Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Beklagte dem Kläger die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) ab 1. Juli 2011 entziehen durfte.

Der am ... 1992 geborene Kläger erlitt im Februar 1994 eine bakterielle Meningitis, in deren Folge er ertaubte. Mit Bescheid vom 31. Januar 1995 stellte der Beklagte bei ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, B, H (hilflos) und RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) sowie mit Bescheid vom 27. März 2002 zusätzlich ab 1. Juli 2001 das Merkzeichen Gl (gehörlos) fest.

Am 9. Juli 2008 erwarb der Kläger den Hauptschulabschluss an der Sekundarschule "Schule an der M." D.-R. Die Mutter des Klägers übersandte am 28. August 2008 eine Bescheinigung über die Teilnahme des Klägers an einer berufsvorbereitenden Maßnahme (Zeitraum 18. August 2008 bis 17. Juli 2009) im bbw Berufsbildungswerk L. für Hör- und Sprachgeschädigte GmbH (nachfolgend: bbw L.) und am 4. Oktober 2009 eine Beendigungsmitteilung der Bundesagentur für Arbeit. Danach sei die Zusage über die Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker aufgehoben worden, weil die Ausbildung nicht zustande gekommen sei. Nach der Eingliederungsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Agentur für Arbeit vom 13. Oktober 2009 sollte ab 28. Dezember 2009 für maximal sechs Monate die berufliche Eingliederung des Klägers durch eine Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unterstützt werden und die Überprüfung von Motivation, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erfolgen. Am 26. November 2010 übersandte die Mutter des Klägers eine Schulbescheinigung des bbw L., wonach der Kläger dort am 9. August 2010 eine Ausbildung als Zerspanungsmechaniker begonnen habe, die voraussichtlich am 8. Februar 2014 ende. Ergänzend teilte sie mit, der Kläger fahre täglich mit der Bahn zur Ausbildung und zur Schule nach L.

Mit Schreiben vom 11. März 2011 hörte der Beklagte den Kläger zum Entzug der Merkzeichen G und B an, weil in den Verhältnissen insoweit eine Änderung eingetreten sei, als nach Abschluss der Gehörlosenschule die Voraussetzungen für diese Merkzeichen nicht mehr erfüllt seien. Die Mutter des Klägers teilte dazu am 24. März 2011 mit, die Ausbildung sei nicht beendet und auch der Gesundheitszustand mit vorübergehender völliger Gehörlosigkeit (ein viertel Jahr) einschließlich Schwindel rechtfertige nicht den Entzug der Merkzeichen. Sein Freund sei über 20 Jahre alt und habe noch alle Merkzeichen.

Mit Bescheid vom 20. Juni 2011 hob der Beklagte den Bescheid vom 31. Januar 1995 auf, stellte weiterhin einen GdB von 100 (Ertaubung nach Hirnhautentzündung, Versorgung mit Cochlearimplantaten) sowie die Merkzeichen H, RF und Gl fest und entzog mit Wirkung vom 1. Juli 2011 die Merkzeichen G und B. Dagegen erhob der Kläger am 18. Juli 2011 Widerspruch und machte geltend: Da er keine Gehörlosenschule besucht habe, sei die Entscheidung nicht nachvollziehbar. Er sei nach wie vor taub, eine gesundheitliche Verbesserung habe sich nicht ergeben. Insbesondere bestehe weiterhin die Selbstgefährdung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte aus: Das Merkzeichen G sei bei Hörbehinderungen festzustellen, wenn eine Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) vorliege. Im Erwachsenenalter sei das Merkzeichen G anzuerkennen, wenn Hörstörungen in Kombination mit einer erheblichen Störung der Ausgleichsfunktion (Sehbehinderung, geistige Behinderung) gegeben seien. Derartige Einschränkungen lägen bei dem Kläger, der nunmehr 19 Jahre alt sei und eine Berufsausbildung absolviere, nicht vor. Er sei bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Der Einwand, er habe keine Gehörlosenschule besucht, sei kein Grund für die weitere Anerkennung der Merkzeichen G und B. Nach den gesetzlichen Bestimmungen sei die Vollendung des 16. Lebensjahrs maßgeblich.

Dagegen hat der Kläger am 16. Dezember 2011 Klage beim Sozialgericht (SG) F. erhoben und auf seine Orientierungslosigkeit im öffentlichen Straßenverkehr hingewiesen. Durchsagen wegen Fahrplan- bzw. Gleisänderungen sowie Ansagen der Haltepunkte könne er nicht wahrnehmen, so dass die Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr fortbestünden und damit auch die Notwendigkeit einer Begleitperson gegeben sei. Nicht das Erreichen einer Altersgrenze könne maßgeblich sein, vielmehr müsse eine Einzelfallprüfung erfolgen.

Das SG hat einen Befundbericht der Kinderärztin Dipl.-Med. P. vom 22. Februar 2012 eingeholt, die den Kläger von Juni 1992 bis Juni 2010 behandelt hatte. Diese hat eine Taubheit, eine chronische Niereninsuffizienz Stadium II sowie Hypertonie (medikamentös behandelt) diagnostiziert. Durch die Taubheit sei der Kläger im täglichen Leben beeinträchtigt (nicht höhentauglich, kein Richtungshören).

Der Beklagte hat auf die prüfärztliche Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin Dr. W. vom 19. März 2012 verwiesen. Danach seien nach der Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig von der unterschiedlich auslegbaren Begrifflichkeit "Beendigung der speziellen Schulausbildung" die Merkzeichen G und B nicht mehr anzuerkennen. Im Übrigen sei der GdB von 100 nicht nachvollziehbar, weil aus den Befundunterlagen keine Sprachstörungen hervorgingen und keine Ton- und Sprachaudiogramme vorhanden seien. Das fehlende Richtungshören sei bei Taubheit selbstverständlich und in dem GdB von 80 mit berücksichtigt worden.

Daraufhin hat der Kläger mit Schreiben vom 22. Mai 2012 mitgeteilt, er befinde sich weiterhin in einer Berufsausbildung und bekomme bei den Prüfungen aufgrund seiner Behinderungen einen Nachteilsausgleich in Form eines längeren Bearbeitungszeitraums. Sprachstörungen seien nach wie vor vorhanden. Ergänzend hat er am 11. Juli 2012 mitgeteilt, er absolviere die schulische Ausbildung im bbw L. und seine praktische Ausbildung in der Automatendreherei und Mechanik GmbH S. Er sei zwar bemüht, den Weg zur Ausbildungsstätte und zur schulischen Ausbildung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Regelmäßig komme es aber hierbei zu Orientierungsschwierigkeiten und Hilfsbedürftigkeit bei Änderungen des Fahrplans, da er die Lautsprecherdurchsagen nicht wahrnehmen könne. Zudem träten zunehmend technische Störungen des Hörgeräts (Batterieausfall, Kabelbruch) auf, die zu Kommunikations- und damit Orientierungsschwierigkeiten führten. Diese Situation könne er nur durch Herbeirufen und Hilfe der Mutter lösen. Sie bringe ihn auch häufig zum Ausbildungsort und hole ihn wieder ab. Er habe nie eine Gebärdensprache erlernt und auch die normale menschliche Sprache könne er nicht richtig verstehen. Daher brauche er regelmäßig Hilfe bei Behördengängen, telefonischer Verständigung, aber auch bei der Kommunikation während der betrieblichen Ausbildung. Fahrten und Termine zum Arzt könne er nur in Begleitung seiner Mutter wahrnehmen.

Mit Gerichtsbescheid vom 30. Juli 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Da der Kläger im Jahr 2010 volljährig geworden sei, liege eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vor, die den Entzug der Merkzeichen rechtfertigen. Nach Vollendung des 18. Lebensjahrs sei die Feststellung der entzogenen Merkzeichen nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) möglich. Derartige Einschränkungen seien bei dem nunmehr 19-jährigen Kläger nicht ersichtlich.

Gegen den ihm am 7. August 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 3. September 2012 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen, das SG habe keine Einzelfallprüfung vorgenommen. Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln seien nicht uneingeschränkt möglich. Eine Erörterung mit Bezugspersonen, insbesondere der Mutter sowie dem Ausbildungspersonal sei trotz Anregung nicht erfolgt. Außerdem hat der Kläger am selben Tag Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Mit Beschluss vom 19. Juli 2013 hat der Senat den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Mit Schreiben vom 11. September 2013 hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung getroffenen Regelungen (und damit auch Teil D) wegen einer fehlender Verordnungsermächtigung unwirksam seien. Vielmehr sei im konkreten Fall zu prüfen, ob bei ihm Orientierungslosigkeit aufgrund der Taubheit gegeben sei. Dazu habe sich der Senat selbst ein persönliches Bild von seinen Fähigkeiten zu machen. Er könne nur begrenzt lesen und schreiben und könne sich daher auch nur begrenzt mit anderen Menschen verständigen. Dies sei aber zwingend erforderlich, um Orientierungslosigkeit und die Notwendigkeit der Begleitung im öffentlichen Verkehr zu verneinen. Auch könne nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass jede Person ein internetfähiges Mobilfunktelefon besitze, um gegebenenfalls einen Routenplaner zu Rate zu ziehen oder alternative Fahrpläne abzurufen. Er habe kein solches Telefon und könne sich ein solches auch nicht leisten. Auch werde der kleine Bahnhof M. (Ausbildungsort des Klägers) nur von wenigen Menschen benutzt, so dass regelmäßig fremde Hilfe nicht zur Verfügung stehe. Dies treffe vor allem bei regelmäßigen Spätschichten zu. Im Übrigen habe er die geschilderten Verständigungsprobleme auch aufgrund der mangelhaften Fähigkeit zum Schreiben. Schließlich entstünden durch die die fehlende Höhentauglichkeit Orientierungsschwierigkeiten.

Auf Nachfrage des Senats hat der Kläger mit Schreiben vom 3. Februar 2014 das Abschlusszeugnis der Sekundarschule "Schule an der M." D.-R. vom 9. Juli 2008 vorgelegt, mit dem er den Hauptschulabschluss erworben hatte. Dort finden sich die Leistungen in den Fächern Deutsch mit ausreichend und Englisch mit befriedigend bewertet. In weiteren vorlegten Schulzeugnissen der "Schule an der M." waren die Leistungen in Deutsch ebenfalls mit ausreichend und teilweise auch mit befriedigend bewertet worden. Im Zeugnis vom 19. Juli 2006 wurde angeführt, der Kläger müsse weiter an seinen Hörstrategien arbeiten. Die Nutzung seines Hörgerätes sei unerlässliche Grundlage. Er bemühe sich um eine Vergrößerung seines Begriffsschatzes, indem er verstärkt nachfrage. Auch am 31. Januar 2006 wurde in der Beurteilung mitgeteilt, Verständnisdefizite in Fächern mit hohem Sprachgebrauch könne er durch gezieltes Nachfragen ausgleichen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 30. Juli 2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die erstinstanzliche Entscheidung und seine Bescheide.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Klägers sowie die Gerichtsakte Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlungs- und Entscheidungsfindung.

 

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und auch in der von § 151 Abs. 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sowie der Gerichtsbescheid des SG D.-R. sind rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Feststellung der Merkzeichen G und B lagen beim Kläger am 1. Juli 2011 nicht mehr vor.

Gegen den Entzug der Merkzeichen hat der Kläger eine zulässige Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG erhoben. Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide der Erlass des Widerspruchsbescheids am 18. November 2011 und damit die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 6/02 R, juris).

Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere ist die nach § 24 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) erforderliche Anhörung zu einem beabsichtigten Entzug der Merkzeichen G und B für die Zukunft mit Schreiben vom 11. März 2011 erfolgt.

Seine materielle Ermächtigungsgrundlage finden die von dem Kläger angefochtenen Bescheide in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Anlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Auf dieser Grundlage hat der Beklagte wirksam den Bescheid vom 31. Januar 1995 aufgehoben und die Merkzeichen G und B entzogen. In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheids und des Widerspruchbescheides am 18. November 2011 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der bereits volljährige und damit erwachsene Kläger seine Schulausbildung mit dem Hauptschulabschluss erfolgreich abgeschlossen und nahm an einer beruflichen Ausbildung teil. Für den Kläger waren damit nicht mehr die Vorschriften für die Gewährung der Merkzeichen G und B bei Kindern und Jugendlichen anwendbar.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B ist § 69 Abs. 4 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.

Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens G lagen bei dem am 1. Juli 2011 bereits volljährigen Kläger nicht mehr vor. Nach § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Zwar hat der Kläger eingewandt, dass die bei Erlass des Widerspruchbescheides am 18. November 2011 geltenden Bestimmungen in Teil D, Nr. 1 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) mangels wirksamer Ermächtigungsgrundlage für deren Erlass nicht heranzuziehen sind. Doch unabhängig von einer rechtswirksamen Ermächtigungsgrundlage in Bezug auf die Merkzeichen G und B (verneinend: LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 21. Februar 2013, L 6 SB 5788/11 und 23. Juli 2010, L 8 SB 3119/08, juris) ist die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Anlage zur VersMedV ihrem Inhalt nach als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen, die die Regelung des § 69 SGB IX konkretisiert (ständige Rechtsprechung des BSG, zuletzt Urteil vom 17. April 2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Danach liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die vom Kläger begehrten Nachteilsausgleiche nach Vollendung des 18. Lebensjahres nicht mehr vor. Bei dieser Prüfung hat der Senat auch die vom Kläger geforderte Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgenommen und die von der Rechtsprechung zur Feststellung der Merkzeichen G und B entwickelten Maßstäbe zugrunde gelegt.

In Teil D, Nr. 1 d der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind Regelfälle normiert, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt anzusehen sind. Die dort angegebenen Regelbeispiele liegen nicht vor, denn bei dem Kläger bestehen weder sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Auch sind keine Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB von unter 50 vorhanden, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken. Auch Beeinträchtigungen durch innere Leiden (Herzschäden, Lungenfunktionseinschränkungen) oder hirnorganische Anfälle liegen nicht vor.

Zwar kann auch eine sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Orientierungsfähigkeit bei Hörstörungen die Vergabe des Merkzeichens G rechtfertigen. Doch ist nach Teil D, Nr. 1 f der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bei Hörbehinderungen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung in der Bewegungsfähigkeit nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) gegeben. Im Erwachsenenalter sind erst in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) die Voraussetzungen für das Merkzeichen G erfüllt. In diesem Zusammenhang ist auf die überzeugende Rechtsprechung des BSG zu verweisen, der sich der Senat anschließt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003, B 9 SB 4/02 R, zitiert nach juris und nachfolgend BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. Mai 2004, 1 BvR 705/04 sowie BSG, Urteil vom 12. November 1996, 9 RVs 5/95, juris). Danach wirken sich bei erwachsenen Gehörlosen die Störungen der Kommunikationsfähigkeit nicht auf ihre Orientierungs- und damit auf ihre Gehfähigkeit aus. Die tiefgreifenden Kommunikationsstörungen, an der Gehörlose typischerweise leiden, erschweren zwar die Ausbildung, weil Wahrnehmung, Erkenntnis und Lernen durch die Sprache vermittelt und gesteuert werden. Für das Zurücklegen von Wegen gilt dies aber nicht im gleichen Umfang, da für die gewöhnlichen und eingeübten Wege, welche nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Mehrzahl der zurückzulegenden Wegstrecken ausmachen, eine Kommunikation nur im Ausnahmefall erforderlich ist. Im Übrigen kann auch der Gehörlose Stadtpläne und schriftliche Wegbeschreibungen zu Rate ziehen und ggf. Passanten schriftlich um Auskunft bitten (so BSG, Urteil vom 12. November 1996, a.a.O.). Darüber hinaus kann auch ein weitreichendes Spektrum an modernen Kommunikationsmitteln, wie z.B. Mobilfunktelefone mit GPS-Navigation (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2013, Urteil vom 21. Februar 2013, L 7 SB 5788/11, juris) oder Internetfunktionen (z. B. App DB Navigator mit Echtzeit-Informationen und Routenplaner) eingesetzt werden. Ob diese im Einzelfall tatsächlich vorhanden sind, ist keine Frage des Behinderungsausmaßes. Im Übrigen verbleibt die Möglichkeit der schriftlichen Auskunft dem Kläger unabhängig vom dem Besitz eines solchen Mobilfunktelefons. Denn der Kläger ist ausweislich der vorgelegten Schulzeugnisse zumindest in der Lage, eine schriftliche Auskunft anzufordern. Der Kläger hat erfolgreich die Hauptschule mit einem ausreichenden Ergebnis im Fach Deutsch abgeschlossen, sodass er zumindest eine schriftliche Auskunft anfordern bzw. Stadtpläne und Wegebeschreibungen lesen kann. Letztlich geht aus den Schulzeugnissen mehrfach hervor, dass der Kläger bei Verständigungsproblemen gezielt nachfragen könne, sodass ihm auch dieses Kommunikationsmittel trotz seiner Behinderung verbleibt. Ihm war es auch in der mündlichen Verhandlung problemlos möglich, auf Fragen des Vorsitzenden in einer für alle Anwesenden verständlichen Sprache zu antworten bzw. gezielt nachzufragen. Damit hat der Senat auch im Einzelfall des Klägers keine Zweifel daran, dass diesem ausreichende Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen.

Nach alledem lagen bei dem am 1. Juli 2011 bereits volljährigen Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen G beim Entzug nicht mehr vor, weil allein die Taubheit und die damit einhergehenden Einschränkungen wie Höhenuntauglichkeit und fehlendes Richtungshören (unabhängig davon, ob mit einem GdB von 80 oder 100 bewertet) nicht genügt. Sehbehinderungen, geistige Störungen oder andere Störungen von Ausgleichsfunktionen hat der Kläger nicht geltend gemacht und diese sind unter Berücksichtigung des Befundberichtes von Dipl.-Med. P. vom 22. Februar 2012 auch nicht ersichtlich. Der Kläger hat erfolgreich einen Hauptschulabschluss mit zumindest ausreichenden Benotungen in allen Fächern erworben, sodass eine relevante geistige Störung auszuschließen ist. Die von der Mutter angegebenen Schwindelerscheinungen waren bereits nach ihren eigenen Angaben nicht dauerhaft. Andere als die typischerweise mit der Hörstörung verbundenen Probleme hat der Kläger auch nicht vorgetragen. Im Übrigen hat der Kläger nach den Ausführungen seiner Mutter bereits im Jahre 2010 den Weg zum Ausbildungsbetrieb und zur Berufsschule allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bahn) zurückgelegt, sodass er damit auch die Fähigkeit gezeigt hat, sich regelmäßig ausreichend orientieren zu können. Unregelmäßige unerwartete Störungen können dagegen nicht als Maßstab für die Orientierungsfähigkeit des Klägers herangezogen werden (so auch BSG, Urteil vom 12. November 1996, a.a.O.). Ebenso wenig wird die Orientierungsfähigkeit durch die eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit des Klägers bei Behördengängen oder Arztbesuchen geprägt. Sofern der Kläger durch technische Probleme seiner Hörgeräte (Batterieausfall, Kabelbruch) in seiner Orientierungsfähigkeit beeinträchtigt wird, sind diese Störungen nicht behinderungs-, sondern hilfsmittelbedingt und können damit auch nicht den Anspruch auf die Feststellung der Merkzeichen begründen. Schließlich lassen auch die anfänglichen Schwierigkeiten bei der Aufnahme der Ausbildung keine Rückschlüsse auf Orientierungsstörungen und/oder Störungen von Ausgleichsfunktionen zu, sondern waren von Problemen der Pünktlichkeit, Motivation und Zuverlässigkeit geprägt.

Damit ist letztlich auch unerheblich, ob der Kläger eine Gehörlosenschule besucht hat. Zwar wurde in der Ausgabe des Jahres 1996 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in Nr. 30 Abs. 5 (S. 167) noch neben der Vollendung des 16. Lebensjahrs auf den Abschluss der Gehörlosenschule Bezug genommen. Doch wurde dies laut Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates vom 13. November 2002 mit folgender Begründung geändert: Der Begriff Gehörlosenschule in Nr. 30 Abs. 5 Satz 2 der "Anhaltspunkte" wird dem heutigen, gegliederten und häufig integrativen Schulsystem nicht mehr gerecht. Die Fähigkeit, Ausgleichsfunktionen zu nutzen, hängt vom Lebensalter und der allgemeinen Reife, nicht aber vom besuchten Schultyp ab. In der Nr. 30 Abs. 5 Satz 2 der "Anhaltspunkte" auf Seite 167 sind daher die Worte "Beendigung der Gehörlosenschule" zu streichen. Durch diese Änderung wurde von der starren Begrifflichkeit "Gehörlosenschule" zugunsten anderer Bildungseinrichtungen Abstand genommen. Entscheidend sind allein der Abschluss einer ersten Bildungseinrichtung und die Fähigkeit, sich unter Zuhilfenahme möglicher Kommunikationsmittel ausreichend zu orientieren. Da dies in der Regel bei Abschluss einer Bildungseinrichtung mit Vollendung des 16. Lebensjahres der Fall ist (so auch beim Kläger durch den Hauptschulabschluss im Juli 2008), wird auf diese Vollendung abgestellt. Ausnahmsweise kann auch noch bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres die Zuerkennung des Merkzeichens gerechtfertigt werden. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es im Einzelfall bei Jugendlichen ein Lernprozess ist, allein öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Der Kläger war bei Entzug der Merkzeichen aber schon 19 Jahre alt, hatte bereits drei Jahre zuvor seinen Hauptschulabschluss erworben und eine Berufsausbildung begonnen, sodass auch im Einzelfall die Weitergewährung über das 18. Lebensjahr hinaus nicht gerechtfertigt war.

Zu Recht hat der Beklagte auch das Merkzeichen B entzogen. Nach § 146 Abs. 2 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen zur Mitnahme einer Begleitperson berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich und andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Nach Teil D, Nr. 2 c der Vorsorgungsmedizinischen Grundsätze ist die Notwendigkeit ständiger Begleitung stets anzunehmen, wenn auch die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist. Diese Voraussetzung liegt, wie soeben dargestellt, beim Kläger nicht vor. Allein die Gefahr, gelegentlich das Ziel zu verfehlen, rechtfertigt nicht die Vergabe des Merkzeichens B.

Liegen nach alledem die Voraussetzungen für die Gewährung der Merkzeichen G und B nicht mehr vor, ist nicht zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass andere behinderte Menschen im Alter von 20 Jahren noch alle Merkzeichen haben. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht kennt die Rechtsordnung nicht (vgl. nur BVerfGE 50, 142, 166; BSG, Urteil vom 21. Mai 2003 - B 6 KA 32/02 R = SozR 4-2500 § 106 Nr. 1). Im Übrigen hat auch der Kläger durch die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage die Vorteile der Merkzeichen bis zum jetzigen Zeitpunkt, also bis weit in das 22. Lebensjahr hinein, in Anspruch nehmen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.