S 17 SB 254/03 SG Aachen - Urteil vom 9. Juli 2004

 


Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine vom Beklagten eingeleitete Nachprüfung ihres gesundheitlichen Zustandes.

Bei der am 00.00.1953 geborenen Klägerin wurde im Verfahren S 3 SB 140/99 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg mit Ausführungsbescheid vom 02.03.2001 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie der Nachteilsausgleich mit dem Merkzeichen "G" festgestellt; die weitergehende Klage auf den Nachteilsausgleich mit dem Merkzeichen "aG" wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 05.06.2001 ab.

Im April 2004 leitete der Beklagte eine Nachprüfung vom Amts wegen ein; die Klägerin beantragte am 03.07.2003 erneut den Nachteilsausgleich mit dem Merkzeichen "aG". Nach Einholung eines Befundberichtes des Allgemeinmediziners O. beraumte der Beklagte zunächst eine Begutachtung durch die Ärztin Frau L. an, die er auf den Einwand der Klägerin, im September 2003 solle auf ihr Betreiben hin eine umfassende "gerichtliche verwertbare" Untersuchung durch PD Q. (Krankenhaus E.) vorgenommen werden, wieder absetzte. Auf Nachfrage des Beklagten, wo die Befunde von PD Q. angefordert werden könnten, teilte die Klägerin mit, der ihr ausgestellte Schwerbehindertenausweis sei ohne jedwede Änderungen oder Nachprüfungen zu verlängern; im Übrigen sei Antrag auf den Nachteilsausgleich mit dem Merkzeichen "aG" bis 04.10.2003 zu bescheiden und zwar - aufgrund der Äußerung von O. - positiv. Der Beklagte forderte die Klägerin sodann unter Fristsetzung bis zum 20.10.2003 auf, die Befunde von PD Q. zugänglich zu machen und sich gegebenenfalls einer versorgungsärztlichen Begutachtung zu stellen. Nach Einholung eines weiteren Befundberichts von O. (dem ein Arztbrief von PD Dr. Q. beigefügt war) wies der Beklagten erneut auf die Notwendigkeit einer versorgungsärztlichen Untersuchung hin, was die Klägerin ablehnte.

Am 18.11.2003 erhob die Klägerin zunächst Untätigkeitsklage mit dem Antrag auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs mit dem Merkzeichen "aG", da eine dreimonatige Frist zur Bescheidung ohne zureichenden Grund überschritten worden sei. Nachdem der Beklagte den Nachteilsausgleich mit Bescheid vom 09.02.2004 abgelehnt hatte, verlangte die Klägerin nunmehr die Verlängerung ihres Schwerbehindertenausweises, die der Beklagte für die Zeit bis zum 31.03.2005 vornahm. Die Klägerin erklärte daraufhin, der Antrag auf den Nachteilsausgleich werde nicht weiterverfolgt, statt dessen richte sich ihre Klage nunmehr auf die unbefristete Verlängerung des Schwerbehindertenausweises, die deswegen erfolgen müsse, da nach dem vorangehenden Gerichtsbescheid keine Nachprüfung stattfinden dürfe. Im Übrigen seien die Kosten der Untätigkeitsklage dem Beklagten aufzuerlegen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, die im April 2004 eingeleitete Nachprüfung über ihren Gesundheitszustand zu beenden ohne Änderungen in den bisherigen Feststellungen eintreten zu lassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, er habe den Ausweis nicht weiter verlängern können, da das Nachprüfungsverfahren noch immer nicht abgeschlossen worden sei. Die Kosten der Untätigkeitsklage habe er nicht zu tragen, da die Klägerin die Aufklärung des Sachverhalts selbst verzögert habe.

Das Gericht hat die Akte zum Verfahren S 3 SB 140/99 des SG Lüneburg beigezogen. Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.


 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist bereits unzulässig, da der Klägerin ein Anspruch gegenüber dem Beklagten, dieser möge die Nachprüfung ihres gesundheitlichen Zustandes unterlassen und dürfe die bisherigen schwerbehinderten-rechtlichen Feststellungen nicht zu ihren Ungunsten abändern, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann. Das Gericht brauchte daher nicht zu prüfen, ob der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ein solches Recht zusteht, sondern hatte die Klage von vorn herein als unzulässig abzuweisen.

Die Änderung der Klage von einer Untätigkeitsklage in eine Klage auf Unterlassung der Nachprüfung und Abwehr einer zukünftigen nachteiligen Veränderung des schwerbehindertenrechtlichen Status ist zulässig, da sich der Beklagte auf die geänderte Klage eingelassen und somit der Klageänderung zugestimmt hat, § 99 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist in ihrer zuletzt aufrechterhaltenen Form jedoch unzulässig. Sie richtet sich als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zum Einen gegen die vom Beklagten eingeleitete Nachprüfung des gesundheitlichen Zustands der Klägerin. Darüber hinaus begehrt die Klägerin im Wege einer vorbeugenden Unterlassungsklage - als Unterart der allgemeinen Leistungsklage (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 54, Rn 37) - eine gerichtliche Entscheidung dahingehend, dass der Beklagte die bei ihr getroffenen schwer-behindertenrechtlichen Feststellungen nicht zu ihrem Nachteil abändern darf. Wie jede sozialgerichtliche Klageart setzt auch die allgemeine Leistungsklage - in beiden hier vorliegenden Ausprägungen - voraus, dass dem Kläger die geltend gemachte Rechtsposition unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt grundsätzlich zustehen kann. Unzulässig ist die Klage hingegen, wenn das vom Kläger behauptete Recht in der geltenden Rechtsordnung bereits von vornherein nicht existiert.

Die von der Klägerin geltend gemachte Rechtsposition - Unterlassung der Nachprüfung und unabänderliche Festschreibung des derzeitigen schwerbehindertenrechtlichen Zustandes zu ihren Gunsten - ist in der gesamten Rechtsordnung nicht vorgesehen.

Die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) sowie weiterer Nachteilsausgleiche erfolgt nach § 69 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX), das mit Wirkung vom 01.07.2001 an die Stelle des aufgehobenen Schwerbehindertengesetzes getreten ist, durch Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), d.h. durch eine behördliche Einzelfallentscheidung. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist auch ein unanfechtbarer Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Den Interessen der vom Verwaltungsakt Betroffenen trägt das Gesetz dadurch Rechnung, dass erstens die Aufhebung eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse voraussetzt und sie zweitens für die Vergangenheit nur unter den engen Voraussetzungen von Abs. 1 Satz 2 möglich ist.

Aus alledem ergibt sich, dass auch unanfechtbare sozialrechtliche Verwaltungsakte nicht etwa grundsätzlich unabänderlich sind. Zwar mag es aufgrund materiellrechtlicher Vorschriften Konstellationen geben, in denen die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Verwaltungsakts kaum je erfüllt sein werden (etwa bei einem Bescheid über die Gewährung von Regelaltersrente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung), dem Grundsatze nach bleibt jedoch festzustellen, dass Verwaltungsakte, die an einen bestimmten gesundheitlichen Zustand des Betroffenen anknüpfen, auch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X aufgehoben werden können.

Dies führt nicht nur dazu, dass der Betroffenen kein berechtigtes Interesse an dem gerichtlichen Ausspruch hat, die durch Verwaltungsakte begründete Rechtsposition dürfe unter keinen Umständen mehr entzogen werden (vorbeugende Unterlassungsklage), sondern bedeutet auch, dass es der Sozialverwaltung möglich sein muss, zu prüfen, ob in den maßgeblichen Verhältnissen eine Änderung eingetreten ist. Andernfalls liefe § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X entweder leer oder aber nötigte die Behörde dazu, sich auf bloße Mutmaßungen zu stützen.

Für den soeben angesprochenen Fall der vorbeugenden Klage gegen eventuelle spätere Abänderungen des derzeitigen Status kommt hinzu, dass der Betroffene diesen Änderungen nicht schutzlos gegenüber steht, sondern sich im Anhörungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren gegen eine nachteilige Abänderung zur Wehr setzen kann und er in all diesen Verfahrensstadien ausreichend Gelegenheit hat, Gründe gegen die Aufhebung anzuführen. Eines vorbeugenden Rechtsschutzes bedarf er lediglich dann, wenn es ihm (etwa aufgrund drohenden Zeitablaufs) vollkommen un-zumutbar ist, die Aufhebung selbst abzuwarten und sich sodann hiergegen zu wehren (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn 42 m.w.N.). Entsprechende Gründe hat die Klägerin weder vorgebracht, noch sind sie aus dem gesamten Akteninhalt ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Auch die - im Übrigen nicht ersichtlichen - Kosten der Untätigkeitsklage hat der Beklagte nicht zu tragen, da er einen zureichenden Grund hatte, den Antrag auf den Nachteilsausgleich mit dem Merkzeichen "aG" nicht binnen der in § 88 Abs. 1 Satz 1 angeordneten sechsmonatigen Frist (die von der Klägerin angeführte dreimonatige Frist gilt nur bei Widersprüchen, § 88 Abs. 2 SGG) zu bescheiden. Der zureichende Grund liegt darin, dass die Klägerin die Aufklärung des medizinischen Sachverhalts und hierbei insbesondere die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung durch ihr eigenes Verhalten unmöglich gemacht hat. Sie hat nicht nur die Beiziehung der von PD Q. erhobenen Befunde erheblich verzögert, sondern auch eine versorgungsärztliche Untersuchung verweigert, ohne die die überaus engen Voraussetzungen des damals begehrten Nachteilsausgleichs nicht positiv festgestellt werden konnten.