Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Erstfeststellungsverfahren streitig.

Die 1952 geborene Klägerin beantragte im April 2001 die Feststellung des GdB . Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte von dem Chirurgen Dr. B., dem Allgemeinmediziner Dr. W. und dem Internisten und Kardiologen Dr. L. ein, der u. a. über das Ergebnis einer am 27.04.2001 durchgeführten Spiroergometrie berichtete. Nach versorgungsärztlicher Auswertung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 29.06.2001 einen GdB von 30 wegen folgender Beeinträchtigungen fest:

1. Wirbelsäulenverschleiß, Wirbelgleiten, Wurzelreizung (20)
2. Abgelaufene Herzmuskelentzündung (20).

Im Rahmen des Widerspruchs legte die Klägerin weitere ärztliche Unterlagen vor und wies darauf hin, dass die abgelaufene Myokarditis bei ihr zu einer Herzschwäche geführt habe. Sie könne nur leichte Tätigkeiten ausüben und müsse zur Unterstützung ihres Herzens 2x täglich Tabletten einnehmen. Nach Ansicht von Dr. L. stehe ihr mindestens ein GdB von 50 zu.

Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2001 zurück.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 06.09.2001 beim Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben. Zur Begründung hat sie auf den Befundbericht von Dr. L. und insbesondere auf die Befunde der Spiroergometrie vom 27.04.2001 verwiesen. Eine beschwerdefreie Belastung bis 125 Watt sei nicht gegeben. Bereits bei 65 Watt läge die sog. anaerobe Schwelle, von der ab sie über ihre Herz- und Lungentätigkeit nicht mehr mit genügend Sauerstoff versorgt werde. Zudem seien die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Das SG hat Gutachten von Dr. D. , Leitender Oberarzt der Kardiologischen Abteilung des X-Krankenhauses D., und von dem Orthopäden Dr. M. eingeholt. Der Sachverständige Dr. D. kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin aufgrund einer leichtgradigen Herzschädigung und eines leichtgradigen Herzklappenfehlers in ihrer Leistungsfähigkeit in Bezug auf mittelschwere oder schwere Tätigkeiten eingeschränkt sei. Dies mache sich bemerkbar durch ein überschießendes Pulsverhalten in der Ergometrie und das subjektive Gefühl von Atemnot bei leichter körperlicher Anstrengung. Allerdings müsse auch das Übergewicht als mitbestimmender Faktor in Erwägung gezogen werden. Ein Einzel-GdB von 20 sei angemessen. Der Sachverständige Dr. M. hat als Behinderungen auf orthopädischem Gebiet ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei Verschleißveränderungen festgestellt und diese Beeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Den Gesamt-GdB hat er mit 30 eingeschätzt.

Zu dem Gutachten von Dr. D. hat die Klägerin eingewandt, der Sachverständige habe die Aussagekraft der Spiroergometrie nicht ausreichend berücksichtigt. Ihre Sauerstoffaufnahme sei so niedrig, dass sie allenfalls noch leichteste, moderate Arbeiten im Sitzen verrichten könne. Dies entspreche der Symptomatik, dass sie bereits nach einer Etage Treppensteigen dyspnoeisch werde.

Auf Antrag der Klägerin hat das SG gemäß § 109 SGG ein Gutachten von Dr. L. eingeholt. Der Sachverständige hat den Einzel-GdB für die Herz-Kreislauferkrankung mit 60 eingeschätzt. Entsprechend der Messwerte und der glaubhaften Angaben der Klägerin, bei Belastung unter Luftnot zu leiden, durch die sie gerade eine Etage Treppen steigen könne, sei von einer Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher Belastung auszugehen. Den Gesamt-GdB hat Dr. L. ebenfalls mit 60 bewertet.

In einer ergänzenden Stellungnahme hat Dr. D. darauf hingewiesen, dass die von Dr. L. durchgeführten Untersuchungen, insbesondere die Spiroergometrie, seine Einschätzung des Einzel-GdB von 20 bestätige. Die Sauerstoffaufnahme sei sowohl bei maximaler Belastung (150 Watt) als auch bei der individuellen anaeroben Schwelle (75 Watt) herabgesetzt, sodass Dr. L. zu Recht im Ausdauerbereich nur noch leichte Arbeiten für möglich halte (Ausdauerbelastung von 75 Watt). Damit bestehe eine Leistungsbeeinträchtigung für mittelschwere und schwere Arbeiten bzw. bei mittelschwerer und schwerer Belastung.

Nachdem die Klägerin unter Beifügung einer weiteren Stellungnahme von Dr. L. den Ausführungen von Dr. D. widersprochen hatte, hat das SG ein kardiologisches Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. J., Chefarzt der Inneren Abteilung des Ev. Krankenhauses R., eingeholt. Der Sachverständige hält einen Einzel-GdB
von 20 bezüglich des Herzens für angemessen, da die Spitzenbelastbarkeit nur leicht vermindert sei und die dokumentierten Herzbefunde nur als leichtgradig anzusehen seien. Der Beurteilung der Belastbarkeit könne nicht der spiroergometrische Befund zugrunde gelegte werden, sondern nur der Herzbefund selbst. Dieser sei nach allen vorliegenden Daten als leichtgradig krankhaft beschrieben worden und über Jahre hinweg annähernd gleich geblieben.

Mit Urteil vom 03.03.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidung wird verwiesen.

Gegen das ihr am 02.04.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.04.2004 Berufung eingelegt. Sie hält die Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. weiterhin für zutreffend. Dieser habe ihre Gesamtbeeinträchtigung angemessen berücksichtigt. Insbesondere komme der anaeroben Schwelle eine besondere Bedeutung zu. Im Übrigen lasse das SG unberücksichtigt, dass bereits Vorbefunde aus dem Jahre 1991, gewonnen durch Kernspintomographien, gezeigt hätten, dass es sich bei ihrem Herzen nicht nur um ein grenzwertig großes, sondern um ein eindeutig vergrößertes Herz mit einer rechnerisch fassbaren Einschränkung der Pumpfunktion sowohl der rechten als auch der linken Herzkammer handele. Nach den Ausführungen von Dr. L. seien beide Herzkammern vergrößert, die nach § 106 SGG gehörten Sachverständigen seien nur von einer Vergrößerung der linken Herzkammer ausgegangen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 03.03.2004 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.06.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2001 zu verurteilen, bei ihr ab April 2001 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Mit Beschluss vom 17.11.2004 hat das SG den Antrag der Klägerin, die anlässlich der Begutachtung durch Dr. L. entstandenen Kosten auf die Landeskasse zu übernehmen, - abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos (Beschluss vom 20.07.2005; L 7 B 7/05 SB).

Der Senat hat einen Befundbericht von dem Allgemeinmediziner Dr. W. eingeholt, dem ein Bericht von dem Internisten und Kardiologen Dr. L. aus Juli 2003 beigefügt war.

Auf weiteren Antrag der Klägerin hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. L. gemäß § 109 SGG eingeholt. Dieser ist bei seiner bisherigen Auffassung verblieben und hat ergänzend ausgeführt, bei der Messung der Ausprägung der Herzschwäche müssten Kriterien wie die Leistungsfähigkeit in Watt oder aber die Sauerstoffaufnahme auf das Körpergewicht bezogen werden. Ein echter Vergleich der Leistungsfähigkeit sei nur dann möglich, wenn man die Kraft auf die Körpergröße bzw. das Gewicht beziehe. Die anaerobe Schwelle werde von der Klägerin eindeutig bei 75 Watt überschritten. Durch die nachgewiesene Herzerkrankung mit einer diastolischen Herzinsuffizienz sei die Belastbarkeit der Klägerin derart gemindert, dass ein GdB über 60 % angemessen sei.

Der Beklagte hat unter Hinweis auf gutachtliche Stellungnahmen von Dr. A. seine bisherige Einschätzung bekräftigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtmäßig. Ein höherer GdB als 30 ist nicht gerechtfertigt.

Gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX (bis 30.06.2001: § 4 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz) wird auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und der Grad der Behinderung festgestellt. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und dadurch ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung sind als GdB nach Zehnergraden abgestuft von 20 bis 100 festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen, wie sie bei der Klägerin vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 SGB IX der Gesamt-GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen (bis 30.06.2001: § 4 Abs. 3 Schwerbehindertengesetz). Dabei ist der GdB unter Heranziehung der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AP 2004) festzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 09.04.1997, 9 RVs 4/95 m. w. N. sowie Urteil vom 18.09.2003, B 9 SB 3/02 R) haben die Anhaltspunkte normähnlichen Charakter und sind von den Sozialgerichten in der Regel wie untergesetzliche Normen anzuwenden.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein höherer Gesamt-GdB als 30 nicht gerechtfertigt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Urteil vom 03.03.2004 verwiesen, die sich der Senat nach Prüfung zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Eine andere Beurteilung ist auch nicht unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. L. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.02.2006 gerechtfertigt. Soweit er auf die Aussagekraft der Spiroergometrie hinweist, enthalten die Ausführungen keine neuen Gesichtspunkte, auf die nicht das SG unter Berücksichtigung der nach § 106 SGG eingeholten Gutachten eingegangen ist. Die Auffassung von Dr. L., bei der Messung der Ausprägung der Herzschwäche müssten Kriterien wie die Leistungsfähigkeit in Watt oder aber die Sauerstoffaufnahme auf das Körpergewicht bezogen werden und ein echter Vergleich der Leistungsfähigkeit sei nur dann möglich, wenn man die Kraft auf die Körpergröße bzw. das Gewicht beziehe, steht nicht im Einklang mit Anhaltspunkten. Die AP 1996 und 2004 enthalten lediglich den Hinweis, dass die für Erwachsene angegebenen Wattzahlen auf das mittlere Lebensalter und einer Belastung im Sitzen bezogen sind (Nr. 26.9 Seite 88 AP 96; Nr. 26.9 Seite 72 AP 2004). Ein weiteren Hinweis, dass bei den dort genannten Ergometerbelastungsdaten das Körpergewicht bei der Auswertung zusätzlich zu berücksichtigen ist, wurde in den Anhaltspunkten nicht aufgenommen. Lediglich bei Kindern und Säuglingen ist auch das Körpergewicht bei der Ergometerbelastung berücksichtigt worden (Nr. 26.9 Seite 71/72 AP 2004). Eine gleich lautende Regelung enthalten bereits die AP 1996 (Nr. 26.9 Seite 87).

Auch der Einwand der Klägerin, das SG lasse unberücksichtigt, dass bereits Vorbefunde aus dem Jahre 1991, gewonnen durch Kernspintomographien, gezeigt hätten, dass es sich bei ihrem Herzen nicht nur um ein grenzwertig großes, sondern um ein eindeutig vergrößertes Herz mit einer rechnerisch fassbaren Einschränkung der Pumpfunktion sowohl der rechten als auch der linken Herzkammer handele, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Kernspintomographie vom 16.11.2000 hat lediglich einen vergrößerten linken Ventrikel mit global mäßig reduzierter Funktion gezeigt. Diesen Bericht haben sowohl Dr. D. als auch Prof. Dr. J. berücksichtigt. Zudem hat Prof. Dr. J. die unterschiedlichen Durchmesser der linken Herzkammer in seinem Gutachten erwähnt. Letztlich entscheidend ist jedoch das klinische Bild. Zutreffend haben Dr. D. und Prof. Dr. J. ausgeführt, dass die Klägerin aufgrund der leichtgradigen Herzschädigung in ihrer Leistungsfähigkeit lediglich eingeschränkt ist in Bezug auf mittelschwere oder schwere Tätigkeiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.