Sozialgericht Düsseldorf - Az.: S 35 AS 343/05 ER - Beschluss vom 23.11.2005
Außendienstmitarbeiter von Behörden dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Bespitzelungen von Sozialhilfeempfängern durchführen. Insbesondere dürfen nicht ohne Weiteres Nachbarn und Dritte befragt werden.
Gründe:
I.
Die am 00.00.1987
geborene Antragstellerin ist Schülerin. Sie zog zum 1. Januar 2004 aus der
elterlichen Wohnung aus und lebt seitdem mit Herrn G, der am 00.00.1981 in P
geboren wurde, in einer gemeinsamen Wohnung in der Mstraße 00 in 00000 E. Mit
dem Vorgenannten besteht ein Untermietvertrag, ausweislich dessen die
Antragstellerin 153,00 Euro Miete und 44,60 Euro Nebenkosten monatlich zu zahlen
hat. Die Antragstellerin erhält Kindergeld in Höhe von 154 Euro monatlich. Ihr
BAföG-Antrag wurde unter Hinweis auf § 2 Abs.1a BAföG abgelehnt.
Unter dem 10.06.2005 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Leistungen
nach dem SGB II, mit dem sie angab, keinen Anspruch auf BAföG-Leistungen zu
haben.
Die Antragsgegnerin beauftragte daraufhin ihren internen Ermittlungsdienst
damit, Nachforschungen über das Verhältnis der Antragstellerin und des Herrn G
anzustellen. Der Ermittlungsdienst der Antragsgegnerin befragte daraufhin die
Eigentümerin des Hauses T. Str. 0, Frau I. Diese teilte dem Ermittlungsdienst
angeblich mit, sie sei sich sicher, dass es sich bei der Antragstellerin und
Herrn G um eine "Liaison D Amour" handele. Zu der von Frau I erteilten
Genehmigung zur Untervermietung sei es nur gekommen, weil die Antragstellerin
und Herr G ihr diesen unter dem Vorwand eines BaföG-Antrages
"abgeschwatzt" hätten.
Mit Bescheid vom 19.07.2005 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von
Leistungen nach dem SGB II mit der Begründung ab, die Antragstellerin lebe in
"eheähnlicher Lebensgemeinschaft" und müsse sich daher Einkommen
ihres Partners anrechnen lassen. Da entsprechende Einkommensnachweise nicht zur
Akte gereicht worden seien, sei der Antrag abzulehnen.
Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin unter dem 15. August 2005
(eingegangen bei der Antragsgegnerin am 17. August 2005) Widerspruch ein. Zur
Begründung führte sie aus, sie lebe lediglich in einer Wohngemeinschaft nicht
aber in einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" mit Herrn G.
Über den Widerspruch ist bis dato nicht entschieden worden.
Unter dem 09.11.2005 begehrte die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz mit
dem Antrag,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.
Sie ist der Auffassung, die Antragstellerin lebe in "eheähnlicher Lebensgemeinschaft" mit Herrn G.
Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten
gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der nach § 86b Abs. 2
Satz 2 Sozialgerichtsgesetz zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung hat in der Sache Erfolg.
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, denn sie hat
versichert, derzeit von lediglich 154,00 Euro Kindergeld leben zu müssen. Diese
Geldmittel reichen zur Bestreitung des Lebensunterhalts erkennbar nicht aus.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn
nach der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung dürfte
der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Ablehnung von SGB II Leistungen
erfolgreich sein, denn der ablehnende Bescheid ist rechtswidrig.
1. Die Antragstellerin hat dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB
II. Da ihr BAföG– Antrag nach § 2 Abs. 1 a BaföG abgelehnt wurde, steht
nach § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II die Vorschrift des § 7 Abs. 5 SGB II einer
Leistungsgewährung nicht entgegen.
2. Eine Leistungsgewährung kann auch nicht unter Hinweis auf ein Einkommen des
Herrn G versagt werden.
a) Diesbezüglich fehlt es schon an den erforderlichen Feststellungen, zu denen
die Antragsgegnerin nach § 20 SGB X verpflichtet ist. Nach Aktenlage ist weder
ermittelt ob Herr G Einkommen hat, noch in welcher Höhe. Eine vollständige
Ablehnung des Antrages käme – selbst wenn die Mutmaßungen der
Antragsgegnerin zu einer eheähnlichen Gemeinschaft begründet wären –
allenfalls dann in Betracht, wenn Herr G ein Einkommen erzielen würde, dass
oberhalb des Bedarfs der Gemeinschaft von Herrn G und der Antragstellerin liegen
würde. Die Ablehnung des Antrages allein mit der von der Antragsgegnerin
vorgetragenen Begründung (eheähnliche Lebensgemeinschaft) ist abwegig und
nicht einmal im Ansatz mit den Vorschriften des SGB II in Einklang zu bringen.
b) Aber selbst wenn Herr G über ausreichendes Einkommen verfügen sollte, kann
eine Anrechnung seines Einkommens – nach dem derzeit bekannten Sachstand -
nicht erfolgen. Es ist nämlich nicht wahrscheinlich, dass die Antragstellerin
mit Herrn G in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammenlebt. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B.
Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen 87, 234 zu § 137 Abs. 2a AFG) ist eine
eheähnliche Lebensgemeinschaft eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und
einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft
gleicher Art zulässt, und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein
gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die
Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.
Eine gegenseitige Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ist - nach der
vorgenannten Rechtsprechung - nur bei solchen Gemeinschaften gegeben, in denen
die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges
Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Nur
wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen,
dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr
persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist
ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten vergleichbar
(Bundesverfassungsgericht a.a.O.).
Für eine derartige Gemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn G
bestehen vorliegend - nach Aktenlage - keine Anhaltspunkte. Streng genommen wird
dies von der Antragsgegnerin auch gar nicht behauptet, denn die Antragsgegnerin
schließt aus dem von der Vermieterin der Antragstellerin gebrauchten Begriff
der "Liaison D’Amour" auf eine "eheähnliche
Lebensgemeinschaft". Liaison (französisch "Bindung") aber ist
– in der deutschen Umgangssprache – der Begriff für eine nur
"kurzzeitige Liebesbeziehung". Das Wort wurde in dieser Bedeutung geläufig
durch den Roman "Les liaisons dangereuses "(Gefährliche Liebschaften)
von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos. (www.wikipedia.de-Stichwort).
Unabhängig davon, dass die Antragsgegnerin also die Aussage der Vermieterin
wohl fehlinterpretiert hat, deutet keines der von der Rechtsprechung
entwickelten Indizien vorliegend auf eine "eheähnliche
Lebensgemeinschaft" hin.
aa) Es besteht schon keine lange Dauer des Zusammenlebens. Die Antragstellerin
ist erst am 1. Januar 2004 mit Herrn G zusammengezogen. Nach der Rechtsprechung
ist von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft aber in der Regel erst nach einem
Zusammenleben von mindestens 3 Jahren auszugehen (vgl. Bundesverwaltungsgericht
NDV-RD 1996, 38). Der abweichenden Rechtsprechung des 9. Senats des LSG NRW
folgt das Gericht ausdrücklich nicht (vergl. z.B. ...LSG NRW Az.: L9 B 4/05 SO
ER; LSG NRW Az.:L 9 B 6/05 SO ER – beide Entscheidungen unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
bb) Die Partner der Gemeinschaft versorgen keine gemeinsamen Kinder und Angehörige
im gemeinsamen Haushalt (vgl. hierzu Bundessozialhilfegesetz Lehr- und
Praxiskommentar 6. Auflage § 122 Anmerkung 23 mit weiteren Nachweisen).
cc) Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Partner der Gemeinschaft
die Befugnis haben über Einkommens- und Vermögensgegenstände des anderen
Partners zu verfügen (vgl. Bundesverfassungsgericht a.a.O.).
dd) Das jugendliche Alter der Partner spricht vorliegend deutlich gegen die
Annahme einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft". In der
gesellschaftlichen Realität der Bundesrepublik Deutschland ist es äußerst unüblich,
dass 18-jährige eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eingehen, die mit
einem gegenseitigen Einstehen füreinander verbunden ist.
Auch die Ermittlungen der Antragsgegnerin machen das Vorliegen einer "eheähnlichen
Lebensgemeinschaf" nicht wahrscheinlich. Ob die Antragstellerin ein
Liebesverhältnis zu Herrn G unterhält – was das Gericht durchaus für
wahrscheinlich hält – ist für die Frage ob eine "eheähnliche
Gemeinschaft" vorliegt zunächst einmal ohne Belang. Der Begriff der
"eheähnlichen Gemeinschaft" knüpft nämlich an den Begriff der
"Ehe" an. Wesentliches Element der Ehe ist nach § 1360 BGB die
gegenseitige Unterhaltspflicht (siehe hierzu LK-Kommentar zum BSHG, 6. Aufl. §
122 Anm. 6 ff m.w.N). Entscheidendes Kriterium für die Annahme einer "eheähnlichen
Lebensgemeinschaft" ist daher die Frage, ob sich die Partner gegenseitig
unterhalten, denn nur der tatsächliche Erhalt von Geldleistungen von einer
dritten Person rechtfertigt es, der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II
zu versagen. Würde man, wie die Antragsgegnerin, allein auf ein Zusammenleben
abstellen, so wäre die Antragstellerin völlig rechtlos gestellt. Als Partnerin
einer nur vermeintlichen "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" hat die
Antragstellerin nämlich keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II aber
gleichzeitig auch keinen Anspruch auf Leistungen von ihrem Partner, weil sie mit
diesem nicht verheiratet ist und ein Unterhaltsanspruch für unverheiratete
gesetzlich nicht vorgesehen ist.
3. Unabhängig davon, dass die Ermittlungen der Antragsgegnerin durch
Einschaltung ihres Außendienstes hier gar nicht geeignet sind das Vorliegen
einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" zu belegen, sind diese
Ermittlungen vorliegend rechtswidrig und dürfen daher nicht verwertet werden.
Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind Sozialdaten Einzelangaben über persönliche
und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen
Person. Das Erheben von Sozialdaten ist das Beschaffen von Daten über den
Betroffenen (§ 67 Abs. 5 SGB X). Nach § 67a ist das Erheben von Sozialdaten
(nur) zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der Behörde
erforderlich ist.
Vorliegend hat der Ermittler der Antragsgegnerin, offenbar ohne diese darüber
in Kenntnis zu setzen, Informationen über die Antragstellerin und Herrn G bei
deren Wohnungseigentümerin eingeholt. Hier ist schon zweifelhaft, ob die
eingeholten Informationen (= Erhebung von Sozialdaten) überhaupt erforderlich
war (siehe Ausführungen oben zur eheähnlichen Lebensgemeinschaft). Darüber
hinaus bestimmt § 67a Abs. 2 Satz 1 SGB X grundlegend, dass Sozialdaten
(vorrangig) beim Betroffenen zu erheben sind. Das ist vorliegend erkennbar nicht
geschehen, denn die Befragung der Vermieterin erfolgte zeitlich bevor der
Antragstellerin auch nur Gelegenheit zu Erläuterungen zu einer "eheähnlichen
Lebensgemeinschaft" gegeben wurden. Ohne Mitwirkung der Betroffenen (hier
Herr G und die Antragstellerin) dürfen Sozialdaten nach § 67a Abs 2 Nr. 2 SGB
X bei anderen Personen (hier der Hauseigentümerin) nur erhoben werden, wenn
dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist (§ 67a Abs. 2 Nr. 2 a) SGB X – was
vorliegend nicht ersichtlich ist (insbesondere nicht nach § 51a SGB II)– oder
wenn die Aufgaben der Behörde ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Personen
erforderlich machen (§ 78a Abs. 2 Nr. 2 b) aa) SGB X ) und keine Anhaltspunkte
dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen
beeinträchtigt werden. Vorliegend ist schon nicht ersichtlich warum die
Erhebung der hier erforderlichen Sozialdaten ihrer Art nach nur bei der
Vermieterin der Antragstellerin möglich sein soll. Darüber hinaus bestehen
nicht nur nicht die vom Gesetz geforderten "Anhaltspunkte" dafür das
überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen verletzt werden, sondern
die Verletzung schutzwürdiger Interessen (hier Mietverhältnis, Gestattung der
Untervermietung) wird von dem Ermittler sogar billigend in Kauf genommen. Die
Datenerhebung ist somit rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit wird noch
unterstrichen, indem die Antragsgegnerin in der Folge ihrer
Unterrichtungspflicht nach § 67a Abs. 5 SGB X nicht nachkommt. Nach Auffassung
des Gerichts erfüllt das Verhalten der Antragsgegnerin hier den Bußgeldtatbestand
des § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGB X (unbefugtes Erheben von nicht allgemein zugänglichen
Sozialdaten).
4. Die Höhe der zugesprochenen Leistung errechnet sich aus 345,00 Euro
Grundleistung zuzüglich 153,00 Euro Miete zuzüglich 44,60 Euro Nebenkosten abzüglich
154,00 Euro Kindergeld.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.