Leitsatz : 

1. Aus Einzel - GdB von 60 und 40 kann ein Gesamt - GdB von 80 gebildet werden.

2. Wer darauf angewiesen ist PKW- Türen besonders weit zu öffnen, hat deswegen noch keinen Anspruch auf den Nachteilsausgleich "aG".
 
 

S O Z I A L G E R I C H T    D Ü S S E L D O R F

Verkündet am 25.09.2000

Az.: S 31 SB 450/99

I


 

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz - SchwbG - um die Höhe des Grades der Behinderung- GdB und um den Nachteilsausgleich "außergewöhnlich gehbehindert" - aG -.

Bei der 1959 geborenen Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 25.11.1997 einen Gesamt-GdB von 50 festgestellt.

Im Januar 1999 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag, mit dem sie eine Bescheinigung der praktischen Ärztin D.Sch. zur Akte reichte. Mit dem Antrag begehrte die Klägerin auch die Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG".

Mit Bescheid vom 07.06.1999 stellte der Beklagte bei der Klägerin den Nachteilsausgleich "erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" - G - fest. Den Gesamt-GdB beließ der Beklagte bei 50. In der internen Stellungnahme des ärztlichen Beraters des Beklagten wird dabei von folgenden Behinderungen ausgegangen:
 

1. Rheumatoide Arthritis (GdB 50).

2. Depressives Syndrom (GdB 20).
 

Gegen den Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie eine weitere Bescheinigung ihrer praktischen Ärztin D.Sch. zur Akte reichte.

Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht von dem Orthopäden Dr. K. ein und wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 26.10.1999 als sachlich unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 24.11.1999 bei Gericht eingegangene Klage, mit der die Klägerin vorträgt, sie sei vergleichbar behindert wie der Personenkreis der Doppelbeinamputierten. Deshalb müsse auch der Nachteilsausgleich "aG" festgestellt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 07. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1999 zu verurteilen, eine n Gesamt-GdB von 80 und den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung ein für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstattetes Gutachten von dem Orthopäden Dr. K. beigezogen sowie medizinische Gutachten von dem Orthopäden Dr. P. und der Neurologin Frau Dr. L. eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird

auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
 
 
 
 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit beschwert, als ein Gesamt-GdB von 80 festzustellen ist. Soweit die Klägerin den Nachteilsausgleich "aG" begehrt, ist die Klägerin dagegen nicht beschwert, denn der insoweit ablehnende Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig.

Das Gericht verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen der GdB zu bilden ist, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften ist in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin gegenüber dem maßgeblichen Vorbescheid eine so wesentliche Änderung eingetreten, dass der Gesamt-GdB nunmehr mit 80 zu bewerten ist. Die Kammer folgert dies aus den hinsichtlich der Bildung der Einzelgrade der Behinderung schlüssigen und nachvollziehbar begründeten Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Frau Dr. L. und Dr. P.

Nach dem Gutachten der Neurologin Dr. L. leidet die Klägerin an einer somatisierten Depression mit Phobien bei chronischer Polyarthritis. In ihrem Gutachten hat die Sachverständige darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin trotz regelmäßiger ambulanter Psychotherapie eine Linderung der Symptome nicht erzielt werden konnte. Insgesamt hat die Sachverständige ein Krankheitsbild beschrieben, das nach 26.3 der "Anhaltspunkte" einer stärker behindernden psychischen Störung entspricht. Derartige Gesundheitsstörungen rechtfertigen einen GdB von 40.

Auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet leidet die Klägerin an einer rheumatoiden Arthritis. Der Sachverständige Dr. P. hat bei der Klägerin erhebliche Funktionseinbußen von Dauer mit deutlichen Beschwerden festgestellt. Die "Anhaltspunkte" sehen auf S. 135 für eine so ausgeprägte Arthritis wie bei der Klägerin einen GdB von 50 bis 70 vor. Es ist daher gerechtfertigt, hier den Mittelwert von 60 anzusetzen.

Soweit der Sachverständige Dr. P. aus den so ermittelten Einzelgraden der Behinderung von 60 und 40 einen Gesamt-GdB von 70 bildet, folgt die Kammer dem Sachverständigen nicht. Vielmehr ist hier ein Gesamt-GdB von 80 festzustellen. Die "Anhaltspunkte" sehen unter Punkt 19 vor, dass ausgehend vom höchsten Einzel-GdB zu prüfen ist, inwieweit weitere Behinderungen zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führen. Dabei darf eine Addition der einzelnen Behinderungsgrade nicht vorgenommen werden. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die psychische Behinderung zwar durch die orthopädische Behinderung bedingt ist, es hat sich hier jedoch ein eigenständiges Krankheitsbild entwickelt, das unabhängig vom orthopädischen Leiden besteht und das den Gesamtleidenszustand erheblich erhöht. Die psychische Erkrankung kann daher nicht nur zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB um 10 führen, sondern muss in größerem Umfang Berücksichtigung bei der Bildung des Gesamt-GdB finden.

Dagegen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung des Nachteilsausgleichs "aG". Auch hier verweist die Kammer hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen dieser Nachteilsausgleich festzustellen ist, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die Klägerin erfüllt die im Widerspruhsbescheid genannten Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" nicht. Die Klägerin ist nämlich nicht so gehbehindert, wie der in der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung aufgeführte Personenkreis. So ist die Klägerin noch nicht ständig auf einen Rollstuhl angewiesen und kann auch nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. P. noch kürzere Wegstrecken zu Fuß zurücklegen. Der Sachverständige hat letzteres dadurch nachgewiesen, dass bei der Klägerin eine unauffällige Unterschenkelmuskulatur beiderseits und noch eine vergleichsweise gute röntgenologische Situation beider Kniegelenke besteht. Es ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin noch Wegstrecken von mehreren 100 Metern zu Fuß zurücklegen kann. Sie ist damit besser gestellt als z.B. die Vergleichsgruppe der beidseitig Beinamputierten.

Soweit die Klägerin vorträgt, beim Ein- und Aussteigen aus ihrem PKW die Autotür vollständig öffnen zu müssen, was nur auf Behindertenparkplätzen möglich ist, führt dies nicht zur Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG", denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung ist nur auf die Gehfähigkeit abzustellen. Andere Gesichtspunkte wie die Notwendigkeit, Autotüren weit öffnen zu müssen, finden in der Verordnung keine Berücksichtigung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 
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Der in der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung aufgeführte Personkreis der Doppelunterschenkelamputierten ist noch in der Lage Wegstrecken von 200 Metern zu Fuß zurückzulegen. Personen die vergleichbar gehbehindert sind haben daher Anspruch auf den Nachteilsausgleich "aG"   

 

S O Z I A L G E R I C H T    D Ü S S E L D O R F

 

Verkündet am 08.09.2000

Az.: S 31 SB 252/99

 

Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 30.03.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.1999 den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen.

Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
 
 
 

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz - SchwbG - um den Nachteilsausgleich "aG".

Die 1936 geborene Klägerin beantragte im Mai 1997 beim Beklagten die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung - GdB - und den Nachteilsausgleich "aG".

Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht von dem praktischen Arzt Dr. P. nebst Berichten der Werner-Wicker-Klinik ein und erteilte unter dem 20.11.1998 einen Bescheid, wonach der GdB 80 beträgt und die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" vorliegen. Der begehrte Nachteilsausgleich "aG" wurde mit dem Bescheid versagt. Nach der internen Stellungnahme des ärztlichen Beraters des Beklagten liegen bei der Klägerin folgende Behinderungen vor:

1. Wirbelsäulenfehlhaltung, Lumbalstenose, operative Behandlung mit Versteifung Th 11 bis S1, wiederholte Wirbelsäulenoperation (GdB 70.

2. Krampfadern (GdB 10).

3. Gallenblasenentfernung, Darmoperation (GdB 10).

4. Rückfällige Unterbauchbeschwerden (GdB 10).

5. Ellenbogenreizung, Reizerscheinungen (GdB 10).

6. Niedriger Blutdruck mit Reizleitungsstörung des Herzens (GdB 10).

7. Harnblasenschließmuskelschwäche (GdB 30).
 
 
 

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie ausführte, sie sei vergleichbar behindert mit dem Personenkreis der in der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung aufgeführt sei.

Der Beklagte holte daraufhin einen weiteren Befundbericht von dem Orthopäden Dr. W. ein und erteilte unter dem 30.03.1999 einen Abhilfebescheid, mit dem der Gesamt-GdB auf 100 angehoben wurde. In der internen Stellungnahme des ärztlichen Beraters des Beklagten wurde der Behinderungskatalog nun wie folgt geändert:

7. Harnblasen- und Afterschließmuskelschwäche nach Wirbelsäulenoperation (GdB 50).

Mit Bescheid vom 14.05.1999 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "aG" als sachlich unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 08. Juni 1999 bei Gericht eingegangene Klage.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 20.10.1998, 30.03.1999 und 14.05.1999 den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung einen Befundbericht von dem Orthopäden Dr. W. und ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. V. eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
 
 
 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes
- SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig. Das Gericht verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen der Nachteilsausgleich "aG" zu gewähren ist, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften hat die Klägerin Anspruch auf den begehrten Nachteilsausgleich. Die Klägerin ist nämlich mindestens so gehbehindert, wie der in der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung aufgeführte Personenkreis der Doppelunterschenkelamputierten oder der zugleich Unterschenkel- oder Armamputierten. Nach den übereinstimmenden Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. V. und des behandelnden Orthopäden Dr. W. kann die Klägerin nämlich nur noch Wegstrecken zwischen ein- und Zweihundert Metern zu Fuß zurücklegen. Damit ist die Klägerin deutlich stärker gehbehindert als z.B. ein prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamutierter. Die Kammer folgert dies aus übereinstimmenden Auskünften der Bundesfachschule für Orthopädie-Technik und der Firma Otto Bock, Orthopädische Industrie, Duderstadt, die das Gericht in einem anderen Schwerbehindertenverfahren eingeholt hat und die den Beteiligten zugänglich gemacht wurden. Nach dieser Auskunft können beidseitig Unterschenkelamputierte noch Wegstrecken von mehreren 100 Metern zu Fuß zurücklegen. Da das Bundessozialgericht in seiner neueren Rechtsprechung ausdrücklich nochmals betont hat, dass jede in der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung aufgeführte Gruppe als Vergleichsmaßstab herangezogen werden kann, besteht kein Anlass, der Klägerin den Nachteilsausgleich zu verweigern (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1997 - 9 RVs 16/96, SozR. 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 22; VdK Kommentar zu den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (...) nach dem Schwerbehindertengesetz, Punkt 31 Anm. 7, S. 300 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Zwar gehen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit unter Punkt 31 davon aus, dass am ehesten als Vergleichsmaßstab das Gehvermögen eines beidseitig Oberschenkelamputierten heranzuziehen ist, das Gericht hält jedoch diese Vorschrift hier für nicht anwendbar. Die "Anhaltspunkte" genießen nur insoweit Normcharakter, als sie als antizipiertes Sachverständigengutachten Behinderungsgrade für dort aufgeführte Erkrankungen festlegen. Soweit die "Anhaltspunkte" gesetzliche Vorschriften kommentieren (z.B. unter den Punkten 24, 25, 30 bis 34) stellen die "Anhaltspunkte" lediglich eine Verwaltungsvorschrift dar, an die die Gerichte nicht gebunden sind. Diese Verwaltungsvorschrift ist hinsichtlich des Vergleichs mit Doppeloberschenkelamputierten vor dem Hintergrund zu sehen, dass dieser Vergleich in der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts noch herangezogen wurde. Die 1995 verfassten "Anhaltspunkte 1996" konnten nur diese inzwischen durch die oben genannte Rechtsprechung geänderte Auffassung des Bundessozialgerichts wiedergeben.

Unabhängig davon ist aber auch die in den "Anhaltspunkten" geäußerte Meinung, der Nachteilsausgleich "aG" sei nur zu gewähren, wenn das Gehvermögen so eingeschränkt sei, wie bei Dooppeloberschenkelamputierten mit dem eindeutigen und völlig unmissverständlichen Wortlaut der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung nicht in Einklang zu bringen. Dort ist nämlich ausdrücklich ein bestimmter Personenkreis aufgeführt, dem grundsätzlich der begehrte Nachteilsausgleich ohne weitere Prüfung der Gehfähigkeit zuzubewilligen ist. Würde man also dem Doppelunterschenkelamputierten den begehrten Nachteilsausgleich gewähren, dem in gleicher Weise in seiner Bewegungsfähigkeit behin derten nicht Doppelunterschenkelamputierten dies aber verweigern, so wäre dies nicht nur ein Verstoß gegen den Wortlaut der Vorschrift, sondern auch ein klarer Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes, der es gebietet, gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 
 
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S O Z I A L G E R I C H T   D Ü S S E L D O R F


Verkündet am 25.09.2000

Az.: S 31 SB 38/00
 
 

  T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz - SchwbG - um den Nachteilsausgleich "außergewöhnlich gehbehindert" - aG -.

Der 1927 geborene Kläger beantragte im Juli 1999 beim Beklagten den Nachteilsausgleich "aG". Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte von dem Internisten Dr. E., dem Kardiologen Dr. H., dem Orthopäden Dr. A. und dem Neurologen

Dr. T. ein und erteilte unter dem 23.09.1999 einen Bescheid, mit dem der Beklagte den begehrten Nachteilsausgleich ablehnte.

Nach der internen Stellungnahme des ärztlichen Beraters des Beklagten liegen beim Kläger folgende Behinderungen vor:
 
 

1.) Herz- und Kreislaufstörungen, vegetative Dystonie, Herzythmusstörungen, GdB 20

2.) Narben nach wiederholten Leistenbruchoperationen, GdB 20

3.) vergrößerte Vorsteherdrüse, Blasenentleerungsstörungen, GdB 10

4.) Degenerative WS- und Gelenkveränderungen, Hüftgelenkserseatzoperation re., GdB 40

5.) Erblindung des li. Auges, Sehbehinderung mit Gesichtsfeldeinschränkung rechts, GdB 90

6.) Parkinson'sche Krankheit, GdB 50

Der Gesamt-GdB beträgt beim Kläger 100. Außerdem stellte der Beklagte weiterhin die Nachteilsausgleiche "G", "B" und "RF" fest.

Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, er sei im September und Oktober im Dominikus-Krankenhaus in Düsseldorf-Heerdt wegen einer Venenentzündung behandelt worden. Seitdem sei er nicht mehr in der Lage, sich ohne fremde Hilfe auf der Straße fortzubewegen.

Der Beklagte zog daraufhin einen Entlassungsbericht des Dominikus-Krankenhauses Heerdt bei und wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 03.01.2000 als sachlich unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 01.02.2000 bei Gericht eingegangene Klage, mit der der Kläger vorträgt, seine Gehbehinderung verschlimmere sich ständig und er könne nur noch wenige Schritte weit gehen.
 

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 23. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2000 den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen.

hilfsweise,

                                    ein orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Beklagte beantragt,
 

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung ein Gutachten von dem Neurologen Dr. R. eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
 
 
 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.

Das Gericht verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen der Nachteilsausgleich "aG" zu vergeben ist, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 03.01.2000.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften hat der Kläger keinen Anspruch auf den begehrten Nachteilsausgleich. Die Kammer folgert dies aus dem schlüssigen und nachvollziehbar begründeten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. R. Der Sachverständige hat zwar beim Kläger ein ausgeprägtes Krankheitsbild festgestellt, bei dem ein generalisiertes Parkinson-Syndrom und eine Erblindung des linken Auges bei Sehbehinderung rechts im Vordergrund stehen. Allerdings hat der Sachverständige in seinem Gutachten auch dargelegt, dass der Kläger trotz seiner Behinderungen noch in der Lage ist, eine Wegstrecke von 500 bis 650 Metern zu Fuß zurückzulegen. Damit erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für den begehrten Nachteilsausgleich "aG" nicht. Der in der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung aufgeführte Personenkreis ist nämlich entweder überhaupt nicht mehr in der Lage, Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen oder aber nur noch in der Lage, Wegstrecken von wenigen Metern zu Fuß zurückzulegen. Bei einer Wegstrecke von 650 Metern sieht die Kammer keine Gehbehinderung mehr, die so ausgeprägt wäre, wie die der in der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung aufgeführten Vergleichsgruppe.

Die erhebliche Sehbehinderung des Klägers ist ebenfalls nicht geeignet, den Nachteilsausgleich "aG" zu begründen, denn nach dem Wortlaut der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung erhalten nur gehbehinderte, nicht aber orientierungsgestörte Personen den Nachteilsausgleich (so auch der Sachverständigenbeirat beim Bundesminister für Arbeit in seinem Protokoll der Sitzung von Oktober 1983). Auch die beim Kläger bestehenden degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenksveränderungen sowie die Hüftgelenkserkrankung des Klägers sind nicht so gravierend, dass hierdurch der Nachteilsausgleich "aG" begründet werden könnte. Dies kann die Kammer schon daraus schließen, dass die Ehefrau des Klägers bei der Untersuchung beim Sachverständigen selbst eine zurücklegbare Wegstrecke von über 600 Metern angegeben hat. Außerdem hat der Sachverständige den Kläger beim Gehen beobachtet und dies in seinem Gutachten ausführlich geschildert. Deshalb sieht die Kammer auch keine Veranlassung, ein orthopädisches Gutachten einzuholen. Auch von einer in Augenscheinnahme des Klägers - wie sie der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt hat - verspricht sich die Kammer keine weitere Aufklärung des Sachverhalts. Durch eine Inaugenscheinnahme könnte lediglich festgestellt werden, was der Kläger objektiv kann, nicht aber, was der Kläger objektiv nicht kann, d.h., wenn der Kläger vor Gericht demonstrieren würde, dass er nur noch 10 bis 20 Meter weit gehen könnte, so hätte dies keinen Beweiswert.

Zwar hätte die Kammer dem Kläger gerne Gelegenheit gegeben, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat jedoch mit Schreiben vom 31. Juli 2000 ausdrücklich um einen Termin im September 2000 gebeten. Nachdem sich dann das Gericht bemüht hat, dem Anliegen des Klägers nachzukommen, hat der Kläger dann mitgeteilt, er stehe im September nicht zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt war der Rechtsstreit aber bereits geladen und konnte nicht mehr aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 
 
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 LSG NRW - Urteil vom 19.06.2001
AZ.:L 6 SB 32/01
 

Leitsatz: Blinde haben in der Regel keinen Anspruch auf den Nachteilsausgleich "aG" (Parkerlaubnis auf Behindertenparkplätzen)
 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich außergewöhnliche Gehbehinderung (Merkzeichen "aG").

Die 1956 geborene Klägerin ist seit ihrer Jugend blind.

Mit Bescheid vom 09.01.1981 hatte das Versorgungsamt Hamburg unter Zugrundelegung der Behinderung "Blindheit" einen GdB von 100 sowie die Nachteilsausgleiche erhebliche Gehbehinderung (Merkzeichen "G"), Notwendigkeit ständiger Begleitung (Merkzeichen "B"), Blindheit ("Bl"), Hilflosigkeit ("H") und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Merkzeichen "RF") festgestellt. Das Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung wurde ausdrücklich nicht festgestellt.

1995 stellte das Versorgungsamt H. der Klägerin einen "1. Ersatzausweis" mit den Eintragungen GdB 100, Merkzeichen: G, H, Bl, RF, gültig ab 03.01.1980, aus.

Am 28.02.2000 beantragte die Klägerin die Feststellung des Merkzeichens "aG" unter Bezugnahme auf ihre Blindheit, Orientierungs- und Gleichgewichtsstörungen. Das Versorgungsamt D. holte einen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. C. ein und lehnte die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" mit Bescheid vom 18.05.2000 ab.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, mit dem sie geltend machte, dass sie auch ohne körperliche Schäden dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen sei. Denn als "Vollblinde" ohne jede Orientierungsmöglichkeit sei sie nicht in der Lage, sich im Straßenverkehr ohne fremde Hilfe zu bewegen. Im Ergebnis sei dieser Sachverhalt nicht anders zu bewerten, als wenn sie wegen einer Lungenerkrankung kaum Atemluft bekäme. In beiden Fällen sei das Ziel, irgendwohin zu kommen, nicht oder nur unter schwersten Anstrengungen zu erreichen. An dem Merkzeichen "aG" habe sie auch ohne Auto und Bedarf für eine Parkerleichterung deshalb ein Interesse, weil manche Fahrdienste (z.B. das Rote Kreuz) nur Personen mit diesem Merkzeichen mitnähmen.

Das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2000 zurück. Nach der Rechtsprechung seien für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung lediglich eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht Bewegungsbehinderungen anderer Art maßgeblich.

Die Klägerin hat gegen die ablehnenden Bescheide der Versorgungsverwaltung Klage erhoben.

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2000 zu verurteilen, den Nachteilsausgleich "aG" festzustellen.

Der Beklagte hat schriftsätzlich keinen Antrag gestellt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.01.2000 abgewiesen. Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG", der nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift an eine entsprechende Einschränkung der Bewegungsfähigkeit gebunden sei, die bei der Klägerin unstreitig nicht vorliege. Die aus der Blindheit resultierende Behinderung in der Orientierungsfähigkeit werde mit dem bereits festgestellten Merkzeichen "B" ausgeglichen.

Die Klägerin hat gegen den Gerichtsbescheid Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie beruft sich auf die Vorschrift des § 60 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG), die anerkenne, dass bei Blinden Störungen der Orientierungsfähigkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit führten. Die für einen Blinden fehlende Möglichkeit, sich in einer fremden Umgebung ohne fremde Hilfe zu orientieren, müsse bei sachgerechter Ermessensausübung des Beklagten zu einer Gleichstellung mit z.B. Querschnittsgelähmten führen. Es sei nicht richtig, lediglich auf Störungen des Bewegungsapparates abzuheben. Deshalb stehe es ihrem Begehren nicht entgegen, dass sie außer der Blindheit keine körperlichen Gebrechen habe. Dass ihre Überlegungen nicht so abwegig sein könnten, zeige der Umstand, dass über viele Jahre ihr Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" aufgewiesen habe und erst in ihrem zuletzt ausgestellten Ausweis dieses Merkzeichen nicht mehr aufgenommen worden sei. Zudem sei die Verwaltungspraxis hinsichtlich des Merkzeichens "aG" bei Blinden uneinheitlich. Ihr seien Kriegsblinde ohne weitergehende körperliche Schädigung bekannt, deren Schwerbehindertenausweise das Merkzeichen "aG" enthielten.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.01.2001 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2000 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "außergewöhnliche Gehbehinderung" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf für zutreffend. Soweit die Klägerin vortrage, dass Kriegsblinden generell das Merkzeichen "aG" zuerkannt werde, sei ihm hiervon nichts bekannt. Der Vortrag der früheren Zuerkennung des begehrten Merkzeichens lasse sich nach dem vorliegenden Akteninhalt nicht bestätigen. Der Beklagte hat die Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Beiratsbeschluss) vom 23.11.1983 vorgelegt, der eine Entschließung zur Verwaltungspraxis einzelner Bundesländer bezüglich des Eintrags "aG" im Ausweis von Blinden beinhaltet.

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zitierten Unterlagen, den Inhalt der zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
 
 

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, da sie in der Terminsbenachrichtigung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Der Senat konnte auch in der Sache entscheiden. Der Beklagte ist nach Auflösung des Landesversorgungsamtes zum 01.01.2001 durch die Bezirksregierung Münster ordnungsgemäß im Sinne des § 71 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vertreten Urteil des Senats vom 30.01.2001 - L 6b SB 100/99 -; Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.06.2001 - B 9 V 5/99 R -).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG".

Nach § 4 Abs. 4 SchwbG hat des Versorgungsamt die Voraussetzungen für diesen Nachteilsausgleich festzustellen und das Merkzeichen "aG" in den Schwerbehindertenausweis einzutragen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Ausweisverordnung zum Schwerbehindertengesetz - SchwbAwV -). Wer als außergewöhnlich gehbehindert anzusehen ist, ergibt sich nicht aus dem Schwerbehindertenrecht, sondern aus § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), auf den § 3 Abs. 1 Nr. 1 SchwbAwV verweist, i.V.m. Nr. 11, II 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Dazu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.

Zu diesem im Einzelnen aufgeführten Personenkreis gehört die Klägerin nicht. Sie kann diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden. Denn entgegen der Rechtsansicht der Klägerin kommt es nach den maßgeblichen Vorschriften allein auf die Einschränkung der körperlichen Fähigkeit zu gehen und nicht auf Bewegungseinschränkungen anderer Art an. Es reicht nicht aus, dass die Behinderte aus anderen Gründen, z.B. aufgrund eines gestörten Orientierungsvermögens, ein gewünschtes Ziel nicht allein erreichen kann. Gerade für Blinde ergibt sich dies bereits aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften. Denn sowohl § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG als auch die Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO führen ausdrücklich einerseits Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung und andererseits Blinde auf. Wären - entsprechend der Meinung der Klägerin - Blinde bereits aufgrund ihrer fehlenden Orientierungsfähigkeit als außergewöhnlich gehbehindert einzustufen, so hätte sich ihre zusätzliche ausdrückliche Erwähnung im Gesetzestext erübrigt. Dementsprechend ergibt sich aus der Begründung zu § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, dass die für außergewöhnlich Gehbehinderte eingeräumten Parkvorrechte auch für Blinde gelten sollen ( vgl. Jagosch/Hentschel, Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, § 6 StVG Rn. 22c). Auch diese erklärte Absicht der Gleichbehandlung würde keinen Sinn ergeben, wenn der Gesetzgeber Blinde bereits als außergewöhnlich Gehbehinderte angesehen hätte.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits 1985 entschieden, dass Behinderte mit einem gestörten Orientierungsvermögen keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens "aG" haben und bei dieser Frage allein auf die Behinderungen beim Gehen abzustellen sei (Urteil vom 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 -). Mit diesem Urteil, das der Klägerin vom Beklagten bereits als Anlage zum Schriftsatz vom 26.04.2000 zur Verfügung gestellt worden ist, hatte das Bundessozialgericht eine entgegenstehende (den Vorstellungen der Klägerin entsprechende) Entscheidung des Landessozialgerichts Stuttgart aufgehoben. Das Bundessozialgericht hat sich in dieser Entscheidung auch mit der von der Klägerin argumentativ herangezogenen Regelung des § 60 SchwbG zur erheblichen Gehbehinderung befasst, ist jedoch zur entgegengesetzten Schlussfolgerung gelangt. Es hat darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Regelung zur außergewöhnlichen Gehbehinderung abweichend von den Regelungen zur erheblichen Gehbehinderung (damals §§ 57, 58 SchwbG) Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht als maßgeblich aufgeführt hat. Dies bedeutet auch nach Auffassung des Senats, dass aus der Existenz der umfassenderen Regelung des § 60 SchwbG der Umkehrschluss zu ziehen ist, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung bezüglich der außergewöhnlichen Gehbehinderung in § 6 StVG gerade nicht treffen wollte (vgl. BSG, Urteil vom 06.11.1985 a.a.0.).

Hinsichtlich des von der Klägerin geschilderten Klageinteresses (Teilnahme an Fahrdiensten) ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen seiner Regelungsbefugnis hinsichtlich der Parkplatzsituation für eine Gleichstellung von Blinden mit außer gewöhnlich Gehbehinderten entschieden hat. Dementsprechend bleibt es den einzelnen Wohlfahrtsverbänden im Rahmen ihrer Entscheidungskompetenz überlassen, ob sie bei der Durchführung von Fahrdiensten eine vergleichbare Entscheidung treffen wollen oder nicht.

Der weitere Vortrag der Klägerin, dass nach ihrer Kenntnis Kriegsblinde ohne weitergehendere körperliche Schädigung das Merkzeichen "aG" im Ausweis eingetragen bekommen hätten, konnte ebenfalls zu keiner anderen Entscheidung führen. Eine entsprechende gesetzliche Grundlage für solche Entscheidungen ist nicht ersichtlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob entsprechende Eintragungen erfolgt sind und ob diese gegebenenfalls auf eine in einzelnen Bundesländern in der Vergangenheit beim Vorliegen von Blindheit gehandhabten Verwaltungspraxis (vgl. vom Beklagten vorgelegter Beiratsbeschluss vom 23.11.1983) zurückzuführen sind. Denn der Umstand von rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsentscheidungen führt nicht dazu, dass Antragstellern in vergleichbaren Situationen ebenso rechtswidrig Leistungen gewährt werden müssen. Dies widerspräche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 16 - "keine Gleichheit im Unrecht" -). Bei den vorliegend einschlägigen Rechtsgrundlagen handelt es sich auch nicht um Vorschriften, die der Verwaltung einen Ermessensspielraum eröffnen, innerhalb dessen sie sich durch eine entsprechende Verwaltungspraxis selbst gebunden hätte.

Der von der Klägerin vorgetragene Umstand, früher im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem eingetragenen Merkzeichen "aG" gewesen zu sein, kann ebenfalls nicht den geltend gemachten Anspruch begründen. Aus der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, die auch den Vorgang des damals zuständigen Versorgungsamtes Hamburg enthält, sind keine Unterlagen ersichtlich, die den Vortrag der Klägerin bestätigen. Aber auch die Unterstellung eines Ausweises mit der von der Klägerin behaupteten Eintragung könnte nicht zur Begründetheit der Berufung führen. Denn eine solche Eintragung, für die es - wie ausgeführt - keine Rechtsgrundlage gibt und die dem Inhalt des aktenkundigen Bescheides des Versorgungsamtes Hamburg vom 09.01.1981 widerspricht, wäre unter Berücksichtigung der in § 4 Abs. 5 Satz 2 SchwbG geregelten Funktion des Schwerbehindertenausweises als "Nachweis für die Inanspruchnahme von ... Nachteilsausgleichen" nicht geeignet, einen entsprechenden Anspruch zu begründen. Das Bundessozialgericht geht von einer Beweiskraft des Schwerbehindertenausweises als einer Urkunde gemäß § 417 der Zivilprozeßordnung (ZPO) aus und davon, dass nach dieser Vorschrift die öffentliche Urkunde nur den vollen Beweis ihres Inhalts und nicht auch den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, wie in § 418 Abs. 1 ZPO normiert, begründet (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 21). Nach BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 16 kennt das Verwaltungsrecht eine Bindung der Behörde allein aufgrund früher gewährter rechtsgrundloser Leistungen im Allgemeinen nicht. Dies widerspräche auch dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (BSG a.a.0.).

Zu einer anderen Rechtsfolge führt auch nicht die Ausweisverordnung zum Schwerbehindertengesetz (SchwbGAwV) vom 03.04.1984 (BGBl. I S. 509). Denn es wäre zu berücksichtigen, dass die Gültigkeit von Ausweisen gemäß § 6 Abs. 2 SchwbGAwV für die Dauer von längstens fünf Jahren zu befristen ist und der gemäß § 7 Abs. 1 SchwbGAwV und nach dem Sozialgesetzbuch (Teil X) grundsätzlich zu beachtende Vertrauensschutz nicht weiter als die Gültigkeit des Ausweises reichen kann.

Dem steht nicht die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29.01.1992 (Az.: 9a RVs 9/90) entgegen - in der dieses von der Bindungswirkung eines fehlerhaft erfolgten Eintrags im Schwerbehindertenausweis ausgegangen ist -, da diese Entscheidung sich auf die - vorliegend nicht eingreifende - Bindungswirkung gemäß § 4 Abs. 2 SchwbG bezieht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Es hat kein Anlaß bestanden, die Revision zuzulassen.
 
 

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---------------------------------------------------------------------------------------------------------LANDESSOZIALGERICHT NORDRHEIN-WESTFALEN Urteil vom 31.10.2000
Az.: L 6 SB 67/00




Tatbestand

Streitig ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen
für den Nachteilsausgleich der außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen "aG").

Die Klägerin ist 1941 geboren. Sie leidet an der Erkrankung multiple Sklerose. Aufgrund eines 
Verschlimmerungsantrages wurde bei ihr mit Bescheid vom 27.06.1994 ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 festgestellt. Neben dem bisher bereits zuerkannten Merkzeichen "G" wurden die Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" bejaht. Der Gesamt-GdB wurde aufgrund folgender einzelner Behinderungen gebildet:

1) Organisches Nervenleiden
Einzel-GdB 70
2) Verschleißerscheiungen an den Hüftgelenken,
Schultergelenksentzündung links, Seitverbiegung der
Wirbelsäule, Krampfadern beider Beine
Einzel-GdB 30
3) Blutunterdruck
Einzel-GdB 10
4) Sehbehinderung beidseits mit Gesichtsfeldeinengung
Einzel-GdB 40.


Im Juni 1996 beantragte die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG". Da das Versorgungsamt aufgrund beigezogener Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin das Ausmaß der Gehbehinderung nicht beurteilen konnte, 
wurde eine Untersuchung veranlasst. Prof. Dr. B., erstellte unter dem Datum vom 06.01.1998 ein 
wissenschaftlich- nervenärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand der Klägerin aufgrund einer 
neurologisch-psychiatrischen Untersuchung vom 16.12.1997. Er beschrieb, dass das Gangbild der Klägerin insgesamt unsicher erscheine. Die Klägerin benutze rechtsseitig eine Unterarmgehstütze. Die Klägerin sei in der Lage, Gehstrecken von weniger als 1000 m noch selbstständig zurückzulegen. Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" lägen nicht vor.

Mit Bescheid vom 09.02.1998 lehnte das Versorgungsamt den Antrag der Klägerin ab. Die Auswirkungen der Behinderung der Klägerin seien funktionell nicht so schwerwiegend, dass die Fortbewegung beim Gehen auf das Schwerste entsprechend dem Personenkreis der Querschnittsgelähmten etc. eingeschränkt sei.

In ihrem Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass ihr eine Strecke von 1000 m große Mühe bereite, sofern ihr Allgemeinzustand dies überhaupt zulasse. Bei ihr bestehe eine starke Gangunsicherheit verursacht durch Schwindelgefühle und Mißempfindungen in den Beinen. Sie sei bereits mehrere Male auf der Straße zum Teil schwer gestürzt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1998 wies das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

In ihrer fristgerechten Klage hat die Klägerin ihr bisheriges Vor bringen wiederholt. Sie hat vorgetragen, eine Gehstrecke von 500 m bereite ihr große Mühe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom

09.02.1998 und des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1998
zu verurteilen, bei ihr ab 01.06.1996 das Vorliegen der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich 
"aG" festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat darauf verwiesen, dass die Klägerin nach dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten kurze und 
mittlere Wegstrecken zurücklegen könne. Nur im Falle eines akuten Schubes ihrer Erkrankung seien der 
Klägerin nur noch Wegstrecken von 100 bis 200 m möglich. Auch eine gelegentliche Sturzgefahr aufgrund eines phobischen Erlebens könne den Nachteilsausgleich "aG" nicht begründen.

Das Sozialgericht hat über die Gehfähigkeit der Klägerin Beweis erhoben durch Einholung eines 
nervenfachärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. H. vom 14.09.1999 sowie einer ergänzenden Stellungnahme des Gutachters vom 23.11.1999. Der medizinische Sachverständige hat eine außergewöhnliche 
Gehbehinderung bejaht, ohne sich mit den Bewertungskriterien, insbesondere einer Gleichstellung mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten auseinanderzusetzen. Er hat beschrieben, dass die Klägerin sich mit Hilfe eines rechtsgeführten Armkrückstocks fortbewege. Manch mal gehe sie mit zwei Stöcken, je nach Tagesform oder der Bedeutung des zurückzulegenden Weges. Beschrieben wird, dass die Klägerin etwas breitbeinig gehe, angedeutet paraspastisch, in langsamer Schrittfolge, mit rascher 
Ermüdbarkeit, langsam, vor sichtig.

Das Sozialgericht Köln hat der Klage mit Urteil vom 26.01.2000 stattgegeben. Der Beklagte ist zur Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" verurteilt worden. Das Gericht hat die Auffassung vertreten, dass die bei der Klägerin erhobenen Befunde es rechtfertigten, die Klägerin dem Personenkreis der Schwerbehinderten mit außergewöhnlicher Gehbehinderung gleichzustellen. Das Gericht ist der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. H., insbesondere in seiner ergänzenden Stellungnahme, gefolgt. Danach gehe die außergewöhnliche Gehbehinderung der Klägerin sowohl aus den vorrangigen neurologisch befunddokumentierten Merkmalen wie auch aus der inneren durch Angst in der phobischen Entwicklung gekennzeichneten Gangstörung hervor.

Gegen das ihm am 15. März 2000 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13.April 2000 Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, das Aus maß der Gehstörung sei nicht dauernd in dem Maße der heranzuziehenden Vergleichsgruppe eingeschränkt. Es sei zu unterscheiden zwischen der Einschränkung der Gehfähigkeit im akuten Schub der Erkrankung sowie außerhalb dieser Zeiträume. Außerhalb eines Schubs der multiplen Sklerose erfülle die Gehstörung nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung des Nachteilsausgleiches "aG".

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche 
Verhandlung erklärt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26.01.2000
abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Im Erörterungstermin vom 24.10.2000 hat die Klägerin erklärt, dass ihre maximale Wegstrecke 500 m betrage. Danach brauche sie auf jeden Fall eine längere Pause. Zum Gehen benutze sie in der Regel eine Gehstütze. Eine zweite Gehstütze sei erforderlich, wenn sie das linke Bein nachziehe. Dies komme durchschnittlich an 2 bis 3 Tagen in der Woche vor.

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin beigezogen. Der Orthopäde Dr. T. schätzt die mögliche Gehstrecke der Klägerin mit 500 m ein. Er verneint eine Gleichstellung mit dem Personenkreis der Querschnittsgelähmten etc. Der Neurologe N. verneint ebenfalls eine solche Gleichstellung und gibt nach den Unterlagen seiner Praxisvorgängerin eine Gehstrecke von max. 200 - 300 m an.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr 
Einverständnis erklärt haben (§ § 153 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz).

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Beklagten zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" verurteilt. Der ablehnende Bescheid vom 09.02.1998 und der Widerspruchsbescheid vom 13.10.1998 sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des beantragten Merkzeichens.

Nach dem Schwerbehindertenrecht hat das Versorgungsamt die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich festzustellen (§ 4 Abs. 4 Schwerbehindertengesetz - SchwbG) und das Merkzeichen "aG" in den Schwerbehindertenausweis einzutragen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Ausführungsverordnung Schwerbehindertentgesetz - SchwbAwV -). Der Personenkreis, der als außergewöhnlich gehbehindert anzusehen ist, wird nicht durch das Schwerbehindertenrecht festgelegt. Es verweist auf den durch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften definierten Begriff (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SchwbAwV i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Gemäß Nr. 11 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsvorschrift § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO) zählen zu diesem Personenkreis 
Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.

Die Klägerin gehört nicht zu diesem Personenkreis. Ihre Gehfähigkeit ist zwar sehr beeinträchtigt, aber noch nicht in dem Ausmaß der zuvor umschriebenen Personengruppe. Die Klägerin selbst hat im Erörterungstermin angegeben, dass ihr eine Wegstrecke von 500 m, wenn auch mit Mühe, möglich sei. Überwiegend benutzt die Klägerin eine Gehstütze. Ihre Gehfähigkeit ist demnach nur zeitweise derart eingeschränkt, dass sie überhaupt auf zwei Gehstützen angewiesen ist. Aber selbst mit diesen Hilfsmitteln besteht noch eine Gehfähigkeit in dem Ausmaß, dass eine Gehunfähigkeit nicht angenommen werden kann. In einem Beschluss vom 15. Februar 1995 (Az.: 9 BH Vs 1/94) hat das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, dass hohe Anforderungen an das Ausmaß der Gehbeeinträchtigung für die Zuerkennung des Merkezeichens "aG" zu stellen seien. Das BSG hat im dort entschiedenen Fall bei einer vorhandenen Gehfähigkeit von 200 m den Nachteilsausgleich "aG" abgelehnt.

Die von der Klägerin geltend gemachte allgemeine Gangunsicherheit führt nicht zu einer anderen 
Beurteilung. Auch die konkrete Gefahr eines Sturzes beinhaltet keine außergewöhnliche 
Gehbehinderung im Sinne der oben genannten Vorschriften. Die dauernde Gefahr des Eintretens 
einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit ist nicht mit einem Fortbestehen derselben 
gleichzuachten. So hat es das BSG entschieden (Urteil vom 29.01.1992 Az.: 9 a RVs 4/90). In diesem Urteil wurde einem Kind mit einem hirnorganischen Anfallsleiden und der ständigen Gefahr eines schweren Anfalls ohne vorhergehende Anzeichen das Merkzeichen "aG" versagt. Der Senat schließt sich der engen Auslegung der maßgeblichen Vorschriften an. Die Auswirkungen der Gehstörungen müssen funktional in Hinblick auf die Fortbewegung denen des Personenkreises der Vergleichsgruppe entsprechen.

Diese rechtlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich der außergewöhnlichen Gehbehinderung hat der Gutachter Prof. Dr. H verkannt. Die von ihm erhobenen medizinischen Befunde erfüllen die rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen nicht. Prof. Dr. H. hat eine rechtlich unzutreffende Bewertung vorgenommen, weil er bei der Beurteilung der Gehfähigkeit die Klägerin nicht mit dem in Nr. 11 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO genannten Personenkreis verglichen hat. Der Senat folgt aber den von ihm erhobenen medizinischen Befunden, die auch mit den Angaben der Klägerin übereinstimmen. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens ist daher nicht erforderlich. Der Sachverhalt ist bezüglich der Gefähigkeit der Klägerin - auch durch die von Prof. Dr. H. erhobenen Befunde - hinreichend geklärt. Das Sozialgericht hat diesem Sachverhalt nicht rechtlich zutreffend gewürdigt, indem es der unrichtigen rechtlichen Beurteilung durch Prof. Dr. H. gefolgt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe die Revision zuzulassen liegen nicht vor. Entscheidungserheblich ist ausschließlich eine 
Tatsachenfrage, nämlich das Ausmaß der Gehfähigkeit der Klägerin.
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Thüringer Landessozialgericht Urteil vom 14.03.2001 Az.: : L 5 SB 672/00

 

Zum Nachteilsausgleich “aG”

 

  Orientierungssätze:

  1. Treten nach wenigen Metern bereits Schmerzen auf, die sich entsprechend verstärken und nach 100 Metern ein weiteres Gehen nicht mehr zulassen, ist funktional ein Zustand erreicht der mit einem einseitig Oberschenkelamputierten vergleichbar ist, der dauernd außerstande ist ein Kunstbein zu tragen..
  2. Grundsätzlich kommt jede der in der VV zur STVO aufgeführte Behinderung als Vergleichsmaßstab in Betracht.
  3. Die Möglichkeit eine Wegstrecke von 100 m zu Fuß zurücklegen, steht der Gewährung des Nachteilsausgleichs „aG“ nicht entgegen.

 

  

T a t b e s t a n d:

 

Der 1934 geborene Kläger erstrebt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „aG“.

  Im Jahr 1991 beantragte der Kläger die Feststellung einer Behinderung und ihres Grades wegen der Folgen einer Kinderlähmung. 

Mit Bescheid vom 17. März 1992 stellte der Beklagte bei dem Kläger als Behinderung die Lähmung des rechten Beines mit Versteifung des Knie- und Sprunggelenkes bei einem Grad der Behinderung von 70 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „G“ fest. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb im Wesentlichen ohne Erfolg. Durch Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1993 wurden die Behinderungen wie folgt neu bezeichnet: „Funktionsbeeinträchtigung der rechten unteren Gliedmaße (Lähmung nach Poliomyelitis, Bewegungseinschränkung in Hüft- und Kniegelenk, Versteifung im Sprunggelenk, Beinverkürzung um 3 cm)“. Der weiter gehende Widerspruch wurde zurückgewiesen.

  Am 3. März 1999 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. In den letzten Jahren habe die Belastung des rechten Knies (bedingt durch die Wachstumsrückstände im rechten Bein und Verkürzung um 3 cm) zu Beschwerden geführt, die ihm ein längeres Gehen unmöglich machten. Nach 200 bis 300 Metern seien die Schmerzen so stark, dass eine längere Ruhepause notwendig sei. Auch Injektionen ins Kniegelenk hätten nur kurzfristige schmerzlindernde Wirkung.

  Der Beklagte ordnete eine versorgungsärztliche Begutachtung durch Dr. B. an. Dieser kam in seinem Gutachten vom 25. März 1999 zu dem Ergebnis, dass mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 die Höhe des GdB bereits maximal gewählt sei. Aus der Lähmung resultierende Fehlbelastungen der Gelenke mit Folgebeschwerden sowie Folgen der Korrekturgelenkeingriffe seien dabei inbegriffen. Ein höherer GdB sowie die Vergabe des Merkzeichens „aG“ seien nicht gerechtfertigt.

  Mit Bescheid vom 5. Mai 1999 lehnte der Beklagte den Verschlimmerungsantrag des Klägers im Hinblick auf das Ergebnis der versorgungsärztlichen Begutachtung ab.

  Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz – Ausgabe 1996 – (Anhaltspunkte 1996; AHP 1996) anzweifelte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1999 – abgesandt mit Einschreiben am 12. Oktober 1999 – aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurückgewiesen.

  Am 19. Oktober 1999 hat der Kläger gegen diese Entscheidung Klage erhoben, mit der er die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ weiter verfolgt hat. Die Verschlimmerung sei in den vergangenen sechs Jahren eingetreten. Habe er 1993 noch mit nur einer Gehhilfe längere Zeit zu Fuß unterwegs sein können, sei ihm dies heute nicht mehr möglich. Nach ca. 100 Metern müsse er, bedingt durch starke Schmerzen im rechten Knie, eine längere Sitzpause einlegen. Deshalb sei das Gehen nur mit zwei Gehhilfen erträglich.

  Das Sozialgericht hat Befundberichte der Dres. D., M. und S. eingeholt. Der Chirurg D., der den Kläger zuletzt im Januar 1999 untersucht hat, gab in seinem Befundbericht vom 8. Dezember 1999 an, dass der Kläger eine Wegstrecke von max. noch 500 Metern zurücklegen könne. Der Orthopäde Dr. M. kam in seinem Befundbericht vom 22. Dezember 1999 ohne nähere Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zustand des Klägers nicht vergleichbar mit dem Zustand bei Querschnittslähmung oder einer Oberschenkelamputation sei. Dem Kläger sei unter Verwendung von Gehhilfen und erfolgter orthopädischer Schuhversorgung eine Wegstrecke bis zu einem Kilometer zumutbar. Eine andere Einschätzung erfolgte durch Dr. S.. Dieser kam – ebenfalls ohne weitere Begründung – zwar auch zu dem Ergebnis, dass die funktionelle Einschränkung des Gehvermögens des Klägers insgesamt nicht mit dem Zustand bei einer Querschnittslähmung oder dem Zustand bei einer Doppeloberschenkelamputation vergleichbar sei, allerdings wurde die Wegstrecke, die der Kläger mit ärztlicherseits zu verantwortendem und zumutbarem Kraftaufwand ohne Gefahr für sich oder andere ohne fremde Hilfe innerorts auf Ebenen und befestigten Fußwegen zu Fuß zurücklegen könne mit ca. 100 Metern (mit Gehstock) angegeben (Befundbericht vom 7. Januar 2000).

  Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholen eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Der Gutachter Dr. U. – Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie – vertrat in seinem Gutachten vom 18. Juli 2000 die Auffassung, dass bei dem Kläger keine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliege. Das rechte Bein des Klägers sei nach einer Poliomyelitiserkrankung vollständig gelähmt. Zusätzlich habe sich ein Arthrose im rechten Kniegelenk sowie in geringerem Maß auch im linken Kniegelenk entwickelt. Diese Arthrosen verursachten Belastungsschmerz und wirkten sich zusätzlich zur Lähmung des rechten Beines nachteilig auf die Gehfähigkeit des Klägers aus. Auf Grund seiner Gesundheitsschäden sei der Kläger erheblich gehbehindert. Es liege jedoch keine außergewöhnliche Gehbehinderung vor. Mit Hilfe von zwei Unterarmgehstützen könne der Kläger noch Wegstrecken außerhalb seines Kraftfahrzeuges von ca. 100 Metern ohne fremde Hilfe absolvieren. Die Behinderung des Klägers sei nicht mit der Behinderung der in den Anhaltspunkten aufgeführten Personengruppen der Querschnittsgelähmten, Doppeloberschenkelamputierten, Doppelunterschenkelamputierten, Hüftexartikulierten und einseitig Oberschenkelamputierten usw. vergleichbar. Es sei auch unter prognostischen Gesichtspunkten ärztlicherseits dem Kläger nicht zu raten, mehrfache kurze Gehstrecken pro Tag zu unterlassen und sich ausschließlich außerhalb des Kfz mit dem Rollstuhl fortzubewegen. Durch das Zurücklegen der Gehstrecken, die der Kläger unter Berücksichtigung seiner konkreten sozialen Situation normalerweise täglich zu absolvieren habe, sei kein beschleunigter Fortschritt der Arthrose, insbesondere des linken Kniegelenkes, zu besorgen. Bezüglich seiner Gehbehinderung sei der Kläger praktisch mit einem einseitig Oberschenkelamputierten zu vergleichen. Hinzu käme beim Kläger noch die Schmerzhaftigkeit des rechten Kniegelenkes. Der arthrosebedingte Schmerz im rechten Kniegelenk wäre allerdings durch eine Versteifungsoperation weitgehend zu beseitigen. Die funktionelle Vergleichbarkeit mit einem einfach Oberschenkelamputierten begründe seine Einschätzung, dass das Gehvermögen des Klägers nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei.

  Im Hinblick auf das Ergebnis des Gutachtens hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. Oktober 2000, dem Kläger am 8. November 2000 zugestellt, abgewiesen.

  Der Kläger hat am 21. November 2000 Berufung eingelegt. Die immer mehr fortschreitende Arthose im rechten Knie, die sich mehr und mehr abzeichnende ebensolche im linken Knie, ebenso die Beschwerden im Hüftbereich würden ihn zwingen, zwei Gehstützen zu benutzen, wenn er mehr als 50 Meter laufen wolle oder müsse.

 

Der Kläger beantragt,

  den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Altenburg vom 25. Oktober 2000 und den Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1999 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm ab März 2001 die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „aG“ festzustellen.

  Der Beklagte beantragt,

  die Berufung zurückzuweisen

  und bezieht sich zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil und in den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.

  Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. U. eingeholt. Zum Einen sollte Dr. U. zur Vergleichbarkeit der Behinderung des Klägers mit der eines Doppelunterschenkelamputierten (im Hinblick auf die von ihm angenommene Wegstrecke von 100 Metern) Stellung nehmen. Zum Anderen wurde er gebeten, sich zu der Frage zu äußern, ob der Kläger wegen der angegebenen Schmerzen im rechten Bein mit einem einseitig Oberschenkelamputierten, der außerstande ist, ein Kunstbein zu tragen, gleichgestellt werden könne. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31. Januar 2001 teilt Dr. U. mit, dass der Zustand des Klägers nicht mit einem Zustand des prothetisch gut versorgten Doppelunterschenkelamputierten vergleichbar sei, weil das linke Bein des Klägers nahezu voll funktionsfähig sei. Eine Wegstrecke von beispielsweise 100 Metern sei seines Erachtens vom Kläger auch in wesentlich kürzerer Zeit und mit wesentlich weniger Anstrengung zurückzulegen als von einem Doppelunterschenkelamputierten in vergleichbarem Alter und vergleichbarem Allgemeinzustand. Mit einem einseitig Oberschenkelamputierten könne der Kläger deswegen nicht verglichen werden, weil sein gelähmtes Bein noch als praktisch funktionslose Stelze benutzt werde. Der Kläger setze sein rechtes Bein beim Schrittzyklus mit auf und stütze sein Körpergewicht teilweise darauf ab. Beim Zurücklegen längerer Wegstrecken werde sich natürlich der Schmerz im rechten Kniegelenk Schritt für Schritt verstärken, da eine unphysiologische Belastung des rechten Kniegelenkes beim Abstützen eintrete. Möglicherweise würden die Knieschmerzen nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke so stark, dass der Kläger dann tatsächlich schmerzbedingt sein rechtes Bein nicht mehr auf dem Boden aufsetzen könne. In dieser Situation wäre er tatsächlich vergleichbar mit einem einseitig Oberschenkelamputierten, der außer Stande sei, ein Kunstbein zu tragen. Der Kläger sei im Gegensatz zum Oberschenkelamputierten aber nicht dauernd, sondern immer nur zeitweise außer Stande, sein rechtes Bein aufzusetzen. Hierin liege der Unterschied zu einem Oberschenkelamputierten.

  Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie auf den Inhalt der Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG - ) ist begründet. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Denn der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“.

  Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, um den es sich bei dem Feststellungsbescheid vom 17. März 1992 handelt, aufzuheben bzw. abzuändern, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche wesentliche Änderung liegt beim Kläger spätestens für die Zeit ab Juli 2000 vor. Denn jedenfalls ab diesem Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs „aG“ vor. 

Nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Sicherung und Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz – SchwbG -) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag eines Behinderten das Vorliegen einer Behinderung und deren Grad fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen hat das Versorgungsamt die Voraussetzung für diesen Nachteilsausgleich festzustellen (§ 4 Abs. 4 SchwbG) und das Merkzeichen – im vorliegenden Falle „aG“ – in den Schwerbehindertenausweis, der auf Antrag des Schwerbehinderten nach § 4 Abs. 5 SchwbG auszustellen ist, einzutragen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 der Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz – SchwbAwV -). 

Das Schwerbehindertenrecht legt nicht fest, wer als außergewöhnlich gehbehindert anzusehen ist. Vielmehr verweist § 3 Abs. 1 Nr. 1 SchwbAwV auf § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) sowie auf entsprechende straßenverkehrsrechtliche Vorschriften. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG können Schwerbehinderten mit außergewöhnlicher Gehbehinderung und Blinden Parkerleichterungen gewährt werden. Nach der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.

Der Kläger gehört zwar nicht zu dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO beispielhaft aufgezählten Personenkreis, er ist jedoch auf Grund seiner Erkrankung diesem Personenkreis gleichzustellen. Dabei hat das Bundessozialgericht die Verwaltungsvorschrift ihrem Zweck entsprechend immer eng ausgelegt. Die Vorschrift soll dem Schwerbehinderten mit außergewöhnlicher Gehbehinderung ermöglichen, mit einem Kraftfahrzeug möglichst nahe an das jeweilige Ziel zu fahren, indem ihm dadurch Parkerleichterungen gewährt werden, dass er in Fußgängerzonen parken, Parkzeiten überschreiten und ohne Gebühr parken darf. Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der PKW-Nutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke so weit wie möglich verkürzen. Damit solche Parkplätze auch ortsnah zur Verfügung stehen, sind nach der genannten Verwaltungsvorschrift Parkplätze in der Nähe von Behörden, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gebäuden einzurichten. Wird der Personenkreis der Benutzer dieser Parkplätze ausgeweitet, müsste dem durch eine Vermehrung solcher Parkplätze begegnet werden. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann (vgl. zuletzt BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22). Zur Vermeidung dieser Konsequenz ist eine entsprechend enge Auslegung der Verwaltungsvorschrift gerechtfertigt.

 Entscheidend für eine Gleichstellung ist daher die Frage, ob die Auswirkungen der Gehstörung funktional im Hinblick auf die Fortbewegung gleich zu achten sind. Der Leidenszustand muss also ebenfalls wegen einer außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 11). Eine Gleichstellung ist dann gerechtfertigt, wenn das Gehen nur unter derselben (großen) Anstrengung möglich ist, wie bei dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis der Verwaltungsvorschrift. Bei diesen liegen vornehmlich Schädigungen der unteren Extremitäten in einem erheblichen Ausmaß vor, die bewirken, dass Beine und Füße die ihnen zukommende Funktion der Fortbewegung nicht oder nur unter besonderen Erschwernissen erfüllen (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 m.w.N.). Dabei hat das Bundessozialgericht in seiner früheren Rechtsprechung (BSG SozR 3-3870 § 3 SchwbG Nr. 11) angenommen, dass das Gehvermögen in einem Maß eingeschränkt sein muss, der einen Vergleich mit Doppelbeinamputierten zulasse. Dieser Rechtsprechung folgend haben die AHP 1996 als Vergleichsmaßstab für eine Gehbehinderung das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten aufgeführt (vgl. AP 1996 Nr. 31.4; „am ehesten“). Nunmehr hat das Bundessozialgericht (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22) allerdings zu Recht klargestellt, dass jede der in der Verwaltungsvorschrift beispielhaft genannten Behindertengruppen geeignet ist, als Vergleichsmaßstab herangezogen zu werden. Die Nennung dieser Vergleichsgruppen in der Verwaltungsvorschrift im Anschluss an den Satz, dass als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung auch solche Personen anzusehen sind, die sich wegen der Schwere ihres Leidens unter anderem nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können, soll der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffes der großen Anstrengung dienen. Eine weitere Differenzierung unter den Vergleichsgruppen hat die Verwaltungsvorschrift nicht getroffen. Denn bei allen diesen Gruppen liegen Schädigungen der unteren Extremitäten vor, die eine Fortbewegung nicht oder nur unter besonderen Erschwernissen zulassen. Dies rechtfertigt daher auch den Vergleich mit dem Doppelunterschenkelamputierten oder den einseitig Oberschenkelamputierten, die außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen.

  Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass prothetisch gut versorgte Doppelunterschenkelamputierte vor dem Hintergrund deutlicher Fortschritte in der Prothesentechnik ohne weiteres Gehstrecken auch von mehreren Hundert Metern zurücklegen können, führen die Einschränkungen der Gehfähigkeit allerdings nicht erst dann zu einer Gleichstellung, wenn der Schwerbeschädigte praktisch gehunfähig ist Die gegenteilige frühere Rechtsprechung des Thüringer Landessozialgerichts wird daher ausdrücklich aufgegeben (vgl. ThürLSG, Urteil vom 01.10.1997 – L 1 Vb 296/96 – m.w.N.; das LSG hatte hier bei Strecken von 100 Metern und weiter die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung verneint). So folgt der Senat den Feststellungen von Dr. U. in seinem Gutachten vom 18. Juli 2000 hinsichtlich der bei dem Kläger auf Grund seiner Behinderungen bestehenden Einschränkungen der Gehfähigkeit, hält aber die Wertung, dass der Kläger dem in der Verwaltungsvorschrift aufgeführten Personenkreis schon deshalb nicht gleichzustellen sei, weil er außerhalb seines Kraftfahrzeuges ca. 100 Meter ohne fremde Hilfe absolvieren könne für falsch. Vielmehr ist der Senat der Auffassung, dass die bei dem Kläger vorliegenden Auswirkungen der Gehstörungen funktional im Hinblick auf die Fortbewegung jedenfalls denen eines einseitig Oberschenkelamputierten, der außer Stande ist, ein Kunstbein zu tragen, entsprechen. Die komplette Lähmung des rechten Beines des Klägers durch die in der Kindheit durchgemachte Kinderlähmung lässt eine aktive Bewegung des rechten Beines nicht zu. Ähnlich wie eine Prothese wird das rechte Bein daher beim Gehen durch die Beckenbewegung nach vor geschlenkert. Dr. U., dem der Senat insoweit folgt, hat das Gangbild dabei so beschrieben, dass das rechte Bein als praktisch funktionslose Stelze benutzt wird. Zu Recht hat er hieraus die Schlussfolgerung gezogen, dass der Kläger bezüglich seiner Gehbehinderung praktisch mit einem einseitig Oberschenkelamputierten (der rechts prothetisch versorgt ist) verglichen werden kann. Zwar rechtfertigt diese (erhebliche) Gehbehinderung noch nicht die Gleichstellung bzw. den Vergleich mit dem einseitig Oberschenkelamputierten, der dauernd außer Stande ist, ein Kunstbein zu tragen; die Gleichstellung rechtfertigt sich aber dadurch, dass sich das Beschwerdebild, wie Dr. S. in seinem Befundbericht vom 7. Januar 2000 bestätigt, im Laufe der Zeit stetig verschlechtert hat. Neben der Versteifung des rechten Beines nach Poliomyelitis mit Beinverkürzung und Muskelathrophie rechts bei Beckenschiefstand hat sie als weitere Behinderung nämlich eine Arthrose im rechten Kniegelenk entwickelt. So hat der Dr. U. bei seiner Untersuchung festgestellt, dass an dem rechten Kniegelenk ein deutlicher Gelenkerguss bestünde. Die Haut im Bereich des rechten Kniegelenkes sei überwärmt, wobei die übrige Haut der rechten unteren Extremität im Seitenvergleich deutlich kühler sei. Über medialem und lateralem Gelenkspalt des rechten Kniegelenkes sei Druckschmerz auslösbar. Es bestehe auch Kniescheibenverschiebeschmerz. Das Anpressen der Kniescheibe in ihr Gleitlager verursache ebenfalls Schmerz. Das rechte Knie sei bei der klinischen Prüfung auf Grund der fehlenden muskulären Stabilisation auch instabil. Die Arthrosen (auch des linken Kniegelenks) verursachten Belastungsschmerz und wirkten sich zusätzlich zur Lähmung des rechten Beines nachteilig auf die Gehfähigkeit des Klägers aus. Schon dies rechtfertigt die Annahme, dass die Behinderung des Klägers beim Gehen gleichsam schwerer wiegt als die Einschränkung des Gehvermögens eines einseitig Oberschenkelamputierten, der prothetisch ausreichend versorgt ist.

  Auch Dr. U. nimmt in seiner ergänzenden Stellungnahme jedenfalls eine Vergleichbarkeit mit einem einseitig Oberschenkelamputierten, der außer Stande ist, ein Kunstbein zu tragen, in der Situation an, in der der Kläger nach der ihm noch zumutbaren Wegstrecke von ca. 100 Metern schmerzbedingt sein rechtes Bein nicht mehr auf den Boden setzen kann. Der Schlussfolgerung des Gutachters, dass der Kläger im Gegensatz zu diesen Oberschenkelamputierten nicht dauernd, sondern nur zeitweise außer Stande sei, ein Kunstbein zu tragen (sein rechtes Bein aufzusetzen) und hierin der Unterschied liege, der die Feststellung des Nachteilsausgleiches „aG“ nicht rechtfertige, vermag der Senat dabei nicht zu folgen. Denn der Schmerz tritt nach den Feststellungen des Gutachters immer beim Zurücklegen längerer (100 Meter) Wegstrecken auf, sodass hieraus zwingend die Gleichstellung mit dem einseitig Oberschenkelamputierten, der dauernd außer Stande ist, ein Kunstbein zu tragen, folgt. Denn der einseitig Oberschenkelamputierte, der nur zeitweise außer Stande ist, ein Kunstbein zu tragen, ist in der Lage, jedenfalls zeitweise ohne Beschwerden seine Prothese zu benutzen. Das Wort zeitweise ist dabei so zu verstehen, dass abhängig von der Witterung, von den aktuellen Stumpfverhältnissen, von der Qualität der Prothese und anderen Faktoren die Benutzung des Kunstbeines beschwerdefrei sein kann, bei anderen – ungünstigen - Bedingungen aber zu Beschwerden führt. Zeitweise bedeutet hingegen nicht, dass das Kunstbein für einige Meter ohne Beschwerden eingesetzt werden kann, bevor dann die Beschwerden auftreten. Treten die Beschwerden beim Gehen – wie dies beim Kläger der Fall ist – immer (wenn auch nach einer gewissen Gehstrecke) auf, ist der Oberschenkelamputierte dauernd außer Stande, das – für ihn ungeeignete - Kunstbein zu tragen. Andernfalls würde der größte Teil der Oberschenkelamputierten, bei dem eine brauchbare Prothesenversorgung nicht möglich ist, aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausscheiden, obwohl tatsächlich Prothesenunverträglichkeit besteht. Treten also beim Kläger nach wenigen Metern bereits die ersten Schmerzen auf, die sich entsprechend verstärken und nach 100 Metern ein weiteres Gehen nicht mehr zulassen, muss davon gesprochen werden, dass er, wäre das gelähmte Bein ein Prothese, außer Stande ist, das Kunstbein zu tragen.

  Dass dieses vom Senat gefundene Ergebnis richtig ist, zeigt auch ein Vergleich des Gehvermögens mit dem Gehvermögen des Klägers. So sollen Doppeloberschenkelamputierte Wegstrecken von ca. 100 Metern noch zu Fuß zurücklegen können. Bei sonstigen Amputationen kommen Gehstrecken zwischen 100 und 1.000 Metern in Betracht (Werte aus „Amputation- und Prothesenversorgung der unteren Extremität, Baumgartner/Botta, Enke Verlag, 1995). Diese Wegstrecke entspricht an ihrem unteren Ende der Wegstrecke, die der Kläger noch nach den Feststellungen des Gutachters zumutbar zurücklegen kann. Die Fortbewegung wird im Falle des Klägers schließlich zusätzlich dadurch erschwert, dass schon nach kurzer Wegstrecke jeder Schritt mit erheblichen Schmerzen im Bereich der Extremitäten verbunden ist, wie dies Dr. U. festgestellt hat.

  Die Gehfähigkeit des Klägers ist damit auf das Schwerste beeinträchtigt, sodass er bei der Fortbewegung die gleichen Schwierigkeiten wie ein einseitig Oberschenkelamputierter, der außer Stande ist, ein Kunstbein zu tragen, hat.

  Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der Vorschrift des § 193 SGG.

  Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil ihre Voraussetzungen nicht vorliegen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).

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