Sozialgericht Dresden - S 24 SF 180/08 R/F - Beschluss vom 27.02.2009
Zu Recht weist der Erinnerungsführer darauf hin, dass durch die Anrechnung der Beratungshilfegebühr der bereits im Sozialverwaltungsverfahren tätige und dort im Wege der Beratungshilfe vergütete Rechtsanwalt im nachfolgenden Sozialgerichtsverfahren schlechter gestellt wird, als derjenige Rechtsanwalt, der im vorangegangenen Sozialverwaltungsverfahren vom Mandanten selbst vergütet wurde, weil dessen Vergütung aus dem Sozialverwaltungsverfahren nicht auf die im Sozialgerichtsverfahren verdienten Gebühren angerechnet wird, die infolge des niedrigeren Gebührenrahmens bei der Verfahrensgebühr ohnehin vermindert sind (vgl. die Nrn. 2400 und 2401 sowie Nr. 3103 VV-RVG einerseits mit Nr. 2503 Abs. 1 und 2 sowie Nr. 3103 VV-RVG andererseits). Diese ungleiche Behandlung im Sozialgerichtsverfahren lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass die im Wege der Beratungshilfe gewährte Vergütung aus der Staatskasse im Sozialverwaltungsverfahren nach den Nrn. 2500 ff. VV-RVG von vornherein eine andere ist, als die dort dem Rechtsanwalt sonst vom Mandanten nach den Nrn. 2400 f. VV-RVG zu gewährende Vergütung, so dass vom Gesetzgeber - im Unterschied zur Vergütung außerhalb der Beratungshilfe - zusätzlich eine Anrechnung auf die Vergütung im Sozialgerichtsverfahren geregelt werden konnte.
Gründe:
I.
Die gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG statthafte und gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 7 RVG formgerecht erhobene Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG, der der Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht abgeholfen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 1 RVG), ist im tenorierten Umfang begründet.
Gemäß § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt seine gesetzliche Vergütung, die er sonst vom Mandanten verlangen könnte, aus der Staatskasse, soweit im achten Abschnitt des RVG (§§ 44 bis 59 RVG) nichts anderes bestimmt ist. Er kann dabei nach § 48 Abs. 1 RVG sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab dem Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben. Die ihm danach aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung (oder der Vorschuss hierauf) wird auf Antrag des Rechtsanwalts vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszugs festgesetzt (§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG). Sofern das Verfahren nicht durch rechtskräftige Entscheidung oder in sonstiger Weise beendet ist und sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses bestimmen, erfolgt die Festsetzung durch den Urkundsbeamten des Gerichts des jeweiligen Rechtszugs (§ 55 Abs. 2 RVG).
Der Erinnerungsführer war in dem seit 10.7.2007 anhängigen und durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 9.11.2007 (§ 124 Abs. 2 SGG) beendeten Klageverfahren erster Instanz (Az. S 24 R 1080/07), das nunmehr in zweiter Instanz ruhend anhängig ist, im Wege der Prozesskostenhilfe ab Antragstellung am 20.7.2007 als Rechtsanwalt beigeordnet, so dass die Festsetzung der Vergütung aus der Staatskasse hier auf den Festsetzungsantrag vom 1.4.2008 hin durch den Urkundsbeamten des Sozialgerichts erfolgen musste.
Der Urkundsbeamte hat die Vergütung des Erinnerungsführers wie folgt festgesetzt:
- Verfahrensgebühr als Mittelgebühr nach Nr. 3103
VV-RVG 170,00 EUR
- fiktive Terminsgebühr als halbe Mittelgebühr
nach Nr. 3106 VV-RVG 100,00 EUR
- Auslagenpauschale nach Nr. 7002
VV-RVG 20,00 EUR
- abzüglich der Hälfte der vorgerichtlich im Wege
der Beratungshilfe verdienten Geschäftsgebühr von 70,00 EUR nach Nr. 2503
VV-RVG - 35,00 EUR
- Gesamt 255,00 EUR
- zuzüglich 19 %
Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG 48,45 EUR
- Festzusetzender Betrag
303,45 EUR
Dagegen wendet der Erinnerungsführer ein, dass die Verfahrensgebühr als Mittelgebühr nach Nr. 3102 VV-RVG mit 250,00 EUR sowie die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG als volle Mittelgebühr mit 200,00 EUR zu bemessen und daher infolge der höheren Umsatzstreuer ein Betrag von 517,65 EUR festzusetzen sei.
Damit hat er teilweise Erfolg.
1. Allerdings ist die Verfahrensgebühr vom Urkundsbeamten zutreffend nach Nr. 3103 VV-RVG und nicht nach Nr. 3102 VV-RVG bemessen worden. Denn Nr. 3103 VV-RVG bestimmt in Satz 1, dass die Gebühr nach Nr. 3102 VV-RVG für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen - wie hier - gemäß § 3 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, nur 20,00 EUR bis 320,00 EUR (statt 40,00 EUR bis 460,00 EUR) beträgt, falls eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist. Durch diesen geringeren Gebührenrahmen soll nach den Motiven des Gesetzgebers berücksichtigt werden, dass die vorangegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren die nachfolgende Tätigkeit des Rechtsanwalts im Gerichtsverfahren erleichtert. Dementsprechend bestimmt Nr. 3103 VV-RVG in Satz 2, dass dieser Umstand bei der Bemessung der Gebühr innerhalb dieses bereits verringerten Gebührensrahmens nicht nochmals (mindernd) berücksichtigt werden darf (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 212, zu Nr. 3103). Da der Erinnerungsführer hier bereits im vorangegangenen Ausgangsverwaltungs- und auch Widerspruchsverfahren tätig geworden ist, muss deshalb der geringere Gebührenrahmen nach Nr. 3103 VV-RVG angewandt werden, weil dadurch seine Tätigkeit im nachfolgenden Sozialgerichtsverfahren erleichtert wurde, was unabhängig davon gilt, ob seine Tätigkeit als Rechtsanwalt im Verwaltungsverfahren vom Mandanten selbst oder im Wege der Beratungshilfe von der Staatskasse vergütet wurde. Denn die Art der Vergütung im Verwaltungsverfahren hat keinen Einfluss auf den infolge der Vorbefassung mit der Angelegenheit verringerten Aufwand im Gerichtsverfahren, was den Grund für den verringerten Gebührenrahmen bildet. Soweit der Urkundsbeamte schließlich antragsgemäß und unbestritten bei der Verfahrensgebühr die Mittelgebühr angesetzt hat, sieht auch das Gericht im Erinnerungsverfahren keinen Grund davon abzuweichen.
2. Eine andere Frage ist hingegen, ob von der vorgerichtlich im Wege der Beratungshilfe verdienten Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 Abs. 1 VV-RVG in Höhe von 70,00 EUR tatsächlich gemäß Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV-RVG die Hälfte (35,00 EUR) auf die Gebühren des Gerichtsverfahrens anzurechnen ist, wie es der Wortlaut von Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV-RVG ausnahmslos vorschreibt und woran sich deshalb der Urkundsbeamte hier auch gehalten hat.
Diese Frage ist jedoch zu verneinen.
Zu Recht weist der Erinnerungsführer darauf hin, dass dadurch der bereits im Sozialverwaltungsverfahren tätige und dort im Wege der Beratungshilfe vergütete Rechtsanwalt im nachfolgenden Sozialgerichtsverfahren schlechter gestellt wird, als derjenige Rechtsanwalt, der im vorangegangenen Sozialverwaltungsverfahren vom Mandanten selbst vergütet wurde, weil dessen Vergütung aus dem Sozialverwaltungsverfahren nicht auf die im Sozialgerichtsverfahren verdienten Gebühren angerechnet wird, die infolge des niedrigeren Gebührenrahmens bei der Verfahrensgebühr ohnehin vermindert sind (vgl. die Nrn. 2400 und 2401 sowie Nr. 3103 VV-RVG einerseits mit Nr. 2503 Abs. 1 und 2 sowie Nr. 3103 VV-RVG andererseits).
Diese ungleiche Behandlung im Sozialgerichtsverfahren lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass die im Wege der Beratungshilfe gewährte Vergütung aus der Staatskasse im Sozialverwaltungsverfahren nach den Nrn. 2500 ff. VV-RVG von vornherein eine andere ist, als die dort dem Rechtsanwalt sonst vom Mandanten nach den Nrn. 2400 f. VV-RVG zu gewährende Vergütung, so dass vom Gesetzgeber - im Unterschied zur Vergütung außerhalb der Beratungshilfe - zusätzlich eine Anrechnung auf die Vergütung im Sozialgerichtsverfahren geregelt werden konnte.
Denn dies würde nicht die dadurch entstehende weitere Ungleichbehandlung gegenüber Rechtsanwälten erklären, die zunächst im Sozialverwaltungs- und dann im Sozialgerichtsverfahren tätig werden und dabei jeweils nach Wertgebühren (statt nach Betragsrahmengebühren) abrechnen.
Soweit nämlich in den Fällen des § 197a SGG eine Vergütung nach Wertgebühren erfolgt, kommt trotz Vorbefassung des Rechtsanwalts im vorangegangenen Sozialverwaltungsverfahren im nachfolgenden Sozialgerichtsverfahren kein verminderter Gebührenrahmen zur Anwendung, sondern die allgemeinen, unverminderten Gebühren nach den der Nrn. 3100/3101 und 3104/3105 VV-RVG. Eine Minderung dieser Gebühren wegen der Vorbefassung des Rechtsanwalts im vorangegangenen Sozialverwaltungsverfahren wird vielmehr entweder durch hälftige Anrechnung der im Sozialverwaltungsverfahren dann nach den Nrn. 2300 ff. VV-RVG verdienten Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG vorgenommen (falls keine Vergütung mittels Beratungshilfe erfolgte) oder durch hälftige Anrechnung der im Sozialverwaltungsverfahren nach Nr. 2503 Abs. 1 VV-RVG verdienten Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG (falls im Sozialverwaltungsverfahren im Wege der Beratungshilfe vergütet wurde).
Durch diese hälftige Anrechnung soll nach den Motiven des Gesetzgebers - ähnlich wie bei Nr. 3103 VV-RVG - berücksichtigt werden, dass der Umfang der zu vergütenden Tätigkeit entscheidend davon beeinflusst wird, ob der Rechtsanwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst war, so dass eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhält, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig war, nicht zu rechtfertigen ist (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 209, zu Vorbem. 3 Abs. 4). Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber die vorgerichtliche Befassung und Honorierung des Rechtsanwaltes (etwa in einem Verwaltungsverfahren) in einem nachfolgenden, dadurch für ihn weniger aufwendigen Gerichtsverfahren gebührenmindernd berücksichtigen wollte und zwar bei Ansatz von Wertgebühren durch die prinzipiell hälftige Anrechnung der vorgerichtlich verdienten Geschäftgebühr auf die Gebühren im Gerichtsverfahren und bei Ansatz von Betragsrahmengebühren durch einen verminderten Gebührenrahmen im Gerichtsverfahren.
Damit lässt es sich jedoch nicht vereinbaren, wenn ausschließlich bei Ansatz von Betragsrahmengebühren und einer vorgerichtlichen Vergütung im Wege der Beratungshilfe eine doppelte Minderung der Gebühren im Gerichtsverfahren sowohl durch Anrechnung der hälftigen vorgerichtlichen Beratungshilfegebühr als auch durch einen niedrigeren Gebührenrahmen erfolgt. Angesichts dessen und dem Umstand, dass nur bei der Anrechnung der vorgerichtlichen Beratungshilfegebühr eine Sonderregelung für Betragsrahmengebühren fehlt, kann nur von einem seitens des Gesetzgebers irrtümlich zu weit gefassten Wortlaut der Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG ausgegangen werden, der somit nach seinem Sinn und Zweck (teleologisch) dahin zu reduzieren ist, dass dann, wenn sich bei Ansatz von Betragsrahmengebühren im Gerichtsverfahren gerade wegen der vorgerichtlichen Befassung des Rechtsanwaltes ein verminderter Gebührenrahmen ergibt, entgegen dem Wortlaut der Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG keine zusätzliche Anrechnung der Beratungshilfegebühr mehr erfolgen darf (so überzeugend: Schneider, MAV-Mitteilungen August/September 2008, S. 8/9). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch der 1. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, der durch historische Auslegung der Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG, insbesondere einen Vergleich mit deren Vorgängervorschriften in § 132 Abs. 2 und § 118 Abs. 2 BRAGO (die nach seiner Ansicht eine Anrechnung nur für außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens entstandene Geschäfts- bzw. Beratungshilfegebühren vorsahen) folgert, dass nichts anderes für die jetzige Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG gelten könne, so dass dann, wenn - wie hier - die Beratungshilfegebühr nach Nr. 2503 Abs. 1 VV-RVG innerhalb (und nicht außerhalb) eines behördlichen (Vor-)Verfahrens entstanden ist, eine Anrechnung nach Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG auf die Betragsrahmengebühr nach Nr. 3103 VV-RVG ausscheidet (LSG NRW, Beschl. v. 18.3.2008 - L 1 B 21/07 AL -, Juris Rn. 9/10 = NJW-Spezial 2008, 507 f.).
Da die verminderte Betragsrahmengebühr nach Nr. 3103 VV-RVG ihrerseits nur dann entsteht, wenn der Rechtsanwalt innerhalb (und nicht außerhalb) eines dem Gerichtsverfahren vorangegangenen behördlichen Verfahrens tätig geworden ist, können beide gebührenmindernden Vorschriften - wie dies auch ihrem Sinn und Zweck im oben dargelegten Sinne entspricht - im Falle des Ansatzes von Betragsrahmengebühren nur alternativ, aber niemals kumulativ zur Anwendung gelangen. Ob es allerdings mit Sinn und Zweck von Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG vereinbar ist, deren Anwendungsbereich im Sinne dieser Auslegung auch im Falle des Ansatzes von Wertgebühren stets auf außerhalb eines behördlichen (Vor-)Verfahrens verdiente Geschäftsgebühren zu beschränken, was dann notwendigerweise auch für die ausschließlich beim Ansatz von Wertgebühren anwendbare Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG gelten würde, erscheint angesichts obiger Ausführungen fraglich. Zudem ist zweifelhaft, ob sich aus den Vorgängervorschriften in § 132 Abs. 2 und § 118 Abs. 2 BRAGO tatsächlich eine solche Einschränkung für die Anrechnung der Beratungshilfegebühr entnehmen ließ und erst recht, ob eine solche Einschränkung in das neue Recht übernommen wurde (ablehnend: LSG NRW, Beschl. v. 1.2.2007 - L 12 B 8/06 AS -, Juris Rn. 4 bis 9 = AGS 2008, 347 f.). Dies muss hier aber nicht entschieden werden.
Denn jedenfalls ergibt sich aus den oben genannten Gründen das Erfordernis einer teleologischen Reduktion der Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG, falls wegen der außergerichtlichen Vorbefassung des Rechtsanwalts für seine gerichtliche Tätigkeit bereits verminderte Betragsrahmengebühren anzusetzen sind. Der streng am Wortlaut der Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG orientierten Gegenmeinung (LSG NRW, Beschl. v. 1.2.2007, a. a. O.) kann daher nicht gefolgt werden.
3. Muss mithin die Anrechnung der hälftigen Beratungshilfegebühr in Höhe von 35,00 EUR hier unterbleiben, ist schließlich auch die Kürzung der vom Erinnerungsführer beantragten Mittelgebühr bei der wegen der Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG hier anfallenden fiktiven Terminsgebühr (Nr. 3106 Satz 2 Ziff. 1 VV-RVG) nicht gerechtfertigt. Da der Rechtsanwalt bei Betragsrahmengebühren gemäß § 14 Abs. 1 RVG grundsätzlich selbst die Höhe der Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände - vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers - nach billigem Ermessen bestimmt und dabei das Haftungsrisiko zu berücksichtigen hat, muss der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bzw. das Gericht den Kostenansatz des Rechtsanwalts diesbezüglich grundsätzlich übernehmen, es sei denn die Gebühr ist von einem Dritten - wie hier im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach den §§ 55 f. RVG von der Staatskasse - zu ersetzen. Dann ist die vom Rechtsanwalt getroffene Gebührenbestimmung unverbindlich, wenn sie unbillig ist, mit der Folge, dass in diesem Fall der Urkundsbeamte bzw. das Gericht eine eigene Festsetzung vornehmen darf (so schon zum inhaltgleichen § 12 Abs. 1 BRAGO: BSG, Beschl. v. 22.2.1993 - 14b/4 REg 12/91 -, Juris Rn. 5 = SozR 3-1930 § 116 Nr. 4; LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 13.2.1995 - L 1 Sk 1/92 -, Breith 1995, 738 ff.; dem folgend zu § 14 Abs. 1 RVG u. a.: LSG NRW, Beschl. v. 24.9.2008 - L 19 B 21/08 AS -, Juris Rn. 27 = RVGreport 2008, 456 ff.).
Danach ist hier der vom Erinnerungsführer gewählte Ansatz der Mittelgebühr auch bei der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 2 Ziff. 1 VV-RVG nicht unbillig. Bei Betragsrahmengebühren ist für jede dieser Gebühren gesondert zu prüfen, ob sie unbillig ist, mithin auch hier für die fiktive Terminsgebühr. Dabei ist zunächst stets von der Mittelgebühr auszugehen, mit der die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einem Durchschnittsfall abgegolten wird, der wiederum vorliegt, wenn die Streitsache anhand der - nicht abschließenden - Kriterien im Sinne des § 14 RVG bei einem Vergleich mit den sonstigen sozialgerichtlichen Streitsachen als durchschnittlich zu bewerten ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich um eine sozialgerichtliche Streitsache mit durchschnittlichem Aufwand, durchschnittlicher Schwierigkeit und durchschnittlichem Haftungsrisiko für den Rechtsanwalt sowie durchschnittlicher Bedeutung für den Auftraggeber und durchschnittlichen Einkommens- bzw. Vermögensverhältnissen des Auftraggebers handelt. Ein Abweichen von der Mittelgebühr ist bei einem Durchschnittsfall unzulässig und damit unbillig. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind dabei anhand der konkreten Streitsache und des hier objektiv erforderlichen Arbeits- und Zeitaufwandes sowie der dabei objektiv nötigen qualitativen Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit im Vergleich zu Tätigkeiten in sonstigen sozialgerichtlichen Verfahren zu bestimmen. Das Haftungsrisiko orientiert sich hingegen an dem wirtschaftlichen Wert des Streitgegenstandes und den Folgen, die ein vorwerfbarer Fehler aufgrund dessen für den Rechtsanwalt haben kann. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber beurteilt sich nach dem unmittelbaren Ziel der anwaltlichen Tätigkeit, d. h. den Interessen des Auftraggebers, insbesondere den Auswirkungen der begehrten Entscheidung auf dessen wirtschaftliche Verhältnisse. Nur mittelbare Auswirkungen oder Fernwirkungen des anwaltlichen Handels sind dabei aber nicht zu berücksichtigen. Schließlich fließen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers aufgrund eines Vergleichs mit dem Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung in die Bewertung ein (zum Ganzen etwa: LSG NRW, Beschl. v. 24.9.2008 - L 19 B 21/08 AS -, Juris Rn. 28 ff. = RVGreport 2008, 456 ff.; Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Rn. 15 bis 20; jeweils m. w. N.).
Hinsichtlich der fiktiven Terminsgebühren nach Nr. 3106 Satz 2 VV-RVG ist allerdings zu beachten, dass der Gesetzgeber mit diesen Gebührentatbeständen Fälle einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - bei denen naturgemäß der für eine mündliche Verhandlung nötige Aufwand beim Rechtsanwalt nicht anfällt - den Fällen mit mündlicher Verhandlung gleichstellen wollte und deshalb den gleichen Gebührenrahmen angesetzt hat. Dem würde es widersprechen, wenn im Rahmen der Bewertung des Einzelfalles anhand der Kriterien des § 14 RVG der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit gerade wegen des Fehlens der mündlichen Verhandlung stets als unterdurchschnittlich angesehen würde, was nur durch überdurchschnittlich zu bewertende andere Kriterien kompensiert werden könnte. Bezüglich des hier vorliegenden Falles eines Urteils ohne mündliche Verhandlung (und keines Gerichtsbescheides) war die Gleichstellung im Übrigen bereits in § 35 BRAGO geregelt und beruhte darauf, dass den Rechtsanwalt beim Verzicht auf eine mündliche Verhandlung, die im Allgemeinen in besonderer Weise zur Klärung der Sach- und Rechtslage beiträgt, eine erhöhte Verantwortung trifft und ihn zwingt, sein schriftliches Vorbringen noch genauer als sonst zu prüfen (von Eicken in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 35 Rn. 1). Der beim Erinnerungsführer fehlende Aufwand für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist somit auch deshalb kein geeignetes Kriterium im Rahmen der Abwägung nach § 14 Abs. 1 RVG. Ausgehend von diesem Zweck der Gleichstellung bei den Fällen einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Einverständnis der Beteiligten (Nr. 3106 Satz 2 Ziff. 1 VV-RVG) ist bei der Bemessung der fiktiven Terminsgebühr somit darauf abzustellen, wie die Terminsgebühr im Falle eines (hypothetischen) Termins zur mündlichen Verhandlung anhand der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG zu bemessen wäre und ob die Tätigkeit des Rechtsanwalts der mit dem Verzicht auf diese mündliche Verhandlung verbundenen erhöhten Verantwortung durch eine entsprechende schriftliche Vorbereitung der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung objektiv gerecht werden musste. Dies zugrunde gelegt ist hier in jeder Hinsicht zumindest von einem durchschnittlichen Fall auszugehen. Bei einem Gerichtsbescheid, der gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nur bei einfacher Sach- und Rechtslage ergehen kann, mag insoweit häufig eine unterdurchschnittliche Bewertung angemessen sein. Im Falle eines Urteils ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG gilt dies jedoch nicht.
So war auch hier die zu beurteilende Rechtsfrage der Verfassungsmäßigkeit des § 22b FRG und der Rechtsmäßigkeit der hierauf beruhenden Entgeltpunktebegrenzung bei der Hinterbliebenenrente sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Schwierigkeit der dafür nötigen rechtlichen Ausführungen keinesfalls unterdurchschnittlich und hätte auch im Falle einer mündlichen Verhandlung erhebliche qualitative und quantitative Anforderungen an die Argumentation und das Rechtsgespräch gestellt, selbst wenn im Wesentlichen nur die eine Rechtsfrage in Streit stand. Das Haftungsrisiko ist insoweit nicht anders zu beurteilen, als bei anderen Rentenstreitverfahren, die eine derartige dauerhafte Erhöhung des Rentenzahlbetrages zum Gegenstand haben. Gleiches gilt für die persönliche und wirtschaftliche Bedeutung der Sache für die Klägerin.
Soweit hier wegen der Beratungs- und Prozesskostenhilfebedürftigkeit der Klägerin eher von unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen ist, wird dies jedenfalls durch Umfang und Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfrage und deren notwendige Aufarbeitung in einer mündlichen Verhandlung kompensiert. Dementsprechend traf den Erinnerungsführer auch eine entsprechend erhöhte Verantwortung bei der schriftlichen Vorbereitung und dementsprechend auch bei seiner Entscheidung, einem Urteil ohne mündliche Verhandlung zuzustimmen. Dies rechtfertigt in der Gesamtschau den Ansatz der Mittelgebühr auch bei der Terminsgebühr und macht die dementsprechende Gebührenbestimmung durch den Erinnerungsführer nicht unbillig.
4. Da die Vergütungsfestsetzung im Übrigen nicht streitig ist und insoweit auch Rechtsfehler nicht zu erkennen sind, ergibt sich somit die tenorierte Festsetzung wie folgt:
-
Verfahrensgebühr als Mittelgebühr nach Nr. 3103 VV-RVG 170,00 EUR
-
fiktive Terminsgebühr als Mittelgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG 200,00 EUR
- Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG 20,00 EUR
- Gesamt
390,00 EUR
- zuzüglich 19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG 74,10
EUR
- Festzusetzender Betrag 464,10 EUR
II.
Kosten werden im gebührenfreien Erinnerungsverfahren nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
III.
Die Beschwerde wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage, ob Nr. 2503 Abs. 2 VV-RVG in der dargelegten Weise teleologisch zu reduzieren ist, zugelassen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG). Denn zu dieser Frage existiert - soweit ersichtlich - außer den beiden zitierten, sich widersprechenden Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen keine ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung.