Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte wegen eines Harnblasenkarzinoms einen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1301 bzw. einer Wie-BK hat.

Der 1950 geborene Kläger, griechischer Staatsangehöriger, hält sich seit 1973 in Deutschland auf. Von 1973 bis 1979 war er bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt, hatte dort jedoch keinen Kontakt zu Arbeitsstoffen mit aromatischen Aminen. Gegenüber der Beklagten gab er jedoch an, von 1970 bis 1971 täglich fünf bis zehn Zigaretten geraucht zu haben (Blatt 95 der Beklagtenakte).

Seit 01.03.1979 ist er für die Firma M. F. GmbH tätig. Dort war er bis 31.12.1997 als Einsteller an einer Schäumanlage in der Einsatzfilterfertigung tätig. Seit 01.01.1998 ist er als Einsteller im Bereich der Aluminiumfilterfertigung (Kraftstoffleitungsfilterfertigung) tätig (zu den Angaben des Arbeitgebers, den arbeitsmedizinischen Untersuchungen sowie den Sicherheitsdatenblättern vgl. Blatt 49/59, 138/169 der Beklagtenakte). Es sei immer wieder zu Hauterkrankungen gekommen.

Der Präventionsdienst der Beklagten führte zum Arbeitsplatz in seiner Stellungnahme vom 12.10.2008 (zwischen Blatt 91 und 92 der Beklagtenakte) u.a. aus, dass während der Tätigkeit bis 31.12.1997 an den Schäumanlagen Luftfilter für Fahrzeuge gefertigt worden waren. Bis 1987/1988 sei der Kläger als Springer an den ca. 10 m großen Schäumanlagen eingesetzt worden. Es habe ein stündlicher Wechsel von drei bis sieben Mitarbeitern zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen stattgefunden. Ab 1987/1988 sei der Kläger als Einsteller und Einrichter an der Schäumanlage in der Linie 7 eingesetzt worden. Seine Aufgabe habe darin bestanden, beim Umrüsten der Maschine mitzuhelfen und die Maschine einzustellen. In der Zeit ab 01.01.1998 sei der Kläger als Einsteller im Bereich der Fertigung von Kraftstoffleitungsfiltern eingesetzt worden. Seit ca. 1998 habe der Kläger regelmäßig Hautprobleme gehabt, wenn er mit dem Wasser der Prüfvorrichtung in Berührung gekommen sei. Jeweils einen Tag nach dem Kontakt sei ein Ausschlag aufgetreten. Zumindest bis ca. 1986 habe Kontakt zu Trichlorethen, danach bis Anfang der 90er Jahre zu 1.1.1-Trichlorethan bestanden. Bis wann die halogenierten Kohlenwasserstoffe benutzt worden seien, sei nicht mehr genau nachzuvollziehen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 08.04.2009 (zwischen Blatt 91 und 92 der Beklagtenakte) hat der Präventionsdienst ausgeführt, die Komponenten zur Herstellung der Polyurethane enthielten keine aromatischen Amine oder Azofarbstoffe, die krebserzeugende aromatische Amine aufspalten können. Elastogran weise aber daraufhin, dass bei hohen Temperaturen über 200°C unter der Einwirkung von heißem, gespanntem Wasserdampf auf Polyurethane Spuren des krebserzeugenden 4,4 -Diaminodiphenylmethan gebildet werden könnten. Derartige Bedingungen hätten am Arbeitsplatz aber nicht vorgelegen. Der Hersteller einer Chemikalie habe jedoch zu Bedenken gegeben, dass geringe Mengen 4,4 -Diaminodiphenylmethan entstehen könnten, wenn Isocyanatreste in Wasser gegeben würden oder Wasser beim Aufschäumen zugesetzt werde. Eine entsprechende Vorgehensweise sei im Betrieb zwar nicht geschildert worden. Eine Nachfrage beim Kläger habe jedoch ergeben, dass von 1994 bis 1998 die Schaumköpfe mit Wasser gespült worden seien. Die Isocyanatreste seien in Fässern gesammelt und entsorgt worden. Das Viscogen KL-Spray 23 enthalte maximal 125 mg/kg Diphenylamin und max. 65 mg/kg N-Phenyl-1-naphtylamin als Verunreinigung der eingesetzten Rohstoffe. Diese beiden aromatischen Amine seien nicht als krebserregend gekennzeichnet.

Im März 2008 wurde beim Kläger ein Urothelkarzinom der Harnblase im Bereich des linken Ostiums p Ta G2 festgestellt. Am 13.03.2008 erfolgte eine TUR-Blase und DJ-Katheter-Einlage links und im Mai 2008 eine erneute stationäre Nachresektion, wobei Residuen nicht nachweisbar waren (Berichte Klinikum S. jeweils vom 21.08.2008, Bl. 43/46 der Beklagtenakte).

Die AOK O., bei der der Kläger gesetzlich krankenversichert ist, zeigte am 09.07.2008 der Beklagten das Vorliegen einer BK an (Blatt 1 der Beklagtenakte). Der Kläger sei seit 12.03.2008 wegen eines Harnbalsenkarcinoms arbeitsunfähig.

In seiner Auskunft vom 06.08.2008 (Blatt 23/25 der Beklagtenakte) gab der Kläger u.a. an, die Erkrankung werde auf Rauchen oder giftige Arbeitsstoffe zurückgeführt.

Die Beklagte zog vom Katharinenhospital S. ärztliche Unterlagen bei (Blatt 40/41, 42, 43/44 = 45/46 der Beklagtenakte), außerdem einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. P. (Blatt 60/62 der Beklagtenakte), des Urologen Dr. S. (Blatt 85/89 der Beklagtenakte) und von der AOK das Vorerkrankungsverzeichnis (Blatt 66/82 der Beklagtenakte) bei. Die Beklagte holte des Weiteren die Berichte des Präventionsdienstes vom 13.10.2008 und 08.04.2009 ein. Darüber hinaus veranlasste sie eine Begutachtung des Klägers durch Prof. Dr. D. vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Universität N./E ... In seinem arbeits- und sozialmedizinischen Gutachten vom 16.06.2009 (Blatt 100/108 der Beklagtenakte) führte dieser aus, eine berufliche Exposition gegenüber krebserregenden aromatischen Aminen sei geeignet, eine Erkrankung an einem Blasenkarzinom zu verursachen. Es sei ermittelt worden, dass geringe Mengen von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan entstehen könnten, wenn Isocyanatreste in Wasser gegeben würden, was im Zeitraum 1994 bis 1998 arbeitstäglich erfolgt sei, sodass die Bildung von Spuren von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan, das in die krebserregende Kategorie 2 eingestuft sei, wahrscheinlich sei. Es bleibe aber unter Berücksichtigung der Ausführungen des Präventionsdienstes festzuhalten, dass sich allenfalls Spuren von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan gebildet haben könnten und die berufliche Exposition daher als sehr gering angesehen werden müsse. Eine weitere Exposition gegenüber anderen krebserregenden Stoffen habe nicht ermittelt werden können. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen könne die Erkrankung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Exposition zurückgeführt werden.

Der Präventionsdienst teilte in einer weiteren Stellungnahme vom 27.07.2009 (nach Blatt 112 der Beklagtenakte) mit, weitere Herstellerangaben hätten ergeben, dass nur in der Tinte 7190-BK ein Azofarbstoff mit der Bezeichnung Solvent Black 35 mit aromatischen Aminen in einer Größenordnung von weniger als 0,0053 % enthalten sei. Krebserzeugende aromatische Amine würden hier nicht freigesetzt. Auch die im Übrigen vorliegenden Herstellerangaben ergäben, dass kein weiterer Kontakt zu aromatischen Aminen bestanden habe.

Mit Bescheid vom 08.09.2009 (Blatt 116/6/118 = 119/121 der Beklagtenakte) lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung des Klägers sowohl als BK Ziffer 1301 BKV, als auch Wie-BK gemäß § 9 Abs. 2 BKV ab. Nach den Ermittlungen sei der Kläger keinen Einwirkungen ausgesetzt gewesen, die geeignet seien, eine BK zu verursachen. Ein Zusammenhang zwischen dem Harnblasenkarzinom und der beruflichen Tätigkeit des Klägers sei nicht wahrscheinlich. Eine arbeitsmedizinisch relevante Einwirkung von aromatischen Aminen läge nicht vor. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kläger in der Zeit von 1993/1994 bis 1997 in Kontakt mit dem aromatischen Amin 4,4‘-Diaminodiphenylmethan gekommen sei, handle es sich um eine derart geringe Exposition, dass diese nicht ausreichend sei, einen ursächlichen Zusammenhang zu begründen.

Am 06.10.2009 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch (Blatt 124 der Beklagtenakte). Er sei der Auffassung, dass sein Harnblasenkarzinom auf die Schadstoffbelastung während der Tätigkeit zurückzuführen sei (Blatt 132 der Beklagtenakte).

Die Beklagte zog einen Hautarztbericht von Dres. M./W. vom 10.12.2009 (Blatt 135/136 der Beklagtenakte) sowie die Sicherheitsdatenblätter (Blatt 138/169 der Beklagtenakte) und eine weitere Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 19.02.2010 (nach Blatt 169 der Beklagtenakte) bei. Letzterer führte u.a. aus, dass genaue Angaben zum Hautkontakt mit aromatischen Aminen nicht möglich seien, da nicht bekannt sei, in welchem Umfang Amine beim Schäumen tatsächlich entstanden seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2010 (Blatt 170/172 der Beklagtenakte) wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die geringe berufliche Exposition gegenüber Spuren von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan sei nicht ausreichend, um einen Harnblasenkrebs rechtlich wesentlich zu verursachen.

Am 15.04.2010 hat der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben. Er sei mindestens in der Zeit vom 01.03.1979 bis 31.12.1999 mindestens für mehrere Jahre kanzerogenen Stoffen ausgesetzt gewesen, welche bei ihm zu einem Harnblasenkarzinom geführt hätten. Die Tatsache, dass er solchen Stoffen ausgesetzt gewesen sei, indiziere die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich durch die Arbeit das mit diesen Stoffen verbundene Risiko verwirklicht habe. Aufgrund der Ungewissheit der Ursache und des Umstandes, dass er kanzerogenen Stoffen ausgesetzt gewesen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass sich gerade das in seiner Tätigkeit innewohnende Risiko realisiert habe, mithin gerade der Kontakt zu diesen Stoffen ursächlich für die Erkrankung gewesen sei.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG bei Prof. Dr. H. vom C. C. M. der Universität M ... Dieser hat in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 20.09.2011 (Blatt 29/54 der SG-Akte) ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger mindestens 14 Jahre mit Expositionen konfrontiert gewesen sei, die entsprechend der IACR-Einstufung ein karzinogenes Potenzial aufwiesen. Für weitere Substanzgruppen bzw. Substanzen, mit denen der Kläger in Kontakt gekommen oder wahrscheinlich gekommen sei, gebe es in der epidemiologischen und arbeitsmedizinischen Literatur starke Hinweise für eine Assoziation mit der Entstehung von Blasenkarzinomen. Weiterhin sei davon auszugehen, dass er mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bzw. aromatischen Aminen in Kontakt gekommen sei. Für diese Substanzen habe die Möglichkeit einer Aufnahme über direkten Hautkontakt oder über Aerosole bestanden. Da eine größere Anzahl von Substanzen mit nachgewiesener, sehr wahrscheinlicher oder wahrscheinlicher kanzerogener Wirkung im Arbeitsumfeld aufgetreten seien, sei eine gleichzeitige und/oder aufeinanderfolgende sich potenzierende bzw. gegenseitig verstärkende kanzerogene Wirkung der Einzelsubstanzen wahrscheinlich. Die Dosisintensitäten seien nicht exakt zu ermitteln, seien aber in der Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse als wahrscheinlich wesentlicher Co-Faktor für die Entstehung des Blasenkarzinoms zu betrachten.

Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Eine geringfügige Exposition aromatischer Amine sei nicht in Abrede gestellt worden. Die schädigende Einwirkung müsse ihre rechtlich wesentliche Ursache in der versicherten Tätigkeit haben und die schädigende Einwirkung müsse die Gesundheitsstörung verursacht haben. Die alleinige Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs reiche nicht aus. Vorliegend habe lediglich für die Zeit von 1994 bis 1998 ein geringfügiger Kontakt zu 4,4‘-Diaminodiphenylmethan festgestellt werden können. Dies werde auch nicht von Prof. Dr. H. in Abrede gestellt, jedoch nehme dieser an, dass eine größere Anzahl von Substanzen mit nachgewiesener bzw. sehr wahrscheinlicher kanzerogener Wirkung im Arbeitsumfeld des Klägers aufgetreten sei und diese eine sich gegenseitig verstärkende kanzerogene Wirkung der Einzelsubstanzen wahrscheinlich machten. Damit beschreibe Prof. Dr. H. lediglich die Möglichkeit einer Synkanzerogenese. Auch der Verlauf der Erkrankung spreche gegen eine berufliche Verursachung, da die Expositionszeit einer BK Nr. 1301 mehr als 20 Jahre betrage, die Latenzzeit im Mittel 35 Jahre. Beides sei nicht erfüllt, da die nachgewiesene Exposition mit aromatischen Aminen von 1994 bis 1998 vorlag, die Erkrankung aber schon 2008 aufgetreten sei.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 07.05.2012 hat Prof. Dr. H. (Blatt 61/66 der SG-Akte) u.a. ausgeführt, die Entstehung von Krebserkrankungen sei grds. als multifaktorielles Geschehen zu betrachten. Daher sei eine monokausale Betrachtungsweise mit einer einfachen Dosis-Wirkungs-Beziehung in dieser Erkrankungsgruppe nur in sehr wenigen Einzelfällen vertretbar. Es seien i.S. einer Gesamtbetrachtung alle möglichen Einflussfaktoren zu betrachten, die als direkte Co-Faktoren oder im Rahmen synergistisch wirkender Zusatzfaktoren wirksam werden könnten. Daher könne eine Gesamtbetrachtung im vorliegenden Fall sich nicht ausschließlich auf die Exposition aromatischer Amine reduzieren. Der Betroffene sei einer Risikogruppe zuzuordnen, für die anhand der aktuellen klinisch-epidemiologischen Evidenz mindestens von einem doppelten Risiko für die Entstehung von Blasenkarzinomen auszugehen sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 21.06.2012 (Blatt 67/68 der SG-Akte) darauf verwiesen, dass Prof. Dr. H. sich nicht damit auseinandergesetzt habe, ob die hier nachgewiesene Exposition gegenüber von allenfalls in Spuren vorhandenem 4,4‘-Diaminodiphenylmethan in der Zeit vom 1994 bis 1998 geeignet gewesen sei, um beim Kläger ein Blasenkarzinom rechtlich wesentlich zu verursachen. Da der Gutachter davon ausgehe, dass ein multifaktorielles Geschehen zur Krebserkrankung geführt habe, verneine er damit inzident das Vorliegen einer BK Nr. 1301, da diese eine ausreichende Exposition gegenüber aromatischen Aminen fordere, nicht aber ein multikausales Geschehen.

Das SG hat mit Urteil vom 18.06.2013 die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer BK Nr. 1301 und einer Wie-BK (Blasenkarzinom) lägen nicht vor. Zwar leide der Kläger an Blasenkarzinom. Auch sei zum Vollbeweis gesichert, dass eine berufliche Einwirkung mit aromatischen Aminen - also bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit - stattgefunden habe. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass sich in wesentlicher Weise aufgrund der festgestellten Einwirkung aromatischer Amine das Blasenkarzinom entwickelt habe, sei jedoch nicht gegeben. So habe bei den Spülvorgängen nur die Möglichkeit bestanden, dass sich geringe Mengen 4,4‘-Diaminodiphenylmethan bildeten. Ferner habe die Exposition mindestens zehn Jahre vor der Erstmanifestation des Tumors des Klägers stattgefunden. Überzeugend habe der Gutachter Prof. Dr. D. dargelegt, dass mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten aufgrund dieser Umstände allenfalls davon ausgegangen werden könne, dass sich Spuren von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan gebildet hätten, die aber im Rahmen der Tätigkeit des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausreichend gewesen seien, das Blasenkarzinom zu verursachen. Hieran ändere auch das Gutachten von Prof. Dr. H. nichts. Auch die hilfsweise beantragte Feststellung des Blasenkarzinoms als Wie-BK komme nicht in Betracht.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 23.09.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.10.20913 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Das SG setze sich nicht ausreichend mit dem Gutachten von Prof. Dr. H., der eine anerkannte Kapazität sei, auseinander. Vielmehr hätte das SG bei ausreichenden Würdigung des Gutachtens zu dem Ergebnis kommen müssen, dass zumindest eine Wie-BK vorliege. Auch habe das SG den Amtsermittlungsgrundsatz verletzt, weil es nicht bei Prof. Dr. H. nachgefragt habe. Weiter hätte die Möglichkeit bestanden, ein Obergutachten einzuholen, was ebenfalls notwendig gewesen wäre.

Der Kläger beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18.06.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2010 zu verurteilen, das Blasenkarzinom als eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage zu § 1 BKV, hilfsweise als Versicherungsfall einer Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII festzustellen.

Die Beklagte beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der "Gesamtbetrachtung" von Prof. Dr. med. H. und der von ihm genannten Synkanzerogenese seien die Rechtsprechung des BSG und der Fachliteratur entgegenzuhalten, wonach durch eine Gesamtbetrachtung keine neue Gesamt-BK gebildet und eine spezielle BK-Nummer nicht unterlaufen werden dürfe. Maßgebend sei, ob die Einwirkungen einer Listen-BK eine wesentliche Teilursache seien. Nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 15.03.2012 - L 3 U 289/09) setze die Annahme einer beruflich bedingten Erkrankung im Sinne der Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV den "epidemiologischen Nachweis einer Risikoverdoppelung durch die zusätzliche Einwirkung am Arbeitsplatz voraus". Dies sei aber nicht erwiesen.

Mit den Beteiligten wurde die Sach- und Rechtslage in einem Termin am 24.04.2011 nichtöffentlich erörtert. Wegen des Inhalts und Ergebnisses des Termins wird auf die Niederschrift auf Blatt 26/28 der Senatsakte Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende Befragung von Prof. Dr. H ... Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 26.05.2014 (Blatt 32/39 der Senatsakte) angegeben, dass die zehnjährige Expositionszeit mit der daraus resultierenden Dosisintensität sowie die ebenfalls etwa 10-jährige Latenzzeit zwischen Exposition und Entstehung des Blasenkrebses typischen Verläufen einer chemisch induzierten Krebsentstehung entsprächen. Die harnableitenden Organe seien aufgrund ihrer Ausscheidungsfunktion und der stattfindenden Harnkonzentrierung besonders intensivem Kontakt mit chemischen Substanzen ausgesetzt. Die aufgelisteten Substanzen und gerade auch Amine würden über die Nieren ausgeschieden. In den harnableitenden Organen habe daher über längere Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine besondere Exposition zu potentiell krebserzeugenden Substanzen bestanden. Trotz multifaktoriellem Entstehungsmechanismus von Krebserkrankungen sei den Aminen innerhalb der aufgelisteten Substanzen die größte Risikoerhöhung für die Entstehung von Blasenkrebs zuzuschreiben. Hauptort der durch Amine hervorgerufenen Krebsentstehung sei die Harnblase. Die anderen Substanzen hätten wahrscheinlich mindestens additiv gewirkt. Synergistische Wirkungen seien möglich, jedoch nach aktuellem Stand des Wissens nicht eindeutig zu verifizieren. Eine alleinige induzierende Wirkung der anderen Substanzen für Blasenkrebs habe eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit.

Während sich der Kläger durch diese Ausführungen bestätigt sieht (Blatt 43 = 44 der Senatsakte) hat die Beklagte ausgeführt (Blatt 42 der Senatsakte), soweit Prof. Dr, H. für Trichlorkohlenwasserstoffe und Formaldehyd eine kanzerogene Wirkung auf das harnableitende System annehme, widerspreche er den Darlegungen von Prof. Dr. D. sowie seinem Gutachten vom 20.09.2011. Auch übergehe er den Umstand, dass der Kläger nur in einem Zeitraum von ca. vier Jahren (von 1994 bis 1998) "allenfalls gegenüber Spuren" des aromatischen Amins exponiert gewesen sei. Sie hat die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. P. vom 15.10.2014 vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Beklagten vom 16.10.2014, des Klägerbevollmächtigten vom 20.10.2014).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist zunächst die Anerkennung einer BK Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV; die Anerkennung einer weiteren Listen-BK ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Hilfsweise ist die Anerkennung des Blasenkarzinoms als Wie-BK i.S.d. § 9 Abs. 2 SGB VII streitig.

Die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Feststellung der streitigen BK bzw. der Wie-BK ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Feststellung der streitigen BK ablehnenden Verwaltungsentscheidungen, mit der Feststellungsklage, die Feststellung, dass eine bestimmte Erkrankung eine BK bzw. eine Wie-BK sei (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG 07.09.2004 - B 2 U 46/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 3).

Allerdings hat das SG diese Klagen zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 08.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es abgelehnt hat, die Erkrankung des Klägers als BK 1301 bzw. als Wie-BK anzuerkennen bzw. festzustellen.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheiten Verordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl I, Seite 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind.

Bei einer Listen-BK lassen sich im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die gegebenenfalls bei einzelnen Listenberufskrankheiten einer Modifikation bedürfen (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 3): Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Wie bei einem Arbeitsunfall müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. u.a. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4, RdNr. 16 m.w.N.; BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 14, RdNr. 9 m.w.N.; BSG, UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG, NZS 2012, 151; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4111 Nr. 3 sowie BSG vom 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - (Juris)).

Berufskrankheiten sind gemäß § 1 BKV die in der dortigen Anlage 1 bezeichneten Krankheiten, die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz des Siebten Buches Sozialgesetzbuch begründenden Tätigkeit erleidet. Unter Nummer 1301 dieser Anlage zu § 1 BKV hat der Gesetzgeber Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine als BK anerkannt.

Die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit des Klägers bei seinem Arbeitgeber ist gegeben. Auch ist ein Harnblasenkarzinom diagnostiziert. Diese Erkrankung kann grds. durch aromatische Amine, wie dem 4,4‘-Diaminodiphenylmethan, verursacht werden (vgl. dazu das Merkblatt zur BK 1301, Bek. des BMA vom 12.06.1963, BArbBl. Fachteil Arbeitsschutz 1963, 129f sowie die Wissenschaftliche Stellungnahme zur BKV Nr. 1301 GMBl 2011, 18).

Maßgeblich ist daher, ob das Harnblasenkarzinom, das beim Kläger aufgetreten ist, wesentlich durch die mit der versicherten Tätigkeit im Zusammenhang stehenden Einwirkungen (sachlicher Zusammenhang) hervorgerufen wurde (Einwirkungskausalität).

Zunächst konnte sich der Senat - anders als das SG - schon nicht davon überzeugen, dass im Vollbeweis nachgewiesen werden konnte, dass der Kläger aromatischen Aminen i.S.d. BK Nr. 1301 ausgesetzt gewesen war. Zwar hat der Präventionsdienst in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 08.04.2009 dargestellt, dass der Hersteller einer der verwendeten Chemikalien angegeben hatte, dass geringe Mengen von krebserregendem 4,4‘-Diaminodiphenylmethan gebildet werden könnten, wenn Isocyanatreste in Wasser gelangten. Einen solchen Vorgang hat der Kläger beschrieben, als im Zeitraum von 1994 bis 1998 die an der Maschine angebrachten Schaumköpfe mehrfach arbeitstäglich mit Wasser gereinigt wurden. Dabei konnten Isocyanatreste mit Wasser in Berührung kommen. Da aber der Hersteller der Chemikalien - von den Beteiligten und den Gutachtern unbestritten - lediglich die Möglichkeit der Entstehung von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan angezeigt hatte, das Entstehen von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan bei jedem Reinigungsvorgang aber nicht zwingend war, verbleibt es bei der bloßen Möglichkeit der Entstehung von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan. Die bloße Möglichkeit der Entstehung von krebserregendem 4,4‘-Diaminodiphenylmethan genügt nicht, um mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Existenz von aromatischen Aminen und das Ausgesetztsein gegenüber diesen, mithin eine Einwirkung, annehmen zu können. Denn es steht nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass oder bei wie vielen Reinigungsvorgängen pro Schicht eine chemische Reaktion mit Abspaltung des kanzerogenen Stoffes auftrat und wie häufig bzw. unter welchen Bedingungen in diesen Fällen der nur in Spuren frei gewordene Stoff auch tatsächlich inkorporiert wurde. Die Halle 3, in der der Kläger bis 1998 gearbeitet hat, war 60 m mal 50 m groß mit einer Deckenhöhe von 6 m. Die Maschinen hatten Absaugvorrichtungen, wie sich aus dem Bericht des Präventionsdienstes der Beklagten ergibt. Auch dass es wahrscheinlich ist, dass sich im Laufe der vom Kläger geschilderten arbeitstäglich mehrfach erfolgten Reinigungsvorgänge über einige Jahre hinweg - nach Angaben des Kläger betrafen diese Reinigungsvorgänge den Zeitraum 1994 bis 1998 -, irgendwann tatsächlich beim Zusammentreffen von Wasser und Isocyanatresten das krebserregende 4,4‘-Diaminodiphenylmethan gebildet haben müsste, genügt daher nicht, um als Vollbeweis das Entstehen und die Einwirkung von krebserregenden aromatischen Aminen annehmen zu können.

Der Senat sieht sich durch die vorliegenden Gutachten in dieser Beweiswürdigung bestätigt. Denn insoweit konnte auch Prof. Dr. D. in seinem Gutachten lediglich darlegen, dass die Bildung von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan wahrscheinlich war; eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit konnte er gerade nicht beschreiben (Blatt 105 der Beklagtenakte). Prof. Dr. H. ist (Blatt 44 der SG-Akte = Seite 16 des Gutachtens) insoweit ohne weitere kritische Prüfung einfach davon ausgegangen, dass eine Exposition stattgefunden haben müsse; diese bloße Behauptung genügt aber nicht um den für den Senat erforderlichen Nachweis zu führen. Dieses Verständnis seines Gutachtens wird durch die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. H. vom 07.05.2012 gestützt, als er dort (Blatt 63 der SG-Akte = Seite 3 der ergänzenden Stellungnahme) nur noch die Möglichkeit der beruflichen Exposition dargestellt hat. Eine bloß mögliche berufliche Exposition lässt die Feststellung der Exposition, mithin eine Einwirkung, im Wege des Vollbeweises aber nicht zu.

Über die Möglichkeit der Bildung von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan beim Zusammentreffen von Wasser und Isocyanatresten hinaus enthielten die an den Arbeitsplätzen des Klägers - soweit noch feststellbar - verwendeten Materialien sonst nur noch in der Tinte 7190-BK einen Azofarbstoff mit der Bezeichnung Solvent Black 35 als aromatisches Amin in einer Größenordnung von weniger als 0,0053 %. Jedoch wurden bei dessen Verarbeitung krebserzeugende aromatische Amine nicht freigesetzt, sodass der Kläger auch nicht durch andere Materialien einer Einwirkung von aromatischen Aminen i.S.d. BK Nr. 1301 ausgesetzt war.

Aber selbst wenn man annehmen wollte, dass der Kläger einer Einwirkung von aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen wäre, konnte der Senat dann nicht feststellen, dass das Harnblasenkarzinom auch i.S.d. Theorie der wesentlichen Bedingung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch auf diese beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen wäre.

Selbst ein Entstehen und eine Einwirkung von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan unterstellt konnte die Menge dieses aromatischen Amins nicht - weder tatsächlich noch näherungsweise - festgestellt werden. Jedoch kamen sowohl der Präventionsdienst als auch die beiden Gutachter Prof. Dr. D. und Prof. Dr. H. übereinstimmend zu dem Schluss, dass es sich lediglich um Spuren dieses 4,4‘-Diaminodiphenylmethan gehandelt hatte.

Bei der Formulierung des Tatbestandes der BK Nr. 1301 hat der Verordnungsgeber auf die Angabe eines konkreten Belastungsgrenzwerts verzichtet. Der Verzicht auf die Angabe konkreter Belastungsarten und Belastungsgrenzwerte bei der Formulierung von BK-Tatbeständen geschah vielfach bewusst, um bei der späteren Rechtsanwendung Raum für die Berücksichtigung neuer, nach Erlass der Verordnung gewonnener oder bekannt gewordener Erkenntnisse zu lassen (BSG 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R -, juris RdNr. 18 ff. m.w.N.; LSG Baden-Württemberg 07.09.2010 - L 1 U 2869/09 - juris RdNr. 38). Auch das Merkblatt zur BK Nr. 1301 der Anlage zur BKV (Bek. des BMA vom 12.06.1963, BArbBl. Fachteil Arbeitsschutz 1964, 129 f.) sowie der aktuelle BK-Report 1/2009 über Aromatische Amine (herausgegeben vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, im Internet verfügbar unter http://www.dguv.de/ifa/de/pub/rep/pdf/reports2009/bk0109/bk rep 1 2009.pdf) enthalten für die Chemikalien, mit denen der Kläger in Kontakt gekommen ist, keine Mindestexpositionsmenge. Dies entspricht dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen wissenschaftlichen Forschungsstand (dazu vgl. LSG Baden-Württemberg 07.09.2010 - L 1 U 2869/09 - juris RdNr. 38). Verbindliche Grenzwerte, bei deren Einhaltung Erkrankungen nicht zu befürchten sind, existieren daher nicht (LSG a.a.O.; ebenso LSG Baden-Württemberg 12.05.2009 - L 9 U 1415/08 -; Hessisches LSG 03.11.2004 - L 3 U 1613/97; a.A. LSG Berlin-Brandenburg 15.03.2012 - L 3 U 289/09 - juris).

Die Benennung von Schwellenwerten kanzerogener Stoffe ist wegen langer Latenzzeit und möglicher Kumulationseffekte nicht möglich (LSG Baden-Württemberg 07.09.2010 - L 1 U 2869/09 - juris RdNr. 40). Soweit die Beklagte daher die Latenzzeit beim Kläger als zu gering beurteilt, schließt dies grds. nicht die Annahme eines naturwissenschaftlichen Zusammenhanges aus (LSG a.a.O.); dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand Latenzzeiten zwischen 5 und 64 Jahren nachgewiesen wurden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2009 Seite 1125). Auch eine genaue Expositionszeit, welche zu einem Auftreten des stochastischen Schadens führt, kann nicht angegeben werden (LSG a.a.O.). Die Erfassung kumulativer Dosen ist zwar von Bedeutung, jedoch kann auch mit abnehmenden kumulativen Dosen eine Erkrankung nicht völlig ausgeschlossen werden.

Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Frage und den Umfang eines erhöhten Blasenkrebsrisikos durch berufliche Einwirkung aromatischer Amine im Niedrig-Dosis-Bereich gibt es nicht (LSG Baden-Württemberg 07.09.2010 - L 1 U 2869/09 - juris RdNr. 39). So kann weder eine "sichere Dosis" angegeben werden noch eine Dosis, bei der sich das Normalrisiko verdoppelt (LSG a.a.O.; a.A. LSG Berlin-Brandeburg 15.03.2012 - L 3 U 289/09 - juris; LSG Niedersachsen 10.12.1996 - L 3 U 31/92 - juris). Das Abstellen auf den Vergleich mit Rauchern bei der quantitativen Einordnung der Aufnahme krebserzeugender aromatischer Amine und der Vorschlag, die Anerkennung einer BK grundsätzlich in Betracht zu ziehen, wenn die berufsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine in dem Umfang erfolgte, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führt, sind nach dem Ergebnis des Symposiums Aromatische Amine, das am 27.02.2007 in der Berufsgenossenschaftlichen Akademie in B. H. mit 180 Teilnehmern stattfand, in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion noch nicht Konsens (LSG a.a.O.).

Da der Kläger aber - eine Einwirkung unterstellt - einer nicht quantifizierbaren Dosis von 4,4‘-Diaminodiphenylmethan ausgesetzt war, die sowohl vom Hersteller des Isocyanat, als auch vom Präventionsdienst und den beiden Gutachtern lediglich als gering bzw. als Spurenvorkommen angesehen wurde, konnte der Senat auch im Rahmen einer Mitbetrachtung der sonstigen Umstände nicht davon ausgehen, dass die unterstellte Einwirkung hinreichend wahrscheinlich Ursache der Harnblasenkrebserkrankung war. So hat der Kläger zumindest in der Vergangenheit zeitweise geraucht (zumindest ein Jahr). Auch sind von Prof. Dr. H. (Blatt 39 der SG-Akte = Seite 11 des Gutachtens) genetische Faktoren und der Einfluss der Lebensweise diskutiert worden, was vorliegend für den Erkrankungsfall des Klägers vom Sachverständigen aber nicht vertieft wurde. Zudem ist eine schicksalhafte - berufsunabhängige - Erkrankung bei Menschen im Alter des Klägers nicht ausgeschlossen; er war mit 57 Jahren zum Erkrankungszeitpunkt bereits in einem Alter das ein erhöhtes Harnblasenkrebsrisiko aufweist - so steigt das Erkrankungsrisiko ab dem 40sten Lebensjahr mit zunehmendem Alter (http://www.urologie-remscheid.de/krankheitsbilder,was-ist-blasenkrebs-oder-blasenkarzinom,78.htm) und erreicht seinen Höhepunkt im Alter von ca. 69 Jahren.

Auch wenn Prof. Dr. H. die Blasenkrebserkrankung als multifaktoriell verursacht ansieht, ist für die Feststellung der Voraussetzungen der BK Nr. 1301 lediglich die Einwirkung aromatischer Amine von Bedeutung. Die daher von Prof. Dr. H. mitgeteilte Einwirkung anderer mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit diese Erkrankung verursachenden Stoffe (Blatt 47 der SG-Akte = Seite 19 des Gutachtens) spricht damit gegen eine hinreichend wahrscheinliche Verursachung des Blasenkrebses beim Kläger durch die Spuren von aromatischen Aminen. So erhöht auch eine aufgenommene Dosis - so Prof. Dr. H. (Blatt 63 der SG-Akte = Seite 3 der ergänzenden Stellungnahme vom 07.05.2012) - lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung, begründet eine solche aber nicht mit Sicherheit. Doch auch unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. H. angestellten multifaktoriellen Betrachtung konnte der Senat nicht erkennen, dass die vom Kläger - bei einer unterstellten Einwirkung - aufgenommenen Spuren von aromatischen Aminen alleine oder im Zusammenwirken mit anderen Stoffen hinreichend ursächlich gewesen wären oder aber andere krebserregende Stoffe in ihrer Erkrankungsanlage so verstärkt hätten, dass ohne die aromatischen Amine diese nicht zur Blasenkrebserkrankung hätten führen können. So hat Prof. Dr. H. hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.2014 (Blatt 38 der Senatsakte = Seite 7 bzw. Blatt 39 der Senatsakte = Seite 8 a.a.O.) ausgeführt, dass ein wissenschaftlicher Nachweis dieser synergistischen Wirkung von Aminen auf kanzerogenes Potenzial anderer Substanzen zwar möglich aber gerade nicht verifiziert sei.

Außerdem hat Dr. P. in seiner Stellungnahme vom 15.10.2014 überzeugend dargelegt, dass die von Prof. Dr. H. genannten anderen Stoffe zwar als krebserzeugend identifiziert sind, aber belastbare medizinische Erkenntnisse für eine krebserzeugende Wirkung auf die Blase nicht vorliegen. Dies hat der Senat der von Dr. P. beigefügten, aktuellen (last update: 25.07.2014) Liste der Zusammenstellung der Tumorlokalisationen (IARC), auf die Prof. Dr. H. gerade Bezug nimmt, ebenso entnommen. Der ärztlichen Einschätzung von Prof. Dr. D. und Dr. P., dass die allenfalls mit Spuren des Stoffes 4,4‘-Diaminodiphenylmethan erfolgte Einwirkung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ursächlich für die Entstehung des Blasenkrebs des Klägers war, ist für den Senat insoweit überzeugend. Denn es sprechen ebenso gute Gründe für eine andere Verursachung wie für die berufliche Einwirkung des Stoffes in medizinisch ungeklärter, d.h. möglicher oder nicht möglicher, kanzerogener Dosis.

Insoweit konnte sich der Senat nicht vom Vorliegen eines hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhangs zwischen Erkrankung und Einwirkung im vorliegenden Fall überzeugen.

Auch soweit der Kläger im Hilfsantrag die Anerkennung des Blasenkarzinoms als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII begehrt, ist die Berufung zulässig, aber unbegründet. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, haben die Unfallversicherungsträger gem. § 9 Abs. 2 SGB VII eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen (sog. Wie-BK), sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Voraussetzung einer Anerkennung als Wie-BK ist damit, dass bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind. Diese Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit verursacht haben (vgl. BSG, Urteil vom 27.04.2010 - B 2 U 13/09 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 18). Damit ist das im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung erheblich erhöhte Ausgesetztseins bestimmter Personengruppen gegenüber besonderen Einwirkungen hinsichtlich ihrer Ausgestaltung oder Art sowie ihres Ausmaßes maßgeblich (dazu vgl. BSG 27.04.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 18 = juris). Insoweit konnte der Senat aber weder feststellen, dass der Kläger einer Personengruppe angehört, die beruflich bedingt hinsichtlich Ausgestaltung oder Art sowie Ausmaß allgemein und tatsächlich im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung besonderen Einwirkungen durch krebserregende Stoffe ausgesetzt gewesen wäre. Noch konnte der Senat feststellen, dass neue medizinisch gefestigte Erkenntnisse vorhanden wären, die eine neue Listen-BK begründeten. Insoweit hat auch Prof. Dr. H. selbst gegenüber dem SG dargelegt, dass eine solche Wie-BK nicht gegeben sei; ebenso hat Prof. Dr. D. keine Anhaltspunkte hierfür liefern können.

Der Sachverhalt ist vollständig ermittelt, weshalb weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht zu erfolgen haben. Der Senat hat die bei Prof. Dr. H. erforderlichen Nachfragen getätigt und dessen Auskunft dieser Entscheidung zugrunde gelegt. Ein zusätzliches - von Amts wegen eingeholtes - Gutachten war ebenso wenig erforderlich, wie sonstige Ermittlungen. Insbesondere ergeben sich keine Anhaltspunkte für weitere kausalitätsrelevante Umstände. Insbesondere ist die Einholung eines Obergutachtens - wie vom Klägervertreter gefordert - nicht erforderlich. Denn die vorliegenden Gutachten von Prof. Dr. D. und Prof. Dr. H. haben in Zusammenwirken mit den aus den vorliegenden Unterlagen, insbesondere des Präventionsdienstes, dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr erforderlich. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein "Obergutachten" sehen die Prozessordnungen - auch das SGG - nicht vor (BSG 23.05.2006 - B 13 RJ 272/05 B - juris).

Damit hat der Kläger weder einen Anspruch auf Feststellung der Blasenkrebserkrankung als BK Nr. 1301 noch als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.