Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 8 SB 1691/08 - Urteil vom 14.08.2009
Ob die Regelungen der seit 01.01.2009 geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) zum Merkzeichen G mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig sind, kann dahinstehen. Die VMG haben nämlich die Grundsätze zum Merkzeichen "G" aus den bis zum 31.12.2008 geltenden AHP übernommen. Dadurch wird weiterhin eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Tatbestand:
Der Kläger macht einen höheren Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) und den Nachteilsausgleich G geltend.
Der 1959 geborene Kläger beantragte am 20.03.2003 erstmals die Feststellung des GdB und gab an, die Feststellungen sollen ab 30.04.2001, dem Erkrankungs- bzw. Feststellungszeitpunkt, getroffen werden. Nach medizinischer Sachaufklärung stellte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) mit Bescheid vom 03.07.2003 einen GdB von 50 seit 01.12.2002 und einen GdB von 30 für die Zeit vom 24.09.2001 bis 30.11.2002 fest. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G, GL, B, H, aG, Bl und RF wurde mit diesem Bescheid abgelehnt. Dieser Entscheidung lag die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 01.07.2003 zugrunde, in der das beim Kläger vorliegende Kopfschmerzsyndrom (GdB 30), die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose (GdB 20) und die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (GdB 20) insgesamt mit einem GdB von 50 bewertet worden waren.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.07.2003 am 01.09.2003 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2004 wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig zurückwies.
Am 31.01.2005 erhob der Kläger Klage (S 17 SB 566/05) zum Sozialgericht Stuttgart (SG) und erklärte, dass sein Schreiben vom 17.07.2003 nicht als Widerspruch zu werten gewesen sei. Vielmehr habe es sich insoweit um einen Neufeststellungsantrag gehandelt. Danach nahm der Kläger die Klage zurück.
Im Rahmen des Neufeststellungsverfahrens machte der Kläger eine Verschlimmerung seiner Leiden geltend und beantragte die Erhöhung des GdB und die Feststellung der Nachteilsausgleiche G, B, aG und RF. Hierzu legte der Kläger verschiedene ärztliche Unterlagen, insbesondere den Bericht vom 11.08.2003 über seine stationäre Behandlung in der Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie der Städtischen Kliniken E. vom 02.07. bis 09.07.2003, die ärztlichen Bescheinigungen der Orthopädin Dr. G. vom 08.03. und 01.07.2004, deren Befundbericht vom 22.12.2004 sowie Bescheinigungen des Nervenarztes Dr. R. und seines Hausarztes J., vor. Das VA ließ sich von dem Facharzt für Allgemeinmedizin J.er die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen übersenden und holte anschließend die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 27.01.2006 ein. Darin wurde ein GdB von 60 angenommen, die Voraussetzungen der beantragten Nachteilsausgleiche hingegen verneint. Berücksichtigt wurden folgende Funktionsbeeinträchtigungen:
1. Seelische Störung, Kopfschmerzsyndrom, funktionelle Organbeschwerden (Teil-GdB 40) 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 20) 3. Funktionsbehinderung beider Schultergelenke (Teil-GdB 20) 4. Arthrose, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 20) 5. Arthrose, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke (Teil-GdB 10).
Am 06.02.2006 erließ das nunmehr zuständige Landratsamt E. einen dieser versorgungsärztlichen Äußerung entsprechenden Neufeststellungsbescheid (GdB 60 seit 01.09.2003).
Dagegen legte der Kläger am 23.02.2006 Widerspruch ein und machte einen höheren GdB und die "dazu gehörenden" Nachteilsausgleiche geltend. Ein GdB von 60 sei angesichts seiner schweren Erkrankungen keineswegs angemessen. Er verwies auf seine starken Kopfschmerzen, die Beeinträchtigungen und Schmerzen im Bereich der Knie- und Hüftgelenke sowie im Bereich beider Schultern und auf sein Wirbelsäulenleiden. Er müsse mit einer Gehhilfe gehen, da er ansonsten keinen Halt habe. Öffentliche Verkehrsmittel könne und dürfe er wegen den dabei auftretenden Erschütterungen usw. auch nicht benutzen. Er benötige Hilfe beim Anziehen, Waschen und Einkaufen. Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006 zurück.
Am 26.05.2006 erhob der Kläger Klage zum SG, mit der er einen höheren GdB, die "entsprechenden" Nachteilsausgleiche und die Feststellung des GdB schon vor 2001 geltend machte. Er begründete dies mit seinen vielfältigen und schwerwiegenden Gesundheitsstörungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates und des Gehirns, die einen weit höheren GdB als 60 bedingten. Solch schwerwiegende Gesundheitsstörungen würden zudem nicht schlagartig (im Jahr 2001) auftreten und dann unverändert so bestehen bleiben.
Das SG hörte zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Die Ärztin für Anästhesiologie Dr. Sch. (Angaben vom 15.08.2006 mit Ergänzung vom 19.09.2006), der Radiologe Privatdozent Dr. K. (Angaben vom 08.09.2006), der Orthopäde Dr. P. (Angaben vom 02.10.2006) und Dr. R. (Angaben vom 04.10.2006) äußerten sich jeweils zu den von ihnen erhobenen Befunden, machten Angaben zum Krankheits- und Behandlungsverlauf und übersandten hierzu weitere medizinische Unterlagen. Anschließend holte das SG von Dr. S. ein internistisches Gutachten und Zusatzgutachten auf nervenärztlichem und orthopädischem Gebiet ein. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Zusatzgutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sc. vom 25.07.2007 und des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. N. vom 14.07.2007 gelangte Dr. S. in seinem Hauptgutachten vom 02.08.2007 zusammenfassend zu dem Ergebnis, der Kläger leide an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen, Beeinträchtigungen der Impulskontrolle und funktionell geprägten Körperbeschwerden, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, einer Arthrose, Funktionsbehinderung der Knie- und geringer der Hüftgelenke beiderseits, einer Funktionsbehinderung der Schultergelenke beiderseits, einem derzeit noch nicht zufriedenstellend eingestellten Bluthochdruck und einem Leberschaden, Blutfett- und Harnsäureerhöhung. Den Gesamt-GdB schätze er auf 70, wobei die Borderline-Persönlichkeitsstörung einen GdB von 50 bedinge. Im Unterschied zur bisherigen Bewertung habe sich bei der jetzigen Untersuchung eine stärkere psychiatrische Beeinträchtigung ergeben. Die orthopädischerseits festgestellten Störungen wirkten sich auf das Gehvermögen aus, jedoch nicht in sehr erheblicher Weise. Die gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G, B, aG und RF seien nicht erfüllt. Unter dem 28.11.2007 unterbreitete der Beklagte dem Kläger unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.11.2007 ein Vergleichsangebot (GdB 70 ab 01.09.2003), das der Kläger nicht annahm. Er hielt einen GdB von 80 ab einem früheren Zeitpunkt und die Feststellung des Nachteilsausgleiches G für gerechtfertigt.
Mit Gerichtsbescheid vom 17.03.2008 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung der angegriffenen Bescheide, den GdB des Klägers mit 70 ab 01.09.2003 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung stützte es sich im Wesentlichen auf die eingeholten fachärztlichen Gutachten, nach denen die beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen einen GdB von insgesamt 70 bedingten. Die Voraussetzungen für einen höheren GdB und der streitgegenständlichen Nachteilsausgleiche seien nicht erfüllt. Insbesondere sei das Gehvermögen des Klägers nicht in einem Ausmaß eingeschränkt, dass seine Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei.
Gegen den als Einschreiben am 18.03.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit spätestens am 08.04.2008 beim SG eingegangenem Schreiben vom 28.03.2008 Berufung eingelegt, mit der er zunächst (nur) einen früheren Feststellungszeitpunkt (1995 bzw. Januar 2000) geltend machte. Mit Schreiben vom 06.05. und vom 16.06.2008 machte der Kläger geltend, seiner Meinung nach betrage der GdB 80 und stehe ihm auch der Nachteilsausgleich G zu. Zu berücksichtigen seien auch seine früheren Gesundheitsstörungen (Lungen-Tbc, Schädelbasisbruch), wegen denen er in der DDR behandelt bzw. operiert (Knieoperationen 1983 und 1984 bzw. 1985) worden sei. Ferner erfülle er die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G, da er auch Probleme beim Gehen habe. Ungefähr nach 40 bis 50 m habe er sehr starke Schmerzen und müsse erst einmal fünf bis zehn Minuten eine Pause einlegen, bevor er dann langsam weitergehen könne. Der Kläger hat seinen Impfausweis vorgelegt, (Vermerk: BCG-Narben sichtbar), in dem Impfungen in den Jahren 1964, 1966, 1972 und 1976 eingetragen sind. Ferner legt er das Schreiben des Gesundheitsamts E. vom 08.02.2007 an das Kreissozialamt E. vor, in dem über die amtsärztliche Untersuchung des Klägers am 16.01.2007 berichtet wird. Beim Kläger liege ein chronisches Schmerzsyndrom und eine psychische Erkrankung vor. Letztere sei vorwiegend gekennzeichnet durch eine depressive Stimmungslage und eine verminderte psychophysische Belastbarkeit. Der Kläger sei voll erwerbsgemindert. Eine Nachuntersuchung sei nicht erforderlich.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. März 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 6. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 80 ab 1995, hilfsweise ab Januar 2000, sowie den Nachteilsausgleich G festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Soweit der Kläger die Feststellung eines (höheren) GdB für die Zeit ab 1995 begehre, sei darauf hinzuweisen, dass ein Rücknahmebescheid nicht streitbefangen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet.
Das SG hat mit dem vom Kläger angefochtenen Gerichtsbescheid den Beklagten zu Recht zur Feststellung eines GdB von (nur) 70 ab 01.09.2003 verurteilt. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80 noch auf die Feststellung des Nachteilsausgleiches G.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 06.02.2006 (Widerspruchsbescheid vom 27.04.2006), mit dem der Beklagte wegen einer wesentlichen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers den GdB ab 01.09.2003 von 50 auf 60 erhöht und die gesundheitlichen Voraussetzungen der beantragten Nachteilsausgleiche (u.a.G) verneint hat. Der Kläger macht geltend, dass das Ausmaß der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen über den angefochtenen Gerichtsbescheid hinaus nicht nur einen GdB von 70, sondern einen GdB von 80 (ab 1995 bzw. Januar 2000) sowie die Feststellung des Nachteilsausgleiches G rechtfertige. Zwar hat der Kläger mit seiner Berufungsschrift vom 28.03.2008 (zumindest nicht ausdrücklich) keinen höheren GdB als 70 und auch nicht den Nachteilsausgleich G geltend gemacht. Allerdings hat er den angefochtenen Gerichtsbescheid auch schon in diesem Schreiben insoweit (lediglich) "unter Vorbehalt" anerkannt und im Übrigen ausdrücklich aber nur einen früheren Feststellungszeitpunkt (1995 bzw. 2000) geltend gemacht. Damit lässt sich nach Auffassung des Senats nicht die Feststellung treffen, dass er sein erst mit am 13.05.2008, und damit nach Ablauf der Berufungsfrist am 18.04.2008, eingegangenem Schreiben vom 06.05.2008 ausdrücklich genanntes Begehren auf Feststellung eines GdB von 80 und des Nachteilsausgleiches G bei Einlegung der Berufung unbedingt und endgültig aufgegeben hatte.
Unzulässig ist hingegen das Begehren des Klägers, einen höheren GdB bereits ab 1995 bzw. 2000 festzustellen. Insoweit liegt - mangels Antrages des Klägers - keine gerichtlich anfechtbare Entscheidung des Beklagten vor. Der Erstbescheid des Beklagten vom 03.07.2003, mit dem der GdB auf 50 ab 01.12.2002 festgestellt worden war, ist bindend. Das vom Beklagten nach der entsprechenden Erklärung des Klägers als Neufeststellungsantrag gewertete Schreiben des Klägers vom 17.07.2003 (Eingang beim Beklagten am 01.09.2003) enthält ebenso wie der später von ihm übersandte Formularantrag keinen Hinweis darauf, dass er einen früheren Feststellungszeitpunkt beantragt.
Das SG ist in seiner Entscheidung unter Heranziehung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, 69 Abs. 1 und 3 SGB IX) und der zum Entscheidungszeitpunkt maßgebenden Beurteilungsgrundsätze der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, 2004 (AHP) sowie im Wesentlichen gestützt auf die eingeholten fachärztlichen Gutachten von Dr. S., Dr. Sc. und Dr. N. zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsstörungen des Klägers seit 01.09.2003 mit einem GdB von 70 zu bewerten sind und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX iVm den Beurteilungsgrundsätzen nach Nr. 30 Abs. 3 AHP beim Kläger nicht erfüllt sind. Der Senat, der zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vom SG zitierten Rechtsgrundlagen und Bewertungsregeln Bezug nimmt, kommt nach eigener Prüfung zum selben Ergebnis. Die Funktionsstörungen des Klägers - im Vordergrund steht hierbei sein psychisches Leiden, das allein schon einen GdB von 50 bedingt - rechtfertigen keinen höheren GdB als 70. Mit dieser ab dem Zeitpunkt des Neufeststellungsantrages vom 01.09.2003 geltenden Bewertung wird der Verschlimmerung seines psychischen Leidens, das nicht nur mit einer wesentlichen Einschränkung seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit verbunden ist, sondern auch mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten bedingt, Rechnung getragen. Dies entspricht einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die nach Teil B Nr. 3.7, S. 27 der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VG), die seit 01.01.2009 an die Stelle der AHP getreten sind, mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten sind. Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsstörungen und der Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB ergibt sich kein höherer GdB als 70. Der Senat schließt sich insoweit den sehr eingehenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid an und nimmt hierauf in vollem Umfang Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Soweit der Kläger unter Hinweis auf lange zurückliegende Erkrankungen und Operationen (Lungen-Tbc, Schädelbasisbruch, Knieoperationen 1983 bis 1985) einen GdB von insgesamt 80 für gerechtfertigt hält, kann ihm nicht gefolgt werden. Maßgebend für die Höhe des GdB ist allein das Ausmaß der Funktionsstörungen im streitbefangenen Zeitraum. Demzufolge kommt es hier auf das Ausmaß seiner Funktionsstörungen ab September 2003 an. Frühere, nicht mehr vorliegende Funktionsstörungen können daher nicht bei der Bemessung des GdB berücksichtigt werden. Anders wäre es nur dann, wenn die lange zurückliegenden Erkrankungen und Operationen auch heute noch Auswirkungen hätten. Dies ist für die Jahrzehnte zurückliegende Lungen-Tbc des Klägers nicht der Fall. Im internistischen Gutachten von Dr. S. vom 02.08.2007 ist in dieser Hinsicht kein krankhafter Befund erwähnt. Was die Kniegelenke anbetrifft, ist eine entsprechende Funktionsbehinderung, die zusammen mit der Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke einen GdB von 10 bedingt, berücksichtigt. Schwerwiegendere Funktionsstörungen liegen insoweit nach dem orthopädischen Gutachten von Dr. N. vom 14.07.2007 nicht vor. Eine Borreliose ist nach dem im internistischen Gutachten von Dr. S. dokumentierten Laborbefund des Dr. Dr. v. d. L. nicht nachzuweisen.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G liegen beim Kläger ebenfalls nicht vor. Er ist nicht infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt. Auch dies hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid unter Hinweis auf die Beurteilungsgrundsätze der AHP eingehend und überzeugend begründet, weshalb der Senat hierauf ebenfalls gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt.
Ergänzend führt der Senat hierzu aus: Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).
Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Ob die Regelungen der VG zum Merkzeichen G mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig sind, weil die Verordnungsermächtigung in § 30 Abs. 17 BVG nicht auf die im Schwerbehindertenrecht in SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4), lässt der Senat dahinstehen. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben die Grundsätze zum Merkzeichen G aus den AHP übernommen (vgl. Teil D Nr. 1 S. 114f) und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnistand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -). Der Senat sieht derzeit keinen Anlass, von diesen in ständiger Übung angewandten Bewertungsgrundsätzen abzuweichen, die im maßgebenden Verkehrskreis nach allgemeiner, von ständiger Rechtsprechung geprägten Überzeugung als rechtsverbindlich im oben dargelegten Sinne beurteilt wurden und damit einer gewohnheitsrechlichten Übung entsprachen.
Soweit der Kläger geltend macht, er erfülle die Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches G, da er nach einer Gehstrecke von 40 bis 50 m sehr starke Schmerzen habe und erst einmal fünf bis zehn Minuten warten müsse, bevor er langsam weitergehen könne, ist darauf hinzuweisen, dass die beim Kläger diagnostizierten Funktionsstörungen, die sich auf sein Gehvermögen auswirken können, mit seiner Beschwerdeangabe nicht in Einklang zu bringen sind. Sie sind nicht so schwerwiegend, dass die zu beachtenden Beurteilungskriterien als erfüllt angesehen werden können. Sein Wirbelsäulenleiden bedingt nach dem orthopädischem Gutachten von Dr. N. einen GdB von 20 bis 30 und die Funktionsbehinderungen im Bereich der Knie und geringer der Hüftgelenke beiderseits einen GdB von 10. Erforderlich wäre aber nach den erwähnten Bewertungsgrundsätzen ein GdB von 50 für den Bereich der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bzw. ein GdB von 40, wenn sich die Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung oder arteriellen Verschlusskrankheit mit einem GdB von 40. Auch die auf nervenärztlichem Gebiet diagnostizierten Erkrankungen haben nach Dr. Sc. keine Auswirkungen auf die Gehfähigkeit
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.