Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) umstritten.

Der am ... 1970 geborene Kläger beantragte bei dem Beklagten am 30. April 2007 die Feststellung von Behinderungen nach dem SGB IX und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Hierzu gab er an, er leide unter einer Wegenerschen Granulomatose.

Dem Beklagten lag zunächst ein Arztbrief der Rheumaklinik B. vom 13. April 2007 vor. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten Morbus Wegener und berichteten von einem aktuellen Rezidiv (zunehmende Borken, rezidivierende Sinusitis und Doppelbilder beim Blick nach links). Anhalt für eine Aktivität in weiteren Organsystemen bestehe nicht. Es liege ein retroorbitales Granulom rechts vor.

Der Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärzte ein. Der Augenarzt Dr. D. berichtete unter dem 4. Juli 2007, dass der Visus beim Kläger auch unkorrigiert bei 1,0 beidseits liege. Die Durchführung einer Gesichtsfeldbestimmung sei medizinisch nicht notwendig gewesen. Es bestünden Doppelbilder beim Blick nach links bei einer bekannten Wegenerschen Granulomatose. Der HNO-Facharzt Dr. B. teilte im Juli 2007 mit, dass beim Kläger ein Zustand nach zweifacher Operation der Nasenschleimhaut bei Morbus Wegener vorliege. Es bestehe kein Hörverlust. Wegen eines Tinnitus sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 anzunehmen. Wegen der chronischen Nasennebenhöhlenentzündung mit Borkenbildung bei Wegenerscher Granulomatose sei eine MdE von 25 gegeben. Nach Beteiligung seines Ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 2007 einen GdB von 30 ab dem 30. April 2007 fest und stützte dies auf eine entzündliche Erkrankung der Blutgefäße mit Beteiligung der Nasennebenhöhlen. Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises sowie die Feststellung von Merkzeichen lehnte er ab, weil der GdB unter 50 liege.

Der Kläger legte hiergegen am 14. August 2007 Widerspruch ein und gab an: Er leide an einer lebensbedrohlichen chronischen Krankheit. Zu jedem Zeitpunkt könne es zu einem unkontrollierten Schub kommen, bei dem auch weitere Organe beteiligt werden könnten. Sein Lebensalltag sei stark durch die Krankheit geprägt, da er wegen einer Borkenbildung (mit Blut) täglich seine Nase spülen müsse, sein Immunsystem geschwächt sei, er damit in ständiger Infektionsgefahr stehe, Menschenansammlungen vermeiden müsse, Ohrgeräusche und Schlafstörungen, Hautprobleme (trockene gerötete Gesichtshaut) und Schmerzen in den Nebenhöhlen und im Augenbereich rechts habe. Er müsse zu Kontrolluntersuchungen gehen und die starken Nebenwirkungen der Medikamente bewältigen. Seinem Widerspruch war ein weiterer Arztbrief der Rheumaklinik B. vom 31. Juli 2007 beigefügt. Hiernach ergab sich bei gleichbleibender Diagnose kein Anhalt für eine Aktivität der Erkrankung. Es bestehe eine Teilremission, weshalb eine Umstellung auf eine remissionserhaltende Therapie mit MTX (Methotrexat = Antirheumatika) erfolge. Die Haut des Klägers sei ohne Befund. Die Lunge weise einen Normalbefund auf. Gelenkschwellungen könnten nicht festgestellt werden. Nach wie vor würden Doppelbilder bestehen. Unter erneuter Beteiligung seines Ärztlichen Dienstes wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2007 den Widerspruch zurück. Bei einer nachgewiesenen Stabilisierung der Grunderkrankung ergebe sich kein höherer GdB als 30.

Hiergegen hat der Kläger am 13. Dezember 2007 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Seine Erkrankung sei nicht ausreichend bewertet worden. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Die Internistin Frau Dr. H. hat unter dem 9. März 2009 berichtet, es bestehe ein Morbus Wegener ohne Lungenfunktionseinschränkung. Der HNO-Facharzt Dr. B. hat unter dem 12. März 2009 berichtet, dass eine behinderte Nasenatmung mit Nasendruck und Nachtschmerz bestehe sowie eine Entzündung der Nebenhöhlen. Der Kläger müsse ständig therapiert werden. Die Oberärztin am Klinikum B. Dr. H. hat unter dem 10. März 2009 berichtet, dass die Doppelbilder unter Behandlung rückläufig gewesen seien. Eine Lungenbeteiligung sei aktuell und seit Beginn der Behandlung bei ihr im Jahr 2007 nicht feststellbar gewesen. Die immunsuppressive Therapie mit Infliximab zusätzlich zu Arava und hochdosiertem Cortison werde fortgesetzt. Zuletzt seien die Entzündungsparameter im Normbereich gewesen. Es bestehe eine Entzündung der Luftröhre, die aktuell unter Kontrolle sei. Hier sei eine Therapie mit MTX durchgeführt worden. Es bestehe eine Belastungsluftnot und eine Stenose der Luftröhre um noch ca. 50 %. Die Internistin Frau Dr. F. hat unter dem 30. März 2009 berichtet, dass rezidivierende Infekte und Entzündungen der Nasennebenhöhlen sowie Doppelbilder auftreten würden.

Am 19. Februar 2010 hat der Kläger einen Neufeststellungsantrag gestellt. Diesen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 2010 ab, der Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geworden sei. Aus dem Neufeststellungsverfahren sind weitere Befunde zu den Verwaltungsakten gelangt. Das Klinikum B. hat mit Arztbrief vom 10. Februar 2010 von einer stabilen Teilremission und einer Pause der remissionserhaltenden Therapie mit Leflunomid bei Wundheilungsstörung nach Zahnextraktion berichtet. Der körperliche Untersuchungsbefund sei insgesamt unauffällig gewesen.

Mit Urteil vom 20. Oktober 2010 hat das SG den Beklagten verurteilt, seinen Bescheid vom 30. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2007 und den Bescheid vom 16. Juni 2010 dahingehend abzuändern, dass bei dem Kläger ab dem 30. April 2007 ein GdB von 50 festgestellt wird. Der Kläger werde immunsuppressiv therapiert und mit den Medikamenten Arava, MTX, Infliximab sowie Prednisolon behandelt. Wegen dieser aggressiven Therapie ergebe sich nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ein GdB von wenigstens 50.

Der Beklagte hat gegen das am 28. Oktober 2010 zugestellte Urteil am 8. November 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und macht geltend: Es handele sich nicht um eine "aggressive Therapie" im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Bei einer solchen Therapie erfolge die medikamentöse Therapie in erster Linie mit hoch dosierten Glucocorticoiden. Darunter sei eine Dosierung zu verstehen, die sich deutlich oberhalb der sogenannten Cushing-Schwelle von 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag (entsprechen 6 mg Methylprednisolon) bewege. In der Regel würden Tagesdosierungen von 0,5 bis 1,5 mg Prednisolon-Äquivalent pro kg Körpergewicht verwendet. Ferner komme das Zytostatikum Cyclophosphamit in einer Dosierung zum Einsatz, wie sie auch zur Therapie bösartiger Geschwulste verwendet werde. Beim Kläger würde zur Erhaltungstherapie eine Dosierung weit unterhalb dieser Schwelle verabreicht. Zudem sei eine Remission der Erkrankung zu verzeichnen gewesen. Es seien gute Lungenfunktionsparameter, eine uneingeschränkte Nierenfunktion sowie ein unauffälliger klinischer Befund mitgeteilt worden. Ein Fortschreiten der Einengung der Luftröhre könne ausgeschlossen werden. Da mit der nachgewiesenen Einengung der Luftröhre gute Lungenfunktionsparameter erreicht worden seien, sei nicht von einer schweren Erkrankung auszugehen. Die wiederkehrenden Doppelbilder beim Blick nach links seien keine maßgebliche Behinderung, da wegen fehlenden Leidensdruckes eine Operation (Schiel-Operation) zur Beseitigung der Doppelbilder nicht gewünscht sei. Da bei dem Kläger in den letzten Jahren nachweislich eine Remission ohne relevante Beeinträchtigungen eingetreten sei, bestehe keine Veranlassung zu einer aggressiven Therapie.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Oktober 2010 zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und hat einen Arztbrief des Klinikums B. aus dem Monat Januar 2011 übersandt, wo er sich vom 3. bis 13. Januar 2011 in stationärer Behandlung befunden hat. Nach den Angaben der Ärzte sei ein Major-Rezidiv festgestellt und mit Rituximab therapiert worden sei. Gleichzeitig sei vorübergehend die Steroid-Dosis erhöht worden. Die Therapie mit Leflunomid sei beendet worden.

Der Senat hat einen Befundbericht des Leitenden Oberarztes Dr. M. des Klinikums B. vom 1. März 2011 eingeholt. Hiernach liege eine Wegenersche Granulomatose mit sehr kompliziertem Verlauf vor, die sich funktionell in einer Sehstörung, Schwäche und Schmerzen und einem wahrscheinlich dauerhaft reduzierten Allgemeinzustand auswirke. Für rheumatologische Verhältnisse sei die Therapie bis heute aggressiv und "immunmodulatorisch" gewesen. Es sei eine Frage der Definition, was eine aggressive Therapie sei. Es bestünde jedenfalls bei dem Kläger die Gefahr von Infektionen (Abwehrschwäche). Der Kläger hat einen weiteren Arztbrief des Klinikums B. vom 29. März 2011 übersandt. Danach war er dort in der Zeit vom 14. bis 30. März 2011 erneut wegen eines Abszesses am rechten Oberlid in stationärer Behandlung. Hierzu hat der Kläger Fotos vor und nach dem Eingriff vorgelegt. Die immunsuppressive Therapie solle zunächst fortgeführt werden. Ein Anhaltspunkt für ein "major organ involvement" bestehe derzeit nicht. Der Beklagte führte hierzu aus, aus den aktuellen Berichten ergebe sich, dass Prednisolon in niedriger Dosis verabreicht werde.

Der Kläger hat in der nichtöffentlichen Sitzung am 18. Mai 2011 mitgeteilt, er müsse am 23. Mai 2011 wegen eines Abszesses am Tränenkanal erneut das Klinikum B. aufsuchen. Der Abszess am Augenlid sei zwischenzeitlich wieder aufgetreten, er habe ihn jedoch selbst geöffnet und Eiter entfernt. Mit der Therapie der Wegenerschen Granulomatose seien Nachtschweiß, Nackenschmerzen sowie Probleme mit den Nebenhöhlen (blutige Verkrustungen in der Nase) verbunden. Alle vier Jahre müsse er in die Klinik, damit die Luftröhre geweitet werde. Er arbeite als LKW-Fahrer bei einem Unternehmen in Goslar. Seine Augen müsse er durch eine Brille schützen. Während der Arbeitszeit müsse er oft am Spiegel des Fahrzeugs sein Auge spülen. Auch dies sei eine zusätzliche Belastung. Wegen des Abszesses könne derzeit die medikamentöse Therapie nicht fortgeführt werden. Er gehe derzeit jedoch nicht ins Krankenhaus, da er arbeiten wolle.

Der Kläger hat einen weiteren Arztbrief des Klinikums B. vom 17. Juni 2011 übersandt, wo er sich wieder vom 23. Mai bis 6. Juni 2011 und vom 10. bis 25. Juni 2011 in stationärer Behandlung befunden hat. Bei gleichbleibender Diagnose berichten die behandelnden Ärzte von einer Siebbeinmukozele, einer Pyozele rechts mit Fistelung zum Oberlid rechts sowie weiterhin von einer Teilremission unter Einleitung einer remissionserhaltenden Therapie. Wegen des Abszesses am rechten Oberlid sei eine Inzision und Spülung mit anitbiotischer Therapie erfolgt. Bei der Aufnahme habe sich ein blander Befund bei unauffälliger Entzündungsserologie gezeigt. Bei einer MRT hätten sich zwei Raumforderungen rechts paranaseal/orbital gezeigt, die mit einem Granulom vergleichbar seien. Die vordere Raumforderung sei in der Größe regridient (Zustand nach Inzision und Spülung). Aufgrund von gürtelförmigen Bauchschmerzen habe eine Labordiagnostik mit unauffälligem Befund stattgefunden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichts- und die Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit mit Zustimmung der Beteiligten gemäß den §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juli 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 23. November 2007 und seines Bescheides vom 16. Juni 2010 ist rechtmäßig ist und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Absatz 2 Satz 1 SGG. Das Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene SGB IX über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den von dem Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den Grad der Behinderung die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäben entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den Grad der Behinderung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind - inhaltlich nahezu unverändert - in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinische Grundsätze zitiert. GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Die Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a (S. 19)).

Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541, S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX auf die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69 Abs. 1 SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 - B 9/9a SB 6/06 R - in juris Rn. 15 m.w.N.).

Der hier streitigen Bemessung des Grads der Behinderung ist die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, S. 33) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 20) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, S. 33).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers ein GdB von 30 ab dem 30. April 2007, jedoch kein höherer GdB festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat insbesondere auf die Berichte und Arztbriefe des Klinikums B. sowie auf die Ausführungen des Klägers zu den mit seiner Erkrankung und der Therapie verbundenen Funktionsbußen.

Der Senat wendet den Wertungsrahmen unter 18.2.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B, an. Die bei dem Kläger diagnostizierte Wegenersche Granulomatose gehört zu den dort genannten Vasculitiden. Bei diesen Erkrankungen richtet sich die Beurteilung des GdB nach Art und Ausmaß der jeweiligen Organbeteiligung sowie den Auswirkungen auf den Allgemeinzustand, wobei auch eine Analogie zu den Muskelerkrankungen in Betracht kommen kann (18.2.3, Satz 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B).

Der Senat geht jedoch entgegen Auffassung des SG nicht davon aus, dass die Voraussetzungen der Ziffer 18.2.3 Satz 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B, erfüllt sind. Hiernach soll ein GdB von 50 für die Dauer einer über sechs Monate anhaltenden aggressiven Therapie nicht unterschritten werden.

Es kann offen bleiben, bei welcher medikamentösen Behandlung eine aggressive Therapie anzunehmen ist. Da ein unterschiedliches Verständnis über die sogenannte aggressive Therapie besteht, hat der ärztliche Sachverständigenbeirat "Versorgungsmedizin" bei seiner Tagung am 17. und 18. Mai 2006 vorgeschlagen, den Zusatz "z. B. hochdosierte Cortison-Behandlung in Verbindung mit Zytostatika" zu streichen. Dies ist aufgrund eines Rundschreibens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 12. Dezember 2006 erfolgt (vgl. Anmerkung zu Teil B 18.2.3 - Vasculitiden). Im vorliegenden Fall ist der Beklagte der Auffassung, dass eine aggressive Therapie nur dann vorliegt, wenn Glucocorticoide in einer Dosierung verabreicht werden, die die sogenannte Cushing-Schwelle überschreitet. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Der behandelnde leitende Oberarzt des Klinikums B. Dr. M. weist darauf hin, es sei eine Frage der Definition, ob eine Therapie als aggressiv einzuschätzen sei. Für rheumatologische Verhältnisse sei die Therapie aggressiv und immunmodulatorisch gewesen. Es bestehe die Gefahr von Infektionen (Abwehrschwäche).

Der Senat ist aufgrund der Auswirkungen der Therapie, die der Kläger unter anderem im Erörterungstermin vom 18. Mai 2011 geschildert hat, demgegenüber zu der Überzeugung gelangt, dass hier die medikamentöse Therapie noch nicht die Auswirkungen erreicht, bei denen eine "aggressive Therapie" im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze angenommen werden könnte. Dass es nach den hier anzuwendenden Grundsätzen aber auf erhebliche Auswirkungen auf den Allgemeinzustand ankommt, verdeutlicht Satz 1 der Anmerkung 18.2.3, wonach sich die Beurteilung der GdS bei Vasculitiden nach Art und Ausmaß der Organbeteiligung sowie den Auswirkungen auf den jeweiligen Allgemeinzustand richtet. Die gegenwärtigen Auswirkungen hält der Senat noch nicht für schwerwiegend in diesem Sinne. In den Berichten des Klinikums B. wird im Wesentlichen auf die Auswirkungen Sinusitis, intraorbitales Granulom, stenosierende Laryngotracheitis und subglottische Stenose (20%) verwiesen. Ein Anhalt für einen Verlauf mit schwerwiegenden Organbeteiligungen ("major organ involvement") bestand nach dem letzten Bericht der Klinik B. vom 29. März 2011 nicht. Nach der Entlassung wurde die medikamentöse Therapie mit Prednisolon 10 mg einmal täglich und weiteren Medikamenten fortgeführt. Auch die Auswirkungen auf den Allgemeinzustand erreichen nicht das Ausmaß, dass von einer aggressiven Therapie ausgegangen werden kann. Der Kläger hat mitgeteilt, er arbeite als LKW-Fahrer und leide aufgrund der Therapie unter Nachtschweiß, Nackenschmerzen sowie Problemen mit den Nebenhöhlen. Er habe oft teils blutige Verkrustungen in der Nase und müsse sich alle vier Jahre in der Klinik die Luftröhre weiten lassen. Ferner müsse er eine Brille tragen, um sein Auge zu schützen, und müsse während Arbeit regelmäßig am Spiegel sein Auge spülen. Allerdings spricht die Fähigkeit des Klägers, noch als Kraftfahrer arbeiten zu können, eher für die Einschätzung, dass mit der gegenwärtigen Therapie noch keine aggressiven und besonders nachteiligen Auswirkungen auf Organe oder den Allgemeinzustand verbunden sind. Dabei verkennt der Senat nicht die Belastungen und die besondere Anstrengung, die für den Kläger mit der Aufrechterhaltung seiner beruflichen Tätigkeit verbunden sind. Sein Fleiß und seine Arbeitsbereitschaft sind ausdrücklich anzuerkennen.

Der Senat orientiert sich bei seiner Einschätzung auch an den Maßstäben für entzündlich-rheumatische Krankheiten. Nach Ziffer 18.1: "Allgemeines" der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B, gilt für Kollagenosen und Vasculitiden der Maßstab für entzündlich-rheumatische Krankheiten entsprechend. Gemäß 18.2.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B, ist bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt nach 18.1 (vorletzter Absatz) der Grundsätze für Vasculitiden. Diesen Maßstab hält der Senat bei der Wegenerschen Granulomatose für sachnäher als denjenigen der unter Ziffer 18.2.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B, genannten Muskelkrankheiten. Unter Punkt 18.2.1 wird folgender Bewertungsrahmen eröffnet:

Entzündlich-rheumatische Krankheiten (z.B. Bechterew-Krankheit)

ohne wesentliche Funktionseinschränkung mit leichten Beschwerden - 10

mit geringen Auswirkungen (leichtgradige Funktionseinbußen und Beschwerden, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität) - 20 - 40

mit mittelgradigen Auswirkungen (dauernde erhebliche Funktionseinbußen und Beschwerden, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität) - 50 - 70

mit schweren Auswirkungen (irreversible Funktionseinbußen, hochgradige Progredienz) - 80 - 100

Auswirkungen über sechs Monate anhaltender aggressiver Therapien sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen.

Hiernach geht der Senat davon aus, dass bei dem Kläger leichtgradige Funktionseinbußen und Beschwerden ohne schwerwiegende Organbeteiligungen und eine geringe Krankheitsaktivität vorliegen und damit die Bewertung mit einem GdB von 30 im Mittel des eröffneten Rahmens für die Krankheit mit geringen Auswirkungen liegt. Dass er - wie Dr. M. feststellt - in der Gefahr lebt, dass ein weiterer Schub seiner Grunderkrankung auftritt und er unter einer grundsätzlichen Abwehrschwäche leidet, verstärkt nicht die zurzeit bestehenden Auswirkungen. Die mit der Therapie verbundenen Nackenschmerzen und Probleme mit den Nebenhöhlen, die Verkrustungen der Nase und die Schwierigkeiten mit dem rechten Auge, das während der Arbeitszeit gespült werden muss, sind noch keine mittelgradigen Auswirkungen im Sinne des zitierten Bewertungsrahmens. Auch der Abszess am Oberlid rechts, der akut im März 2011 im Klinikum B. behandelt wurde und nach Angaben des Klägers im Mai 2011 erneut auftrat und von ihm selbst geöffnet wurde, führt ebenfalls nicht zu einer höheren Bewertung. Insoweit ist nicht von einer dauerhaften Funktionseinschränkung auszugehen, zumal der Kläger keine Visusbeeinträchtigungen hat und noch als Kraftfahrer arbeitet. Voraussetzung für eine GdB-Feststellung ist aber, dass zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine nicht nur vorübergehende und damit eine sich über einen Zeitraum von mehr als sechs Monate erstreckende Gesundheitsstörung besteht, vgl. Vorbemerkung Teil A, 2 f, S. 20.

Aus den Maßstäben für Muskelkrankheiten (Ziffer 18.6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B), die nach Ziffer 18.2.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, Teil B, analog in Betrachtung kommen können, folgt nichts anders. Denn auch hiernach handelt es sich nicht um mehr als geringe Auswirkungen.

Aus dem aktuellen Bericht der Klinik für Rheumatologie und Immunologie B. vom 17. Juni 2011 ergibt sich ebenfalls keine andere Bewertung. Bei gleichbleibendem Befund ist insbesondere eine aktuell bestehende Pyozele und Mukozele behandelt worden. Es bestand kein Hinweis auf ein Granulom. Die medikamentöse Therapie wurde mit Prednisolon 10 mg bei Entlassung fortgesetzt, wobei eine Reduktion um 1 mg monatlich bis zur niedrigst effektiven Dosis, zunächst nicht unter 7 mg täglich vorgesehen ist.

Im Ergebnis ist der GdB bei dem Kläger derzeit mit 30 ausreichend bemessen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.