Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - um das Merkzeichen "außergewöhnlich gehbehindert" - aG -.

Die 1963 geborene Klägerin stellte im April 2005 beim Versorgungsamt E. einen Folgeantrag nach dem SGB IX, mit dem sie die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung und das Merkzeichen "aG" begehrte.

Das Versorgungsamt E. holte daraufhin Befundberichte von den Ärzten der Klägerin ein und erteilte unter dem 29.07.2005 einen Bescheid, wonach die Behinderungen

1. Fehlstellung beider Füße nach Klumpfußoperationen, Bewegungsbehinderung in beiden Fußgelenken, (Einzel-GdB 50)

2. Implantation zweier neuer Herzklappen (Einzel-GdB 50)

3. Gehbehinderung nach Rückenmarkoperation (Einzel-GdB 50)

einen Gesamt-GdB von 90 bedingen. Außerdem wurde mit dem Bescheid festgestellt, dass die Klägerin weiterhin in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich eingeschränkt ist (Merkzeichen G) und dass die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel einer ständigen Begleitung bedarf (Merkzeichen B). Das von der Klägerin außerdem begehrte Merkzeichen "aG" wurde mit dem Bescheid versagt.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie auf ihr spastisch-attaktisches Gangbild verwies und mit dem sie behauptete, nur noch kurze Wegstrecken in langsamster Gangart zurücklegen zu können.

Obwohl der ärztliche Berater des Versorgungsamtes E. auf den Widerspruch der Klägerin hin eine neurologische Untersuchung vorschlug, wies die Bezirksregierung Münster unter dem 07.02.2006 den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 23.02.2006 bei Gericht eingegangene Klage, mit der die Klägerin weiterhin vorträgt, sie erfülle die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG".

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides des Versorgungsamtes Düsseldorf vom 29.07.2005 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 07.02.2006 zu verurteilen, bei der Klägerin das Merkzeichen "aG" festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung ein Gutachten von dem Internisten Dr. O. eingeholt. Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht außerdem ein Gutachten von dem Arzt des Vertrauens der Klägerin, dem Neurologen und Psychiater Prof. Dr. P. eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht und daher zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf das begehrte Merkzeichen "aG".

Das Gericht verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen das Merkzeichen zu vergeben ist, auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 07. Februar 2006.

Nach Maßgabe der dortigen Vorschriften liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung des Merkzeichens "aG" vor.

Die Kammer folgert dies aus den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen.

Der Internist Dr. O. hat festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Gehfähigkeit in einem ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist. Die Klägerin kann sich nur noch mit Hilfe eines Gehstockes oder orthopädischen Schuhen und dann auch nur noch schleppend, kleinschrittig und deutlich verlangsamt fortbewegen. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass bei der Klägerin eine Kombination der Deformität der unteren Extremitäten in Verbindung mit einer ausgeprägten neurologischen Erkrankung besteht, mit der Folge, dass die Klägerin nur noch begrenzt in der Lage ist, die notwendige Abduktion der Beine beim Vorschwingen des Fußes im Rahmen der Gehbewegung durchzuführen. Durch die Unmöglichkeit dieser Bewegungskombination wirkt das Gangbild in besonderer Weise schleppend. Der von der Klägerin benannte Arzt ihres Vertrauens, der Neurologe Prof. Dr.. P. hat sich in seinem Gutachten entsprechend geäußert. Auch er beschreibt die Fortbewegung der Klägerin als hochgradig eingeschränkt.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 1/06 R - www.sozialgerichtsbarkeit. de) reicht jedoch allein eine hochgradige Einschränkung der Bewegungsfähigkeit für die Bewilligung des Merkzeichens "aG" nicht aus. Das BSG führt insoweit aus:

Die Frage, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" vorliegen, ist weder anhand einer bestimmten Wegstrecke noch mittels einem am Zeitmaß orientierten Maßstab zu beantworten. Entscheidend ist allein, unter welchen Bedingungen sich der behinderte Mensch bewegen kann, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (BSG a.a.O.).

Die nach dieser Rechtsprechung geforderte große körperliche Anstrengungen ist im Falle der Klägerin jedoch nicht gegeben Der Sachverständige Dr. O. hat in seinem Gutachten belegt, dass die kardio-pulmonale Anstrengung der Klägerin beim Gehen sich in Grenzen hält. Auch der Sachverständige Prof. Dr. P. beschreibt keine große körperliche Anstrengung der Klägerin beim Gehen. Der Sachverständige Prof. Dr. P. legt jedoch in seinem Gutachten dar, dass die unwillkürliche Motorik der Beine der Klägerin diese zu besonderer Konzentration beim Gehen zwingt. Die Klägerin ist - nach dem Gutachten von Prof. Dr. P. - kaum noch in der Lage, die Motorik der Beine willentlich zu steuern. Nur mit höchsten Anforderungen an die Konzentration und mit ständigem Sichtkontakt der Beine und Füße ist die Klägerin in der Lage sich fortzubewegen. Dies führt zu einer vorzeitigen Erschöpfung. In Fortschreibung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Kammer der Auffassung, dass neben den vom BSG benannten Kriterien der fremden Hilfe oder der großen körperlichen Anstrengung auch andere Kriterien in Betracht kommen, die die Bedingungen der Fortbewegung besonders negativ beeinflussen. Insoweit müssen sich besondere Anstrengungen nicht zwingend im pulmonalen oder muskulären Bereich zeigen, sondern es reicht, wenn große Anstrengungen geistiger Art - hier Anforderung an die Konzentration - zur Fortbewegung erforderlich sind. Entscheidend ist, dass die Anstrengung zu einer Einschränkung der Wegefähigkeit führt, die vergleichbar ist mit der Einschränkung der Wegefähigkeit von Personen, die sich nur mit größer körperlicher Anstrengung fortbewegen können. Dies ist bei der Klägerin der Fall, denn die besondere Anstrengung an die Konzentration führt bei der Klägerin zu vorzeitiger Erschöpfung, wie der Sachverständige Dr. P. nachvollziehbar dargelegt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.