Tatbestand:

Streitig ist die Berechtigung des Beklagten zur Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers.

Bei dem 1956 geborenen Kläger wurde im Juni 1992 ein malignes Teratom des rechten Hodens diagnostiziert, welches mit Entfernung des rechten Hodens und der dazu gehörigen Lymphknoten behandelt worden ist.

Der Kläger beantragte beim Versorgungsamt U. am 13.11.1992 die rückwirkende Feststellung eines GdB und Ausstellung eines Ausweises ab Juni 1992 auf Grund des Hodenkarzinoms und der nachfolgenden Operationen.

Das Versorgungsamt U. zog einen Arztbrief des Pathologen Dr. H. vom 25.06.1992, einen Operationsbericht des Krankenhauses der Vereinigten Wohltätigkeitsstiftungen N. vom 11.06.1992, Arztbriefe des Urologen Dr. E. vom 30.06.1992 und vom 18.08.1992, einen Entlassungsbericht des Zentralklinikums A. - Urologische Klinik - vom 31.07.1992 sowie den Entlassungsbericht der Klinik P. B. W. vom 10.11.1992 über die dort vom 06.10.1992 bis 10.11.1992 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme und einen ärztlichen Befundschein der Allgemeinmedizinerin Dr. B. bei (Bl. 3 bis 19 der Verwaltungsakte).

Nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen wurde in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.01.1993 ausgeführt, auf Grund der Entfernung des rechten Hodens und der dazugehörigen Lymphknoten im Juni 1992 sei ein Gesamt-GdB von 50 seit Juni 1992 nachgewiesen. Eine Nachprüfung sei im Juni 1997 erforderlich.

Mit Bescheid vom 20.01.1993 stellte das Versorgungsamt U. den Grad der Behinderung mit 50 seit dem 01.06.1992 auf Grund der Entfernung des rechten Hodens und der dazugehörigen Lymphknoten fest. Der Kläger bekam einen bis zum 30.06.1997 befristeten Schwerbehindertenausweis ausgestellt (Bl. 21 u. 22 der Verwaltungsakte).

Der Kläger beantragte am 15.12.1994 die Erhöhung des GdB und trug zur Begründung vor, er sei wegen einer Knochenzyste im Bereich des Oberschenkels operiert worden. Nach Beiziehung eines Entlassungsberichts des Zentralklinikums A. - Chirurgische Kliniken - vom 18.11.1994 führte Dr. Z. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.12.1994 aus, der GdB betrage unverändert auf Grund der Entfernung des rechten Hodens und der dazugehörigen Lymphknoten 50. Die Knochenzystenoperation sei Folge einer akuten Erkrankung gewesen und rechtfertige keinen GdB. Eine Nachprüfung sei im Juni 1997 wegen Heilungsbewährung erforderlich.

Das Versorgungsamt U. lehnte den Neufeststellungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 17.01.1995 mangels einer wesentlichen Verschlimmerung der festgestellten Behinderungen ab. Die Behinderungen des Klägers seien vollständig erfasst und mit einem GdB von 50 ausreichend und angemessen bewertet (Bl. 30 der Verwaltungsakte).

Mit Schreiben vom 03.12.1998 wandte sich der Landeswohlfahrtsverband W.-H. an das Versorgungsamt U. und bat um Übersendung eines aktuellen Bescheids, da der Arbeitgeber des Klägers beim Landeswohlfahrtsverband einen Zuschuss beantragt hatte. Die Übersendung einer Kopie des Bescheids vom 20.01.1993 erfolgte am 08.12.1998.

Der Schwerbehindertenausweis des Klägers wurde erstmals am 18.06.1997 bis Juni 2002 und nochmals am 03.07.2002 bis Juni 2007 verlängert. Schließlich erfolgte mit Ausweisverfügung vom 28.06.2007 eine unbefristete Ausstellung des Schwerbehindertenausweises. In der Verfügung ist aufgeführt, dass keine Nachprüfung erforderlich sei.

Am 21.12.2011 leitete das Landratsamt O. - Integration und Versorgung - (LRA) eine Nachprüfung von Amts wegen ein. Im Fragebogen zur Nachprüfung von Amts wegen machte der Kläger psychische Probleme und Narbenschmerzen in Folge der Operationen, einen Tinnitus und eine Knochenzyste geltend.

Das LRA zog einen Arztbrief des HNO-Arztes Dr. Sch. vom 04.11.2008 (Diagnose: geringgradige Hochtonperzeptionsschwerhörigkeit beidseits mit chronischem Tinnitus), einen Arztbrief des Urologen Dr. T. vom 07.07.2009 (Diagnosen: Zustand nach malignem Hodentumor rechts 1992 und erektile Dysfunktion), einen Arztbrief der Fachärztin für Orthopädie Dr. J.-J. vom 04.03.2010 (Diagnose: Zervikobrachialgie rechts, Verdacht auf KTS rechts, Vertigo, Gonarthrose C4/7 und Bandscheibendegeneration C5/6), einen Befundbericht des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. Sch. vom 20.02.2012 (Diagnose: geringgradige basocochleärbetonte Perzeptionsschwerhörigkeit beidseits sowie Nasenseptumdeviation und geringgradige chronisch polypöse Sinusitis beidseits sowie Gaumenwebbing) sowie ein Tonaudiogramm vom 04.01.2010 und einen Befundbericht der Urologin Dr. T. vom 21.02.2012 (Diagnose: Zustand nach Semikastration rechts und Lymphadenektomie 1992; letzte Vorstellung am 12.04.2010) bei (Bl. 41 bis 54 der Verwaltungsakte).

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.03.2012 führte Frau P. aus, beim Kläger bestehe eine Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, welche einen Teil-GdB von 10 rechtfertige. Der Verlust des rechten Hodens bedinge wegen des Eintritts von Heilungsbewährung keinen Teil-GdB von mindestens 10. Narbenschmerzen, eine psychische Störung und eine Knochenzyste seien nicht nachgewiesen.

Mit Schreiben vom 29.03.2012 hörte das LRA den Kläger zu der beabsichtigten Aufhebung des Bescheids vom 20.01.1993 an.

Der Kläger teilte mit Schreiben vom 24.04.2012 mit, es sei nach der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Jahre 1992 in den Jahren 1997 und 2002 jeweils eine Verlängerung der Gültigkeit seines Schwerbehindertenausweises erfolgt. 2007 sei ihm ein unbefristeter Ausweis ausgestellt worden und somit der GdB ohne jegliche Einschränkung bestätigt worden. Somit sei die Entscheidung für ihn "klar abgeschlossen und rechtswirksam" gewesen. Er habe die Leistung zu keiner Zeit vorsätzlich unter Angabe falscher Fakten oder durch Täuschung erschlichen.

Mit Bescheid vom 31.05.2012 hob das LRA auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.03.2012 den Bescheid vom 20.01.1993 gemäß § 48 SGB X auf. Ein Grad der Behinderung von mindestens 20 liege ab 03.06.2012 nicht mehr vor (Bl. 63 der Verwaltungsakte).

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25.06.2012 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er sein Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren wiederholte. Darüber hinaus trug er vor, eine Änderung der gesundheitlichen, tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse habe nicht stattgefunden, weshalb eine Neufeststellung des GdB nach § 48 SGB X in Verbindung mit § 45 SGB X und § 580 der Zivilprozessordnung nicht vorgenommen werden könne.

Das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2012 als unbegründet zurück. In den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 20.01.1993 zugrunde gelegen hätten, sei eine wesentliche Änderung eingetreten, als die Heilungsbewährung von fünf Jahren abgelaufen sei. Nachdem dieser Zeitraum rückfallslos bzw. ohne Komplikationen abgelaufen sei, müsse der GdB nunmehr allein unter Berücksichtigung der tatsächlichen Funktionseinschränkungen neu festgestellt werden. Der Verlust des rechten Hodens bedinge keinen GdB von wenigstens 10 mehr. Die vorliegende Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen bedinge einen GdB von 10. Darüber hinaus könnten weitere Gesundheitsstörungen nicht berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass die Nachprüfung der gesundheitlichen Verhältnisse bisher unterblieben sei und ein unbefristet gültiger Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden sei, rechtfertige keinen Anspruch auf eine weitere dauerhafte Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (Bl. 71 der Verwaltungsakte).

Dagegen erhob der Kläger am 28.08.2012 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG), zu deren Begründung er geltend machte, es bestehe Vertrauensschutz gemäß § 45 SGB X, da seit der Bescheiderteilung im Jahr 1993 keinerlei Überprüfung des GdB erfolgt sei und der Schwerbehindertenausweis trotz abgelaufener Heilungsbewährung weiterhin verlängert worden sei. Ferner habe der Beklagte die zwischenzeitlich hinzugekommenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers nicht ausreichend gewürdigt. Ausweislich des vom Beklagten beigezogenen Tonaudiogramms bestehe ein Hörverlust von 26 % auf dem rechten Ohr und von 25 % auf dem linken Ohr. Hinzu komme ein ausgeprägter Tinnitus, weswegen hier die Anerkennung eines Teil-GdB von 20 gerechtfertigt sei. Schließlich leide er unter degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule und unter rezidivierendem Schwindel.

Das SG vernahm die den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 25/36 und 37/38 der SG-Akte Bezug genommen.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. teilte dem SG unter dem 31.01.2014 mit, er behandle den Kläger seit dem 20.08.1994 regelmäßig. Es sei nach Juni 1992 zu keinem weiteren Tumorleiden gekommen.

Der Urologe Dr. T. berichtete dem SG am 04.02.2014, es liege ein Zustand nach Semikastration rechts und Lymphadenektomie bei malignem Hodentumor rechts 1992 vor. Die letzte Vorsorgeuntersuchung habe am 02.12.2013 stattgefunden. Dr. T. verwies auf den Arztbrief vom 15.01.2014, aus dem hervorgeht, dass anlässlich der Vorsorgeuntersuchung am 02.12.2013 ein unauffälliger Vorsorgebefund bestand.

Mit Urteil vom 28.02.2014 hob das SG den Bescheid des LRA vom 31.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 07.08.2012 auf. Zur Begründung führte das SG aus, zwar lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Da in Folge des Ablaufs des Heilungsbewährungszeitraums ab Juli 1997 der GdB weniger als 20 betrage, sei im Vergleich zu dem Gesundheitszustand, der dem Bescheid vom 20.01.1993 zu Grunde gelegen habe, eine wesentliche Änderung eingetreten. Dennoch sei der Beklagte nicht berechtigt gewesen, den Bescheid vom 20.01.1993 für die Zukunft aufzuheben. Es könne dahinstehen, ob eine Aufhebung des Dauerverwaltungsaktes vom 20.01.1993 entgegen dem Wortlaut von § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X mehr als 10 Jahre nach Eintritt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse für die Zukunft erfolgen könne. Jedenfalls habe der Beklagte das Aufhebungsrecht verwirkt.

Gegen das dem Beklagten am 15.05.2014 zugestellte Urteil des SG hat dieser am 10.06.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, nach dem vom SG zitierten Urteil des BSG vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - sei eine Aufhebung von Bescheiden mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zeitlich unbeschränkt möglich. Das BSG habe zutreffend ausgeführt, der Ausgangsbescheid stehe unter dem ständigen Vorbehalt der Aufhebung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse. Es bestehe kein überzeugender Grund, die Aufhebung des Ausgangsbescheides für die Zukunft davon abhängig zu machen, wann die Änderung eingetreten sei. Zwar sei der Schwerbehindertenausweis des Klägers in den Jahren 1997 und 2002 verlängert worden und 2007 unbefristet erteilt worden, jedoch stehe einer nachträglichen Herabsetzung des GdB für die Zukunft das Unzumutbarkeitsmoment nicht entgegen, weil auch sonst im Falle eines vom Kläger gestellten Neufeststellungsantrags dem Beklagten eine Herabsetzung nach § 48 SGB X verwehrt gewesen wäre. Dies sei unter Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für alle Behinderten eine nicht nachvollziehbare Bevorzugung des Klägers. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger durch die erst jetzt erfolgte Herabsetzung des GdB insofern begünstigt gewesen sei, als ihm die Schwerbehinderteneigenschaft 15 Jahre länger zu Gute gekommen sei, als eigentlich rechtlich vorgesehen. Hieraus könne sich im Umkehrschluss keine Bindungswirkung bzw. Unzumutbarkeitsklausel für den Beklagten ergeben. Der Kläger habe vielmehr keine gesicherte Rechtsposition erlangt, die es erforderlich mache, ihn durch den Grundsatz der Verwirkung vor einer Herabsetzung des GdB zu schützen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.02.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er tritt der Berufung des Beklagten entgegen und verweist darauf, dass die Entscheidung des BSG vom 11.12.1992 in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben sei. Die Aufhebungsentscheidung des Beklagten sei bereits deshalb rechtswidrig, da einer Aufhebung für die Zukunft die Zehn-Jahres-Frist entgegenstehe. Dies habe der erkennende Senat bereits in dem der genannten BSG-Entscheidung zugrunde liegenden Urteil vom 08.06.1990 entschieden. Ferner sei das SG zu Recht von einer Verwirkung ausgegangen. Das Argument des Beklagten, das Umstandsmoment stehe einer Herabsetzung des GdB für die Zukunft nicht entgegen, weil sonst im Falle eines Neufeststellungantrags eine Herabsetzung auch nicht möglich sei, überzeuge nicht, da der Beklagte die Regelungen des § 48 SGB X und der Verwirkung vermische. Schließlich könne dem Kläger nicht entgegengehalten werden, ihm sei die Schwerbehinderteneigenschaft 15 Jahre länger als rechtlich vorgesehen zu Gute gekommen, da dies nur Folge und nicht Voraussetzung der angenommenen Verwirkung sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger vorgetragen, welche Vorteile er aus der Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft im Einzelnen in Anspruch genommen hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte, die Akte des SG Ulm sowie auf die Prozessakte des Senats verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und in der Sache begründet.

Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 28.02.2014 den Bescheid des Landratsamts O. - Integration und Versorgung - vom 31.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 07.08.2012 zu Unrecht aufgehoben. Der Bescheid des Landratsamts O. - Integration und Versorgung - vom 31.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 07.08.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte war berechtigt, den Bescheid vom 20.01.1993 aufzuheben.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheids vom 20.01.1993 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412) mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die zunächst nach Funktionssystemen (dazu vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e) VG) getrennt, später nach § 69 Abs. 3 SGB IX in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind.

Eine wesentliche Änderung der maßgebenden Verhältnisse liegt vor. Seit der letzten Entscheidung über den GdB mit Bescheid vom 20.01.1993 ist die sogenannte fünfjährige Heilungsbewährung bezüglich der Krebserkrankung des Klägers am 30.06.1997 abgelaufen. Seit dem 01.07.1997 ist die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht mehr gerechtfertigt, denn mit Ablauf der Heilungsbewährung ist eine rechtliche Änderung eingetreten.

Für den Zeitraum der Heilungsbewährung war sowohl nach den rechtsnormähnlichen Regelungen der AHP (vgl. hierzu BSGE 72,285= SozR 3-3870 § 4 Nr. 6) wie auch jetzt nach der annähernd gleich lautenden Rechtsvorschrift in A Nr. 2 h) VG die Höhe des GdB pauschal zu bemessen, nur für die Zeit danach ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der bestimmten Gesundheitsstörung festzusetzen (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - juris). Nach Ablauf der Heilungsbewährung entfällt der Rechtsgrund für die pauschale GdB-Bemessung, denn der Tatbestand für die mit Heilungsbewährung geregelte Gesundheitsstörung ist nicht mehr erfüllt. Dass im Falle des Klägers während oder nach der Heilungsbewährung zusätzlich eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, ist nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die medizinische Befundlage zum körperlichen und geistig/seelischen Zustand des Klägers blieb nach der Operation im Juni 1992 unverändert.

Der Beklagte hat im Ausgangsbescheid vom 20.01.1993 den GdB wegen des malignen Teratoms des rechten Hodens, welches mit Entfernung des rechten Hodens und der dazugehörigen Lymphknoten behandelt worden ist, zutreffend mit einem GdB von 50 festgesetzt (vgl. Teil A Nr. 26.13 der damals gültigen AHP 1983). Seinerzeit war nach der am 11.06.1992 wegen eines Hodentumors des rechten Hodens erfolgten Operation eine Erkrankung des Hodens im Stadium der Heilungsbewährung als Funktionsbeeinträchtigung anerkannt worden. Bei Erkrankungen, die wie bei einem Krebsleiden zu Rezidiven neigen, ist abzuwarten, ob es im Stadium der Heilungsbewährung zu einer Progression bzw. zu einem Rezidiv der Erkrankung kommt. Im Zustand der Heilungsbewährung ist der GdB höher eingeschätzt, als er dem tatsächlichen Zustand entspricht (AHP Nr. 18 Abs. 7). Nach Eintritt der Heilungsbewährung ist bei der Bewertung - im Unterschied zur Erstfeststellung - nur noch die bestehende Funktionsbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Das Stadium der Heilungsbewährung war vorliegend nach Ablauf der Heilungsbewährungsfrist von fünf Jahren (vgl. AHP Nr. 26.1 Abs. 3) im Juni 1997 beendet, da es nicht zu einer Progression bzw. zu einem Rezidiv der Tumorerkrankung gekommen ist. Dies ergibt sich aus den Auskünften der vom SG als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommenen behandelnden Ärzte des Klägers Dr. K. vom 30.01.2014 und Dr. T. vom 04.02.2014. So berichtete Dr. K., es sei nach Juni 1992 zu keinem weiteren Tumorleiden gekommen. Auch Dr. T. teilte unter Bezugnahme auf einen Arztbrief vom 15.01.2014 über die am 02.12.2013 erfolgte Vorsorgeuntersuchung mit, es habe ein unauffälliger Vorsorgebefund bestanden.

Mit Ablauf der Heilungsbewährung, die eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt, war nach den zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung vom 31.05.2012 gültigen Teil A Nr. 7 Buchst. b) VG eine Neubewertung des GdB vorzunehmen. Diesbezüglich hat der Beklagte eine zutreffende Bewertung eines GdB von weniger als 20 vorgenommen.

Zunächst bedingt der Verlust des rechten Hodens keinen Teil-GdB von 10 (vgl. Teil B Nr. 13.2 VG). Weiter leidet der Kläger bezüglich des Funktionssystems der Ohren (vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e) VG) unter einer geringgradigen Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (Tinnitus) (Befundbericht des HNO-Arztes Dr. Sch. vom 20.02.2012, Bl. 51 Verwaltungsakte sowie vom 04.11.2008, Bl. 43 Verwaltungsakte). Dafür ist allenfalls ein Teil-GdB von 10 gemäß Teil B Nr. 5.2 und 5.3 VG anzunehmen. Insbesondere sind wesentliche psychische Begleiterscheinungen des Tinnitus anhand der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht belegt. Es sind auch keine wesentlichen psychischen Beeinträchtigungen in Folge der Krebserkrankung nachgewiesen. Schließlich lassen sich den vorhandenen medizinischen Unterlagen bezüglich des Funktionssystems des Rumpfes keine GdB-relevanten Einschränkungen entnehmen. Der Befundbericht der Orthopädin Dr. H.-K. vom 04.03.2010 beschreibt eine freie Beweglichkeit der Halswirbelsäule (Blatt 46 der Verwaltungsakte). Eine von Dr. K.-H. empfohlene neurologische Abklärung der bei Reklination und ruckartiger Bewegung auftretenden Schwindelsymptomatik ist in den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht dokumentiert.

Somit liegt in Folge des Ablaufs der Heilungsbewährung im Vergleich zu den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 20.01.1993 zu Grunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung in den maßgebenden Verhältnissen vor.

Der Aufhebung des Bescheids vom 20.01.1993 mit Wirkung für die Zukunft mehr als zehn Jahre nach Eintritt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse steht die Frist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X nicht entgegen. Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X gilt § 45 Abs. 3 Sätze 3-5 SGB X entsprechend. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe nach Abs. 2 zurückgenommen werden, wenn erstens die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder zweitens der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.

Bei dem Feststellungsbescheid vom 20.01.1993 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (BSG v. 19.09.2000 - B 9 SB 3/00 R -; BSGE 87, 126 = SozR 3-1300 § 45 Nr. 43 zu § 4 SchwbG; BSG v. 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R -; juris Rn. 12 zu § 69 SGB IX). Seit dem Eintritt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse mit Ablauf der Heilungsbewährung am 01.07.1997 sind bis zum Aufhebungsbescheid vom 31.05.2012 mehr als zehn Jahre vergangen. Die Frage, ob die Zehn-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X auf die im vorliegenden Fall im Streit stehende Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung auf Grund einer wesentlichen Änderung der maßgebenden Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X anwendbar ist, ist umstritten.

Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - ; juris Rn. 19 ff., die Auffassung vertreten, die Zehn-Jahres-Frist nach § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X gelte nur für eine rückwirkende Aufhebung. Dem ist die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur gefolgt (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 01.09.1999 - L 3 U 50/98 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.11.2001 - L 10 SB 50/01 -; juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.04.2003 - L 3 U 66/01 -; juris; LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 23.10.2003 - L 2 RJ 110/02 -; juris; sowie Brandenburg, in: jurisPK, 1. Aufl. 2013, § 48 SGB X Rn. 104; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand Nov. 2014, § 48 Rn. 111; Waschull, in: LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 48 Rn. 105 ff., Heße, in: Beck`scher Online-Kommentar zum Sozialrecht, Stand 01.09.2014, § 48 SGB X, Rn. 54).

Nach anderer Auffassung gilt die Zehn-Jahres-Frist auch für eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft (SG Mainz, Urteil vom 30.01.2001 - S 6 U 217/98 - ; juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.09.1992 - L 8 J 23/90 - ; juris; Pickel, SGB X, 68. EL Juli 1997, § 48 Rn. 46; DRV-Kommentar SGB X, 10. Aufl. 2013, § 48 Anm. 2.1. d); Dörr: Bescheidkorrektur Rückforderung Sozialrechtliche Herstellung, 5. Aufl. 2013, 8.1.3).

Der Senat schließt sich der vom Bundessozialgericht in der zitierten Entscheidung vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - vertretenen Auffassung an. Diese Auffassung kann sich auf eine an der Gesetzessystematik und dem Gesetzeszweck orientierte Auslegung des § 48 Abs. 4 SGB X stützen. Zwingende Argumente dagegen lassen sich weder aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte noch aus einer an Sinn und Zweck orientieren Auslegung ableiten.

Zunächst sind vom Wortlaut der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X ausgehend beide Auslegungen möglich. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X bestimmt, dass § 45 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 SGB X entsprechend anwendbar sind. Nach der einen Auslegungsmöglichkeit ist eine Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr zulässig. Möglich ist aber auch die Auslegung, dass zehn Jahre nach der wesentlichen Änderung nur die rückwirkende Aufhebung ausgeschlossen ist (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20). Der abweichenden Auffassung des SG Mainz (Urteil vom 30.01.2001 - S 6 U 217/91 -; juris Rn. 34), wonach einer einschränkenden Auslegung der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X dahingehend, dass eine Aufhebung nur für die Vergangenheit eingeschränkt werden solle, der Wortlaut als Grenze der Auslegung entgegensteht vermochte sich der Senat nicht anzuschließen, da der Wortlaut wie ausgeführt offen ist und beide Auslegungen zulässt (so auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.04.2003 - L 3 U 66/01 -; juris Rn. 46).

Weiter vertritt das BSG in der zitierten Entscheidung die Auffassung, die Entstehungsgeschichte der Norm lasse sich nicht für eine der beiden Auslegungen heranziehen. Zwar führt das BSG insoweit zutreffend aus, dass § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X und die Verweisung auf diese Vorschrift in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf einen Änderungsvorschlag des 11. Ausschusses zurückgehen und aus den Ausschussprotokollen nicht ersichtlich ist, welchen genauen Inhalt die fragliche Verweisungsregelung haben sollte. In den Materialien findet sich lediglich der Hinweis, dass es sich bei der Änderung des seinerzeitigen § 46 Abs. 3 Satz 1 des Entwurfs um eine "Folgeänderung" wegen der Neufassung von § 43 Abs. 3 Satz 3 des Entwurfes (Einführung der Zehnjahresfrist) gehandelt hat (vgl. Protokoll der Sitzung des 11. Ausschusses vom 23. Januar 1980 S 80/59; auch BT-Drucks 8/4022 S 83).

Jedoch ist zwischenzeitlich durch Art. 5 Nrn. 2 und 3 des Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 06. April 1998 mit Wirkung vom 15. April 1998 (BGBl I 1998, 688) eine Änderung eingetreten, die die Unbeachtlichkeit der Zehn-Jahres-Frist bei Aufhebung für die Zukunft bei Verwaltungsakten über eine laufende Geldleistung anordnet und somit eine verlängerte Rücknahmemöglichkeit bei Verwaltungsakten über eine laufende Geldleistung eröffnet. Gleichzeitig wurde in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X ihre entsprechende Anwendung bestimmt.

Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann nunmehr ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung in den Fällen des Satzes 3 auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird (§ 45 Abs. 3 Satz 5 SGB X). § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X verweist auf die Sätze 3 bis 5 von § 45 Abs. 3 SGB X.

Anlass für die Einfügung der Sätze 4 und 5 in § 45 Abs. 3 SGB X war ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 13/10033 S 20 zu Art. 5 Nr. 2) die Kritik des Bundesrechnungshofs (vgl. BT-Drucks 13/5700 S. 72 unter 26.4), dass nach der bis dahin geltenden Rechtslage selbst Rentenempfänger, die sich der Unrechtmäßigkeit von Rentenzahlungen bewusst waren, diese allein wegen des Ablaufs der Zehn-Jahres-Frist nicht mehr zurückzahlen mussten. Mit der Gesetzesänderung wollte der Gesetzgeber die vom Bundesrechnungshof angemahnten offensichtlich unbilligen Ergebnisse bei der Anwendung der strikten Zehn-Jahres-Frist vermeiden (vgl. Vogelgesang, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2010, K § 45 Rn. 56; Rüfner, in: Wannagat, SGB X, Stand 2002, § 45 Rn. 58) und Bedenken ausräumen, die der bis dahin geltenden Fristenregelung des § 45 Abs. 3 SGB X einen "Betrügerschutz" (s. hierzu W. Meyer, FS Krasney, 1997, S. 319 ff) entnommen hatten (vgl. Waschull, in: LPK SGB X, 2. Aufl. 2007, § 45 Rn. 95). Die Anpassung des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X bezeichnete der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung als "Folgeänderung" (BT-Drucks 13/10033 S. 21 zu Art 5 Nr. 3).

Diese vom BSG in der zitierten Entscheidung noch nicht berücksichtigte Gesetzesänderung lässt sich nach Auffassung des Senats in Bezug auf die hier problematische Anwendbarkeit der Zehn-Jahres-Frist auf Aufhebungen ex nunc nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die hier vertretene Auffassung heranziehen. Einerseits kann die Gesetzesänderung dahingehend verstanden werden, dass die erweiterte Rücknahmemöglichkeit des § 45 Abs. 3 Sätze 4 und 5 SGB X und die Verweisung darauf in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X lediglich für laufende Geldleistungen gelten sollen und damit im Umkehrschluss gerade nicht für andere Verwaltungsakte wie vorliegend die Feststellung eines GdB. Für andere Verwaltungsakte, die keine laufende Geldleistung betreffen, würde nach dieser Auslegung längstens eine Rücknahmefrist von zehn Jahren gelten. Das LSG Rheinland-Pfalz ist der Auffassung, diese gesetzgeberische Maßnahme dokumentiere den gesetzgeberischen Willen einer restriktiven Anwendung der Zehnjahresfrist (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.04.2003 - L 3 U 66/01 -; juris Rn.49). Das LSG Berlin-Brandenburg sieht dagegen in der Gesetzesänderung eine Änderung, die die Unbeachtlichkeit der Zehn-Jahres-Frist bei Aufhebung für die Zukunft klarstellt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.10.2003 - L 2 RJ 110/02 -; juris Rn. 45).

Nach Auffassung des Senats spricht die Gesetzesänderung im Wege des Erst-Recht-Schlusses für eine grundsätzlich gegebene Rücknahmemöglichkeit mit Wirkung für die Zukunft auch für Verwaltungsakte, die keine laufende Geldleistung betreffen. Ist eine erweiterte Rücknahme nach Ablauf der Zehn-Jahres-Frist für Verwaltungsakte, die laufende Geldleistungen betreffen und deren Rücknahme für den Betroffenen wegen der damit verbundenen Erstattungsverpflichtung (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X) und der in der Regel damit einhergehenden etablierten wirtschaftlichen Verhältnisse besonders schwerwiegend ist, möglich, so muss eine erweiterte Rücknahme erst recht für Verwaltungsakte wie vorliegend bei dem den GdB betreffenden Feststellungsbescheid gelten, deren Rücknahme nicht zum Verlust von - gegebenenfalls existenzsichernden - Sozialleistungen, sondern allenfalls zu mittelbaren und auch im Zeitverlauf veränderbaren Vergünstigungen führt, was keine so einschneidende Folgen wie bei Dauerleistungsverwaltungsakten darstellt. Konkret hat der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch keine vergleichbare Rechtsposition im Vertrauen auf die Fortwirkung der GdB-Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft erworben. Er hat über die Jahre nur den um fünf Tage verlängerten Urlaubsanspruch und den steuerlichen Freibetrag für die Schwerbehinderung in Anspruch genommen, sonstige auf die GdB-Feststellung gründende Rechtspositionen, deren Verlust als unzumutbar zu werten wäre, liegen nicht vor. Damit lässt sich aus Sinn und Zweck der Gesetzesänderung für die Frage der Anwendbarkeit der Zehn-Jahres-Frist auf die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Schluss ziehen, dass die Aufhebung von Dauerverwaltungsakten mit Wirkung für die Zukunft zulässig ist, denn für die Aufhebung mit unechter Rückwirkung, d.h. die Aufhebung knüpft an einen Umstand in der Vergangenheit und hat aber nur Auswirkungen für die Zukunft, ist bei den vorliegenden in Betracht kommenden Fallgestaltungen kein höherrangiges, verfassungsrechtlich geschütztes Recht verletzt.

Zu dieser Auslegung sieht sich der Senat auch aufgrund der Systematik der §§ 45 und 48 SGB X veranlasst. Die §§ 45, 48 SGB X dienen nach ihrem Sinn und Zweck dem Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse an materiell rechtmäßigen Entscheidungen und dem Vertrauensschutz des Bürgers auf den Bestand solcher - rechtmäßigen oder rechtswidrigen - Entscheidungen. Welches Interesse jeweils überwiegt, richtet sich nach der Gesamtsystematik der betreffenden Vorschriften insbesondere danach, ob die Rückabwicklung der mit dem Verwaltungsakt gewährten Leistungen auch für die Vergangenheit oder nur für die Zukunft erfolgen soll. Dementsprechend regelt § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X, dass eine Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nur im Falle eines zu missbilligenden Verhaltens des Begünstigten gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 SGB X zu erfolgen hat. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X knüpft ebenfalls an ein zu missbilligendes Verhalten nach Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3, also an Fallkonstellationen an, die eine rückwirkende Aufhebung für die Vergangenheit betreffen. Es besteht demnach ein innerer Zusammenhang zwischen der Zehnjahresfrist und der rückwirkenden Aufhebung. § 48 SGB X weist eine entsprechende Regelungssystematik auf. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestimmt, dass im Falle der wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eine Aufhebung für die Zukunft ohne weitere Voraussetzungen erfolgen muss. In diesem Falle steht also der Vertrauensschutz des Begünstigten gegenüber dem öffentlichen Interesse an materiell rechtmäßigen Entscheidungen vollständig zurück. Die Frage der "Bösgläubigkeit" im weiteren Sinne stellt sich im Rahmen des § 48 SGB X erst dann, wenn eine Aufhebung ab dem Zeitpunkt der geänderten Verhältnisse, also auch für vergangene Zeiträume, erfolgen soll (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Diese Gesamtsystematik spricht für die Auslegung, dass durch die mit § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X vorgenommene entsprechende Übertragung der Regelung des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X auf die Fallgestaltungen nach § 48 SGB X die Zehnjahresfrist nur für in die Vergangenheit wirkende Aufhebungsfälle gelten soll (vgl. BSG, a.a.O. Rn. 26; speziell zur Heilungsbewährung vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 12/95 -, juris; LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rn. 46).

Das BSG führt zur Begründung seiner Auffassung den Sinn der entsprechenden Anwendung der Zehnjahresfrist an, der erkennbar nicht darin liege, einer wesentlichen Änderung nach zehn Jahren jegliche Bedeutung abzusprechen, sondern darin, nach zehn Jahren die rückwirkende Änderung des Leistungsbescheides zu verbieten. Diese Begründung wird von o.g. Auffassungen in der Literatur ohne weitere Auseinandersetzung mit der Thematik übernommen (vgl. Brandenburg, in: jurisPK, 1. Aufl. 2013, § 48 SGB X Rn. 104; Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand Nov. 2014, § 48 Rn. 111; Waschull, in: LPK-SGB X, 3. Aufl. 2011, § 48 Rn. 105 ff.). Das BSG führt in der o.g. Entscheidung weiter aus, gegen eine Anwendung der Zehn-Jahres-Frist auf Aufhebungen mit Wirkung ex nunc nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X spreche, dass Bestandskraft nur ergangenen, nicht aber unterbliebenen Verwaltungsakten - insbesondere nicht dem Nichterlass eines Aufhebungsbescheides - zukommen könne. § 45 SGB X bestimme, unter welchen Umständen und wie lange der Leistungsträger einen von Anfang an unrichtigen Verwaltungsakt über eine wiederkehrende Sozialleistung (Dauerbescheid) zu Lasten des Betroffenen aufheben könne. Die Vorschrift regele mithin die Aufhebung eines Verwaltungsakts, welcher bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses der Sach- und Rechtslage nicht entsprochen habe, sei es, dass der Leistungsträger die Sachlage nicht kannte oder verkannte oder dass ihm bei deren rechtlicher Beurteilung ein Irrtum unterlaufen war. Die Bestandskraft eines solchen Dauerbescheides verfestige sich nach § 45 Abs. 3 SGB X im Laufe der Zeit immer mehr und führe schließlich - bei gleichbleibenden Verhältnissen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X) und abgesehen möglicherweise von den in § 580 ZPO genannten Fällen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X) - zur Unzulässigkeit der Bescheidsänderung zu Lasten des Begünstigten. Es ändere sich dabei aber nicht die dem Bescheidsinhalt nach wie vor widersprechende Rechtslage, sondern nur der unrichtige Bescheid, welcher zusätzliche Bestandskraft gewinne. Die gesteigerte Bestandskraft nach Ablauf von zehn Jahren (§ 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X) rechtfertige sich dadurch, dass der Leistungsträger vor Erlass des Bescheides die Möglichkeit gehabt habe, die maßgebliche Sach- und Rechtslage zutreffend zu beurteilen. Denn dabei habe er Gelegenheit gehabt, Zweifel an den anspruchsbegründenden Tatsachen durch Maßnahmen der Amtsermittlung zu beseitigen und den Sachverhalt rechtlich zutreffend zu beurteilen (BSG, a.a.O., Rn. 22 und 23).

Der sachliche Grund für die Abänderbarkeit des Dauerbescheides sei, dass dieser Bescheid nachträglich aufgrund von Tatsachen oder Rechtsänderungen unrichtig geworden sei, welche der Leistungsträger diesem Bescheid nicht zugrunde gelegt habe und auch nicht zugrunde habe legen können. Sei nun seit der Änderung der Verhältnisse ein Zeitraum von mehr als zehn Jahren verstrichen, so ändere dies grundsätzlich an der dargestellten Lage nichts. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, welcher Verwaltungsakt hinsichtlich dieser geänderten Verhältnisse nach Ablauf von zehn Jahren Bestandskraft erlangen solle, denn über diese Verhältnisse sei noch nie ein Bescheid erteilt worden. Eine gänzliche Unabänderlichkeit des Dauerbescheides zehn Jahre nach Änderung der Verhältnisse, über welche der Leistungsträger niemals auch nur Gelegenheit gehabt habe, eine Entscheidung zu treffen, widerspräche dem System der §§ 45, 48 SGB X und dem Sinn der Bestandskraft, die nur ergangenen Verwaltungsakten zukomme. (BSG, a.a.O., Rn. 25).

Demgegenüber sieht das SG Mainz im o.g. Urteil in der Verweisung des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X eine Ausschlussfrist im Interesse der Rechtssicherheit. Zur Begründung führt das SG Mainz aus, es sei nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber auch den Fall einer zwar materiell rechtswidrigen, aber einen bestimmten Zeitraum tatsächlich stattgefundenen Leistungsbeziehung zwischen Verwaltung und Bürger im Interesse der Rechtssicherheit durch eine Ausschlussfrist für die Zukunft festschreibe. Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit eines Empfängers einer Dauerleistung über einen längeren Zeitraum während unverändert vorliegender tatsächlicher Verhältnisse unterliege einer vergleichbaren Schutzwürdigkeit wie dasjenige des Empfängers einer Sozialleistung, die durch anfänglich rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Verwaltungsakt gewährt worden sei (SG Mainz a.a.O., Rn. 33). Dem steht entgegen, dass § 48 SGB X Dauerverwaltungsakte unterschiedlicher Qualität erfasst, nämlich solche, die Dauerleistungen gewähren und solche, die Dauerfeststellungen - wie vorliegend - treffen mit unterschiedlichen Auswirkungen für den Verwaltungsaktadressaten.

Für die Auffassung des BSG spricht vorliegend, dass eine Beibehaltung eines einmal festgestellten GdB, welcher aber aufgrund einer Änderung in den maßgebenden Verhältnissen nicht mehr der materiellen Rechtslage entspricht, unabhängig von einer Gut- oder Bösgläubigkeit des Betroffenen auf Dauer lediglich wegen eines formellen Fristablaufs begründet wird.

Die vom BSG angeführten Argumente sind indes nicht komplett auf den vorliegenden Fall übertragbar, da dieser ebenso wie der vom SG Mainz entschiedene Fall im Gegensatz zu dem vom BSG entschiedenen Fall eine gewisse Atypik beinhaltet. Der zitierten Entscheidung des BSG lag ein Fall zugrunde, in dem die Klägerin Witwenrente trotz zwischenzeitlich erfolgter Wiederheirat weiterbezog, da sie die Wiederheirat nicht mitgeteilt hatte. Dem vom SG Mainz entschiedenen Fall lag demgegenüber ein Sachverhalt zugrunde, in dem die Behörde die Gelegenheit hatte, die anspruchsbegründenden Tatsachen im Wege der Amtsermittlung zu überprüfen, dies auch getan hat, aber zu einem unzutreffenden Ergebnis gelangt ist und seither mehr als zehn Jahre vergangen waren. Auch der vorliegende Fall ist mit dem vom BSG entschiedenen Fall nicht vergleichbar.

Zum Einen beruht die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen nicht wie in dem vom BSG entschiedenen Fall auf einer Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Betroffenen und war auch nicht wie dort für die Behörde unabsehbar. Vorliegend war die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vielmehr für die Behörde absehbar. Beim Kläger wurde mit Bescheid vom 20.01.1993 wegen des malignen Teratoms am rechten Hoden ein GdB von 50 festgestellt. Bereits zu diesem Zeitpunkt war bekannt, dass nach Ablauf der Heilungsbewährungsfrist von fünf Jahren eine Überprüfung von Amts wegen durchzuführen ist. So enthält schon die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 18.01.1993 einen Hinweis auf die Notwendigkeit der Überprüfung von Amts wegen nach Ablauf der Heilungsbewährung im Jahre 1997. Dementsprechend hätte die Feststellung des GdB von 50 auch auf fünf Jahre befristet erfolgen können. Jedenfalls hätte nach Ablauf der Heilungsbewährung eine behördliche Prüfung eingeleitet werden müssen. Zudem hat der Kläger vorliegend keine Mitteilungspflichten gegenüber dem Beklagten verletzt. Insbesondere traf den Kläger keine Verpflichtung, das Fehlen eines Rezidivs bei abgelaufener Heilungsbewährung mitzuteilen.

Zum Anderen hatte der Beklagte im vorliegenden Fall im Unterschied zu dem vom BSG entschiedenen Fall genügend Gelegenheit, nach Ablauf der fünfjährigen Heilungsbewährung am 01.07.1997 die anspruchsbegründenden Tatsachen im Wege der Amtsermittlung zu überprüfen. Wie ausgeführt wurde bereits in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.01.1993 auf die Notwendigkeit einer Nachprüfung von Amts wegen nach Ablauf der Heilungsbewährung hingewiesen. Ein solcher Hinweis erfolgte noch einmal in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.12.1994, die anlässlich des Neufeststellungantrags des Klägers vom 15.12.1994 vom Versorgungsamt U. eingeholt worden ist. Ferner übersandte das Versorgungsamt U. am 08.12.1998 - bereits nach Ablauf der Heilungsbewährung - auf Bitte des Landeswohlfahrtsverbands W.-H. eine Kopie des Bescheids vom 20.01.1993. Auch hier hätte eine Überprüfung aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Heilungsbewährung nahegelegen. Jedoch hat es der Beklagte bis zum Jahr 2011 ohne ersichtlichen Grund unterlassen, eine Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse nach Ablauf der Heilungsbewährung von Amts wegen vorzunehmen.

Das BSG hat in der o.g. Entscheidung zu Recht darauf hingewiesen, dass Rechtssicherheit, die aus der Sicht des Berechtigten allein aus einem Vertrauenstatbestand herrühren kann, in einem Rechtsverhältnis, das den Regeln des Verwaltungsverfahrens unterliegt, grundsätzlich nur durch einen Verwaltungsakt begründet werden kann. Vorliegend wurde der Schwerbehindertenausweis des Klägers trotz abgelaufener Heilungsbewährung zweimal verlängert und anschließend unbefristet erteilt. Die Verlängerung des Schwerbehindertenausweises stellt indes keinen Verwaltungsakt dar, sondern ist lediglich die deklaratorische Bestätigung des unverändert fortgeltenden Bescheids vom 20.01.1993. Aus der Ablehnung des Neufeststellungsantrags des Klägers durch das Versorgungsamt U. mit Bescheid vom 17.01.1995 folgt nichts anderes. In diesem Bescheid ist ausgeführt, der GdB sei nach wie vor mit 50 angemessen bewertet, was zu diesem Zeitpunkt unter der noch bis 1997 laufenden Heilungsbewährung auch zutraf. Diese Sachverhaltskonstellation gibt dem Senat keinen Anlass, die Verweisung in § 48 Abs. 4 SGB X auf die Zehnjahresfrist anders auszulegen. Die Aufhebung eines materiell rechtswidrig gewordenen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft ist nach der gesetzgeberischen Entscheidung in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X grundsätzlich zwingend, womit dem materiellen Recht vor dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit der Vorzug gegeben wird.

Ausgehend von der dargelegten Gesetzeslage sieht sich der Senat aufgrund der Systematik der §§ 45 und 48 SGB X gehindert, der dem vorliegenden Fall innewohnenden Atypik Rechnung zu tragen.

Zwar räumen § 45 Abs. 3 SGB X und § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bei einer rückwirkenden Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung der Behörde einen Ermessensspielraum bei atypischen Fallgestaltungen ein. Jedoch handelt es sich vorliegend um eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, bei der kein Ermessen besteht. Letztlich ist es einer Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten, inwieweit bei "gutgläubigen" Verwaltungsaktadressaten die Aufhebung von rechtswidrig gewordenen Verwaltungsakten mit Wirkung für die Zukunft eingeschränkt werden kann z.B. im Rahmen einer zu treffenden Ermessensentscheidung.

Der Beklagte hat sein Aufhebungsrecht für die Zukunft entgegen der Auffassung des SG auch nicht verwirkt.

Das SG hat die Voraussetzungen der Verwirkung zutreffend dargestellt. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat auf Grund eigener Überprüfung an (§ 153 Abs. 2 SGG).

Nur ergänzend ist auszuführen, dass das Rechtsinstitut der Verwirkung Ausfluss des allgemeinen auch im Sozialversicherungsverhältnis geltenden Grundsatzes von "Treu und Glauben" (§ 242 BGB) ist und ein sogenanntes Zeit- und Umstandsmoment voraussetzt (vgl. dazu Heinrichs, in: Palandt, BGB, 66. Aufl. 2003, § 242 Rn. 93 und 95). Das neben dem Zeitmoment erforderliche Umstandsmoment setzt voraus, dass der Verpflichtete (hier der Kläger) bei objektiver Beurteilung aus dem Verhalten des Berechtigten (hier des Beklagten) entnehmen darf, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGHZ 25, 47, 52 = NJW 1957, 1358; BGH NJW-RR 1995, 109; NJW 2003, 824; NJW 2010, 1047). Für den Tatbestand der Verwirkung kommt es also auch auf das Verhalten des Verpflichteten an, das ebenfalls unter dem rechtlichen Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu prüfen und zu beurteilen ist. Eine maßgebliche Rolle bei der Erfüllung des Umstandsmoments spielt die Frage, ob und in welcher Höhe der Verpflichtete im Hinblick auf die Nichtgeltendmachung des Rechts Vermögensdispositionen getroffen oder sich sonstwie darauf eingerichtet hat. Vertrauensschutz wird in der Regel nur gewährt, wenn der Verpflichtete bzw. hier der Begünstigte sein Vertrauen "betätigt" hat, indem er entsprechende Maßnahmen oder Dispositionen getroffen hat (BVerwGE 24, 294, 296 und Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl.2002, § 11 Rn. 23 m.w.N.). Fehlt das Umstandsmoment, tritt eine Verwirkung auch bei sehr langer Dauer der Nichtgeltendmachung eines Rechts nicht ein.

Vorliegend konnte der Senat offenlassen, ob das Vertrauen auf den Fortbestand eines einmal festgestellten GdB überhaupt schutzwürdig ist, da die GdB-Feststellung naturgemäß der Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des durch die Feststellung Begünstigten unterliegt, welche sich verschlechtern oder wie hier auch verbessern können. Für ein beim Kläger geschaffenes Vertrauen auf den Fortbestand des Feststellungsbescheids vom 20.10.1993 spricht zumindest das Verhalten des Beklagten, der den Schwerbehindertenausweis des Klägers trotz abgelaufener Heilungsbewährung in den Jahren 1997 und 2002 jeweils um fünf Jahre verlängert und ihn schließlich im Jahr 2007 unbefristet erteilt hat. Folgerichtig hat der Kläger in seinem Schreiben vom 24.04.2012 im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Aufhebung zum Ausdruck gebracht, dass für ihn aufgrund der zweimaligen Verlängerung und anschließenden unbefristeten Erteilung des Schwerbehindertenausweises der Verwaltungsakt "klar abgeschlossen und rechtswirksam" gewesen sei. Dies kann aber dahinstehen, da jedenfalls für eine zur Erfüllung des sog. Umstandsmoments erforderliche Vertrauensbetätigung durch den Kläger weder etwas ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen worden ist. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er seither den steuerlichen Freibetrag sowie den erhöhten Urlaubsanspruch für Schwerbehinderte in Anspruch genommen. Der Wegfall dieser und sonstiger mittelbarer Vergünstigungen aus der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ist weder eine unzumutbare Härte noch sind diese Vergünstigungen Ergebnis eines besonders betätigten Vertrauens. Dass im Vertrauen auf den Fortbestand dieser Vergünstigungen, insbesondere des Jahressteuerfreibetrages, seinerseits irgendwelche besonderen Dispositionen getroffen worden sind, deren Rückabwicklung eine unzumutbare Härte darstellen würde, hat der Kläger auf Frage des Gerichts ausdrücklich verneint. Kreditverpflichtungen oder sonstige Zahlungspflichten wie auch sonstige Verpflichtungen in Bezug auf seine Schwerbehinderteneigenschaft ist der Kläger nicht eingegangen. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, er sei als freigestellter Betriebsrat in Überlegungen eingetreten, ob er vorzeitig Altersrente beantragen werde, obgleich seine Amtszeit als Betriebsrat über das 63. Lebensjahr hinausreiche, ist auch damit keine Vertrauensbetätigung durch die bislang fortgeschriebene Schwerbehinderteneigenschaft dargelegt. Abgesehen davon, dass ein fester Entschluss zur Beantragung einer vorzeitigen, Schwerbehinderten vorbehaltenen Altersrente bereits nicht behauptet wird, wären mit einem solchen festen Entschluss auch keine bereits eingetretenen Verhältnisse dargelegt, deren "Rückgängigmachung" unzumutbar ist.

Folglich ist die Aufhebung des Bescheids vom 20.01.1993 durch den Bescheid vom 31.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.08.2012 zu Recht erfolgt. Der Kläger ist dadurch nicht in seinen Rechten verletzt. Das SG hat die angegriffenen Bescheide mit Urteil vom 28.02.2014 zu Unrecht aufgehoben, weshalb das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen war.

Nach alledem war der Berufung des Beklagten stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird uneingeschränkt zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, weil sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl. BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17 und § 160a Nr. 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65). Die Frage, ob die Zehn-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X einer Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X auch dann entgegensteht, wenn die Behörde die Möglichkeit hatte, im Wege der Amtsermittlung die anspruchsbegründenden Tatsachen zu ermitteln, ist bislang nicht geklärt und im Interesse der Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts klärungsbedürftig. Zwar hat das BSG die Frage, ob eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zulässig ist, wenn mehr als zehn Jahre nach einer wesentlichen Änderung vergangen sind, mit Urteilen vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - und vom 12.02.1997 - 9 RVs 12/95 - positiv beantwortet, jedoch sind diese Entscheidungen vor der Rechtsänderung durch das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 06.04.1998 (BGBl I 1998, 688) ergangen und es liegt unterschiedliche Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte zu dieser Frage vor (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 01.09.1999 - L 3 U 50/98 -, LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.04.2003 - L 3 U 66/01 -, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.10.2003 - L 2 RJ 110/02 -, alle veröffentlicht in juris).