Sächsisches Landessozialgericht - L 8 SB 78/13 B KO - Beschluss vom 05.09.2014
Der Rechtsbegriff "angenommenes Anerkenntnis" in Nr. 3106 VV RVG meint die vollumfängliche Erledigung eines Rechtsstreits in der Hauptsache im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG. Die Gegenauffassung, die vorrangig darauf abstellt, dass auch bei der Beendigung eines Verfahrens durch Annahme eines Teilanerkenntnisses und Abgabe einer Teilrücknahmeerklärung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entbehrlich werde, womit der von der fiktiven Terminsgebühr verfolgte Zweck - Vermeidung von unnötigen gerichtlichen Terminen - erreicht werde, berücksichtigt nicht, dass sich nur bei der Annahme eines "vollen" Anerkenntnisses der Rechtstreit in der Hauptsache ohne jegliche weitere Prozesshandlungen erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Demgegenüber ist bei der Annahme eines Teilanerkenntnisses für die Beendigung des Verfahrens eine weitere prozessuale Erklärung seitens des Klägers erforderlich, deren Abgabe der freien Disposition des Klägers unterliegt. Gibt der Kläger die verfahrensbeendende Erklärung über den nach Annahme des Teilanerkenntnisses noch anhängigen (Rest-)Streitgegenstand nicht ab, bleibt das Verfahren weiter anhängig. Es genügt daher nicht, dass irgendwann im Verfahren ein Teilanerkenntnis erklärt wurde und das Verfahren dann - wie hier - auf andere Weise endet. Denn die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG soll - wie der Gesetzgeber im Zuge des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes klargestellt hat - dem Anwalt das Interesse nehmen, ein Anerkenntnis nur deshalb nicht anzunehmen, um einen Termin zu erzwingen, in dem er lediglich die Annahme des Anerkenntnisses erklärt. So liegt es dagegen nicht, wenn - wie bei einem lediglich teilweisen Anerkenntnis - auch nach Annahme des Anerkenntnisses noch Teile des Streitgegenstandes offen sind. Da der Regelung der Nr. 3106 VV RVG (auch in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) nicht zu entnehmen ist, dass jegliche Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung mit einer fiktiven Terminsgebühr honoriert werden soll, kann die Verfahrensbeendigung durch Klagerücknahme keine fiktive Terminsgebühr auslösen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung des im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten Rechtsanwalts.
Der Kläger führte vor dem Sozialgericht Dresden (SG) das Verfahren S 13 SB 23/10, in dem er die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 ab Dezember 2008 begehrte. Mit Beschluss vom 09.06.2010 bewilligte das SG ihm PKH unter Beiordnung des Beschwerdeführers und setzte am 25.06.2010 einen Vorschuss in Höhe von 321,30 EUR fest. Am 27.10.2010 gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis ab, wonach er einen GdB von 50 ab Mai 2009 feststellte. Am 22.11.2010 nahm der Kläger dieses Teilanerkenntnis an und erklärte insoweit "teilweise Erledigung in der Hauptsache". Nachdem der Beklagte sich im Nachgang bereit erklärt hatte, ¾ der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten, nahm Kläger dieses Kostengrundteilanerkenntnis an und erklärte den Rechtsstreit auch hinsichtlich des Kostenpunktes für erledigt.
Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 13.01.2011 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung von aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen wie folgt:
Verfahrensgebühr 250,00 EUR Terminsgebühr 200,00 EUR Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG 190,00 EUR Dokumentenpauschale 30,55 EUR Entgelte für Post und Telekommunikation 20,00 EUR Umsatzsteuer 131,20 EUR abzüglich Vorschuss 321,30 EUR Gesamtbetrag 500,45 EUR
Mit Beschluss vom 17.03.2011 setzte die Urkundsbeamtin des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt fest:
Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) 250,00 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG) 190,00 EUR Fotokopiekosten (Nr. 7000 VV RVG) 30,55 EUR Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR Abzüglich gezahlter Vorschuss 270,00 EUR Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 41,90 EUR Gesamtsumme 262,45 EUR
Eine Terminsgebühr sei nicht entstanden, da das Verfahren nicht durch Anerkenntnis beendet worden sei.
Am 24.03.2011 hat der Beschwerdeführer Erinnerung erhoben, mit der er die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr begehrte, da das Verfahren nicht durch Teilklagerücknahme, sondern Erledigungserklärung beendet worden sei. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) beachte weder den klaren Wortlaut des Vergütungsverzeichnisses noch den gesetzgeberischen Willen. Mit Beschluss vom 22.03.2013 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Eine fiktive Terminsgebühr sei nicht entstanden, da das Verfahren nicht durch Anerkenntnis, sondern durch Klagerücknahme (im Übrigen) geendet habe. Die Rechtsmittelbelehrung lautet: "Dieser Beschluss ist gemäß § 197 II SGG unanfechtbar."
Gegen den ihm am 27.03.2013 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 03.04.2013 Beschwerde erhoben, der das SG nicht abgeholfen hat. Er trägt vor, dass die Beschwerde im Bereich der PKH-Vergütung nicht durch § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen sei. Eine fiktive Terminsgebühr sei in Höhe von 238,00 EUR festzusetzen. Die Ansicht, dass das Verfahren ausschließlich durch Anerkenntnis enden müsste, sei rechtsirrig. Es genüge ein Teilanerkenntnis. Wegen grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Der Beschwerdegegner hält die Vergütungsfestsetzung für zutreffend und verweist auf die Rechtsprechung des bisherigen Kostensenats des Sächsischen LSG.
Dem Senat haben die Akten des Kostenfestsetzungsverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens und des PKH-Beihefts sowie die Akten der SG-Verfahren vorgelegen.
II.
1. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der an sich nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zuständige Einzelrichter die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
2. Die Beschwerde ist entgegen der Rechtsmittelbelehrung des SG statthaft und auch im Übrigen zulässig. § 197 Abs. 2 SGG ist von vornherein nicht einschlägig, denn diese Norm bezieht sich allein auf die Kostenfestsetzung im Verhältnis der Beteiligten des Klageverfahrens untereinander, nicht jedoch auf die Festsetzung der PKH-Vergütung eines beigeordneten Rechtsanwalts (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13.03.2013 - L 8 AS 179/13 B KO - juris RdNr. 7). Auch § 178 Satz 1 SGG steht einer Beschwerde nicht entgegen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 22.04.2013 - L 8 AS 527/12 B KO - juris RdNr. 13). Zwar entscheidet nach dieser Norm das SG über Erinnerungen gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle endgültig; die Vorschrift wird jedoch von § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG für die PKH-Vergütungsfestsetzung als speziellerer Norm verdrängt. Dieses Verhältnis ist seit 01.08.2013 durch § 1 Abs. 3 RVG ausdrücklich klargestellt.
3. Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat die an den Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen nicht in zu niedriger Höhe festgesetzt.
a) Eine fiktive Terminsgebühr ist nicht angefallen. Nach der amtlichen Anmerkung Nr. 3 zu Nr. 3106 VV RVG (in der hier anwendbaren, bis zum 31.07.2013 geltenden, Fassung) entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
So liegt es hier indessen nicht: Das Verfahren endete nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 SGG, sondern erst durch die Rücknahme der Klage im Übrigen. Denn als solche ist die "Erledigungserklärung" des Klägers - jedenfalls in, wie hier, nach § 183 SGG kostenprivilegierten Verfahren - prozessual zu verstehen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 102 RdNr. 3). Für derartige prozessuale Gestaltungen - Beendigung eines Verfahrens durch die Annahme eines Teilanerkenntnisses und nachfolgende Teilrücknahme - fällt keine fiktive Terminsgebühr an. An der entsprechenden Rechtsprechung des Sächsischen LSG (vgl. etwa Beschluss vom 27.03.2012 - L 6 AS 75/11 B KO - nicht veröffentlicht; ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 03.05.2011 RdNr. 18 - L 2 SF 140/10 E; Thüringer LSG, Beschluss vom 29.07.2009 - L 6 B 15/09 SF - juris RdNr. 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.12.2013 - L 19 AS 1972/13 B - juris RdNr. 29) hält der Senat fest.
Der Rechtsbegriff "angenommenes Anerkenntnis" in Nr. 3106 VV RVG meint die vollumfängliche Erledigung eines Rechtsstreits in der Hauptsache im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG. Die Gegenauffassung, die vorrangig darauf abstellt, dass auch bei der Beendigung eines Verfahrens durch Annahme eines Teilanerkenntnisses und Abgabe einer Teilrücknahmeerklärung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entbehrlich werde, womit der von der fiktiven Terminsgebühr verfolgte Zweck - Vermeidung von unnötigen gerichtlichen Terminen - erreicht werde (vgl. etwa SG Trier, Beschluss vom 04.07.2012 - S 6 SB 362/08 - juris RdNr. 37), berücksichtigt nicht, dass sich nur bei der Annahme eines "vollen" Anerkenntnisses der Rechtstreit in der Hauptsache ohne jegliche weitere Prozesshandlungen erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Demgegenüber ist bei der Annahme eines Teilanerkenntnisses für die Beendigung des Verfahrens eine weitere prozessuale Erklärung seitens des Klägers erforderlich, deren Abgabe der freien Disposition des Klägers unterliegt. Gibt der Kläger die verfahrensbeendende Erklärung über den nach Annahme des Teilanerkenntnisses noch anhängigen (Rest-)Streitgegenstand nicht ab, bleibt das Verfahren weiter anhängig. Es genügt daher nicht, dass irgendwann im Verfahren ein Teilanerkenntnis erklärt wurde und das Verfahren dann - wie hier - auf andere Weise endet. Denn die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG soll - wie der Gesetzgeber im Zuge des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes klargestellt hat - dem Anwalt das Interesse nehmen, ein Anerkenntnis nur deshalb nicht anzunehmen, um einen Termin zu erzwingen, in dem er lediglich die Annahme des Anerkenntnisses erklärt (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 275). So liegt es dagegen nicht, wenn - wie bei einem lediglich teilweisen Anerkenntnis - auch nach Annahme des Anerkenntnisses noch Teile des Streitgegenstandes offen sind. Da der Regelung der Nr. 3106 VV RVG (auch in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) nicht zu entnehmen ist, dass jegliche Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung mit einer fiktiven Terminsgebühr honoriert werden soll, kann die Verfahrensbeendigung durch Klagerücknahme keine fiktive Terminsgebühr auslösen.
b) Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände sind jedenfalls nicht zu niedrig festgesetzt. Auch der Beschwerdeführer hat insoweit keine Einwendungen vorgebracht.
III.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Die vom Beschwerdeführer beantragte Zulassung einer "Rechtsbeschwerde" ist von Gesetzes wegen ausgeschlossen. Denn nach § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG findet keine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes statt (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2010 - XII ZB 75/10 - juris RdNr. 4; Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 33 RdNr. 19; Hartmann, Kostengesetze, 43. Aufl., § 33 RVG RdNr. 28.)