangen ist, wurde erst mit Schreiben vom 13.03.2007 eingelegt.
Die Beschwerden sind unbegründet. Das SG hat zu Recht die Erinnerung gegen den Festsetzungsbeschluss zurückgewiesen. Das SG und der Urkundsbeamte haben zutreffend für das einstweilige Rechtsschutzverfahren bei der Verfahrens- und Terminsgebühr eine Mittelgebühr in Ansatz gebracht. Die Terminsgebühr ist entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors entstanden.
Nach § 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, u.a. des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Daraus folgt nach herrschender Rechtsprechung, dass dem Rechtsanwalt ein Ermessensspielraum zusteht mit der Folge, dass in den Fällen, in denen die Bestimmung des Anwalts die nach Ansicht des Gerichts angemessene Gebühr um nicht mehr als 20 % übersteigt, noch keine Unbilligkeit vorliegt (Gebauer Schneider, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2. Auflage 2004, § 14 Rdnr. 83 m.w.N.). Die Höchstgebühr kommt vorliegend nicht in Betracht. Unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien kann nur eine Mittelgebühr zugrunde gelegt werden. Zwar ist es zutreffend, dass die Höchstgebühr nicht nur dann anfällt, wenn sämtliche Umstände überdurchschnittlich sind. Bereits ein außergewöhnliches Merkmal kann den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertigen, auch wenn die übrigen Umstände nur durchschnittlich sind. In der Regel wird die Annahme der Höchstgebühr allerdings erfordern, dass mehrere Umstände überdurchschnittlich sind (Gebauer Schneider, a.a.0., Rdnr. 70 f.). Die besondere wirtschaftliche Bedeutung rechtfertigt es im vorliegenden Fall nicht, die Höchstgebühr in Ansatz zu bringen. Einstweilige Rechtsschutzverfahren aus dem Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende zeichnen sich weit überwiegend dadurch aus, dass Antragsteller wegen einer prekären finanziellen Situation einstweilige Regelungen begehren. Allein die Tatsache, dass wegen der Anrechnung der Eigenheimzulage als Einkommen die Prämien für die Lebensversicherung verspätet gezahlt worden sind, rechtfertigt nicht das Ausschöpfen des Gebührenrahmens, zumal aus der eidesstattlichen Versicherung hervorgeht, dass die Kündigung des Vertrages wohl nicht unmittelbar bevorstand, sondern nur darauf hingewiesen wurde, dass "gefürchtet werde, dass die Lebensversicherung gekündigt werde". Alle weiteren in § 14 RVG genannten Umstände ermöglichen ebenso wenig eine andere Beurteilung. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist als gering einzustufen, da im Anschluss an die Begründung des Antrages auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz alsbald das Anerkenntnis der Antragsgegnerin abgegeben wurde. Zudem konnte hinsichtlich der streitigen Rechtsfrage bereits auf umfangreiche Rechtsprechung der Landessozialgerichte verwiesen werden, so dass der Senat von einem mittleren Schwierigkeitsgrad ausgeht.
Entgegen der Einschätzung des Bezirksrevisors haben das SG und der Urkundsbeamte zu Recht eine Terminsgebühr nach VV-Nr. 3106 Ziff. 3 berücksichtigt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sich die Terminsgebühr nach VV-Nr. 3106 bestimmen (Bundestagsdrucksache 15/1971). Hintergrund dieser Regelung ist, dass die Neuregelungen im RVG für den Bereich des Sozialrechts eine drastische Gebührenreduzierung nach sich ziehen und zudem viele Verfahren ihren Abschluss ohne Anberaumung eines Termins finden. Daher hat der Gesetzgeber für bestimmte Fälle den Anfall der Terminsgebühr angeordnet ohne dass ein Termin überhaupt stattfindet. Diese sog. fiktive Terminsgebühr ist in VV-Nr. 3106 geregelt (Guhl, NZS 2005, 193, 194). Danach entsteht die Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Antragsteller haben das Anerkenntnis des Antragsgegners am 05.11.2005 angenommen. Damit endete das einstweilige Rechtsschutzverfahren ohne mündliche Verhandlung.
Der Senat schließt sich der Ansicht des Bezirksrevisors, die Terminsgebühr sei hiernach nicht entstanden, da es an auf eine Erledigung gerichteten inhaltlichen Mitwirkung fehle, nicht an. Nach Einschätzung des Senats ergibt sich diese Rechtsauffassung weder aus dem Wortlaut von VV-Nr. 3106 Ziff. 3 noch aus der zitierten Rechtsprechung des BSG (BSG; a.a.O.). Diese Entscheidungen verhalten sich zu den Voraussetzungen der Einigung- oder Erledigungsgebühr nach VV-Nrn. 1000 und 1005. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass die Einigungsgebühr schon nach dem Wortlaut eine Mitwirkung voraussetzt. Die vom BSG bestätigte Ansicht, dass eine auf die Erledigung gerichtete anwaltliche Mitwirkung notwendig ist, um eine Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr entstehen zu lassen, hat keinerlei Relevanz für den hier zur Entscheidung stehenden Sachverhalt. Denn die Voraussetzungen der VV-Nr. 3106 Ziff. 3 liegen eindeutig vor. Weitergehende Voraussetzungen als in Ziffer 3 dargelegt sieht das Gesetz nach dem eindeutigen Wortlaut nicht vor. Der Gesetzgeber hat vorliegend den gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum dahingehend genutzt und allein auf die Annahme des Anerkenntnisses abgestellt, ohne weitere Mitwirkungshandlungen zu fordern.
Kosten werden nicht erstattet, § 33 Abs. 9 S. 2 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).