BSG Urteil vom 28.06.2001 Az: B 3 P 12/00 R
1. Zur Grundpflege gehört nach § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI lediglich die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme selbst sowie die letzte Vorbereitungsmaßnahme, soweit eine solche nach der Fertigstellung der Mahlzeit krankheits- oder behinderungsbedingt noch erforderlich ist. Dies schließt bei an Stoffwechselstörungen leidenden Personen die Einbeziehung solcher Hilfe bei der Grundpflege aus, die nur dazu dient, die Verträglichkeit der Nahrung sicherzustellen (zB durch besonderes Einkaufen, Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen), wenn derartige Maßnahmen nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit den im Katalog aufgeführten Verrichtungen der Grundpflege vorgenommen werden müssen .
2. Eine wöchentliche Entnahme von Blutproben zur Blutspiegelbestimmung zählt nicht zur Grundpflege.
3. Hilfe muss immer bei "wenigstens zwei Verrichtungen" bestehen.
Tatbestand
Es ist streitig, ob dem Kläger zu 1. (im folgenden: der Kläger) Pflegegeld nach der Pflegestufe I und der
Klägerin zu 2. (im folgenden: die Klägerin) Pflegegeld nach der Pflegestufe II zusteht.
Der 1986 geborene Kläger und die 1991 geborene Klägerin sind im Rahmen der Familienversicherung bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Sie sind Schüler und leben mit zwei nicht erkrankten Geschwistern im elterlichen Haushalt. Seit ihrer Geburt leiden sie an der sehr seltenen, in Krisensituationen lebensbedrohlichen sog Ahornsirupkrankheit. Es handelt sich um eine angeborene Störung im Stoffwechsel beim Abbau der Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin. Die Kläger haben deswegen strenge Diätvorschriften einzuhalten.
Am 11. April 1996 beantragten die Kläger Pflegegeld. Sie trugen vor, die dreimal täglich mit einer
Gesamtmenge von je 0,2 l einzunehmenden Aminosäuremischungen hätten auch bei Zugabe mildernder
Zutaten (zB Zucker) einen unangenehmen Geschmack, so daß wegen der vorgeschriebenen
lebensnotwendigen Einnahme ständig Zuspruch, Überwachung und ggf auch Zwang erforderlich sei. Neben der Spezialdiät dürften nur eiweißarme oder eiweißfreie Lebensmittel verzehrt werden. Der dabei zu beachtende Gehalt an bestimmten Aminosäuren ändere sich je nach dem Ergebnis der
Blutspiegelbestimmung in der Kinderklinik in Freiburg wöchentlich, zum Teil auch in kürzeren Abständen.
Die Überwachung der Ernährung und des Stoffwechsels erfolge durch die Eltern, die geschult seien,
frühzeitig eventuelle Stoffwechselentgleisungen zu erkennen und abzufangen. Sie entnähmen auch einmal
wöchentlich, bisweilen öfter, Blutproben, schickten diese zur Untersuchung nach Freiburg und setzten die
telefonisch mitgeteilten Untersuchungsergebnisse um. Falls es zu Stoffwechselentgleisungen komme,
müsse ihnen von den Eltern eine nasogastrale Verweilsonde gelegt und hochkalorische Sondernahrung per Infusomat verabreicht werden.
Die Beklagte hat die Anträge abgelehnt (Bescheide vom 21. Mai 1996; Widerspruchsbescheide vom 1. Juli 1997): Die bei den Klägern krankheitsbedingt erforderlichen Stoffwechselkontrollen und Venenpunktionen sowie das Legen der nasogastralen Verweilsonde seien der Behandlungspflege zuzuordnen. Die aufwendige Zubereitung der Diätnahrung sei Teil der hauswirtschaftlichen Versorgung. Bei den Verrichtungen der Grundpflege gebe es nur einen Hilfebedarf bei der Ernährung (Nahrungsaufnahme), also nicht - wie erforderlich - bei mindestens zwei Verrichtungen der Grundpflege. Zudem übersteige der durchschnittliche tägliche Grundpflegebedarf denjenigen gesunder gleichaltriger Kinder nicht um 45 Minuten. Das Sozialgericht (SG) hat den Klagen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Pflegegeld nach der Pflegestufe I (Urteil vom 26. November 1997 - S 5 P 2271/97) und der Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 11. April 1996 zu gewähren (Urteil vom 26. November 1997 - S 5 P 3547/97). Das Landessozialgericht (LSG) hat beide Verfahren miteinander verbunden und die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 17. Dezember 1999): Der Kläger habe einen täglichen Grundpflegebedarf von 60 Minuten und einen hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf von ebenfalls 60 Minuten. Die "Portionierung"
der zuvor zubereiteten speziellen Aminosäurengemische und der Spezialdiät sei der mundgerechten
Nahrungszubereitung (15 Minuten) zuzurechnen. Die intensive Kontrolle der Nahrungsaufnahme erfordere esamt weitere 15 Minuten. Der deutlich erhöhte Grundpflegebedarf bei den
regelmäßig etwa einmal monatlich auftretenden Stoffwechselentgleisungen mache auf jeden Tag eines
Jahres umgerechnet zusätzlich 30 Minuten aus. Bei der Klägerin sei der Grundpflegebedarf auf täglich 130 Minuten zu bemessen, weil die Kontrolle der Nahrungsaufnahme bei ihr noch deutlich zeitaufwendiger sei (55 Minuten) und die Stoffwechselentgleisungen vermehrt vorkämen (zusätzlicher Grundpflegebedarf auf jeden Tag umgerechnet 60 Minuten). Der Hilfebedarf bei der mundgerechten Nahrungszubereitung sei demgegenüber nicht erhöht (15 Minuten); auch der hauswirtschaftliche Versorgungsbedarf entspreche dem ihres Bruders (60 Minuten).
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 14 Abs 4 und 15 Abs 1 und 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI): Die Zusammenstellung, Herstellung und Zuteilung jeder Form von Diätnahrung sei allein der Verrichtung Kochen und damit der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen. Ein vermehrter Hilfebedarf bei der Grundpflege im Falle gesundheitlicher Krisen dürfe nur berücksichtigt werden, wenn die Krisen regelmäßig mindestens einmal wöchentlich auftreten. Damit reduziere sich der Grundpflegebedarf beim Kläger auf täglich nur 15 Minuten, was schon in zeitlicher Hinsicht für die Pflegestufe I nicht ausreiche. Die Klägerin habe zwar einen für die Pflegestufe I ausreichenden Grundpflegebedarf von 55 Minuten; dieser Bedarf bestehe aber wie bei ihrem Bruder ausschließlich bei nur einer Verrichtung der Grundpflege, nämlich der Nahrungsaufnahme. Die Pflegestufe I verlange aber einen täglichen Hilfebedarf bei wenigstens zwei Verrichtungen der Grundpflege.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1999 und des SG
Freiburg vom 26. November 1997 zu ändern und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil als zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, weil beide Kläger nicht, wie nach § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI gefordert, einen täglichen Hilfebedarf bei wenigstens zwei Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI) aufweisen.
A) Kläger G. S. Der Anspruch auf Pflegegeld, den der Kläger seit dem 11. April 1996, also einem Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 1. April 1995 (Art 68 Abs 2 des Pflege-Versicherungsgesetzes <PflegeVG> vom 26. Mai 1994, BGBl I, 1014) geltend macht, setzt gemäß § 37 Abs 1 SGB XI voraus, daß Pflegebedürftigkeit iS des § 14 SGB XI vorliegt. Nach § 14 Abs 1 SGB XI sind pflegebedürftig iS des SGB XI solche Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer zumindest in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Zu berücksichtigen ist mithin ausschließlich der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen, die Abs 4 der Vorschrift in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Grundpflege) sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufteilt. Nach § 15 Abs 1 Nr 1 SGB XI in der
ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl I, 1014), der durch das 1. SGB
XI-Änderungsgesetz (1. SGB XI-ÄndG) vom 14. Juni 1996 (BGBl I, 830) zu § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI geworden ist, setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) voraus, daß er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Dabei gehören zum Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- und Blasenentleerung, zum Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung und zum Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI). Bei Kindern ist für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf (Mehrbedarf) gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend (§ 15 Abs 2 SGB XI). Das LSG hat zu Unrecht angenommen, daß der Kläger einen Hilfebedarf bei zwei Verrichtungen aus dem Bereich der Ernährung habe. Hilfebedarf
besteht lediglich bei der Verrichtung "Nahrungsaufnahme" im wesentlichen in der Form der genauen
Kontrolle, nicht aber bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung.
1. Das vom Kläger geltend gemachte aufwendige diätgerechte Zusammenstellen, Zubereiten und Zuteilen
der Nahrung gehört nicht zur Grundpflege. Im Bereich der Ernährung unterscheidet § 14 Abs 4 SGB XI
zwischen der mundgerechten Zubereitung und der Aufnahme der Nahrung einerseits, wobei ein Hilfebedarf bei diesen Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) zuzuordnen ist, und den Verrichtungen "Einkaufen" und "Kochen" andererseits, die dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI) zugewiesen sind. Die Vorschrift differenziert allein nach dem äußeren Ablauf der Verrichtungen; sie knüpft nicht an das mit der Verrichtung angestrebte Ziel an. Bezogen auf den Lebensbereich "Ernährung" bedeutet dies, daß nicht umfassend alle Maßnahmen einzubeziehen sind, die im konkreten Einzelfall im weitesten Sinn dem Ernährungsvorgang zugeordnet werden können. Zur Grundpflege gehört nach § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI vielmehr nur die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme selbst sowie die letzte Vorbereitungsmaßnahme, soweit eine solche nach der Fertigstellung der Mahlzeit krankheits- oder behinderungsbedingt noch erforderlich wird (BT-Drucks 12/5262, S 96, 97; Wilde in: Hauck/Wilde, SGB XI, § 14 RdNr 34b). Dies schließt, wie vom Senat bereits entschieden (Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2), bei an Stoffwechselstörungen leidenden Personen die Einbeziehung solcher Hilfen in die Grundpflege aus, die nur dazu dienen, die Verträglichkeit der Nahrung sicherzustellen (zB durch besonderes Einkaufen, Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen), wenn derartige Maßnahmen nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit den im Katalog
aufgeführten Verrichtungen der Grundpflege vorgenommen werden müssen. Der Senat folgt nicht der
Auffassung, wonach bei einem an einer diätpflichtigen Stoffwechselstörung leidenden Kind das Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Mahlzeiten zum "mundgerechten Zubereiten" der Nahrung gehöre, weil dem Kind eine Mahlzeit nur dann "munden" könne, wenn sie mit Hilfe aufwendiger Vorbereitungen genau berechnet sowie zubereitet sei, und es andernfalls durch die Nahrung in Lebensgefahr gebracht werde (vgl Urteil vom 17. Juni 1999 - B 3 P 10/98 R - SozR 3-3300 § 15 Nr 7). Diese Auslegung wird den Vorgaben des Gesetzes nicht gerecht, weil sie sich von dem äußeren Ablauf der Pflegemaßnahmen löst und statt dessen auf die individuelle Bedeutung einzelner Hilfeleistungen abstellt.
In den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen über die Abgrenzung der Merkmale der
Pflegebedürftigkeit und der Pflegestufen sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit
(Pflegebedürftigkeits-Richtlinien <PflRi>) vom 7. November 1994 idF vom 21. Dezember 1995 sind die
Vorgaben des Gesetzes in bezug auf den Lebensbereich "Ernährung" (Ziff 3.4) zutreffend erläutert. Danach zählt die gesamte Vorbereitung der Nahrungsaufnahme nicht zur Grundpflege, sondern zum Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Das im Gesetz ausdrücklich erwähnte Einkaufen umfaßt zB auch den Überblick, welche Lebensmittel wo eingekauft werden müssen, sowie die Kenntnis der Genieß- bzw Haltbarkeit von Lebensmitteln; zum ebenfalls erwähnten Kochen gehört auch das Vor- und Zubereiten der Bestandteile der Mahlzeiten. Die PflRi gehen zutreffend davon aus, daß der Begriff "Kochen" den gesamten Vorgang der Nahrungszubereitung - und zwar warme und kalte Speisen und Getränke gleichermaßen - umfaßt. Hierzu zählen somit auch Vorbereitungsmaßnahmen wie die Erstellung eines Speiseplans unter Berücksichtigung individueller, unter Umständen auch krankheitsbedingter Besonderheiten. Daraus folgt, daß die Tätigkeiten des Berechnens, Abwiegens, Zusammenstellens und Zubereitens der Speisen zur Herstellung der für den Kläger erforderlichen Diät zur Nahrungszubereitung zählen und damit der Verrichtung "Kochen" im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen sind. Zum Zusammenstellen und Zubereiten der Speisen zählt - als Abschluß der Verrichtung "Kochen" - auch das anhand der Diätvorschriften vorzunehmende Bemessen und Zuteilen der zubereiteten Nahrung bzw einzelner Nahrungsbestandteile. Dieser Vorgang stellt - entgegen der Ansicht des LSG und des Klägers - nicht bereits die "portionsgerechte Vorgabe" der zubereiteten Nahrung dar, die gemäß Ziff 3.4.2 der PflRi sowie Abschnitt D Ziff 5.2 (8) der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien <BRi>) vom 21. März 1997 zur Verrichtung der mundgerechten Zubereitung der Nahrung gerechnet wird. "Portionsgerechte Vorgabe" bzw "Portionierung" der zubereiteten Nahrung kann nur bedeuten, daß die bereits zubereitete Nahrung am Eßtisch - ggf mit der Unterstützung des Pflegebedürftigen durch eine Pflegeperson im Rahmen der aktivierenden Hilfe (§ 28 Abs 4 Satz 1 SGB XI) - so "mundgerecht" vorbereitet wird, daß der Pflegebedürftige
sie durch den Mund aufnehmen kann (zB Zerkleinern der Nahrung; Trennung nicht eßbarer Bestandteile der zubereiteten Nahrung wie etwa Heraustrennen eines Knochens und Entfernen von Gräten; Einfüllen von Getränken in Trinkgefäße bei Funktionsstörungen oder Fehlen der Hände; Einweichen von harter Nahrung bei Kaustörungen). Die Einbeziehung auch der Bemessung und Zuteilung der zubereiteten Diätnahrung würde nicht hinreichend berücksichtigen, daß § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI ausdrücklich nur die "mundgerechte Zubereitung" der Nahrung als Grundpflege beschreibt, es dort also nicht allgemein um die "Zubereitung" oder um die "krankheitsgerechte Zubereitung" geht.
2. Die wöchentliche Entnahme der Blutproben zur Blutspiegelbestimmung zählt ebenfalls nicht zur
Grundpflege. Es sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Behandlungspflege), die nur dann zu
berücksichtigen sind, wenn sie einer der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen zugerechnet
werden können (BSG Urteile vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2 und - B 3 P 11/97 R - SozVers 1998, 253). Daran fehlt es. Die Blutspiegelbestimmungen dienen als Vorbereitungshandlungen dem oben erwähnten Berechnen, Zusammenstellen, Abwiegen und Zuteilen der Mahlzeiten. Die Entnahme der Blutproben ist zeitlich zu weit vom Vorgang des Essens entfernt, um noch unter "Aufnahme der Nahrung" (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) subsumiert zu werden; es handelt sich somit um eine selbständige Maßnahme der Behandlungspflege o h n e Bezug zu einer der Verrichtungen des Katalogs in § 14 Abs 4 SGB XI (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 7).
3. Im Bereich der Grundpflege weist der Kläger somit nur einen regelmäßigen täglichen Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme auf. Bei sonstigen Verrichtungen der Grundpflege besteht kein Hilfebedarf, der über denjenigen gleichaltriger gesunder Kinder (§ 15 Abs 2 SGB XI) hinausgeht. Dies gilt auch für die
krisenhaften Zeiten der Stoffwechselentgleisungen. Der Hilfebedarf ist in diesen Zeiten zwar deutlich erhöht, beschränkt sich aber nach den nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht nach § 163
Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Feststellungen des LSG auch hier nur auf den Bereich der
Nahrungsaufnahme, die über eine nasogastrale Verweilsonde erfolgt.
Auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung, daß Hilfebedarf bei "wenigstens zwei Verrichtungen"
bestehen muß, kann nicht verzichtet werden, wie vom Senat bereits entschieden worden ist (BSG SozR
3-3300 § 15 Nr 7). Der Einwand, angesichts der in § 15 Abs 3 SGB XI aufgestellten detaillierten zeitlichen Voraussetzungen für die einzelnen Pflegestufen müsse allein dieser Zeitfaktor als maßgeblich für den Pflegebedarf angesehen werden, so daß es nicht darauf ankommen könne, ob ein Pflegebedarf von
beispielsweise 60 Minuten bei einer, zwei oder mehr Verrichtungen der Grundpflege anfalle, greift nicht
durch. Zwar hätte der Gesetzgeber aufgrund des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums die Frage des Pflegebedarfs auch allein anhand zeitlicher Kriterien regeln können. Dies hat er jedoch nicht getan. Die Pflegebedürftigkeit wurde von Anfang an aufgrund einer Kombination von zeitlichen (§ 15 Abs 3 SGB XI) und verrichtungsbezogenen Anforderungen (§ 15 Abs 1 SGB XI) definiert, und zwar - in unterschiedlicher Ausprägung - für alle drei Pflegestufen. Die in der Zeit seit dem Inkrafttreten des Leistungsrechts der
Pflegeversicherung am 1. April 1995 bis zum 25. Juni 1996 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. SGB
XI-ÄndG, vgl dessen Art 8 Abs 1) geltende ursprüngliche Fassung des SGB XI enthielt zwar die jetzt in § 15 Abs 3 SGB XI detailliert aufgeführten zeitlichen Voraussetzungen noch nicht. § 15 Abs 3 SGB XI aF ermächtigte seinerzeit aber die Spitzenverbände der Pflegekassen bzw das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, den in den einzelnen Pflegestufen jeweils mindestens erforderlichen zeitlichen
Pflegeaufwand in den Pflegerichtlinien nach § 17 SGB XI bzw in der Verordnung nach § 16 SGB XI zu
regeln. Die PflRi vom 7. November 1994 haben diese Ermächtigung umgesetzt und in Ziff 4.1.1, 4.1.2 und 4.1.3 zeitliche Staffelungen vorgesehen, die inhaltlich im wesentlichen mit der zum 25. Juni 1996
geschaffenen gesetzlichen Regelung der zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufen I, II und III in § 15 Abs 3 SGB XI nF übereinstimmten. Der Gesetzgeber hat also nicht erst durch die Neuregelung des § 15 Abs 3 SGB XI zum 25. Juni 1996, sondern auch schon durch die vorher geltende Ermächtigung in § 15 Abs 3 SGB XI aF zum Ausdruck gebracht, daß für ihn die Frage der Pflegebedürftigkeit und der Zuordnung zu den verschiedenen Pflegestufen allein aus einer Kombination von zeitlichen und verrichtungsbezogenen Kriterien zu beantworten ist und nicht schon die Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen ausreicht. Der Verzicht auf die Streichung des Tatbestandsmerkmals des Hilfebedarfs bei "wenigstens zwei Verrichtungen" der Pflegestufe I in § 15 Abs 1 Nr 1 SGB XI im Zuge der Einfügung der zeitlichen Voraussetzungen für die Pflegestufen in § 15 Abs 3 SGB XI nF kann nicht als bloßes gesetzgeberisches Versehen eingestuft werden, sondern entspricht dem Willen des Gesetzgebers und steht mit der Aufrechterhaltung verrichtungsbezogener Kriterien auch für die Pflegestufen II und III in Einklang.
4. Da verfassungsrechtliche Bedenken gegen die bestehende Regelung nicht erkennbar sind, scheitert der
Anspruch des Klägers also bereits daran, daß sein Hilfebedarf sich auf nur eine Verrichtung der Grundpflege beschränkt. Die Frage, ob der Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme vom LSG mit 45 Minuten (15 + 30 Minuten) zutreffend ermittelt worden ist und dabei der zusätzliche Bedarf bei der Bewältigung der Stoffwechselentgleisungen überhaupt berücksichtigt werden durfte, kann daher offenbleiben. Ebenso ist es unerheblich, ob der Kläger einen so großen Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung hat, daß dieser zusammen mit dem Hilfebedarf bei der Grundpflege mindestens 90 Minuten ausmacht; denn auch bei Kindern kann ein unzureichender Hilfebedarf bei der Grundpflege nicht durch einen erhöhten Bedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ausgeglichen werden (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2).
B) Klägerin L. S. Nach vorstehenden Ausführungen ist auch die Klage der Klägerin unbegründet, obgleich sie im Bereich der Grundpflege zum Zeitpunkt der zweitinstanzlichen Entscheidung Ende 1999 einen durchschnittlichen täglichen Hilfebedarf von mindestens 55 Minuten, also - wie erforderlich - von "mehr als 45 Minuten" (§ 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI) aufwies. Denn auch bei der Klägerin beschränkt sich der Hilfebedarf auf nur eine Verrichtung der Grundpflege, nämlich die Nahrungsaufnahme. Demgemäß erfüllt auch sie nicht die Voraussetzungen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI, wonach schon die Pflegstufe I einen täglichen Hilfebedarf bei wenigstens zwei Verrichtungen der Grundpflege erfordert. Da nicht einmal die Voraussetzungen der Pflegestufe I vorliegen, kam auch eine Einordnung in die von ihr geltend gemachte Pflegestufe II nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
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BSG Urteil vom 10.10.2000 Az: B 3 P 15/99 R
1. Zum Pflegebedarf zählt nicht die Begleitung eines Gehbehinderten bei ärztlich empfohlenen täglichen Spaziergängen und beim sonntäglichen Gottesdienstbesuch.
2. Ein Hilfebedarf bei der Verrichtung "Gehen" kann, nur berücksichtigt werden soweit es sich um das Gehen im Zusammenhang mit einer der anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten häuslichen Verrichtungen handelt .
3.Die Vorschrift des § 2 Abs 3 S 1 SGB XI, wonach auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen Rücksicht zu nehmen ist, begründet keinen Leistungsanspruch. Es handelt sich lediglich um einen Appell an die Pflegekassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.
Der im Jahre 1931 geborene Kläger leidet seit fast dreißig Jahren an Diabetes. Die Krankheit hat ua zu
Durchblutungsstörungen in beiden Beinen, zu offenen Wunden an den Füßen sowie zu Taubheitsgefühlen in
den Gliedmaßen geführt. Er wird von seiner Ehefrau betreut und gepflegt.
Den Antrag des Klägers, ihm ab 1. April 1995 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu bewilligen, lehnte die
Beklagte ab, weil der durchschnittliche tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege nicht, wie
erforderlich, mehr als 45 Minuten betrage (Bescheid vom 9. Oktober 1995, Widerspruchsbescheid vom 13.
März 1996).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Juni 1998), das Landessozialgericht (LSG)
die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 4. März 1999). Es hat den Anspruch für unbegründet
erachtet, weil sich der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf höchstens 43 Minuten belaufe.
Die notwendige Begleitung des Klägers durch seine Ehefrau bei den ärztlich angeratenen täglichen
Spaziergängen von mindestens einer Stunde Dauer sowie beim sonntäglichen Gottesdienstbesuch (Hin-
und Rückweg jeweils 15 Minuten) könne nicht berücksichtigt werden. Die Hilfe beim Verlassen und
Wiederaufsuchen der Wohnung sei nur dann der Grundpflege zuzurechnen, wenn die Maßnahme
erforderlich sei, um ein Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Das sei nicht der Fall.
Mit der Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 14 Abs 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).
Er vertritt die Auffassung, die Hilfe seiner Ehefrau bei den täglichen Spaziergängen und bei den
sonntäglichen Gottesdienstbesuchen sei als Teil der Grundpflege anzusehen. Mit den regelmäßigen
Spaziergängen habe er bisher die wegen der fortschreitenden Durchblutungsstörungen drohende Amputation
der Füße und damit das Stadium vollstationärer Pflegebedürftigkeit vermeiden können. Die Begleitung zu
den Gottesdiensten sei zu berücksichtigen, weil nach § 2 Abs 3 SGB XI im Rahmen der sozialen
Pflegeversicherung auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen Rücksicht zu nehmen sei.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 4. März 1999 und des SG
Duisburg vom 22. Juni 1998 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 9.
Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1996
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach der
Pflegestufe I ab 1. April 1995 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§
124 Abs 2, 153 Abs 1, 165 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der
Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Grundpflege nicht das für die Pflegestufe I erforderliche Mindestmaß
von täglich mehr als 45 Minuten (§ 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI; zur entsprechenden Anwendung dieser am 25.
Juni 1996 in Kraft getretenen Vorschrift auf die Zeit bis zum 24. Juni 1996 vgl BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1)
erreicht und deshalb ein Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nicht besteht.
1. Die Hilfestellung der Ehefrau bei den ärztlich angeratenen täglichen Spaziergängen ist bei der
Feststellung des Umfangs der Pflegebedürftigkeit des Klägers nicht zu berücksichtigen.
a) Die Hilfe betrifft nicht das Gehen iS des § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI. Ein Hilfebedarf bei der Verrichtung
"Gehen" kann, wie vom Senat bereits entschieden, nur dann berücksichtigt werden, wenn es sich um das
Gehen im Zusammenhang mit einer der anderen in § 14 Abs 4 SGB XI genannten häuslichen Verrichtungen
handelt (BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn 5, 6, 8 und 10). Das Gehen außerhalb des häuslichen Bereichs kann
entweder die Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" (Grundpflege) oder, soweit es im
Zusammenhang mit der Beschaffung des täglichen Bedarfs an Nahrungs- und Genußmitteln steht, die
Verrichtung "Einkaufen" (hauswirtschaftliche Versorgung) betreffen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 10).
Letzteres kann außer Betracht bleiben, weil die täglichen Spaziergänge des Klägers in der Regel nicht dazu
dienen, zugleich die notwendigen Einkäufe zu erledigen.
b) Der Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" kann die Hilfe bei den täglichen
Spaziergängen ebenfalls nicht zugeordnet werden. Die Hilfe bei der Mobilität außerhalb der eigenen
Wohnung ist nur dann zu berücksichtigen, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen
Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu
vermeiden. Ausgeschlossen sind damit zB die Bereiche Kommunikation, Bildung, Erwerbstätigkeit,
Freizeitgestaltung und Unterhaltung. Zudem darf es sich nicht um Hilfestellungen bei Maßnahmen handeln,
die vorrangig dem Ziel dienen, zur selbständigen Lebensführung notwendige Fähigkeiten zu erhalten oder
wiederzugewinnen und damit den Pflegeaufwand in späteren Lebensabschnitten zu vermeiden oder geringer
zu halten (BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn 5, 6, 8 und 10). Ausgeschlossen sind damit Hilfen bei Maßnahmen,
die vorrangig der Rehabilitation körperlich oder geistig Behinderter zwecks Vermeidung oder Verringerung
der Pflegebedürftigkeit dienen (§§ 5 und 31 SGB XI) und in den Zuständigkeitsbereich anderer
Sozialleistungsträger fallen. Als Maßnahme der Grundpflege anerkannt worden ist demgemäß die Hilfe
durch Begleitung bei durchschnittlich wenigstens einmal wöchentlich anfallenden Arztbesuchen. Gleiches
gilt für die Begleitung zum Krankengymnasten, wenn die Maßnahme ärztlich verordnet ist (BSG SozR
3-3300 § 14 Nrn 6, 8 und 9, § 15 Nr 7). Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um eine rehabilitative
Maßnahme zur Vermeidung eines erhöhten Pflegeaufwandes bei Verlust der Gehfähigkeit. Es geht vielmehr
in erster Linie um eine durch den Diabetiker selbst vorzunehmende, vom behandelnden Arzt wegen der
drohenden Verschlimmerung der Folgen der bestehenden Durchblutungsstörungen in den Beinen
empfohlene Ergänzung der ärztlichen Behandlung der Diabeteserkrankung. Die täglichen Spaziergänge
stellen sich daher als Teil der ärztlichen Therapie dar. Sie dienen dem weiteren Verbleib in der Wohnung,
damit der Vorbeugung von Krankenhausaufenthalt bzw Heimunterbringung, wofür die Leistungen bei
häuslicher Pflege der Pflegeversicherung grundsätzlich vorgesehen sind.
c) Dennoch kann der Zeitaufwand für die Begleitung des Klägers bei den täglichen Spaziergängen bei der
Bemessung des Pflegebedarfs nicht berücksichtigt werden. Es kann dahinstehen, ob der Kläger die nötige
Bewegung nicht auch auf andere geeignete Weise erreichen könnte, bei der eine Hilfestellung durch die
Ehefrau oder andere Pflegepersonen nicht erforderlich ist. Statt eines mindestens einstündigen
Spaziergangs im Freien kommt zB ein kontinuierliches Gehen von gleicher Dauer in der eigenen Wohnung
in Betracht, wo der Kläger jederzeit Halt finden kann. Zu denken ist auch an eine selbständige
Fortbewegung mit Hilfe eines Rollators. Aber auch dann, wenn die nötige Bewegung des Klägers nur unter
Mithilfe der Ehefrau oder einer anderen Pflegeperson ermöglicht werden könnte, scheidet die Anrechnung
des Zeitaufwandes der Pflegeperson hier aus. Da die täglichen Spaziergänge Teil der ärztlichen Therapie
sind, handelt es sich bei der Hilfestellung der Sache nach um Behandlungspflege und nicht um Grundpflege.
Für Maßnahmen der Behandlungspflege außerhalb eines Pflegeheimes ist nach § 37 Sozialgesetzbuch
Fünftes Buch (SGB V) aber die gesetzliche Krankenversicherung zuständig, ohne daß es darauf ankommt,
mit welchen Leistungen diese im konkreten Fall eintritt (zur Leistungspflicht der Krankenkasse auch bei sog
einfacher Behandlungspflege vgl Urteile des Senats vom 30. März 2000 - B 3 KR 23/99 R - BSGE 86, 101 =
SozR 3-2500 § 37 Nr 2 und B 3 KR 11/99 R - nicht veröffentlicht). Bei der Feststellung des Pflegebedarfs
nach den §§ 14, 15 SGB XI sind Maßnahmen der Behandlungspflege nur zu berücksichtigen, wenn sie
entweder Bestandteil einer Maßnahme der Grundpflege sind (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2) oder
wenn sie aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen
Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege erforderlich werden (BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 §
14 Nr 7; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 11). Daran fehlt es hier; die Spaziergänge stehen mit keiner anderen
Verrichtung der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI) in unmittelbarem Zusammenhang.
2. Die Begleitung zu den sonntäglichen Gottesdiensten ist ebenfalls keine Hilfe bei der Verrichtung
Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung iS des § 14 Abs 4 Nr 3 SGB XI. Hier fehlt es bereits an der
Voraussetzung, daß die Maßnahme zum Weiterleben in der eigenen Wohnung nötig sein muß. Der
Gottesdienstbesuch dient zwar auch der Erhaltung und Wiedergewinnung der geistigen und seelischen
Kräfte der Pflegebedürftigen (§ 2 Abs 1 Satz 2 SGB XI), hat aber nicht das Ziel, das selbständige
Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen und Krankenhaus- bzw Heimaufenthalte zu vermeiden.
a) Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß Katholiken nach dem Recht der Katholischen Kirche
gehalten sind, an den "gebotenen Festtagen" (Sonntage, kirchliche Feiertage) an der Messe teilzunehmen
(vgl C 1247 des Codex Iuris Canonici <CIC> 1983), es ihm also kirchenrechtlich nicht freistehe, den
sonntäglichen Gottesdienst zu besuchen oder nicht, und er sich als gläubiger Katholik an diese
Verpflichtung ("Sonn- und Feiertagspflicht") gebunden fühle. Gläubige, die durch Krankheit oder Behinderung
daran gehindert sind, zur Kirche zu gehen und an der Messe teilzunehmen, sind nämlich von dieser Pflicht
nach Maßgabe der Regelungen des CIC (vgl C 1248 § 2) befreit (Sebott in Listl/Schmitz, Handbuch des
katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl 1999, S 804; zu den Pflichten der Pfarrer gegenüber Gläubigen, die an
der Messe nicht teilnehmen können, vgl C 529 § 1 und C 918).
b) Die Vorschrift des § 2 Abs 3 Satz 1 SGB XI, wonach auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen
Rücksicht zu nehmen ist, begründet ebenfalls keinen Leistungsanspruch. Es handelt sich lediglich um
einen Appell an die Pflegekassen und die Leistungserbringer, bei der Wahl der die stationäre Pflege
durchführenden Einrichtung (vgl § 2 Abs 2 und Abs 3 Satz 2 SGB XI) und bei der Durchführung der Pflege
auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen zu achten (zB rechtzeitige Durchführung der
morgendlichen Pflege durch einen Pflegedienst an Sonntagen, damit der Pflegebedürftige in der Lage ist,
den Gottesdienst zu besuchen).
c) Auf Art 4 Abs 2 Grundgesetz (GG), wonach die ungestörte Religionsausübung zu gewährleisten ist, kann
sich der Kläger gleichfalls nicht stützen. Diese Vorschrift gebietet, "Raum für die aktive Betätigung der
Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem
Gebiet zu sichern" (BVerfGE 41, 29, 49; 52, 223, 240), gibt aber keinen Anspruch auf Gewährung
finanzieller Mittel zur Ausübung der Glaubensfreiheit (BVerwGE 65, 52, 57; 87, 115, 133; vgl Jarass/Pieroth,
GG, 5. Aufl 2000, Art 4 RdNr 13 mwN). Um Letzteres geht es aber, wenn die Hilfe beim Gottesdienstbesuch
auf Kosten der Pflegeversicherung durchgeführt werden soll.
3. Da der tägliche Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Grundpflege im übrigen mit höchstens 43 Minuten
ohne Revisionsrügen festgestellt worden ist und die geltend gemachten weiteren Hilfen nicht zu
berücksichtigen sind, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Bemessung des Zeitaufwands für die
Grundpflege durch das LSG mit 43 Minuten im übrigen rechtlich zutreffend erfolgt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
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BSG Urteil vom 31.08.2000
Az: B 3 P 14/99 R
1. Die Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden umfasst auch das Haarewaschen.
2. Ein bettlägeriger Pflegebedürftiger, der nicht ohne fremde Hilfe aufstehen und zur Toilette gehen kann, kann zur Vermeidung eines nächtlichen Hilfebedarfs nicht auf eine mögliche Versorgung mit Windeln oder einem Blasenkatheter verwiesen werden, solange er nicht inkontinent ist und die Pflegeperson verständigen kann.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III anstelle der Pflegestufe II.
Der Kläger ist der Rechtsnachfolger der am 10. Februar 1914 geborenen und am 2. Februar 2000
verstorbenen A. D. S., seiner Mutter (im folgenden: D. S.). Diese litt ua an fortgeschrittenen
Verschleißerscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit Teilsteife beider Arme und hochgradigen Bewegungseinschränkungen der Beine. Sie war deswegen geh- und stehunfähig und bettlägerig. Der Kläger und die Schwiegertochter haben sie betreut und gepflegt.
Bis zum 31. März 1995 bezog D. S. Pflegegeld wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach dem
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch. Ab dem 1. April 1995 erhielt sie gemäß der Überleitung nach Art 45 des Pflegeversicherungsgesetzes Pflegegeld nach der Pflegestufe II. Ihren Antrag auf Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe III lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) hingegen ab, weil der Zeitaufwand der Pflegepersonen im Bereich der Grundpflege trotz eines regelmäßigen nächtlichen Hilfebedarfs täglich insgesamt weniger als vier Stunden betrage (Bescheid vom 20. Juni 1995, Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1996).
Das Sozialgericht hat die Klage nach Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Sozialmedizin und Innere
Medizin Dr. Z.-M. vom 4. Juni 1996 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 18. September 1996 und 17. Dezember 1996 abgewiesen (Urteil vom 14. April 1997). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung von D. S. zurückgewiesen (Urteil vom 24. November 1998), weil der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege durchschnittlich nur 227 Minuten statt der erforderlichen 240 Minuten betrage. Als nicht verrichtungsbezogene Behandlungspflege könne die einmal wöchentlich durchgeführte spezielle Pflege der Kopfhaut wegen der Schuppenflechte nicht berücksichtigt werden. Gleiches gelte für das tägliche Einreiben der Gelenke mit einer Salbe zur Verringerung des Gebrauchs von medikamentösen Schmerzmitteln sowie für das Einreiben und Pudern des Körpers wegen der schuppigen Haut. Für die morgendliche Ganzkörperwäsche könne nur ein Zeitaufwand von 35 Minuten angesetzt werden.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 14 Abs 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Die vom LSG von der Anrechnung ausgenommenen Maßnahmen der Behandlungspflege stünden im Zusammenhang mit Verrichtungen der Grundpflege (Körperwäsche, Haarewaschen) und seien daher zu berücksichtigen. Der Zeitaufwand für das zweimal wöchentlich notwendige Haarewaschen sei wegen der aufwendigen Begleitmaßnahmen (Hilfe beim Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Transport im Rollstuhl) mit jeweils 30 Minuten (dh täglich 9 Minuten) zu gering bemessen. Ferner macht der Kläger einen Verfahrensfehler geltend. Die Feststellung, für die morgendliche Ganzkörperwäsche seien 35 Minuten angemessen, sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG habe die Bescheinigung der Caritas-Sozialstation vom 18. Mai 1998, für das morgendliche Waschen seien 35 Minuten aufgewendet worden, zwar gewürdigt, aber nicht beachtet, daß dort von einer "kleinen Morgentoilette im Intimbereich" die Rede ist. Die Ganzkörperwäsche erfordere demgegenüber mindestens 50 Minuten; dies sei auch unter Beweis gestellt worden (Vernehmung der Schwiegertochter sowie der Pflegekraft Schwester Monika von der Caritas-Sozialstation).
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. November
1998 und des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. April 1997 zu ändern,
den Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 1996 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 29. Februar 2000
Pflegegeld nach der Pflegestufe III unter Anrechnung der erbrachten
Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§
124 Abs 2, 153 Abs 1, 165 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 170 Abs 2 Satz 2
SGG) begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen des LSG lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege 240 Minuten betragen hat, wie es in § 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI für die Pflegestufe III gefordert wird. Die Ermittlungen sind notwendig, weil D. S. nach den nicht angefochtenen und für das Revisionsgericht daher bindenden Feststellungen (§ 163
SGG) alle sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III erfüllt.
Die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung setzt das Bestehen von Pflegebedürftigkeit voraus. Pflegebedürftig sind gemäß § 14 Abs 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen.
Nach § 14 Abs 4 SGB XI sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Abs 1 im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren sowie die Darm- oder Blasenentleerung
(Nr 1), im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung
(Nr 2), im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung
(Nr 3) sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen
(Nr 4). Schwerstpflegebedürftige (Pflegestufe III) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB XI). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muß "wöchentlich im Tagesdurchschnitt" in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI). Diese durch das 1. SGB XI-Änderungsgesetz vom 14. Juni 1996 (BGBl I S 830) zum 25. Juni 1996 in das Gesetz aufgenommene zeitliche Grenze gilt, wie vom Senat bereits entschieden (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1), entsprechend auch für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 24. Juni 1996, die im vorliegenden Fall ebenfalls betroffen ist. Das Pflegegeld beträgt in der Pflegestufe III monatlich 1.300 DM (§ 37 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB XI) und wird gemäß § 37 Abs 2 Satz 2 SGB XI bis zum Ende des Kalendermonats gezahlt, in dem der Pflegebedürftige gestorben ist (hier: bis zum 29. Februar 2000). Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß D. S. einen Grundpflegebedarf von täglich wenigstens 240 Minuten hatte. Dazu bedarf es weiterer Ermittlungen.
1. Das LSG hat ein zweimaliges Haarewaschen (einschließlich Fönen) als angemessen angesehen, den
Hilfebedarf als Teil der Grundpflege betrachtet und den Zeitaufwand mit jeweils 30 Minuten
(Tagesdurchschnitt 9 Minuten) beziffert. In dem erneut durchzuführenden Berufungsverfahren wird zu klären sein, ob ein zweimaliges Haarewaschen tatsächlich notwendig war und der Zeitaufwand mit 30 Minuten zutreffend berechnet worden ist.
a) Das LSG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, daß das Haarewaschen eine
berücksichtigungsfähige Maßnahme der Grundpflege nach § 14 Abs 4 Nr 1 SGB XI ist. Die Verrichtung
Haarewaschen ist zwar dort nicht gesondert aufgeführt; dies ist jedoch unschädlich, weil sie als Bestandteil der Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden anzusehen ist. Dies entspricht dem Wortlaut der Vorschrift, dem Sprachgebrauch und der Verkehrsauffassung. Das Gesetz umschreibt den Grundpflegebereich der Körperreinigung ganz allgemein mit den Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden. Eine Einschränkung dieser Verrichtungen auf bestimmte Körperteile
(zB Rumpf, Gliedmaßen, Gesicht) bzw eine Ausklammerung bestimmter Körperteile
(zB Haare) enthält die Regelung des § 14 Abs 4 Nr 1 SGB XI nicht. Damit umfaßt das Waschen/Duschen/Baden schon vom Wortlaut her grundsätzlich die Reinigung des gesamten Körpers einschließlich der Haare. Der Sprachgebrauch spricht ebenfalls für die Einbeziehung des Haarewaschens in den Verrichtungskatalog der Körperpflege. Die Haare werden ebenso wie Gesicht, Hände oder Füße "gewaschen"; das Haarewaschen ist Teil der umfassenden Verrichtung Waschen, die sich sowohl auf einzelne Körperteile als auch auf den gesamten Körper (Ganzkörperwäsche) einschließlich der Haare beziehen kann. Auch die Verrichtung Baden umfaßt nach Sprachgebrauch und Verkehrsauffassung
das
Haarewaschen. Das Baden ist eine Ganzkörperwäsche in einer Badewanne, bei der bei Bedarf auch die Haare gewaschen werden. Dabei ist es unerheblich, ob das Haarewaschen mit anderen
Körperreinigungsmaßnahmen verbunden wird oder - wie hier - gesondert erfolgt.
b) Die der jetzigen Fassung des § 14 Abs 4 Nr 1 SGB XI zugrundeliegende historische Entwicklung der
Vorschrift spricht nicht gegen die Einbeziehung des Haarewaschens in den Verrichtungskomplex
Waschen/Duschen/Baden. Allerdings war in dem Regierungsentwurf zum SGB XI die Verrichtung
Haarewaschen neben den Verrichtungen Waschen/ Duschen/Baden noch gesondert aufgeführt
(vgl
BR-Drucks 505/93 S 96 zu § 12 Abs 4 Regierungsentwurf <RegE>). Erst im Zuge des
Gesetzgebungsverfahrens ist auf Beschlußempfehlung des federführenden Bundestagsausschusses für
Arbeit und Sozialordnung
(vgl BT-Drucks 12/5920 S 22 bis 23 und BT-Drucks 12/5952 S 35) die Verrichtung Haarewaschen - ebenso wie die im Regierungsentwurf noch aufgeführte Verrichtung Nagelpflege - aus dem Verrichtungskatalog des § 14 Abs 4 Nr 1 SGB XI gestrichen worden. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sollten dort ausschließlich täglich erforderliche Verrichtungen der Körperpflege genannt werden; seltener erforderliche Verrichtungen wie das Haarewaschen und die Nagelpflege seien deshalb gestrichen worden (BT-Drucks 12/5952 S 35).
Aus der Streichung der Verrichtung Haarewaschen in § 12 Abs 4 RegE bzw § 14 Abs 4 Nr 1 SGB XI kann nicht geschlossen werden, daß ein Hilfebedarf beim Haarewaschen bei der Feststellung des
Grundpflegebedarfs nicht berücksichtigt werden kann. Es mag zwar in der Absicht des Gesetzgebers
gelegen haben, diesen nach seiner Auffassung nicht täglich anfallenden Pflegebedarf nicht in Ansatz zu
bringen. Diese Absicht ist jedoch in der verabschiedeten Fassung des § 14 Abs 4 Nr 1 SGB XI nicht zum Ausdruck gekommen. Da die Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden bereits das Haarewaschen
umfassen, war die zusätzliche Erwähnung des Haarewaschens in § 12 Abs 4 RegE überflüssig. Die
Streichung dieses überflüssigen - und allenfalls klarstellenden - Hinweises aus dem Verrichtungskatalog der Körperpflege hat also nichts an der Bedeutung und Reichweite der Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden geändert, die das Haarewaschen einschließen. Um die Nichtberücksichtigung des Hilfebedarfs beim Haarewaschen mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen, wäre es erforderlich gewesen, die Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden mit einem einschränkenden Zusatz
(zB "mit Ausnahme des Haarewaschens") zu versehen.
c) In diesem Sinne sind auch die Pflegebedürftigkeits-Richtlinien vom 7. November 1994 idF vom 21.
Dezember 1995 zu verstehen, die insoweit den Hinweis "Haarewaschen sowie das Schneiden von Finger- und Fußnägeln sind regelmäßig keine täglich anfallenden Verrichtungen"
(Ziff 3.4.2) enthalten. Dieser Hinweis ist mißverständlich. Er kann, wie erwähnt, nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß die Hilfe beim Haarewaschen überhaupt nicht zu berücksichtigen ist. Das Haarewaschen ist Teil der Grundpflege (so zutreffend die Empfehlungen zum Inhalt der Rahmenverträge nach § 75 Abs 2 und 5 SGB XI vom 2. Februar 1995, Abschnitt I § 1 Abs 4 Stichwort Körperpflege). Dabei ist ein tägliches Haarewaschen zwar in der Regel nicht notwendig, aber ein ein- bis zweimaliges Haarewaschen pro Woche, um das es hier geht, entspricht dem heutigen Hygienestandard. Ein ein- bis zweimaliges Haarewaschen wöchentlich ist daher, je nach den Gegebenheiten des Einzelfalls, als üblich und erforderlich anzusehen und deshalb bei der Bemessung des Pflegebedarfs anzusetzen.
d) Die Frage, ob im vorliegenden Fall ein zweimaliges Haarewaschen wöchentlich medizinisch bzw
pflegerisch angezeigt war, bedarf im Rahmen des erneut durchzuführenden Berufungsverfahrens allerdings der weiteren Aufklärung. Denn der MDK hat in seiner Stellungnahme vom 11. September 1995 aus medizinischen Gründen ausdrücklich empfohlen (und dies auch gegenüber D. S. betont), "daß das zweimal wöchentliche Haarewaschen reduziert werden sollte". Sollte sich herausstellen, daß nur eine Haarwäsche pro Woche notwendig war, darf auch nur diese eine Haarwäsche berücksichtigt werden.
e) Bei der Bemessung des Zeitaufwandes für die Hilfe beim Haarewaschen (einschließlich der
Haartrocknung) sind auch die notwendigen begleitenden Hilfen
(zB Transport in das Bad) zu
berücksichtigen. Das LSG wird demgemäß zu prüfen haben, ob die geltend gemachten begleitenden Hilfen beim Haarewaschen (neben dem Transport ins Bad auch Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und
Auskleiden) in vollem Umfang zusätzlich notwendig waren. Hieran könnte es zB fehlen, wenn das
Haarewaschen zu einem Zeitpunkt durchgeführt werden konnte, an dem D. S. noch nicht vollständig
angezogen war und bereits aus dem Bett aufgestanden war, um andere Verrichtungen durchzuführen
(Körperwäsche, Toilettengang, Nahrungsaufnahme).
2. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Behandlungspflege) sind bei der Feststellung des individuellen Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur dann zu berücksichtigen, wenn sie entweder Bestandteil der Hilfe bei einer der Verrichtungen des § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI sind
(BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2) oder wenn sie aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden
(BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 11). Um eine Maßnahme der Behandlungspflege handelt es sich bei der einmal wöchentlich stattfindenden speziellen Behandlung der
Kopfhaut mit einem Pflegemittel wegen der Schuppenflechte. Sie ist mit einer Maßnahme der Grundpflege, nämlich dem Haarewaschen als Teil der Verrichtungen Waschen/Duschen/Baden, untrennbar verbunden und daher zu berücksichtigen.
3. Der Zeitaufwand für das regelmäßige Einreiben und Pudern der Haut kann ebenfalls zu berücksichtigen sein. Das ist dann der Fall, wenn es sich nicht lediglich um eine kosmetische Maßnahme, sondern um eine aus medizinisch-pflegerischen Gründen notwendige Maßnahme der Behandlungspflege handelt und diese nicht nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit mit der vorangegangenen Körperwäsche verbunden wurde, sondern als Folge der Körperwäsche (Austrocknung der schuppigen Haut, Reizung der Schuppenflechte) aufgrund der besonderen Konstitution von D. S. notwendig war
(vgl BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 9). Dabei ist auch hier zu klären, ob das Einreiben und Pudern dreimal täglich erforderlich war oder auch mit ein oder zwei Maßnahmen dieser Art ausgekommen werden konnte.
4. Zu Recht nicht berücksichtigt hat das LSG das bis zu dreimal täglich erfolgte Einreiben der Gelenke mit einer Salbe zur Verringerung von Schmerzzuständen und zur Reduzierung des Gebrauchs von
nebenwirkungsreichen medikamentösen Schmerzmitteln. Es handelt sich um eine Maßnahme der
Behandlungspflege, die weder Bestandteil einer der Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI) ist noch mit einer solchen Verrichtung in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. Der zeitliche Zusammenhang des morgendlichen Einreibens mit dem Waschen allein reicht nicht aus; es fehlt der unabdingbare sachliche Zusammenhang.
5. Weitere Ermittlungen des LSG sind zum Zeitaufwand für die morgendliche Ganzkörperwäsche nötig. Der vom Kläger insoweit geltend gemachte Verfahrensmangel bei der Beweiserhebung und -würdigung (§§ 128 Abs 1, 153 Abs 1, 157
SGG) liegt vor. Das LSG hat den Zeitaufwand auf 35 Minuten bemessen und sich für die Erhöhung des Pflegebedarfs um 5 Minuten im Vergleich zur Feststellung des MDK (30 Minuten) auf die Bescheinigung der Mitarbeiterin der Sozialstation (Schwester Monika) vom 18. Mai 1998 gestützt. Den verlangten höheren Zeitaufwand hat das LSG unter Hinweis auf diese Bescheinigung als nicht bewiesen angesehen und von einer Vernehmung der Schwiegertochter und der Mitarbeiterin der Sozialstation, wie im Schriftsatz vom 8. Juli 1998 beantragt, abgesehen. Dabei hat das LSG verfahrensfehlerhaft nicht beachtet, daß sich die Bescheinigung auf eine "kleine Morgentoilette im Intimbereich" bezog, nicht aber auf eine - zeitaufwendigere - Ganzkörperwäsche. Ob insoweit ein Zeitaufwand von 50 Minuten, wie in der Bescheinigung der Sozialstation vom 25. Februar 1999 angegeben, angemessen ist, bedarf der weiteren Sachaufklärung.
Die Ermittlungen zum Zeitbedarf für die morgendliche Ganzkörperwäsche sind nicht etwa deshalb
entbehrlich, weil in den Begutachtungs-Richtlinien
(BRi) vom 21. März 1997 für eine Ganzkörperwäsche nur ein Zeitrahmen von 20 bis 25 Minuten
(vgl Anhang 1 der BRi Abschnitt 5.1 Nr 1 "Waschen") vorgesehen ist, den das LSG bereits dadurch überschritten hat, daß es einen Zeitaufwand von 35 Minuten, also mehr als
den Höchstwert des Zeitrahmens, in Ansatz gebracht hat. Die BRi enthalten lediglich Zeitrahmen für dem
Normalfall entsprechende Pflegemaßnahmen; zutreffend wird in den BRi auch lediglich von
"Orientierungswerten" zur Pflegezeitbemessung gesprochen. Besonderheiten des Einzelfalls sind stets zu
berücksichtigen und können daher - wie hier - zu einer Überschreitung des jeweiligen Zeitrahmens führen.
6. Im Rahmen der erneuten Berufungsverhandlung wird auch zu überprüfen sein, ob der bisher angesetzte Pflegeaufwand für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) von 20 Minuten (Speisen 12 Minuten, Getränke 8 Minuten) weiterhin in vollem Umfang berücksichtigt werden kann. Nach den Feststellungen des LSG wurden drei Hauptmahlzeiten und eine Zwischenmahlzeit, bestehend aus Obst und Joghurt, sowie fünf Trinkflaschen für die Versorgung tagsüber und nachts zubereitet, und zu den Mahlzeiten Getränke eingeschenkt. Diese Feststellungen sind zu allgemein gehalten, um entscheiden zu
können, ob es sich lediglich um die Zubereitung der Nahrung oder um die in § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI allein ne "mundgerechte" Zubereitung der Nahrung handelt. Die Zubereitung der Nahrung, auch von
Diätkost und Diätgetränken, ist, wie der Senat wiederholt entschieden hat, allein der Verrichtung "Kochen" und damit der hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI, also nicht der Grundpflege, zuzurechnen. Zur "mundgerechten" Zubereitung der Nahrung gehört demgegenüber allein der letzte Schritt vor der Nahrungsaufnahme (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 3 und § 15 Nr 7), also zB das Zerkleinern in mundgerechte Bissen (Portionieren), das Heraustrennen von Knochen oder Gräten, das Einweichen harter Nahrung bei Kau- oder Schluckbeschwerden und das Einfüllen von Getränken in Trinkgefäße. Erfaßt werden also nur solche Maßnahmen, die dazu dienen, die bereits zubereitete Nahrung so aufzubereiten, daß eine abschließende Aufnahme durch den Pflegebedürftigen erfolgen kann (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 7;
Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 14 RdNr 23). Das LSG wird zu ermitteln haben, ob und in welchem Umfang nach diesen Vorgaben ein Hilfebedarf bei der "mundgerechten" Zubereitung der Nahrung bestanden hat.
7. Die Wertung des LSG, der Pflegebedarf habe täglich rund um die Uhr, "auch nachts", bestanden, ist
hingegen rechtlich nicht zu beanstanden. D. S. mußte stets nachts, also zwischen 22 Uhr abends und 6
Uhr morgens, wenigstens einmal, in der Regel sogar zweimal (gegen 23 Uhr und 2 Uhr), wegen Harndrangs auf den Toilettenstuhl gesetzt werden. Diese Hilfestellung war auch "notwendig". Der Hinweis des MDK, bei einer nächtlichen Versorgung mit Windeln oder einem Blasenkatheter könne dieser Hilfebedarf mit einiger Wahrscheinlichkeit vermieden werden, mag zwar zutreffen. Darauf verweisen lassen mußte sich D. S. aber nicht. Zumindest bei Pflegebedürftigen, die - wie D. S. nicht unter Harninkontinenz leiden und sich bei Harndrang auch selbst melden und auf Hilfestellung der Pflegeperson warten können, ist eine Versorgung mit Windeln oder Blasenkathetern unzumutbar, da diese Maßnahme allein der Verringerung des Pflegeaufwands dient, ohne zu berücksichtigen, daß vorrangiges Ziel der Leistungen der Pflegeversicherung sein soll, den Pflegebedürftigen zu helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 2 Abs 1 Satz 1 SGB XI). Die Hilfen sind danach auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte des Pflegebedürftigen möglichst zu erhalten, bevor sie durch apparative Unterstützung ersetzt werden (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB XI). Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
zurück
Landessozialgericht Berlin Urteil vom 8.12.99 Aktenzeichen L 17 P 2/99
Hilfe beim Kochen und Eindecken des Tisches fällt nicht in den Beeich der Grundpflege
BSG Urteil vom 6.8.1998 Az: B 3 P 17/97 R
1. Hilfeleistungen, die durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit des Pflegebedürftigen anfallen (Begleitung auf dem Weg zur Arbeitsstelle, An- und Ausziehen der Arbeitskleidung), bleiben bei der Ermittlung des Pflegebedarfs unberücksichtigt.
2. Zum berücksichtigungsfähigen Zeitaufwand für eine Begleitung bei einem Arztbesuch.
3. Die allgemein Aufsicht wegen der Gefahr plötzlich eintretender, nicht vorhersehbarer Unterzuckerungen infolge des beim Pflegebedürftigen bestehenden Diabetes mellitus ist kein Pflegebedarf .
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in die Pflegestufe II einzustufen ist.
Der 1937 geborene Kläger ist seit 1974 wegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus I erblindet. Er lebt zusammen mit seiner Ehefrau in einem Haushalt und ist als Masseur erwerbstätig. Seine Ehefrau bringt ihn täglich zur Arbeitsstätte, sie hilft ihm dort beim Umziehen, spricht Behandlungstermine und
Behandlungsarten auf ein Tonband und holt ihn abends wieder von der Arbeitsstätte ab. Im häuslichen
Bereich benötigt der Kläger beim Stehen, Gehen und Treppensteigen keine Hilfe. Aufgrund seines Antrages auf Gewährung von Pflegeleistung nach dem Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - (SGB XI) veranlaßte die Beklagte eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Dieser kam zu dem Ergebnis, der Kläger habe Hilfebedarf beim Zurechtlegen der Kleidung, des Waschzeuges, der Kontrolle des Wascherfolges und des Anziehens, beim Rasieren, der mundgerechten Zubereitung der Nahrung, beim Spritzen von Insulin, dem Messen des Blutzuckers (mindestens vier- bis fünfmal täglich) und der Begleitung zum Arzt (zweimal wöchentlich). Darüber hinaus bestehe Hilfebedarf im gesamten Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Entsprechend dem Vorschlag des MDK bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Juni 1995 Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 1. April 1995. Mit seinem Widerspruch verlangte der Kläger die Einstufung in die Pflegestufe II. Er machte geltend, daß er nachts nicht ohne Aufsicht schlafen könne, da die Möglichkeit einer Entgleisung des Diabetes mellitus bestehe und er dann sofort fremde Hilfe benötige. Bei der Zubereitung der Speisen müsse beachtet werden, daß er aufgrund des Diabetes mellitus eine Diät einhalten müsse. Seine Pflegeperson müsse darüber hinaus das im Laufe eines
Arbeitstages benötigte Essen diätgerecht zusammenstellen. Er benötige die Pflegeperson auch für die
Ausübung seines Berufes sowie für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Die Beklagte habe zudem
unberücksichtigt gelassen, daß er zwar bei der Benutzung ihm bekannter Toiletten lediglich eine Kontrolle der Sauberkeit nach Benutzung der Toilette benötige; bei unbekannten Toilettenanlagen sei jedoch Hilfe für die gesamte Verrichtung notwendig. Nach erneuter Anhörung des MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 1996 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage durch Urteil vom 18. April 1997 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf ein von ihm eingeholtes Gutachten der Pflegesachverständigen O bezogen. Hiernach bestehe im Bereich der Grundpflege nur ein Pflegebedarf von durchschnittlich 110 Minuten pro Tag. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung durch Urteil vom 28. Oktober 1997 zurückgewiesen.
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II, weil die für diese Pflegestufe erforderliche Voraussetzung eines Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege von mindestens zwei Stunden täglich nicht erfüllt sei. Der erforderliche Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege betrage ausgehend von dem in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten nur 80 Minuten täglich, wobei ein zweimal wöchentlich notwendiger Arztbesuch jeweils mit 45 Minuten ohne Berücksichtigung von Warte- und Behandlungszeiten anzurechnen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 14, 15 SGB XI. Zwar seien die pflegerischen Feststellungen der im erstinstanzlichen Verfahren herangezogenen Sachverständigen O in wesentlichen Punkten zutreffend. Doch habe das LSG hieraus zu geringe Zeitwerte abgeleitet. Dies gelte insbesondere für die Verrichtungen "Waschen, Duschen und Baden", "Zahnpflege" sowie "Kämmen und Rasieren". Gänzlich unverständlich sei der Ansatz von täglich viermal zwei Minuten für die Verrichtung der Notdurft. Im Rahmen eines Tagesrhythmus müsse davon ausgegangen werden, daß täglich achtmal eine Verrichtung der Notdurft erforderlich sei. Bei dieser Verrichtung müsse auch die durch die Blindheit verursachte Hilflosigkeit zusätzlich berücksichtigt werden. Für die Verrichtung der Notdurft seien deshalb insgesamt täglich 40 Minuten anzusetzen. Zusätzlich müßten die Zeiten berücksichtigt werden, die für die
Begleitung zum Arbeitsplatz und die dort erforderlichen Hilfen notwendig seien. Die Hilfe der Ehefrau sei
auch für die Kontrolle der Zuckerkrankheit und der damit zusammenhängenden Behandlungsmaßnahmen
im Verlauf des Arbeitstages erforderlich. Hierbei müsse auch berücksichtigt werden, daß er, der Kläger,
häufig durch nicht vorhersehbare Unterzuckerungen handlungsunfähig werde. Zur Bewältigung dieser
Krisensituationen benötige er die sofortige Hilfe seiner Ehefrau. Auch der Hilfebedarf im Bereich der Mobilität sei von der Beklagten zu gering angesetzt worden. Hierbei gehe sie zu Unrecht von einer einschränkenden Auslegung des bei dieser Verrichtung berücksichtigungsfähigen Hilfebedarfs in den Pflegerichtlinien aus. Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß von Pflegerichtlinien in § 17 SGB XI gestatte den Spitzenverbänden der Pflegekassen nicht, zusätzliche im Gesetz nicht vorgesehene Tatbestandsvoraussetzungen für die Zuerkennung einer Pflegestufe einzuführen. Entgegen der Auffassung der Beklagten müsse auch der durch den schwerwiegenden Diabetes mellitus hervorgerufene Aufsichtsbedarf im Bereich des Gehens berücksichtigt werden. Letztlich sei unberücksichtigt geblieben, daß er nachts mehrfach Wasser lassen müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Oktober
1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18. April 1997
aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. März 1996 zu ändern und dem Kläger
Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II ab April
1995 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Wie die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, steht dem Kläger ein
Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II nicht zu, weil er die Voraussetzungen nach § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 15 Abs 3 Nr 2 SGB XI nicht erfüllt.
1. Nach § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB XI (idF des SGB XI-Änderungsgesetzes vom 14. Juni 1996, BGBl I S 138) setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe II voraus, daß er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden.
Außerdem wird (nach § 15 Abs 3 Nr 2 SGB XI, idF des 1. SGB XI-Änderungsgesetzes) vorausgesetzt, daß der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, täglich im Wochendurchschnitt drei Stunden beträgt; wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen. Die in der Zeit seit Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 1. April 1995 bis zum 25. Juli 1996 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. SGB XI-Änderungsgesetzes, vgl dessen Art 8 Abs 1) geltende ursprüngliche Fassung des SGB XI enthielt die zuletzt genannte Voraussetzung noch nicht. § 15 Abs 3 SGB XI ermächtigte seinerzeit lediglich die Spitzenverbände der Pflegekassen bzw das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, den in den einzelnen Pflegestufen jeweils mindestens erforderlichen zeitlichen
Pflegeaufwand in den Pflegerichtlinien nach § 17 SGB XI bzw in der Verordnung nach § 16 SGB XI zu
regeln. Die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen über die Abgrenzung der Merkmale der
Pflegebedürftigkeit und der Pflegestufen sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit
(Pflegebedürftigkeitsrichtlinien <PflRi>) enthielten in ihrer ursprünglichen Fassung vom 7. November 1994 bezüglich des Mindestzeitaufwands bei der Pflegestufe II die Voraussetzung, der wöchentliche Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung und pflegeunterstützende Maßnahmen benötige, müsse im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden betragen, wobei der pflegerische Aufwand gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das Übergewicht haben müsse. Die in § 16 SGB XI vorgesehene Verordnung ist nicht erlassen worden.
Für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist sowohl die ursprüngliche Fassung des § 15 SGB XI (für die Zeit vom 1. April 1995 bis 24. Juni 1996) als auch (für die nachfolgende Zeit) die durch das 1. SGB XI-Änderungsgesetz geänderte Fassung maßgebend. Der Senat hat bereits entschieden, daß ein in der ursprünglichen Fassung des § 15 Abs 3 SGB XI enthaltenes Regelungsdefizit bezüglich der für die
einzelnen Pflegestufen erforderlichen zeitlichen Mindestvoraussetzungen durch die Neufassung des § 15
Abs 3 SGB XI auch für die zurückliegende Zeit seit dem Inkrafttreten des SGB XI ausgefüllt worden ist. Dies gilt auch für den Mindestbedarf der Pflegestufe II. Zwar enthielt die entsprechende Regelung in den
Pflegerichtlinien in Ziffer 4.1.2 - 2. Absatz - für die Leistung der Grundpflege keine genaue zeitliche Grenze.
Es wurde lediglich gefordert, daß im Rahmen des erforderlichen zeitlichen Mindestaufwands von drei
Stunden täglich der Aufwand für die Grundpflege gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das Übergewicht haben müsse. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die durch das 1. SGB XI-Änderungsgesetz festgelegte Grenze von zwei Stunden für die Grundpflege als Konkretisierung dieser in den Pflegerichtlinien enthaltenen Forderung anzusehen ist.
2. Für die Zuordnung zur Pflegestufe II ist, wie der Senat grundsätzlich bereits mit Urteil vom 19. Februar 1998 (B 3 P 3/97 R - zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden hat, nur der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen maßgebend, die § 14 Abs 4 SGB XI in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufteilt. Hierzu zählen die folgenden, vom Kläger geltend gemachten Hilfeleistungen seiner ihn betreuenden Ehefrau nicht: a) Der Aufsichtsbedarf wegen plötzlich eintretender Unterzuckerungen und b) Hilfeleistungen im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Klägers als Masseur außerhalb seiner Wohnung.
Zu a): Der allgemeine Aufsichtsbedarf wegen der Gefahr plötzlich eintretender, nicht vorhersehbarer
Unterzuckerungen infolge des beim Kläger bestehenden Diabetes mellitus ist kein Pflegebedarf iS von § 14 Abs 3 iVm Abs 4 SGB XI, weil die bloße Verfügbarkeit bzw Einsatzbereitschaft einer zur Hilfeleistung bereiten Person noch keine Hilfeleistung iS des § 14 Abs 3 SGB XI darstellt, sondern nur als Voraussetzung für die Möglichkeit einer Hilfeleistung anzusehen ist (vgl BSG Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 6/97 R -). Das Einflössen von Apfel- oder Traubensaft, das nach dem Vorbringen des Klägers von seiner Ehefrau vorgenommen werden muß, wenn er selbst infolge des Schockzustandes hierzu nicht in der Lage ist, kann zwar zu den Hilfen bei der Ernährung iS des § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI gezählt werden, fällt jedoch wegen der Seltenheit und kurzzeitigen Dauer der Hilfeleistung nicht ins Gewicht.
Zu b) Hilfeleistungen, die im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Klägers als Masseur außerhalb
seiner Wohnung anfallen, können gleichfalls nicht als Pflegeaufwand iS des § 14 SGB XI angesehen
werden. Der Kläger macht geltend, seine Ehefrau müsse ihn auf dem Weg zur Arbeitsstätte begleiten, da
eine Begleitung durch seinen Blindenführhund wegen des dort herrschenden feucht-warmen Klimas
ausscheide. Außerdem müsse ihn seine Ehefrau an der Arbeitsstätte umziehen. Die für diese
Hilfeleistungen erforderlichen Zeiten können im Rahmen des § 15 Abs 3 SGB XI keine Berücksichtigung
finden. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß für die Zuordnung zu den Pflegestufen des § 15 Abs 1
SGB XI nur der Hilfebedarf ausschlaggebend ist, der in den elementaren Lebensbereichen besteht. Dies wird insbesondere aus dem Katalog des § 14 Abs 4 SGB XI deutlich, der die zur Aufrechterhaltung der
Lebensführung notwendigen Verrichtungen enthält. Lebensbereiche wie Unterhaltung, Bildung und
Erwerbstätigkeit zählen hierzu nicht. Umstritten war im Gesetzgebungsverfahren allein die Einbeziehung
des Bereichs Kommunikation, der auch zu den elementaren Lebensbereichen gezählt werden könnte und
unter der Geltung der §§ 53 ff Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V; in der bis 31. März 1995
geltenden Fassung) bei der Bemessung des Pflegebedarfs berücksichtigt wurde (vgl BSGE 73, 146, 149 f = SozR 3-2500 § 53 Nr 4; PflRi der Spitzenverbände, BArbBl 1989, 43). Der Gesetzgeber hat Hilfen bei den Verrichtungen (wie Sprechen, Sehen und Hören) jedoch, worauf im
Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich hingewiesen worden ist, nicht berücksichtigen wollen. Im übrigen
wurde eine Beschränkung der maßgebenden Lebensbereiche in der Begründung des Regierungsentwurfs
nur bei Verrichtungen aus dem Bereich Mobilität erwähnt: Maßgebend seien hier nur solche Hilfen
außerhalb der Wohnung, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung unumgänglich seien (BT-Drucks 12/5262 S 97). Hieraus kann nicht der Schluß gezogen werden, daß Hilfeleistungen in anderen Bereichen - hier etwa die Hilfen beim Umziehen - nur zu berücksichtigen sind, soweit sie im Wohnumfeld des Pflegebedürftigen (eigene Wohnung oder stationäre Pflegeeinrichtung) erbracht werden. Die §§ 14 und 15 SGB XI legen nicht fest, wo der Hilfebedarf anfallen muß. Dies kann- auch bei der häuslichen Pflege - sowohl im eigenen als auch in einem anderen Haushalt der Fall sein, in den der Betroffene zeitweise aufgenommen ist, als auch an einem sonstigen Aufenthaltsort, an dem ambulante Hilfeleistungen erbracht werden. Das Gesetz geht jedoch, ohne daß dies ausdrücklich erwähnt wird, davon aus, daß ein Hilfebedarf bei den in § 14 Abs 4 SGB XI aufgeführten Verrichtungen generell nur dann zu berücksichtigen ist, wenn die
Verrichtungen im Rahmen der elementaren Lebensführung anfallen. Hierzu zählt die Ausübung einer
Erwerbstätigkeit nicht. Soweit ein Hilfebedarf nur anfällt, um die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu
ermöglichen, wie dies beim Umziehen des Klägers an seinem Arbeitsplatz oder dem Diktieren der
Behandlungstermine der Fall ist, kann er im Rahmen des § 15 SGB XI daher nicht berücksichtigt werden.
Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die berufliche Integration von Behinderten in den
Zuständigkeitsbereich anderer Sozialleistungssysteme - etwa in den der Eingliederungshilfe (§§ 39 ff des
Bundessozialhilfegesetzes <BSHG>) oder des Arbeitsförderungsrechts fällt bzw speziell bei Blinden durch Leistungen der Blindenhilfe (§ 67 BSHG iVm den Regelungen der Blindengeldgesetze der Länder)
unterstützt wird. Der Anspruch auf Blindenhilfe hängt nach § 67 Abs 4 Satz 1 BSHG gerade davon ab, daß der Blinde sich nicht weigert, eine ihm zumutbare Arbeit zu leisten oder sich zu einem angemessenen Beruf oder zu einer sonstigen angemessenen Tätigkeit ausbilden, fortbilden oder umschulen zu lassen. Der Gesetzgeber hat das Zusammentreffen von Blindenhilfe und Leistungen bei häuslicher Pflege nach dem SGB XI in § 67 Abs 1 Satz 2 BSHG speziell geregelt. Danach sind die Leistungen der Pflegeversicherung auf die Blindenhilfe mit bis zu 70 vH anzurechnen. Hieraus wird deutlich, daß einem Mehrbedarf von Blinden, der in anderen als den von der Pflegeversicherung berücksichtigten Lebensbereichen entsteht, Rechnung getragen wird. Im übrigen ist es auch nicht Ziel der sozialen Pflegeversicherung, jedweden Pflegebedarf lückenlos zu erfassen und bei der Leistungsbemessung zu berücksichtigen. Im Bereich der Mobilität ist, wie dargelegt, bereits im Gesetzgebungsverfahren die Notwendigkeit erkannt worden, den Umfang insbesondere der Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" zu
begrenzen (BT-Drucks aaO). Außerhalb der Wohnung sind Hilfeleistungen beim Gehen nur insoweit
beachtlich, als die Wege für die Aufrechterhaltung der Lebensführung unumgänglich sind und das
persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig ist. Dies schließt eine Berücksichtigung der
Begleitung des Klägers zur Arbeitsstätte als Pflegebedarf aus, wie das LSG zutreffend entschieden hat.
3. Im Bereich der Mobilität benötigt der Kläger darüber hinaus eine Begleitung zu regelmäßig anfallenden
Arztbesuchen. Im angefochtenen Bescheid wurde hierfür ein Zeitbedarf von zweimal 45 Minuten wöchentlich angesetzt, woraus ein Tagesdurchschnitt von 12 Minuten ermittelt wurde. Unberücksichtigt blieb hierbei die jeweils für den Aufenthalt in der Arztpraxis erforderliche Zeit. Die Beklagte begründete dies im Widerspruchsbescheid damit, daß "bekanntlich" nur die Wegezeit und nicht die Zeit der Behandlung oder die Wartezeit angerechnet werden könne. Das LSG hat diese Auffassung bestätigt. Eine Rechtsgrundlage, die dieser Einschätzung zugrundeliegt, ist aber nicht zu erkennen. Weder die Pflegerichtlinien (idF des Beschlusses vom 21. Dezember 1995, dort Nr 3.4.2) noch die Begutachtungsrichtlinien (vom 21. März 1997) erwähnen die Frage, ob und ggf in welchem Umfang Wartezeiten zu berücksichtigen sind, die im Verlauf einer längere Zeit andauernden Verrichtung zwangsläufig anfallen. Im Zusammenhang mit der Erläuterung von Zeit-Orientierungswerten wird bei der Verrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Vorgaben nicht möglich seien (Begutachtungsrichtlinien unter 5.3 - Nr 15).
Der erkennende Senat hat bereits zum früheren Rechtszustand unter Geltung der §§ 53 ff SGB V
entschieden, daß für die Bemessung des Hilfebedarfs der zeitliche Aufwand der Pflegeperson
ausschlaggebend ist (Urteil vom 9. März 1994, 3/1 RK 12/93 = BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 6 S 44).
Maßgebend sei die zeitliche und örtliche Gebundenheit der Pflegeperson durch die Erbringung der
Hilfeleistung. Das Problem der Wartezeiten bei länger andauernden Verrichtungen hat der Senat im Urteil om 29. November 1995 (3 RK 8/94 = BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 9) angesprochen; es bedurfte seinerzeit jedoch keiner Entscheidung.
Für die Bemessung des zeitlichen Umfangs des Pflegebedarfs ist auch nach den §§ 14, 15 SGB XI von der zeitlichen und örtlichen Gebundenheit der Pflegeperson auszugehen; dh maßgebend ist die Zeit, die die Pflegeperson ausschließlich für die Abwicklung einer Hilfeleistung benötigt und während der sie keiner Tätigkeit - etwa auch keiner solchen im Bereich der allgemeinen Haushaltsführung - nachgehen
kann. Dies folgt insbesondere aus dem Anliegen des Gesetzgebers, durch die Einführung der
Pflegeversicherung die häusliche Pflege zu stärken und auch für den Einsatz nicht erwerbsmäßig tätiger
Pflegepersonen (§ 19 SGB XI) - etwa aus dem Bereich der Familie oder der Nachbarn - Pflegegeld zu
gewähren, dessen Höhe pauschaliert nach dem Ausmaß der Inanspruchnahme dieser Pflegepersonen zu
bemessen ist. Deshalb zählt eine zwangsläufig anfallende Wartezeit, während der der Pflegebedürftige vom Arzt untersucht wird oder sich ärztlich angeordneten Maßnahmen in der Arztpraxis unterzieht, zum
berücksichtigungsfähigen Bedarf, da die Pflegeperson während dieser Zeit im allgemeinen keiner Tätigkeit nachgehen kann, der sie sich widmen würde, wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde.
Hierdurch werden beim Kläger jedoch nicht die für die Pflegestufe II erforderlichen zeitlichen
Mindestvoraussetzungen erfüllt. Denn der Aufenthalt in einer Arztpraxis kann, soweit im einzelnen Fall keine Besonderheiten vorliegen, generell nur mit einem Zeitwert von 30 bis 45 Minuten angesetzt werden. Die tatsächliche Aufenthaltsdauer ist zwar oft von zahlreichen, im einzelnen nicht vorhersehbaren Faktoren abhängig. Wenn der Pflegebedürftige - wie dies hier nach den Feststellungen des LSG der Fall ist - in kürzeren Zeitabständen regelmäßig die Arztpraxis aufsuchen muß, ist die für den einzelnen Besuch
erforderliche Aufenthaltsdauer jedoch erfahrungsgemäß kürzer als bei unregelmäßigen und seltenen
Arztbesuchen, da das Behandlungsprogramm im wesentlichen feststeht. Ein Zeitwert von 30 bis 45 Minuten erscheint daher hier angemessen und ausreichend, durch eine entsprechende Organisation des Besuchs im Zusammenwirken von Arzt und Patient kann erreicht werden, daß er auch tatsächlich eingehalten wird. Da der Kläger die Arztpraxis zweimal wöchentlich aufsucht, ergibt sich somit pro Tag im Wochendurchschnitt eine zusätzliche Belastung von ca 13 Minuten (90 Minuten geteilt durch 7). Addiert man diesen Wert zu dem vom LSG festgestellten Zeitaufwand von 80 Minuten, so ergibt sich im Bereich der Grundpflege ein zeitlicher Bedarf von 93 Minuten. Der nach § 15 Abs 3 Nr 2 SGB XI idF des 1. SGB XI-Änderungsgesetzes bzw nach § 15 Abs 3 SGB XI aF (iVm Nr 4.1.2 der PflRi) erforderliche Grenzwert von 120 Minuten für Hilfeleistungen der Grundpflege wird damit nicht erreicht.
4. Soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellungen des LSG zum zeitlichen Pflegebedarf bei den
Verrichtungen "Waschen, Duschen und Baden" sowie "Verrichten der Notdurft" mit der Revision angreift, begründet er den von ihm geltend gemachten höheren Zeitbedarf mit neuem Sachvortrag, ohne die einschlägigen tatsächlichen Feststellungen des LSG mit zulässigen Verfahrensrügen anzugreifen. Das
Bundessozialgericht (BSG) ist insoweit gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die
Feststellungen des LSG gebunden. Im einzelnen ergibt sich folgendes: Das LSG hat im Bereich "Waschen, Duschen und Baden" den Pflegeaufwand nur deshalb mit zweimal täglich 7 Minuten angesetzt, weil der Kläger nach den eigenen und den Angaben der Sachverständigen nicht für die gesamte Verrichtung Hilfe benötigt, sondern lediglich für das Zurechtlegen des Waschzeugs und die Kontrolle des Wascherfolges. Bei der Verrichtung der Notdurft ist der Hilfebedarf nach den genannten Angaben bei bekannten Toiletten auf eine Kontrolle der Sauberkeit der Toilette beschränkt. Soweit der Kläger im Bereich der Freizeitgestaltung für ihn fremde Toiletten benutzt, kommt eine Berücksichtigung des zusätzlichen Pflegeaufwandes nicht in Betracht. Von daher ist der geringe Zeitansatz nicht zu beanstanden. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die vom LSG zugrunde gelegte Frequenz der täglichen Toilettenbenutzung mit viermal zu gering angesetzt
ist, kann sich hieraus ein Anspruch auf Einstufung in die Pflegestufe II nicht ergeben. Bei einer Erhöhung
der Frequenz auf achtmal täglich ergäbe sich hieraus ein Mehrbedarf von 8 Minuten (zusätzlich viermal 2
Minuten); die Zeitgrenze von 120 Minuten für Hilfeleistungen der Grundpflege würde weiterhin verfehlt. Aus der Notwendigkeit des nächtlichen Wasserlassens kann nicht geschlossen werden, daß ein zusätzlicher Hilfebedarf zu berücksichtigen ist. Das LSG hat ausgehend von dem von ihm zugrundegelegten Sachverständigengutachten insoweit einen Hilfebedarf nicht festgestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.