Sächsisches Landessozialgericht - L 8 AS 417/15 B KO - Beschluss vom 14.09.2015
Mit der Neuregelung der Terminsgebühr hat der Gesetzgeber hinsichtlich der berufungsfähigen Gerichtsbescheide keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber nicht berufungsfähigen Gerichtsbescheiden eingeführt. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Der Gesetzgeber wollte aber durch die Neuregelung die Entstehung der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat (so. fiktive Terminsgebühr), auf Fälle beschränken, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall die beabsichtigte Steuerungswirkung notwendig sei. Damit hat der Gesetzgeber eine Entlastung der Sozialgerichte bezweckt, die dadurch eintreten sollte, dass der Rechtsanwalt nicht allein aus gebührenrechtlichen Gründen den prozessual häufig unzweckmäßigen Rechtsbehelf des Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung einlegt. Er wollte damit diesen an Gemeinwohlinteressen ausgerichteten Zweck durch ein sachliches Kriterium, nämlich der Möglichkeit der formell zulässigen Erzwingung einer mündlichen Verhandlung, steuern. Die hier streitentscheidende Differenzierung beruht damit auf einem zulässigen Zweck und wird durch ein willkürfreies Instrument herbeigeführt.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten Rechtsanwalts.
Der Kläger begehrte in dem vor dem Sozialgericht Dresden (SG) geführten, zugrundeliegenden Rechtsstreit die endgültige Bewilligung von Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Mit Beschluss vom 06.02.2014 bewilligte das SG dem Kläger ab Antragstellung PKH ohne Auferlegung von Raten oder Zahlungen aus dem Vermögen und unter Beiordnung des Bf. Mit Gerichtsbescheid vom 17.04.2014 gab das SG der Klage zum überwiegenden Teil statt und verpflichtete den Beklagten zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Schon während des Verfahrens wurde dem Kläger ein Vorschuss auf die PKH in Höhe von 380,80 EUR gewährt. Nach Beendigung des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Bf. am 16.06.2014 beantragt, seine aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und dessen Vergütungsverzeichnisses (VV RVG) wie folgt festzusetzen: Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 300,00 EUR Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 270,00 EUR Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Zwischensumme 590,00 EUR Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 112,10 EUR Endsumme (brutto) 702,10 EUR abzüglich PKH-Vorschuss -380,80 EUR abzüglich BHS-Vorschuss -41,65 EUR zu zahlender Betrag 279,65 EUR
Mit Verfügung vom 20.06.2014 hat der Urkundsbeamte des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt festgesetzt: Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 300,00 EUR Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR abzüglich Beratungshilfe -35,00 EUR Zwischensumme 285,00 EUR Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 54,15 EUR Gesamtsumme 339,15 EUR abzüglich PKH-Vorschuss 380,80 EUR Auszahlung (i. e. Erstattung des Bf.) -41,65 EUR Die Terminsgebühr sei nicht angefallen, da nach der Neufassung der Nr. 3106 VV RVG die fiktive Terminsgebühr nur noch anfalle, wenn nach der Entscheidung durch Gerichtsbescheid eine mündliche Verhandlung vor dem SG beantragt werden könne.
Der Bf. hat hiergegen am 30.06.2014 Erinnerung eingelegt und diese auf die nicht berücksichtigte Terminsgebühr in Höhe von 270 EUR beschränkt. Der Wegfall der Terminsgebühr bei berufungsfähigen Gerichtsbescheiden sei ein Eingriff in seine nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Berufsausübungsfreiheit und verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, weil es an einem sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung gegenüber nicht berufungsfähigen Gerichtsbescheiden fehle.
Mit Beschluss vom 25.03.2015 hat das SG die Erinnerung des Bf. zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass angesichts des klaren Wortlauts für eine verfassungskonforme Auslegung kein Raum sei und die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bf. nicht durchgriffen. Gegen den ihm am 02.04.2015 zugestellten Beschluss hat der Bf. am 09.04.2015 Beschwerde eingelegt und auf seinen Vortrag in der Erinnerungsschrift Bezug genommen.
Dem Senat die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens und des PKH-Beiheftes sowie die Akten des SG-Verfahrens vorgelegen.
II.
1. Der Senat entscheidet durch den Einzelrichter, weil die angefochtene Entscheidung vom Kammervorsitzenden des SG erlassen wurde, § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG.
2. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt worden, nämlich binnen zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG), und darüber hinaus auch statthaft. Denn der Beschwerdewert übersteigt 200 EUR (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Der Bf. begehrt eine Festsetzung in Höhe von 702,10 EUR; mit dem angefochtenen Beschluss ist eine Festsetzung von höheren Gebühren als 380,80 EUR abgelehnt worden.
3. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat die dem Bf. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen richtig festgesetzt. Die - hier allein streitige - Terminsgebühr ist nicht angefallen.
Zwar erhält der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Staatskasse, § 45 Abs. 1 RVG; dabei bestimmt sich der Vergütungsanspruch nach den Beschlüssen, durch die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde, § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG. Die Höhe der Vergütung richtet sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach den Bestimmungen des VV RVG, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist (§ 183 SGG), Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG).
a) Nach Nr. 3106 VV RVG in der seit dem 01.08.2013 geltenden und hier anzuwendenden Fassung (arg. ex. § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG) entsteht eine Terminsgebühr auch dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann oder das Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Keine der drei Möglichkeiten der Vorschrift ist hier einschlägig. Insbesondere konnte der Gerichtsbescheid mit dem statthaften Rechtsmittel der Berufung angefochten werden, weil der Wert der Beschwer für den Beklagten 750 EUR offensichtlich übersteigt; dann ist aber die Beantragung einer mündlichen Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht statthafter Rechtsbehelf (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 105, RdNr. 16 1. Spiegelstrich).
Dem Wegfall der fiktiven Terminsgebühr bei Verfahrensbeendigung durch einen berufungsfähigen Gerichtsbescheid begegnen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Bf. ist insoweit nicht in seinen Grundrechten nach Art. 3 und 12 GG verletzt.
Mit der Neuregelung der Terminsgebühr hat der Gesetzgeber hinsichtlich der berufungsfähigen Gerichtsbescheide keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber nicht berufungsfähigen Gerichtsbescheiden eingeführt. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] vom 15.07.1998 - 1 BvR 1554/89, 1 BvR 963/94, 1 BvR 964/94 -, juris RdNr. 63) Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen; verboten ist auch ein gleichheitswidriger Ausschluss, bei dem eine Begünstigung dem einem Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird (BVerfG, Beschluss vom 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris RdNr. 63). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. (BVerfG, a.a.O., RdNr. 64). Der Gesetzgeber wollte aber durch die Neuregelung die Entstehung der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat (so. fiktive Terminsgebühr), auf Fälle beschränken, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall die beabsichtigte Steuerungswirkung notwendig sei (vgl. amtl. Begründung in BT-Drs. 17/11471 (neu), Seiten 148 und 275 [zu Nr. 28 lit. a]). Damit hat der Gesetzgeber eine Entlastung der Sozialgerichte bezweckt, die dadurch eintreten sollte, dass der Rechtsanwalt nicht allein aus gebührenrechtlichen Gründen den prozessual häufig unzweckmäßigen Rechtsbehelf des Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung einlegt. Er wollte damit diesen an Gemeinwohlinteressen ausgerichteten Zweck durch ein sachliches Kriterium, nämlich der Möglichkeit der formell zulässigen Erzwingung einer mündlichen Verhandlung, steuern. Die hier streitentscheidende Differenzierung beruht damit auf einem zulässigen Zweck und wird durch ein willkürfreies Instrument herbeigeführt.
Auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit ist nicht verletzt. Zwar ist diese untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern; gesetzliche Vergütungsregelungen und darauf beruhenden gerichtliche Entscheidungen sind daher am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen (BVerfG, Beschluss vom 23.08.2005 - 1 BvR 46/05 -, juris RdNr. 16). Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist aber erst dann berührt, wenn die gesetzlichen Regelungen und ihre Auslegung durch die Fachgerichte zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führen (BVerfG, Beschluss vom 19.08.2011 - 1 BvR 2473/10, 1 BvR 2474/10 -, juris RdNr. 15). Denn Zweck einer gesetzlichen Vergütungsordnung ist es, im Verhältnis zwischen Rechtsuchenden und Rechtsanwälten klare und vorhersehbare Abrechnungsbedingungen zu schaffen, darüber hinaus aber auch im Verhältnis zu Dritten für die Zeit nach Beendigung des Prozesses für eine praktikable Abwicklung von Erstattungspflichten zu sorgen (Kostenerstattung der unterliegenden Partei und PKH). Solange das gesetzgeberische Ziel einer angemessenen Gesamtvergütung bestimmend bleibt, ist auch eine nicht allein an den mandatsbezogenen Kriterien ausgerichtete Regelung kein schwerwiegender und damit verfassungswidriger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 17.10.1990 - 1 BvR 283/85 -, juris, RdNr. 62). So liegen die Dinge aber hier: Grund für den Wegfall einer fiktiven Terminsgebühr ist die objektiv fehlende Steuerungswirkung bei Verfahren, in denen keine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Sie stellt sich damit als Rücknahme einer ungerechtfertigten Begünstigung an, die mangels Tauglichkeit des Instruments systemwidrig war. Sie ist darüber hinaus im Kontext der durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz bezweckten erheblichen Erhöhung der anwaltlichen Vergütung (vgl. hierzu Straßfeld, SGb 2013, Seiten 562ff, 563) zu sehen. b) Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände (Verfahrensgebühr, Auslagenpauschale und die Umsatzsteuer auf Vergütung) sind nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
4. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).