Sozialgericht Düsseldorf S 35 AS 119/05 ER 22.04.2005 


Gründe

I.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2005 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für den Zeitraum von Januar 2005 bis September 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 558,32 Euro.

Mit Bescheid vom 10. März 2005 stellte die Antragsgegnerin die Weiterzahlung der Leistungen mit Wirkung vom 01. März 2005 ein. Zur Begründung führte sie aus, die Antragstellerin lebe mit Herrn O-N2 "eheähnlicher Lebensgemeinschaft". Dies habe der Außendienst der Antragsgegnerin ermittelt. Man habe festgestellt, dass sich in der Wohnung der Antragstellerin ein Doppelbett befinde, und dass sich männliche Herrenpflegeartikel, u.a. ein Rasierapparat, im Badezimmer der Antragstellerin befunden hätten und das Herr O-N2 in der Wohnung der Antragstellerin angetroffen worden sei. Alles deute darauf hin, dass Herr O-N2 und die Antragstellerin in "eheähnlicher Lebensgemeinschaft" zusammenlebten.

Hiergegen hat die Antragstellerin Widerspruch erhoben und ein Zusammenleben, insbesondere in "eheähnlicher Lebensgemeinschaft" mit Herrn O-N2 bestritten. Sie hat ausgeführt, Herr O-N2 lebe in einer eigenen Wohnung und sei bei ihr nur zu Gast gewesen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II - nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften - zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, ihre Ermittlungen durch den Außendienst hätten ergeben, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 20. Januar 2005 sind der Antragstellerin - für den Zeitraum von Januar 2005 bis September 2005 - Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden. Dieser Bescheid stellt einen Dauerverwaltungsakt dar, denn der Regelungsgehalt des Bescheides erschöpft sich nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot, sondern begründet ein auf Dauer (Januar bis September) angelegtes Rechtsverhältnis

(BSG, Urteil vom 20.09.2001, BSGE 89,13,15; von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. § 31 Anm. 48 m. w. N.).

Mit dem in der Hauptsache streitigen Bescheid vom 10. März 2005 ist dieser Dauerverwaltungsakt zurückgenommen worden. Das Begehren der Antragstellerin richtet sich daher in der Hauptsache gegen den widerrufenden Bescheid und ist folglich als reines Anfechtungsbegehren zu werten. In diesem Fall kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung, der darauf gerichtet ist, die Antragsgegnerin zu etwas zu verpflichten, nicht in Betracht

(Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. § 86 b Anm. 22 m. w. N.).

Das Gericht deutet daher das Begehren der Antragstellerin dahingehend, dass diese beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.

Der insoweit zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache – auf Antrag – in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften ist vorliegend die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.

Der Antrag ist in der Sache begründet, weil der Verwaltungsakt vom 10. März 2005 - nach der hier gebotenen summarischen Prüfung - rechtswidrig ist.

Die Ermittlungen der Antragsgegnerin haben nämlich keine verwertbaren Hinweise darauf erbracht, dass die Antragstellerin und Herr O-N2 in "eheähnlicher Lebensgemeinschaft" zusammenleben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen

(vgl. z. B. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. September 2004, Az.: 1 BvR 1962/04, www.juris.de; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. November 1992, Az.: 1 BvL 8/87, www.juris.de; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Juli 2002, Az.: 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01, www.juris.de, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; LPK-BSHG, 6. Aufl.§ 122 Anm. 5; BverwG NDV-RD 1996,38 =NJW 1995,2802; Zöller ZFSH 1996,302ff; SG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2005, Az.: S 35 SO 28/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Aus den Ermittlungen der Antragsgegnerin geht aber allenfalls hervor, dass zwischen der Antragstellerin und Herr O-N2 eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht. So meint die Antragsgegnerin ermittelt zu haben, dass die Vorgenannten in einer gemeinsamen Wohnung zusammenleben. Weiter vermutet die Antragsgegnerin offenbar, dass zwischen den Vorgenannten auch eine sexuelle Beziehung besteht. Dies sind aber - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - keine Kriterien einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft.

(BVerfG a.a.O.; BverwG a. a. O.).

Dagegen finden sich in der Akte keine Hinweise darauf, dass die Partnerschaft so eng ist, dass von den Partnern ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr für einander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit denjenigen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten vergleichbar

(BVerfG a.a.O.; BverwG a. a. O.; LPK – Kommentar a. a. O. Anm. 6 ff).

Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich bei dem Begriff der "Eheähnlichkeit" an den Rechtsbegriff der Ehe angeknüpft. Aus den Bestimmungen des BGB über die Ehe ergeben sich zwei zentrale Elemente: Nach § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB sind die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft (personales Element) und nach § 1360 BGB einander zum Unterhalt verpflichtet (materielles Element).

a) Auf personale Ebene liegt die Eheähnlichkeit in der besonderen auf den jeweiligen Partner bezogenen, auf längere Zeit, bzw. auf Dauer angelegten Bindung

(vgl. LPK zum BSHG, 6. Auflage, § 122 Anm. 7; BVerfG a.a.O.; BverwG a. a. O.).

Schon diese Voraussetzungen liegen nach Aktenlage nicht vor, weil die Antragstellerin mit ihrem vermeintlichen Partner nicht schon längere Zeit – das ist nach Auffassung der Kammer in der Regel ein Zeitraum von mindestens 3 Jahren – zusammenlebt.

(so auch BSG, Urteil vom 17.10.2002, Az.: B 7 AL 72/00 R, www.sozial-gerichtsbarkeit.de; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.06.2000, Az.: L 1 AL 15/00; ebenso Durchführungsanweisungen der BA zu § 193 SGB III, 21 Erg. Lief. 02/2002, 2. Abs. 3).

b) Zusätzlich zu den Personalmoment muss, unter dem Aspekt der Eheähnlichkeit, auf materieller Ebene eine tatsächliche Unterstützung und eine tatsächliche Leistungserbringung durch den Partner stattfinden (materielles Element)

(ausführlich hierzu Münder in ZfSH/SGB 1986, 198 ff -. Lehr- und Praxiskommentar a.a.O. Anmerkung 8 -. Bundesverwaltungsgericht NDV-RD 1996, Seite 38 = NJW 1995, Seite 2802; BSG, Urteil vom 17.10.2002, Az.: B 7 AL 72/00 R, www.sozialgerichtsbarkeit.de; BSG, Urteil vom 17.10.2002, Az.: B 7 AL 96/00 R, m.w.N, www.sozialgerichtsbarkeit.de; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.06.2000, Az.: L 1 AL 15/00; Dienstanweisungen der BA zu § 193 SGB III, 21 Erg. Lief. 02/2002, 2. Abs. 3).

Würde man nämlich eine "eheähnliche Gemeinschaft" ohne das Element der tatsächlichen materiellen Unterstützung annehmen und allein aus einem Zusammenleben auf ein gegenseitiges Unterstützen schließen, so würde dies zu einer Rechtlosstellung der vermeintlich unterstützten Person führen. Zu beachten ist nämlich, dass die Antragstellerin im vorliegenden Fall aus dem Verhältnis mit ihrem Partner selbst dann keinen Anspruch gegen diesen auf Unterstützung erwirbt, wenn die Partnerschaft ansonsten die Kriterien für eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" erfüllt, denn das BGB sieht Unterstützungspflichten nur bei einer Ehe vor. Die Antragstellerin hätte dann keinen Anspruch auf Leistungen von der Antragsgegnerin und gleichzeitig aber auch keinen Anspruch auf materielle Unterstützung durch ihren Partner. Es liegt auf der Hand, dass die Rechtsordnung derartiges nicht dulden kann. Deswegen kann – nach hier vertretener Auffassung – von einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" nur ausgegangen werden, wenn die tatsächliche gegenseitige Unterstützung nachgewiesen ist. Diese Auffassung entspricht ausdrücklich auch der bisherigen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts

(BVerwG, NJW 1995, 2802; Münder ZfSH/SGB 1986, 198ff; LPK- BSHG a. a. O.; BSG, Urteil vom 17.10.2002, Az.: B 7 AL 96/00 R, www.sozial-gerichtsbarkeit.de; BSG, Urteil vom 17.10.2002, Az.: B 7 AL 72/00 R, www.sozialgerichtsbarkeit.de ).

Das Gericht sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Eine solche tatsächliche materielle Unterstützung ist aber von der Antragsgegnerin weder ermittelt (vgl. § 20 SGB X) noch mit aussagekräftigen Indizien untermauert worden. Statt dessen hat die Antragsgegnerin – in diesem wie in zahlreichen anderen hier anhängigen Verfahren – ihre Ermittlungen auf nicht aussagefähige Kriterien - wie sexuelle Beziehung und Zusammenwohnen - beschränkt. Die Kammer hatte folglich bei der hier gebotenen Abwägung der Interessen der Antragstellerin einerseits und der Antragsgegnerin andererseits zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin kein gewichtiges Indiz für eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" beigebracht hat, andererseits aber von der Antragsgegnerin das Bestehen einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" vehement bestritten wird, was zusätzlich mit einer eidesstattlichen Versicherung untermauert wird. Darüber hinaus hat Herr O-N2 schriftlich bescheinigt die Antragstellerin nicht zu unterhalten. Bei dieser Sachlage spricht schon mehr für die Richtigkeit des Vortrages der Antragstellerin.

Im Übrigen geht der fehlende Nachweis hier zu Lasten der Antragsgegnerin, denn sie trägt die objektive Beweislast für das Bestehen einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft", weil es sich um einen die Bedürftigkeit ausschließenden Umstand handelt.

(Niesel, SGB II, 2. Aufl. § 193 Anm. 26 und 32)

Unabhängig davon meldet das Gericht erhebliche Bedenken gegen die Verfahrensweise der Antragsgegnerin an, den Sachverhalt durch überraschende Hausbesuche von Außendienstmitarbeitern, mit anschließender Durchsuchung der Wohnung, ermitteln zu wollen. § 35 Abs. 2 SGB I sieht vor, dass die Erhebung von Sozialdaten nur unter den Voraussetzungen des zweiten Kapitels des SGB X zulässig ist. § 67 a Abs. 3 SGB X schreibt vor, dass der Betroffene vor der Datenerhebung über die Zweckbestimmung zu unterrichten ist. Auch ist der Betroffene – nach dieser Vorschrift - über die Freiwilligkeit von Angaben vorher aufzuklären. Aus diesem Grund sehen auch die Dienstanweisungen der Bundesagentur für Arbeit

(DA der BA zu § 193 SGB III, 21 Erg. Lief. 02/2002, 2. Abs. 3).

ausdrücklich vor, dass zur Ermittlung ob eine "eheähnliche Lebensgemeinschaft" besteht "von der Beauftragung des Außendienstes abzusehen ist".

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.