Tatbestand:

Die Klägerin stellte am 01.02.2012 einen Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht. In dem Antrag gab sie an, an einer Schilddrüsenerkrankung, Bluthochdruck, Lumbalspinalkanalstenose, Otosklerose beidseits und Schwerhörigkeit beidseits zu leiden. Dem Antrag war ein Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Dr. QM., der radiologischen Praxis F., der Neuropraxis G., des Wirbelsäulenzentrums ZT. und des HNO-Arztes H. beigefügt (Bl. 3 bis 11 der Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 29.02.2012 erkannte der Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 an. Hierbei wurden folgende Erkrankungen berücksichtigt: Schilddrüsenfunktionsstörung Einzel-GdB von 0 Bluthochdruck Einzel-GdB von 0 Wirbelsäulenveränderung Einzel-GdB von 20 Schwerhörigkeit beidseits Einzel-GdB von 30 (Bl. 17 der Verwaltungsakte).

Mit Schreiben vom 19.03.2012 legte die Klägerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein (Bl. 21 der Verwaltungsakte). Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde ein Befundbericht bei Dr. AV. und der internistischen Gemeinschaftspraxis C. eingeholt.

Mit Schreiben vom 02.08.2012 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass im Rahmen des MRTs ein Tumor im linken Lungenlappen festgestellt wurde. Dem Schreiben war ein Befundbericht der L.-Klinik vom 16.07.2012 beigefügt, aus dem hervorgeht: "Nebenbefundlich zeigt sich im Bereich des linken Unterlappens ein zentraler Lungentumor mit einer Ausdehnung von 45 x 31 mm mit konsekutiver Kompressionsatelektase des dorsalen Anteils des linken Unterlappens." (Bl. 35, 36 der Verwaltungsakte). Aus dem Bericht der L.-Klinik vom 30.07.2012 ergibt sich, dass bei der Klägerin eine hochdifferenzierte neuroendokrine Neoplasie der Lunge links (NET G1, Karzinoid nach alter Nomenklatur) von 46 mm Größe ohne Nachweis von Gefäßeinbrüchen und tumorfreien Absetzungsrändern und 32 tumorfreie regionäre Lymphknoten diagnostiziert wurden (Bl. 39 der Verwaltungsakte).

Dem Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2012 teilweise abgeholfen. Der GdB wurde in Höhe von 70 festgestellt, darüber hinaus wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Anerkannt wurden folgende Erkrankungen:

 Schwerhörigkeit beidseits Einzel-GdB 30
Wirbelsäulenveränderungen Einzel-GdB 20
Lungenerkrankung im Stadium der Heilungsbewährung links Einzel-GdB 50
Schilddrüsenfunktionsstörung Einzel-GdB 0
Bluthochdruck Einzel-GdB 0.

Auf Bl. 44 der Verwaltungsakte wird ausgeführt, dass es sich um einen hochdifferenzierten neuroendokrinen Tumor der Lunge (Lungenkarzinoid) mit der Tumorformel T2b No Mo G1 handelt.

Die Klägerin hat am 27.09.2012 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.

Im Rahmen des Klageverfahrens wurden die behandelnden Ärzte um die Beantwortung folgender Frage gebeten: "Ist der Tumor der Klägerin hinsichtlich seiner Aggressivität und damit der Heilungsbewährung mit einem typischen malignen Lungentumor oder Bronchialtumor vergleichbar mit der Folge, dass sich ein GdB von 80 für fünf Jahre ergibt oder handelt es sich bei der Art des Tumors der Klägerin (NET/Karzinoid) um eine Sonderform, welche hinsichtlich der Beurteilung der Heilungsbewährung eher vergleichbar ist z. B. mit einem Magenfrühkarzinom, so dass der GdB von 50 für fünf Jahre im Rahmen der Heilungsbewährung ausreichend ist?" (Bl. 29 der Gerichtsakte).

Frau Dr. E. führte in ihrem Schreiben vom 25.03.2013 aus: "Bei der Klägerin besteht folgende Tumorerkrankung: Hochdifferenzierte neuroendokrine Neoplasie des linken Unterlappens, bisherige Therapie: 7/2012 Unterlappenresektion mit radikaler Lymphonodektomie." Sie führt weiter aus: "Es liegt ein typisches Karzinoid mit einem niedrigen Prolieferationsindex Ki 67 von 3 % ohne Nachweis von Lymphknotenmetastasen oder Fernmetastasen vor. Es erfolgte eine komplette Entfernung des Tumors ohne nachweisbare Residuen. Wie dargestellt besteht somit ein niedriges Risiko eines Wiederauftretens eines Tumors oder einer Fernmetastasierung. In den Nachsorgeuntersuchungen ergaben sich bisher keine Hinweise auf das Vorliegen eines Rezidivs. Somit besteht bei der Klägerin eine Sonderform einer Tumorerkrankung mit einem niedrigen Metastasierungsrisiko und einer guten Langzeitüberlebensrate. Das Magenfrühkarzinom hat je nach Infiltrationstiefe Überlebensraten zwischen 85 und 90 % über fünf bis zehn Jahre. Es stellt somit eine ähnliche Erkrankung dar. Somit ist abschließend auszusagen, dass es sich bei dem Tumor der Klägerin mit der hochdifferenzierten neoendokrinen Neoplasie (sogenanntes typisches Karzinoid nach alter Nomenklatur) um eine semimaligne Sonderform eines Tumors handelt, der in Analogie zum Magenfrühkarzinom mit einer Bewertung mit einem GdB von 50 für fünf Jahre im Rahmen einer Heilungsbewährung ausreichend gewürdigt ist." (Bl. 51 bis 53 der Gerichtsakte).

Prof. Dr. D. führt in seinem Schreiben vom 14.04.2013 u. a. aus: "Der entfernte Tumor gehört zur Gruppe der neuroendokrinen Tumore der Lunge, die laut WHO Klassifikation von 2004 die neuroendokrinen Karzinome der Malignizitätsgrade G1 und G2 (früher typische bzw. atypische Karzinoide genannt), die großzelligen neuroendokrinen Karzinome sowie die kleinzelligen Lungenkarzinome (G3) umfasst. Auch bei dem hochdifferenzierten Karzinom wie hier vorliegend handelt es sich definitiv um einen typischen malignen Lungentumor. Der Begriff "Karzinoid" der alten Nomenklatur ist hierbei irreführend und auf die relativ geringe Rezidivrate zurückzuführen. Diese Art des Karzinoms rezidiviert selten, in ein bis zwei Prozent, abhängig von Tumorgröße und Lymphknotenbefall. Die Prognose der hochdifferenzierten neuroendokrinen Karzinome der Lunge nach chirurgischer Entfernung ist mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 87 bis 100 % sehr gut. Hinsichtlich der onkologischen Prognose wäre somit eine Gleichstufung des GdB zum Magenfrühkarzinom zu rechtfertigen. Allerdings ergibt sich der GdB im vorliegenden Fall, bezugnehmend auf die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, nicht nur aus der Art des entfernten Gewebes, sondern aus der Art des erforderlichen Zugangsweges. Es "ist nach Entfernung eines malignen Lungentumors oder eines Bronchialtumors in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der GdB/MdE während dieser Zeit beträgt wenigstens 80". [ ...] Zusammenfassend halten wir angesichts des entfernten, eindeutig malignen Tumors und des ausgedehnten Eingriffs via posterolateraler Thorakotomie (seitliche Eröffnung der Brustkorbhöhle) mit Durchtrennung einer Rippe einen GdB von 80 für fünf Jahre für angebracht." (Bl. 55, 56 der Gerichtsakte).

Die Klägerin ist der Ansicht, dass für die Tumorerkrankung ein Einzel-GdB von 80 anzuerkennen sei. Sie verweist auf das Schreiben von Prof. Dr. D.

Die Klägerin beantragt, 

den Bescheid des Beklagten vom 29.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2012 aufzuheben und einen GdB von 100 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass für die Tumorerkrankung ein GdB von 50 angemessen ist. Der Beklagte verweist darauf, dass ein Lungenkarzinoid entfernt wurde, welches nach aktenkundiger Sachlage hochdifferenziert und mit einer relativ geringen Rezidivrate ausgestattet sei. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrage 87 bis 100 %. Damit sei die bisherige Einschätzung eines GdB 50 analog der Karzinoidbewertung für zwei Jahre als zutreffend anzusehen. Die aus der L.-Klinik, Abteilung Thoraxchirurgie, ins Gespräch gebrachte Berücksichtigung des Zugangsweges bei der operativen Entfernung sei nebensächlich, da grundsätzlich die Behandlungsart und deren Umfang bei der Bemessung der Heilungsbewährung und der GdB-Bewertung nicht von Belang sind. In allen bisher existierenden Kommentierungen sei die klinische Problematik im Hinblick auf die Rezidivneigung/Metastasierung bzw. die 5-Jahres-Überlebensrate wesentlich. Bei der durch die Klinik bestätigten hervorragenden Prognose könne keinesfalls eine Gleichstellung mit einem hochmalignen Tumor erfolgen.

Die Beteiligten erklärten übereinstimmend, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind (Bl. 66, 71 der Gerichtsakte).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kammer konnte nach § 124 Abs. 2 SGG aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Der Bescheid vom 29.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat zu Unrecht für das Lungenkarzinoid einen Einzel-GdB von 50 und damit rechtswidrig einen Gesamt-GdB von 70 festgestellt. Der Bescheid ist deshalb im tenorierten Umfang aufzuheben.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden festgestellt (LSG NRW, Urteil vom 29.06.2013, Az.: L 13 SB 127/11). Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für diese Feststellung die Maßstäbe der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung (VersMedV vom 10.12.2008) und insbesondere ihrer Anlage 2 (Versorgungsmedizinische Grundsätze VG ) entsprechend. Die Bemessung des (Gesamt-)GdB ist dabei in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (BSG, Beschluss vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10; LSG NRW, Urteil vom 29.06.2013, Az.: L 13 SB 127/11). In einem ersten Schritt sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. In einem zweiten Schritt sind diese den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der maßgebliche (Gesamt-)GdB zu bilden (BSG, Beschluss vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10; LSG NRW, Urteil vom 29.06.2013, Az.: L 13 SB 127/11). Außerdem sind nach Teil A Nr. 3b VG bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der Tabelle der VG feste GdB-Werte angegeben sind (BSG, Beschluss vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10; LSG NRW, Urteil vom 29.06.2013, Az.: L 13 SB 127/11).

Nach diesen Grundsätzen ist die Festsetzung eines Einzel-GdBs von 30 bei der Klägerin für die Schwerhörigkeit beidseits, eines weiteren Einzel-GdBs von 20 für die Wirbelsäulenveränderung und der Schilddrüsenfunktionsstörung und des Bluthochdruckes mit einem Einzel-GdB von jeweils 0 nicht zu beanstanden.

Darüber hinaus besteht bei der Klägerin eine Lungenerkrankung im Stadium der Heilbewährung. Die Festsetzung des Einzel-GdBs aufgrund des Lungenkarzinoids ist zwischen den Beteiligten streitig. Aus diesem Grund ist ebenfalls die Bildung des Gesamt-GdBs streitig.

Die Bildung des Gesamt-GdB von 70 steht nicht in Einklang mit den Regelungen der VersMedV. Die Klägerin wird deshalb durch die Festsetzung in ihren Rechten verletzt. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist aufgrund des Lungenkarzinoids ein Einzel-GdB von 80 in den ersten fünf Jahren nach der Heilbewährung anzuerkennen.

Der Beklagte beruft sich bei der Festsetzung eines Einzel-GdBs von 50 auf folgende Regelung der VersMedV Nr. 10.2.1: "Nach Entfernung eines malignen Magentumors ist eine Heilungsbewährung abzuwarten. GdS während einer Heilungsbewährung von zwei Jahren nach Entfernung eines Magenfrühkarzinoms 50".

Für die Ansicht des Beklagten, das Lungenkarzinoid mit einem GdB von 50 zu bewerten spricht, dass es sich bei dem Lungenkarzinoid um einen neuroendokrinen Tumor handelt, der sich aus hormonbildenden Zellen meist im Magen-Darm-Trakt und in der Bauchspeicheldrüse bildet. Aufgrund der Zuordnung des Lungenkarzinoids zur Familie der gastroenteropankreatische Tumoren ist die Zuordnung eines Einzel-GdBs von 50 durch den Beklagten in Anlehnung an die Bewertung eines malignen Magentumors nachvollziehbar, da diese Tumorart sich dadurch auszeichnet, dass sie langsam wächst, weniger zu Metastasenbildung neigen wie andere Karzinome, die von Zellen im Deckgewebe von Haut oder Schleimhaut ausgehen und bei rechtzeitiger Entdeckung sehr gute Heilungschancen bestehen. Die insofern mit dem im Magen-Darm-Trakt und der Bauchspeicheldrüse vorkommenden Karzinoid bestehenden Gemeinsamkeiten sprechen für die Bewertung des Beklagten.

Dagegen spricht jedoch der Wortlaut der VersMedV Nr. 8.4. Dort wird ausgeführt: "Nach Entfernung eines malignen Lungentumors oder eines Bronchialtumors ist in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten. GdS während dieser Zeit wenigstens 80 bei Einschränkung der Lungenfunktion mittleren bis schweren Grades 90 - 100".

Eine Differenzierung nach der Art des Lungentumors nimmt der Verordnungsgeber nicht vor. Soweit der Beklagte anführt, dass aufgrund der bestehenden Ähnlichkeit des Lungenkarzinoids mit einem Magenfrühkarzinoid die Festsetzung des GdB nach Maßgabe des Magenfrühkarzinoids zu erfolgen hat, ist dem nicht zu folgen. Der Beklagte verkennt insoweit die Systematik der VersMedV. In Teil B Nr. 1a der GdS-Tabelle führt der Verordnungsgeber aus, dass es sich bei den in der Verordnung genannten GdS um Anhaltswerte handelt. Es wird ausgeführt: "Es ist unerlässlich, alle die Teilhabe beeinträchtigenden körperlichen, geistigen und seelischen Störungen im Einzelfall zu berücksichtigen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung." (Teil B, Allgemeine Hinweise zur GdS-Tabelle, Nr. 1a S. 2, 3 VersMedV). Des Weiteren führt der Verordnungsgeber im Teil B, Allgemeine Hinweise zur GdS-Tabelle, Nr. 1b aus: "Bei Gesundheitsstörungen, die in der Tabelle nicht aufgeführt sind, ist der GdS in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen."

Daraus folgt nach Ansicht der Kammer, dass ein Vergleich zu anderen Erkrankungen nur dann zu ziehen ist, wenn die Gesundheitsstörung nicht in der Tabelle aufgeführt ist. Da es sich bei dem Lungenkarzinoid um einen Lungentumor handelt und diese Erkrankung in der GdS-Tabelle aufgeführt ist, ist der Vergleich mit einer anderen Erkrankung ausgeschlossen. Es ist lediglich möglich der Besonderheit des Einzelfalles im Rahmen der Beurteilungsspanne Rechnung zu tragen. Aufgrund der guten Heilungschancen ist hierbei der Einzel-GdB von 80 als Mindest-GdB anzusetzen.

Aufgrund der Eindeutigkeit des Wortlauts vermögen die oben genannten Argumente nicht durchzugreifen, weshalb entgegen der Ansicht des Beklagten das Lungenkarzinoid mit einem Einzel-GdB von 80 zu bewerten ist.

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist beim Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen der Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen (§ 69 Abs. 3 Satz 2 SGB IX). Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (BSG, Beschluss vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10; LSG NRW, Urteil vom 29.06.2013, Az.: L 13 SB 127/11). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG, Beschluss vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10; LSG NRW, Urteil vom 29.06.2013, Az.: L 13 SB 127/11).

Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Festsetzung eines Gesamt-GdBs von 70 durch den Beklagten nicht gerechtfertigt. Es ist vielmehr ein Gesamt-GdB von 100 anzuerkennen, da die Erkrankungen nicht beziehungslos nebeneinander stehen sondern sich gegenseitig verstärken.

Aus den dargelegten Gründen ist der angegriffene Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weshalb er im tenorierten Umfang aufzuheben ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Berufung statthaft (§ 143 SGG).