Sozialgericht Stuttgart - S 6 SB 3986/09 KE - Beschluss vom 20.08.2009
Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG kann entstehen, wenn der Prozessbevollmächtigte durch Kontaktaufnahme mit der Gegenseite das Streitverhältnis soweit hat fördern können, dass dies nachfolgend mindestens teilweise zu einem Prozesserfolg beigetragen hat.
Gründe:
Der inhaltliche Schwerpunkt vorstehenden Erinnerungsverfahrens betrifft die Beantwortung der Rechtsfrage, ob im Falle einer Abrechnung von Anwaltshonorar nach Betragsrahmengebühren im sozialgerichtlichen Verfahren eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG dann in Ansatz gebracht werden kann, wenn einem Verfahrensabschluss durch außergerichtlichen Vergleich im Verlauf der Vergleichsverhandlungen der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt sich nicht nur mit der Mandantschaft abgestimmt hat, sondern auch - hier: telefonisch - mit der Beklagten im Vorfeld bezüglich des Streitgegenstandes und/oder der weiteren Verfahrensgestaltung kontaktierte und kein förmlicher Gerichtstermin stattgefunden hat.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte nach Abschluss des Streitverfahrens nach dem SGB IX seine Kostennote auf und bezog hierbei neben den vorliegend unstreitigen Posten auch eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG mit ein. Dieser Posten wurde indessen von der Beklagten nicht akzeptiert, wobei sich diese zunächst auf den Standpunkt stellte, eine entsprechende Berücksichtigung könne nur im Falle einer Erledigung durch Anerkenntnis erfolgen. Auf Rückfrage der Kostenbeamtin hielt die Beklagte vom Ergebnis her an ihrem Rechtsstandpunkt fest unter Bezugnahme auf einige nicht näher vorgelegte sozialgerichtliche Beschlüsse aus dem Land Baden-Württemberg, wonach die Berücksichtigung einer fiktiven Terminsgebühr bei Abschluss eines Verfahrens durch Annahme eines schriftlichen Vergleichsangebots nicht möglich sei. Dieser Ansicht schloss sich dann die Kostenbeamtin mit dem zu Grunde liegenden Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. Mai 2009 an.
Hiergegen wendet sich die anwaltlich vertretene Klägerin mit der am 28. Mai 2009 bei dem Sozialgericht Stuttgart eingegangenen Erinnerung. Zur Begründung verweist sie in erster Linie auf die Vorbemerkung 3 Absatz 3 von Teil 3 der Anlage 1 zu dem RVG und stellt im Einzelnen dar, am 31. März 2008 (vorliegend ein halbes Jahr nach einem ersten inhaltlich weniger entgegenkommenden Vergleichsvorschlag der Beklagten) die Angelegenheit telefonisch mit der Prozesssachbearbeiterin Frau K. der Beklagten besprochen zu haben. Dass ein derartiges Telefonat erfolgte, wird von der Beklagten auch nicht bestritten. Im Übrigen kann anhand der damaligen Aktenlage und vor dem Hintergrund einer zwischenzeitlich eingetretenen weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin mit nachfolgender Bewilligung von Pflegestufe I nach dem SGB XI davon ausgegangen werden, das der Gesprächsinhalt sich nicht nur auf eine kurze Bestätigung der Sachbearbeiterin bezüglich eines Festhaltens an dem früher erklärten Vergleichsangebot beschränkte, sondern auch noch eine weitergehende Erläuterung der verschiedenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen hinsichtlich der streitig gestellten vier verschiedenen Komplexe die Höhe des GdB und einige Merkzeichen im Rahmen der Durchführung des Nachteilsausgleichs zum Gegenstand hatte, wobei beispielsweise zu Details der Vergünstigungsmerkmale notwendigerweise hier auch Sachvoraussetzungen zur Abklärung anstanden. Auch entwickelte sich kurze Zeit hernach des gerichtlichen Streitverfahren noch weiter fort, nachdem das hiervon vormals nicht unterrichtete Gericht auf entsprechende Anfrage vom 28. März 2008 Kenntnis von der Notwendigkeit einer Beiziehung des zwischenzeitlich ausgearbeiteten Pflegegutachtens erhielt, dessen nachmalige weitere versorgungsärztliche Sachbefassung vom 1. September 2008 alsdann auch Grundlage des für die Klägerin nun deutlich günstigeren und von ihr angenommenen Vergleichsvorschlags vom 2. September 2008 war.
Die Erinnerung ist begründet. - Nach der erwähnten Textstelle der Vorbemerkung 3 entsteht die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts, wobei dies nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber gilt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs fördern und honorieren wollen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Bevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen soll. Insbesondere sollte auch die Anberaumung objektiv überflüssiger Gerichtstermine "zur Erörterung der Sach- und Rechtslage" eingeschränkt werden, deren der alten Rechtslage entsprechend häufiger Zweck alleine der Umstand war, dass damit ein weiterer Gebührentatbestand erfüllt werden konnte (s.a. BT-Drucks. 15/1971, S. 209). Diese Vermeidung überflüssiger Durchlauftermine sollte aber zu keiner honorarrechtlichen Benachteiligung führen, wenn die gleichen Anstrengungen nunmehr im schriftlichen bzw. telefonischen Rahmen erfolgten. Der Sache nach macht es nämlich keinen Unterschied, ob die Verhandlungen mit der Gegenseite als Grundlage für den nachmaligen Prozessabschluss nun in Gegenwart des Richters oder vorab ohne dessen Hinzuziehung durchgeführt werden.
Soweit die Erinnerungsgegnerin die entsprechende Terminsgebühr als nicht berücksichtigungsfähig bezeichnet, so mag das für die Verfahrenskonstellation Gültigkeit haben, dass Besprechungen lediglich zwischen den Bevollmächtigten und der eigenen Partei erfolgen, da diese schon von der allgemeinen Verfahrensgebühr abgedeckt sind. Entgegen der Ansicht der Erinnerungsgegnerin ist allerdings im Wege des Gegenschlusses eine Terminsgebühr der bezeichneten Art bereits dann dem Grunde nach entstanden, wenn der Prozessbevollmächtigte der Sache nach durch Kontaktaufnahme mit der Gegenseite das Streitverhältnis soweit hat (weiter) fördern können, dass das nachfolgend mindestens teilweise zu einem Prozesserfolg hat beitragen können. Bei der vorliegenden Fallgestaltung ging die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten deutlich über eine bloße schriftsätzliche Annahme eines Vergleichsangebots hinaus, sondern führte - wenngleich unter Einbeziehung anderer neu hinzugekommener Umstände - dann doch zu einem deutlich nachgebesserten Vergleichsangebot der Gegenseite.
Demzufolge war vorliegend zu entscheiden wie geschehen, wobei die vereinbarte Kostenquotelung unstreitig war.
Gegen diesen Beschluss findet ein Rechtsmittel nicht statt (§ 197 Abs. 2 SGG). - Bei dieser für das sozialgerichtliche Verfahren geltenden Vorschrift handelt es sich um ein lex spezialis, das § 33 Abs. 3 Sätze 2 und 3 und Abs. 4 Satz 4 RVG verdrängt (im Anschluss an Landessozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 29. Januar 2009 [Az.: L 1 B 16/08 R]; a.A. noch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2006 [Az.: L 10 B 13/05 SB]).