Sozialgericht Lüneburg - S 2 U 154/10 - Urteil vom 21.10.2015
Es ist zu beachten, dass § 9 Abs. 2 SGB VII keine Auffangvorschrift oder Härteklausel für alle beruflich bedingten Krankheiten ist, die nicht als Listenerkrankung in der BKV erfasst sind. Vielmehr soll dadurch nur sichergestellt werden, dass der Unfallversicherungsträger oder die Gerichte anstelle des Verordnungsgebers tätig werden können, wenn neue und vor allem gefestigte medizinische Erkenntnisse vorliegen, über die der Verordnungsgeber - seit Erlass der letzten Anlage 1 zur BKV - noch nicht entschieden hat oder die zur Zeit einer ablehnenden Entscheidung noch nicht zur Berufskrankheiten-Reife verdichtet waren.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (= BK) und einer Wie-Berufskrankheit (= Wie-BK) gem. § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VII).
Der im Jahr 1962 geborene Kläger absolvierte von 1979 - 1981 eine Gärtnerlehre und war im Anschluss daran bis 1990 beim H. als Kraftfahrer beschäftigt. Von 1990 - 1992 erfolgte eine Weiterbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Danach war er bis 1998 bei unterschiedlichen Unternehmen als Außendienstmitarbeiter beschäftigt.
Von 1998 bis Dezember 2010 war er für Unternehmen der I. GmbH als Außendienstmitarbeiter tätig. Dabei war er mit dem Vertrieb von Holzschutzmitteln betraut. Nach seinen Angaben in der Klagebegründung und gegenüber Professor Dr. J. habe zu seiner Tätigkeit das Auffüllen, die Überwachung und die Instandhaltung der Imprägnieranlagen gehört. Diese Anlagen, auch Tränkwerke genannt, müsse man sich wie große, mit Holzschutzmitteln gefüllte Gruben bzw. Kessel vorstellen, in die die zu imprägnierenden Holzteile - z.T. ganze Dachstuhlelemente - abgesenkt worden seien, um sich vollzusaugen (Bl. 50 der Akte des Sozialgerichts (= SG)). Die Holzschutzmittel seien in Flüssigkeitscontainern mit einem Fassungsvermögen von 1.000 - 1.500 l geliefert worden. Er habe dann die Holzschutzmittel - hierbei habe es sich um dickflüssige Flüssigkeiten gehandelt - aus dem Container in den Tank der Imprägnieranlage abgelassen und im offenen Kessel verrührt und verteilt. Er habe auch sog. "kalte Umstellungen" durchgeführt, wobei in einer Imprägnieranlage das alte Holzschutzmittel durch ein anderes sukzessive ersetzt worden sei. Dieser Vorgang habe mehrere Tage dauern können. Dabei sei in der Anlage mit dem alten Holzschutzmittel das neue - von ihm vertriebene - Produkt nach und nach eingefüllt worden, bis das neue Mittel die Imprägnierlösung dominiert habe. Durch wiederholte Probenahmen und Analysen habe er die Qualität der Imprägnierlösung überprüft. Häufig habe er sich auch in den Imprägnierkessel begeben müssen. Bei Störungen der Anlagen habe er diese durch Einbringen von Chemikalien wieder betriebsbereit gemacht. Bei diesen Vorgängen habe er die Dämpfe der Holzschutz- und Lösemittel eingeatmet. Atemschutz - in Gestalt von einfachen Zellstoffmasken - sei nur verwendet worden, wenn er in die Kesselanlagen eingestiegen sei. Darüber hinaus habe er häufig Holzschutzmittelspritzer auf seinem Körper bemerkt. Er habe zwar eine Schutzbrille, Gummihandschuhe sowie einen Papieroverall über seiner Kleidung getragen. Die Spritzer hätten den Overall jedoch häufig durchdrungen. Während seiner Arbeitszeit seien in den Produktionshallen Imprägniervorgänge durchgeführt worden, bei denen Dämpfe entstanden seien. Diese seien aus dem Kessel entwichen, wenn dieser geöffnet worden sei, um die imprägnierten Werkstücke herauszuholen. Nach seiner Einschätzung habe er ca. 70 % seiner Arbeitszeit mit Tätigkeiten in direktem Kontakt mit Holzschutzmitteln und 30 % der Arbeitszeit mit Beratungen verbracht. Da er häufig die genannten Umstellungsvorgänge durchgeführt habe, hätte er nicht nur mit den von ihm vertriebenen Produkten, sondern auch mit den Produkten der Konkurrenz Kontakt gehabt. Hierbei habe es sich teilweise um chrom- und teerhaltige Holzschutzmittel gehandelt. Eine genaue Übersicht der Wirkstoffe, die in den Holzschutzmitteln gegenüber denen der Kläger exponiert war, findet sich auf Seite 14 ff. des Gutachtens von Prof. Dr. J ... Hierauf wird vollinhaltlich Bezug genommen.
Nach den Angaben des Klägers traten erstmals im Jahr 2003 Schmerzen im Rücken auf, die sich "wie ein Messerstich von hinten nach vorne in den Oberbauch" angefühlt hätten. Deswegen sei er in der Folgezeit zwei- bis dreimal pro Jahr arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Das Ergebnis einer im Dezember 2005 durchgeführten Abdomensonographie war unauffällig. Im Bericht von Dr. K. vom 16.12.2005 wurde insbesondere ausgeführt, dass die Gallenblase zartwandig, nicht vergrößert und steinfrei gewesen sei. Der Duktus choledochus sei langstreckig und schlank darstellbar gewesen. Auch der Pankreas sei im Kopfbereich und im Corpus unauffällig gewesen (Bl. 160 der Akte der Beklagten (= BA)). Im Januar 2006 erlitt der Kläger eine Lebensmittelvergiftung, die zu einer fünfwöchigen Arbeitsunfähigkeit führte.
Vom 23.09.2006 - 10.10.2006 befand sich der Kläger aufgrund der Diagnose "schwere nekrotisierende Pankreatitis" zur stationären Behandlung im Krankenhaus L ... Von den dortigen Ärzten wurde zunächst vermutet, dass die Erkrankung alkoholinduziert sei (Bl. 65 BA). Die Aufnahme erfolgte mit relativ blander Symptomatik, die sich dann akut verschärfte und zu einem Multiorganversagen, insbesondere zu einem Nierenversagen, führte. Am 10.10.2006 wurde der Kläger in das M. (=N.) verlegt, wo er sich bis zum 17.11.2006 in stationärer Behandlung befand. Am 28.11.2006 - 28.12.2006 wurde in Trägerschaft der Deutschen Rentenversicherung (= DRV) eine medizinische Reha-Maßnahme in O. durchgeführt. Als Diagnosen wurden "eine Leistungsinsuffizienz bei nekrotisierender Pankreatitis und Langzeitbeatmung, Anämie, arterielle Hypertonie, und eine latente Hyperthyreose" angegeben. Im Entlassungsbericht wurde auch darauf hingewiesen, dass die Gallenblase zu einem Drittel mit einem z.T. bizarr geformten Sludge gefüllt gewesen sei (Bl. 28; Abdomensonographie vom 06.12.2006, Bl. 37 BA).
Eine weitere Reha-Maßnahme in O. wurde vom 03.01.2008 bis zum 24.01.2008 durchgeführt. Bei der dort am 21.01.2008 durchgeführten Abdomensonographie ergab sich der Verdacht auf ein gering schattengebendes Material in der Gallenblase (Bl. 42, 52 BA). Demgegenüber ergab die Abdomensonographie vom 24.02.2008 in Bezug auf die Gallenblase und den Pankreas wiederum unauffällige Befunde (Bl. 161 BA). Schließlich wurde im Bericht über die am 05.05.2008 durchgeführte Abdomensonographie ausgeführt, dass der Pankreas nunmehr nicht mehr so gut abgrenzbar und in der Gallenblase cysticusnah eine kleine Griesbildung zu erkennen gewesen sei. Im Bericht vom 07.05.2008 vertrat daraufhin Dr. K. die Auffassung, dass dies der Auslöser der nekrotisierenden Pankreatitis gewesen sei. Mit den Chirurgen des UKE sollte eine Cholezystektomie (= Entfernung der Gallenblase) diskutiert werden (Bl. 67 BA).
Im Bericht von Dr. P. vom 12.05.2008 finden sich folgende Diagnosen: "Niereninsuffizienz Stadium drei von fünf, Multiorganversagen, exkretorische Pankreasinsuffizienz und Cholezystolithiasis (Gallensteinleiden)". Es wurde ausgeführt, dass die Gallenblase mit kleinen Konkrementen und Sludge gefüllt sei. Der Gallenweg sei jedoch nicht gestaut (Bl. 62 BA). Vom 01.06.2008 - 08.06.2008 befand sich der Kläger zur stationären Behandlung im N., wo die Gallenblase operativ entfernt wurde. Im Entlassungsbericht wurde ausgeführt, dass der Kläger im Jahr 2006 eine schwere nekrotisierende Pankreatitis durchgemacht habe, die retrospektiv am ehesten auf eine biläre (= im Zusammenhang mit der Gallenblase stehende) Genese zurückgeführt werde. Nach Durchführung einer Sonographie der Gallenblase, durch die eine "chronische Choleyzystitis bei Cholezystolithiasis" festgestellt worden sei, habe die Indikation zur Cholezystektomie bestanden. Aufgrund zahlreicher Verwachsungen beim Zustand nach Pankreatitis habe der Eingriff nicht laproskopisch, sondern nur offen zu Ende geführt werden können (Bl. 75 BA).
Auch in der Folgezeit bestand aufgrund der Pankreatitis immer wieder Behandlungsbedürftigkeit, so dass am 18.06.2009 operativ eine Pankreaskopfresektion durchgeführt wurde.
Vom 31.08.2009 - 05.10.2009 befand sich der Kläger zu einer weiteren medizinischen Reha-Maßnahme in O ... Im Entlassungsbericht wurde ausgeführt, dass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit mit einer Exposition gegenüber den Chemikalien nicht möglich sei (Bl. 101 BA).
Im Schreiben an die behandelnde Ärztin Dr. Q. vom 08.09.2009 führte Prof. Dr. R. aus, dass eine berufliche Ursache der Erkrankung denkbar sei. Die vom Kläger vertriebenen und auch selbst angerührten Holzschutzmittel hätten Schwermetallsalze enthalten. Schwermetalle würden blockierend auf das pankreasprotektive System der Metallproteinasen, die als Sauerstoffradikalfänger fungieren würden, wirken. Wenn dieses protektive System der Metallproteinasen durch die Blockade mit Schwermetallen außer Kraft gesetzt sei, könnten freie Sauerstoffradikale eine akute Pankreatitis auslösen oder verschlimmern. Der Sachverhalt sollte daher der Berufsgenossenschaft gemeldet und durch ein unabhängiges Fachgutachten überprüft werden.
Das berufsgenossenschaftliche Feststellungsverfahren wurde durch die Anzeige von Dr. S. vom 07.10.2009 in Gang gesetzt. In der Stellungnahme vom 22.11.2009 vertrat auch Dr. T. die Auffassung, dass eine weitere berufliche Tätigkeit mit einer Exposition gegenüber chemischen Stoffen nicht mehr möglich sei. Vom 14.01.2010 - 19.01.2010 befand sich der Kläger aufgrund der Diagnose "Femurkopfnekrose rechts" zur stationären Behandlung im Krankenhaus X., wo er ein künstliches Hüftgelenk erhielt. Im Attest vom 18.03.2010 vertrat die behandelnde Ärztin Dr. Q. die Ansicht, dass die Femurkopfnekrose eine Folge des erlittenen Multiorganversagens sei, welches seinerseits infolge der nekrotisierenden Pankreatitis entstanden sei. Diese sei wiederum auf den beruflich bedingten, ungeschützten Umgang mit Holzschutzmitteln zurückzuführen.
In der Stellungnahme vom 29.04.2010 führte der beratende Arzt der Beklagten, Dr. U., aus, dass die häufigste Ursache einer Pankreatitis eine Erkrankung der Gallenblase, insbesondere Steine im Bereich der Gallenblase und der ableitenden Gallenwege, sei. Die sog. biläre Pankreatitis würde 55 % aller akuten Pankreatiden ausmachen. Weitere Risikofaktoren seien Alkoholabusus, verschiedene Medikamente und genetische Faktoren. Im Übrigen gebe es keine belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zwischen einer Einwirkung durch Gefahrstoffe am Arbeitsplatz und einer akuten Pankreatitis. Eine solche sei im Übrigen nicht Bestandteil der Berufskrankheitenverordnung (= BKV). Außerdem würden keine entsprechenden Erkenntnisse in Bezug auf eine Wie-BK vorliegen (Bl 125 BA). Dieser Einschätzung schloss sich die staatliche Gewerbeärztin, Dr. V., in der Stellungnahme vom 20.05.2010 an (Bl. 132 BA). Mit dem Bescheid vom 13.07.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK und einer Wie-BK ab. Eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse sei nicht in der Anlage 1 zur BKV aufgeführt. Hinsichtlich eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Einwirkung durch Gefahrstoffe am Arbeitsplatz und der Entstehung einer akuten Bauchspeicheldrüsenerkrankung gebe es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wurde geltend gemacht, dass eine Listenerkrankung vorliegen würde, weil die vom Kläger verwendeten Holzschutzmittel Chrom enthalten hätten. Darüber hinaus hätte sich Dr. W. nicht mit den weiteren Stoffen, gegenüber denen der Kläger exponiert gewesen sei, befasst. Außerdem sei Dr. W. fälschlicherweise davon ausgegangen, dass beim Kläger ein Gallensteinleiden vorgelegen habe. Dies sei nach den Ergebnissen der Abdomensonographien vom 27.12.2005 und vom 27.02.2008 nicht der Fall gewesen. Eine berufliche Genese der Erkrankung werde durch die Dres. Prof. R. und T. gestützt. Es sei daher ein Zusammenhangsgutachten einzuholen. Die Beklagte vertrat demgegenüber die Auffassung, dass aufgrund der eindeutigen Expertisen von Dr. W. die Einholung eines Gutachtens nicht erforderlich sei. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 05.11.2010 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 08.12.2010 beim SG Lüneburg Klage erhoben und insbesondere gerügt, dass die Beklagte kein Gutachten eingeholt hat. Stellungnahmen der Dres. W. und V. seien nicht ausreichend, weil weder dargestellt worden sei, welche Ziffern der Anlage 1 zur BKV im Einzelnen geprüft worden seien, und auch nicht erkennbar sei, mit welchen Gefahrstoffen und wissenschaftlichen Publikationen sich diese Sachverständigen auseinandergesetzt hätten. Demgegenüber würden insbesondere die Dres. R., Q., T. und X. zu dem Ergebnis gelangen, dass eine berufliche Genese der Erkrankung wahrscheinlich sei. Als Listenerkrankungen würde eine BK 1103 (Chrom) und die Gruppe 13 in Betracht kommen. Auch mit den Stoffen Permethrin und Cypermethrin habe sich niemand auseinandergesetzt.
Unter dem 15.05.2015 hat Prof. Dr. J. ein arbeitsmedizinisches Gutachten erstattet. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger zwar mit 128 Holzschutzprodukten Kontakt gehabt habe, aus denen 29 Wirkstoffe hätten isoliert werden können. Es sei daraufhin eine gezielte Recherche durchgeführt worden. Wissenschaftliche Studien, die einen Zusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber Holzschutzmitteln und der Entwicklung einer Pankreatitis belegen würden, seien jedoch nicht existent. Dies würde insbesondere für den Umgang mit Chrom, aber auch für Stoffe i. S. einer BK 1302 und 1310 gelten. Im Übrigen könnten die Stoffe, mit denen der Kläger Umgang gehabt habe, nicht unter die Ziffer 1302 und 1310 der Anlage 1 zur BKV subsumiert werden. Da keine wissenschaftlichen Studien in Bezug auf eine berufliche Pankreatitis existieren würden, könne auch keine "Wie-BK" gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII festgestellt werden.
In der für den Kläger erstellten Stellungnahme vom 08.10.2015 hat Dr. Y. die Ansicht vertreten, dass das Ergebnis von Prof. Dr. J. einer medizinisch-wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten würde. Er hat seine Ansicht allerdings nicht begründet.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
1.) den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2010 und den Widerspruchsbescheid vom 05.11.2010 aufzuheben,
2.) festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit vorliegt,
hilfsweise,
festzustellen, dass beim Kläger eine Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
Der Entscheidung wurden die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde gelegt. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nrn. 1, 3 SGG) zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, weil beim Kläger weder eine BK noch eine Wie-BK anerkannt werden kann.
Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist nicht jede Erkrankung als Berufskrankheit anerkennungsfähig. Berufskrankheiten sind gem. § 9 Abs. 1 SGB VII vielmehr i. d. R. nur solche Krankheiten, welche in der Berufskrankheitenverordnung (= BKV) im Einzelnen bezeichnet sind (sog. Listenerkrankungen). Zwar war der Kläger im Rahmen seines Berufslebens gegenüber einer Vielzahl von Schadstoffen exponiert. Nur ein Teil dieser Stoffe sind aber als Listenstoffe einzuordnen. In Betracht kommen hier insbesondere die Ziffern 1103 (Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen), 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und 1310 (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide). Aus gegebenem Anlass ist darauf hinzuweisen, dass die Argumentation der Beklagten, nach der eine Anerkennung als Listen-BK bereits deshalb ausscheiden würde, weil "eine Erkrankung des Pankreas" nicht in einer Ziffer der Anlage 1 zur BKV genannt sei, zu kurz greift, weil so die sog. "offenen BK-Tatbestände" (vgl. Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur BKV, § 9 SGB VII, Rz. 6.3) schlichtweg ausgeblendet würden. Dies kann allerdings im vorliegenden Fall auch nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen. Zwar ist nach dem Wortlaut der Ziffern 1103, 1302 und 1310 der Anlage 1 zur BKV die Anerkennung der hier im Raum stehenden Gesundheitsstörungen, insbesondere der Pankreatitis, nicht ausgeschlossen. Allerdings sind in diesem Zusammenhang die allgemeinen Anerkennungsgrundsätze der gesetzlichen Unfallversicherung zu beachten. Danach müssen die gesundheitsschädlichen beruflichen Einflüsse (d. h. im konkreten Fall die arbeitstechnischen Voraussetzungen) und die Erkrankung als solche mit Gewissheit bewiesen werden. Darüber hinaus ist für die Feststellung des Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und dem Gesundheitsschaden ein hinreichender Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich. Dieser ist nach der Rechtsprechung erst dann erreicht, wenn bei einem vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf eine berufliche Verursachung hinweisenden Faktoren deutlich überwiegen (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Eine Möglichkeit verdichtet sich erst dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, § 8 SGB VII, Rz. 10 ff.). Die reine Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs ist daher für eine Anerkennung nicht ausreichend (BSG, Urt. v. 27.06. 2000 - B 2 U 29/99 R, S. 8 f.; Urt. v. 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R, S. 7 m. w. N.; Landessozialgericht (= LSG) Niedersachsen, Urt. v. 25.07.2002 - L 3/9/6 U 12/00, S. 6).
Bei Anwendung dieser Kriterien kann hier keine Berufskrankheit anerkannt werden. Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. J. scheidet die Anerkennung einer BK 1302 und 1310 bereits deshalb aus, weil es sich bei den Stoffen, gegenüber denen der Kläger exponiert war, nicht um Halogenkohlenwasserstoffe und/oder halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide gehandelt hat. Es kann jedoch als wahr unterstellt werden, dass eine Exposition gegenüber chromhaltigen Holzschutzmitteln bestanden hat, so dass hinsichtlich einer BK 1103 die arbeitstechnischen Voraussetzungen als erfüllt anzusehen sind. Allerdings fehlen insoweit ausreichende epidemiologische Studien, die belegen, dass aufgrund einer Exposition gegenüber Chrom beim Menschen ein sog. überhäufiges Risiko an eine Pankreatitis zu erkranken, besteht. Prof. Dr. J. hat überzeugend dargelegt, dass trotz der unter mehreren Aspekten durchgeführten Literaturrecherchen keine entsprechende Studie gefunden wurde. Ein möglicher - wenn auch schlüssig vorgetragener - Pathomechanismus, wie ihn etwa Prof. Dr. R. beschrieben hat (Bl. 2 BA), ist für die Feststellung, dass nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht, nicht ausreichend. Vielmehr ist zum Beleg der grundsätzlichen Verursachungsmöglichkeit einer Erkrankung durch einen bestimmten Gefahrstoff eine ausreichende Anzahl von epidemiologischen Studien erforderlich, die ein gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt deutlich gesteigertes Erkrankungsrisiko nachweisen. I. d. R. ist dies erst bei einer Verdoppelung des Erkrankungsrisikos der Fall (vgl. hierzu insbesondere: Hessisches LSG, Urt. v. 23.08.2013 - L 9 U 30/12 ZVW). In Bezug auf eine Erkrankung des Pankreas durch Chrom oder seine Verbindungen sind jedoch solche Studien nach der Expertise von Prof. Dr. J. nicht ersichtlich.
Auch eine Anerkennung als Wie-BK gem. § 9 Abs. 2 SGB VII kann hier nicht erfolgen, Dies wäre nur dann der Fall, wenn
1. eine bestimmte Personengruppe infolge ihrer versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist und
2. diese Einwirkungen nach neuen und gefestigten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten solcher Art zu verursachen und
3. der ursächliche Zusammenhang der Erkrankung mit der versicherten Tätigkeit im Einzelfall wahrscheinlich ist.
Dabei ist zu beachten, dass § 9 Abs. 2 SGB VII keine Auffangvorschrift oder Härteklausel für alle beruflich bedingten Krankheiten ist, die nicht als Listenerkrankung in der BKV erfasst sind. Vielmehr soll dadurch nur sichergestellt werden, dass der Unfallversicherungsträger oder die Gerichte anstelle des Verordnungsgebers tätig werden können, wenn neue und vor allem gefestigte medizinische Erkenntnisse vorliegen, über die der Verordnungsgeber - seit Erlass der letzten Anlage 1 zur BKV - noch nicht entschieden hat oder die zur Zeit einer ablehnenden Entscheidung noch nicht zur Berufskrankheiten-Reife verdichtet waren (vgl. BSG SozR 2200 § 551 Nr. 27; BSGE 72, 303, 305; BSG, Urt. v. 25.08.1994 - 2 RU 42/93). Die Voraussetzung einer höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auf das allgemeine Auftreten der Krankheit und nicht auf die Verursachung der Krankheit durch die gefährdende Tätigkeit. Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (BSGE 6, 29, 35; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 27). Hierzu ist aber erforderlich, dass sich ein bestimmtes - klar abgrenzbares - Krankheitsbild durch eine Vielzahl von epidemiologischen Studien als typische beruflich bedingte Erkrankung erwiesen hat. Da nach den schlüssigen Ausführungen von Prof. Dr. J. keine Studien existieren, die eine Überhäufigkeit einer Erkrankung des Pankreas durch berufliche Gefahrstoffe belegen, sind hier die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt.
Im Gegensatz zur Klägerseite kann die Kammer in den Stellungnahmen der Dres. Prof. R., T. und X. kein Votum für eine berufliche Genese der Erkrankung erkennen. Während Prof. Dr. R. lediglich einen entsprechenden Verdacht äußerte und eine weitere gutachterlicher Abklärung empfahl, äußerten sich die Dres. X. und T. lediglich dahingehend, dass der Kläger künftig den Umgang mit den verwendeten Chemikalien vermeiden müsse. Eine Aussage in Bezug auf einen ursächlichen Zusammenhang kann darin nicht erblickt werden
Dem Votum der Dres. Q. und Y. konnte sich die Kammer nicht anschließen, zumal diese ihre Ansichten nicht begründet haben. Es wurde weder dargelegt welche epidemiologischen Studien einen Zusammenhang zwischen der Pankreatitis und hier relevanten Schadstoffexposition belegen, noch wurde darauf eingegangen, aus welchen Gründen im vorliegenden Fall eine berufliche Genese überwiegend wahrscheinlich ist. In diesem Zusammenhang ist wiederum zu beachten, dass an der Tatsache, dass beim Kläger eine Erkrankung der Gallenblase vorlag, kein Zweifel bestehen kann. Dies geht eindeutig aus den Abdomensonographien vom 06.12.2006 (Bl. 37 BA), 21.01.2008 (Bl. 42, 54 BA) und vom 05.05.2008 sowie dem Bericht von Dr. P. vom 12.05.2008 und den Entlassungsbericht des N. hervor. Da eine solche Erkrankung die weitaus häufigste Ursache für eine Pankreatitis darstellt, gingen sowohl Dr. K. als auch die Ärzte des N. davon aus, dass bei rückschauender Betrachtungsweise am ehesten von einer bilären Genese der Pankreatitis auszugehen ist. Schließlich wurde durch die Stellungnahme von Dr. Y. das Gutachten von Prof. Dr. J. in der Sache nicht relativiert. Die bloße Behauptung, dass das Gutachten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten würde, ist nicht ausreichend, zu einer abweichenden Beurteilung zu gelangen. Aus diesem Grund sieht die Kammer auch keine Veranlassung, den medizinischen Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.