Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 8 AS 4314/05 - Urteil vom 17.03.2006
Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig, wenn darin ausgeführt wird, der Widerspruch sei bei "der oben genannten Stelle" einzulegen.
Einkommen ist grundsätzlich in dem Monat anzurechnen, indem es zufließt. Das gilt auch für Erwerbseinkommen, dass erst zum Monatsende dem Konto des Hilfeempfängers gutgeschrieben wird.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II/Sozialgeld für den Monat Juni 2005 zu Recht (teilweise) aufgehoben und erbrachte Leistungen zurückgefordert hat.
Der am 1974 geborene Kläger Nr. 1 und die am 1973 geborene Klägerin Nr. 2 sind die Eltern der am 2002 geborenen Klägerin Nr. 3. Bis Ende 2005 wohnten die Kläger in einer 55,27 m2 großen Wohnung in J. Die Grundmiete für diese Wohnung betrug im Jahr 2005 monatlich 233,80 EUR. Die Klägerin Nr. 2 erhielt für ihre Tochter (Klägerin Nr. 3) Landeserziehungsgeld in Höhe von monatlich 205,- EUR für die Zeit vom 25. bis zum 36. Lebensmonat des Kindes (Bescheid der L-Bank vom 04.04.2003).
Auf einen im September 2004 gestellten Antrag erhielten die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01. bis zum 30.04.2005. Am 18.04.2005 beantragten sie bei der Beklagten die Fortzahlung dieser Leistungen. Diesem Antrag gab die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2005 statt. Sie bewilligte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.10.2005 in Höhe von monatlich 928,94 EUR. Dieser Betrag errechnet sich wie folgt: Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.157,46 EUR setzt sich zusammen aus je 311,- EUR an Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für erwerbsfähige Hilfebedürftige für den Kläger Nr. 1 und die Klägerin Nr. 2, Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige in Höhe von 207,- EUR für die Klägerin Nr. 3 und einem Betrag von 328,46 EUR als Kosten der Unterkunft und Heizung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft. Von den Geldleistungen der Agentur für Arbeit (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) wird ein Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft von 228,52 EUR (anrechenbares Erwerbseinkommen des Klägers Nr. 1 in Höhe von monatlich 74,52 EUR und Kindergeld für die Klägerin Nr. 3 in Höhe von 154,- EUR) in Abzug gebracht. Dies ergibt für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtung der Kosten für Unterkunft und Heizung einen Bedarf von 600,48 EUR und zusammen mit den Kosten für Unterkunft und Heizung von monatlich 328,94 EUR den Zahlbetrag von 928,94 EUR.
Nach dem Ende des Erziehungsurlaubs nahm die Klägerin Nr. 2 am 06.06.2005 wieder ihre frühere Tätigkeit im öffentlichen Dienst (BAT 6B) auf. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie im Juni 2005 nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und ohne Berücksichtung von Kindergeld eine Vergütung in Höhe von 1.118,81 EUR. Die Gehaltszahlung erfolgte durch Überweisung auf das Konto der Klägerin. Die Gutschrift des überwiesenen Betrages erfolgte am 29. oder 30.6.2005. Mit Bescheid vom 12.07.2005 hob die Beklagte die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 01.06.2005 auf mit der Begründung, aufgrund der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse seien die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht mehr hilfebedürftig. Der Bescheid ist mit einfachem Brief zur Post gegeben worden; der Tag, an dem der Brief zur Post gegeben worden ist, ist in den Akten nicht festgehalten.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Nr. 1 am 16.08.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er sei nicht damit einverstanden, dass die Leistungen für den Monat Juni 2005 zurück verlangt würden. Seine Ehefrau habe nach dem dreijährigen Erziehungsurlaub am 06.06.2005 wieder angefangen zu arbeiten. Ihr Gehalt sei ihr am Ende des Monats ausbezahlt worden. Bis dahin hätten sie keine Einkünfte gehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2005 gab die Beklagte dem Widerspruch teilweise statt: Der Bescheid vom 12.07.2005 werde insoweit aufgehoben, als eine Erstattungsforderung in Höhe von mehr als 759,92 EUR festgestellt worden sei. Die Erstattungspflicht werde auf insgesamt 759,92 EUR festgestellt. Dieser Betrag teile sich in drei Einzelforderungen auf: Auf den Kläger Nr. 1 entfalle ein Betrag von 289,62 EUR, auf die Klägerin Nr. 2 ein Betrag von 364,15 EUR und die Klägerin Nr. 3 ein Betrag von 106,15 EUR. Diese drei Personen seien Einzelschuldner. Im Übrigen werde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beklagte führte im Widerspruchsbescheid u.a. aus, der Widerspruch sei zulässig, jedoch nur zum Teil begründet. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X sei ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ab Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn und soweit nach Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt werde, das zum Wegfall des Anspruchs führe. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse sei der Beginn des Anrechnungszeitraums maßgebend. Die Beklagte sehe den 01.06.2005 als den Zeitpunkt an, zu dem sich die Verhältnisse geändert haben. Sie stütze sich dabei auf § 2 Abs. 2 Satz 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung (Alg II-V). Nach dieser Bestimmung seien laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Ausgehend von dieser "tagesexakten" Betrachtung sei die Zahlung des ersten Lohnes (Gutschrift Ende Juni 2005) im Monat Juni 2005 als Einkommen zu berücksichtigen mit der Folge, dass ab 01.06.2005 wirtschaftliche Bedürftigkeit zu verneinen sei. Nach § 50 Abs. 1 SGB X seien bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Abweichend hiervon sehe § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II allerdings vor, dass ein Teilbetrag in Höhe von 56 v. H. der bei der Leistungsgewährung berücksichtigten Kosten der Unterkunft (ohne Heizkosten) nicht der Erstattungspflicht unterlägen. Im Falle der Kläger seien Kosten der Unterkunft (ohne Heizkosten) in Höhe von monatlich 301,80 EUR anerkannt. Ein Teilbetrag in Höhe von 56 v.H. hiervon ( = 169,- EUR) unterliege daher nicht der Rückforderung. Daher mindere sich die Erstattungsforderung um diesen Betrag auf 759,92 EUR.
Am 05.09.2005 haben die Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie haben vorgetragen, im angefochtenen Widerspruchsbescheid werde die Sachlage hinreichend und korrekt dargestellt. Allerdings entspreche die dort erläuterte "tagesexakte" Betrachtung nicht den realen Lebensverhältnissen. Wenn einem Arbeitnehmer am 29. oder 30. eines Monats Arbeitseinkommen für diesen Monat zufließe, dann stehe dieser Verdienst tatsächlich erst ab diesem Zufluss zur Deckung des Lebensunterhalts zur Verfügung. Die zum Monatsende noch vorhandene Summe werde dann im Folgemonat als Vermögen angesehen. Diese Sicht kollidiere mit der in ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) betonten Haltung, wonach nur so genannte "bereite Mittel" als Einkommen berücksichtigt werden dürften. Wenn Arbeitseinkommen erst ganz am Ende eines Monats tatsächlich zufließe, so bedeute dies, dass für die Zeit vom Monatsersten bis zum Zuflusstag keine "bereiten Mittel" zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stünden. Sachgerecht sei alleine die Zurechnung solcher Einkünfte für den unmittelbar anschließenden Folgemonat. In ihrem Fall bedeute dies, dass der ursprüngliche Bewilligungsbescheid nicht ab 01.06.2005, sondern erst ab 01.07.2005 aufzuheben gewesen wäre.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten, hat allerdings ausgeführt, sie teile die Ansicht der Kläger, soweit diese die sich aus § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V ergebende Rechtsfolge als lebensfremd kritisierten. Dies gelte zumindest für die Fälle, in denen - wie hier - der Zufluss eines Einkommens kurz vor dem Monatswechsel erfolge und die entsprechende Einkommenszurechnung dann für den weitgehend verstrichenen Zuflussmonat erfolgen solle. Der Zwang zur "tagesexakten" Zurechnung der Einkünfte ergebe sich im Übrigen auch aus § 23 Abs. 4 SGB II. Danach sei eine Leistungsgewährung als Darlehen möglich, wenn zu erwarten sei, dass später im Verlauf des Leistungsmonats Einnahmen anfallen werden. Die grundsätzliche Zuflussproblematik werde dadurch aber nicht gelöst. In vielen Fällen fließe einem Arbeitnehmer der Monatslohn erst gegen Ende des betreffenden Monats tatsächlich zu. Dies gelte nicht nur für neu begonnene, sondern auch für schon länger bestehende Arbeitsverhältnisse. Müssten dann jeden Monat vom Monatsersten bis zum Zuflusstag darlehensweise Leistungen gewährt werden, würde die Leistungsgewährung niemals enden.
Mit Urteil vom 29.09.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es u.a. dargelegt, es teile die Bedenken der Beteiligten gegen die in § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V vorgeschriebene Betrachtungsweise nicht. Diese Regelung entspreche der Rechtsprechung des BVerwG seit 1999 zu den Vorschriften über die Einkommensanrechnung nach § 76 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Am 19.10.2005 haben die Kläger Berufung eingelegt. Auf ihr Vorbringen im Schreiben vom 11.10.2005 wird Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2005 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2005 abzuändern, soweit damit der Bewilligungsbescheid vom 19. April 2005 für den Zeitraum vom 1. bis 30. Juni 2005 aufgehoben wurde, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Kläger zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte verweist im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen.
Die Beteiligten habe sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens
der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die
Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig.
Nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung nicht der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Veraltungsakt betrifft, 500 EUR übersteigt. Dies ist hier der Fall. Die Kläger wenden sich ausdrücklich nur gegen die (teilweise) Aufhebung und Rückforderung der für den Monat Juni 2005 gezahlten Leistungen. Soweit mit dem Bescheid vom 12.07.2005 die Leistungen (auch) ab dem 01.07.2006 entzogen wurden, ist der Bescheid nicht angefochten und daher insoweit bestandskräftig geworden. Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt damit 759,92 EUR. Vorliegend wenden sich die Kläger zwar gegen eine Aufhebung und Rückforderung, die für jeden Kläger niedriger als 500,- EUR ist. Die Kläger bilden aber eine gemäß § 74 SGG i.V.m. §§ 59, 60 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässige Streitgenossenschaft (subjektive Klagehäufung), weil sie mit dem angefochtenen Bescheid aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund verpflichtet werden. Bei Streitgenossen erfolgt nach § 202 SGG i.V.m. § 5 Hs.1 ZPO eine Zusammenrechnung mehrerer geltend gemachter Ansprüche, soweit die Ansprüche nicht identisch sind (BGH 28.10.1980 NJW 1981, 578; Bernsdorff in Hennig, SGG, § 144 Rn 23).
Richtige Beklagte und Berufungsklägerin ist die Arbeitsgemeinschaft der Agentur für Arbeit und der Stadt Karlsruhe (ARGE). Nach § 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II errichten die Träger der Leistungen nach dem SGB II durch privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verträge Arbeitsgemeinschaften in den nach § 9 Abs. 1a SGB III eingerichteten Job-Centern. Die Arbeitsgemeinschaften sind berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen (§ 44b Abs. 3 Satz 3 SGB II); sie werden außergerichtlich und gerichtlich durch den Geschäftsführer vertreten (§ 44b Abs. 2 Satz 2 SGB II). Damit sind sie nach Auffassung des Senats Behörden i.S.d. § 1 Abs. 2 SGB X in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Dem steht nicht entgegen, dass sie auf vertraglicher Grundlage errichtet werden (aA Quaas, Die Arbeitsgemeinschaft nach dem neuen SGB II: Ungelöste Rechtsfragen zur Rechtsnatur der Einrichtung, SGb 2004, 723, 726). Denn die Rechtsfähigkeit der Arbeitsgemeinschaft beruht nicht auf dem Vertrag, mit dem sie errichtet wird, sondern auf der gesetzlichen Regelung in § 44b SGB II. Da die Gründungsvereinbarung nur als öffentlich rechtliche Vereinbarung gewertet werden kann (vgl. Quaas aaO S. 727), handelt es sich bei einer nach § 44b SGB II gebildeten Arbeitsgemeinschaft, jedenfalls soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben zum Erlass von Verwaltungsakten berechtigt ist, um eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Zwar sieht die gesetzliche Regelung in § 44b SGB II die rechtsfähige Anstalt als Rechtsform für die Arbeitsgemeinschaft nicht ausdrücklich vor, doch kommt es darauf nicht an (aA Strobel, Die Rechtsform der Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II, NVwZ 2004, 1195, 1196). Entscheidend ist, dass die Verleihung der Rechtsfähigkeit durch staatlichen Hoheitsakt erfolgt. Dies ist hier der Fall. § 44b SGB II enthält die Ermächtigung zur Gründung einer eigenständigen Organisation (Anstalt), die - soweit die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten reicht - Träger von Rechten und Pflichten sein kann, und damit zumindest Teilrechtsfähigkeit besitzt.
Die Berufung der Kläger ist aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2005 ist auch, soweit damit der Bewilligungsbescheid vom 19. April 2005 für den Zeitraum vom 1. bis 30. Juni 2005 aufgehoben wurde, rechtmäßig. Die Hilfebedürftigkeit der Kläger in diesem Monat ist durch die Überweisung des Lohnes für den Monat Juni 2005 an die Klägerin Nr. 2 am 29. oder 30.06.2005 entfallen.
Der Bescheid vom 12.07.2005 ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.
Zwar ist eine Anhörung der Kläger vor Erlass des Bescheides unterblieben. Dies führt hier aber nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Bescheides. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte von einer Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 SGB X hätte absehen können. Selbst wenn von einer Verletzung der Anhörungspflicht ausgegangen werden müsste, wäre dieser Fehler unbeachtlich, da die Anhörung im Widerspruchsverfahren wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Im vorliegenden Fall genügt hierfür die Durchführung des Widerspruchsverfahrens, da die Beklagte im Bescheid vom 12.07.2005 die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen angegeben und den Widerspruch sachlich (inhaltlich) beschieden hat (vgl. BSG 24.03.1994 - 5 RJ 22/93 - ).
Der Bescheid vom 12.07.2005 ist auch nicht in vollem Umfang bestandskräftig geworden. Zwar haben die Kläger erst am 16.08.2005 und damit möglicherweise nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) Widerspruch eingelegt, doch hat die Beklagte den Widerspruch ausdrücklich als zulässig betrachtet und in der Sache entschieden. Damit hat sie sich in nach Ansicht des Senats rechtlich zulässiger Weise über eine möglicherweise bestehende Verfristung hinweg gesetzt und den Klägern im Umfang der im Widerspruchsbescheid getroffenen Regelung den Rechtsweg (wieder) eröffnet. Im Übrigen dürfte die dem Bescheid vom 12.07.2005 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden sein, weil darin nur ausgeführt ist, dass der Widerspruch "bei der oben genannten Stelle" einzulegen sei, es aber nicht ohne weiteres erkennbar ist, welche Stelle dies ist (§ 36 SGB X). Im Briefkopf ist das Jobcenter Stadt Karlsruhe als entscheidende Stelle erkennbar, im Text wird aber auch darauf hingewiesen, dass Zahlungen an die Regionaldirektion Baden-Württemberg zu leisten sind. Es ist daher nicht eindeutig, welches die "oben genannte Stelle" ist. Damit würde die Frist zur Einlegung des Widerspruchs ohnehin ein Jahr betragen (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt muss nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. mit dem über § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II anwendbaren § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X).
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 der auf der Grundlage von § 13 SGB II ergangenen Verordnung zur Berechung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V) vom 20.10.2004 (BGBl I S. 2622) in der hier noch anzuwendenden bis 30.09.2005 geltenden Fassung sind laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass das am 29. oder 30.06.2005 ausbezahlte Gehalt für den Monat Juni 2005 als Einkommen für die Zeit vom 01.06. bis 30.6.2005 anzurechnen ist. Die Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V wird von der Ermächtigungsgrundlage des §13 SGB II gedeckt und steht mit höherrangigem Recht im Einklang; sie entspricht im Übrigen auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) zur Einkommensanrechnung bei der Arbeitslosenhilfe (Alhi) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Einkommensanrechnung bei der Sozialhilfe.
Das BSG hat für den Anspruch auf Alhi ausgesprochen, dass jede Leistung in Geld oder Geldeswert in dem Zahlungszeitraum der Alhi, in dem sie dem Arbeitslosen zufließt, Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Alhi ist, während der am Ende des Zeitraums nicht verbrauchte Teil zum Vermögen wird. Diese begriffliche Unterscheidung hat lediglich im Hinblick auf die Nachrangigkeit von Alhi gegenüber anderweitigen Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, für während des Leistungsbezugs wiederkehrende Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Vermietung oder Verpachtung sowie Kapitalvermögen Einschränkungen und Präzisierungen erfahren (BSG 09.08.2001 - B 11 AL 15/01 R - SozR 3-4300 § 193 Nr. 3 = BSGE 88, 258 Rn 19). Das BVerwG hat ebenfalls - wie das SG zutreffend dargelegt hat - bei der Berechnung von Sozialhilfe entschieden, dass alles das, was jemand im Bedarfszeitraum erhält als Einkommen auf den sozialhilferechtlichen Bedarf anzurechnen ist, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt das Einkommen innerhalb des Bedarfszeitraums tatsächlich zufließt (BVerwG 22.04.2004 - 5 C 68/03 - NJW 2004, 2608f).
Der Einwand der Kläger, dass für die Zeit vom Monatsersten bis zum Zuflusstag keine "bereiten Mittel" zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stünden, wenn Arbeitseinkommen erst ganz am Ende eines Monats tatsächlich zufließe, rechtfertigt keine hiervon abweichende Beurteilung. Der Umstand, dass Einkommen, das im Bedarfszeitraum zu einem späteren Zeitpunkt zufließt, bis zu diesem Zeitpunkt nicht zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht, berührt nicht die Anrechnung als Einkommen, sondern betrifft allein die Frage, inwieweit trotz des anzurechnenden Einkommens zur Überbrückung vorübergehend Leistungen zu gewähren sind (vgl. BVerwG aaO). Für einen solchen Sachverhalt sieht § 23 Abs. 4 SGB II vor, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden können, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Die Regelung in § 23 Abs. 4 SGB II soll gerade die Fälle erfassen, in denen - wie hier - im Voraus bekannt ist, dass die Hilfebedürftigkeit wegen späteren Einkommenszuflusses für den Monat ausgeschlossen oder vermindert werden wird (BT-Drucks. 15/2997 S. 24 zu Nr. 12a). Zu einer nachträglichen Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Monat Juni 2005 und damit zu dem von den Klägern beklagten erhöhten Verwaltungsaufwand ist es ohnehin nur deshalb gekommen, weil die Klägerin Nr. 2 der Beklagten nicht frühzeitig mitgeteilt hat, dass sie im Juni 2005 wieder ihre frühere Tätigkeit aufnimmt. Hätte sie dies der Beklagten vorher mitgeteilt, hätte diese die Leistung für diesen Monat von vorneherein nur als Darlehen bewilligen können.
Der Hinweis der Beklagten auf die im ursprünglichen Entwurf der Alg II-V vorgesehene Regelung in § 2 Abs. 2, wonach laufende Einnahmen, die in den letzten fünf Kalendertagen eines Monats zufließen, dem Folgemonat zuzurechnen sind, bestätigt die vom SG und vom Senat vertretene Auslegung der geltenden Alg II-V. Denn § 2 Abs. 2 Alg II-V ist gerade nicht in der im Entwurf ursprünglich vorgesehenen Form in Kraft getreten. Auch bei der durch Verordnung vom 22.08.2005 (BGBl. I S. 2499) erfolgten Änderung des § 2 Alg II-V ist die Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V unverändert geblieben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor, da sich eine Antwort auf die von den Beteiligten aufgeworfene Rechtsfrage zur Anrechnung laufender Einnahmen bereits aus dem Wortlaut der einschlägigen Verordnung ergibt.