Bundessozialgericht - B 1 KR 24/06 R - Urteil vom 7.11.2006
Es besteht keine Erstattungspflicht der Krankenversicherung, wenn eine Methode erst zeitlich nach ihrer Anwendung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wurde.
Aus der Pflicht, die Regeln der ärztlichen Kunst zu beachten, folgt die Notwendigkeit, nicht nur abstrakt, sondern auch konkret bezogen auf den Einzelfall Risiken und Nutzen zu ermitteln. Bei beiden Prüfungen ist es geboten, jeweils das erreichbare Behandlungsziel iS von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu berücksichtigen. Der bei beiden Analysen von Nutzen und Risiken zu beachtende Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der den Zurechnungszusammenhang zwischen Therapie, Erfolg und Risiken betrifft, unterliegt - ähnlich wie bei der Anwendung von Pharmakotherapien mit Fertigarzneimitteln zu Lasten der GKV - auf Grund von Verfassungsrecht Abstufungen je nach Schwere und Stadium der Erkrankung und Ausmaß sowie Eintrittswahrscheinlichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine "Laserinduzierte Interstitielle Thermotherapie" (LITT), einem Verfahren zur Zerstörung von Tumoren bzw. Metastasen, vor allem der Leber. Dabei wird mittels eines minimal-invasiven Eingriffs eine Glasfaser direkt in den Tumor bzw. die Metastase eingeführt. Durch Laserlicht und die dadurch entstehende Wärme soll der Tumor/die Metastase zerstört werden.
Bei der 1939 geborenen, bei der beklagten Ersatzkasse versicherten Klägerin wurde im Februar/März 2001 durch Entnahme einer Leberprobe ein hepatozelluläres (die Leber betreffendes) "Karzinom" diagnostiziert. In der Universitätsklinik Ulm wurde der Befund im April 2001 als inoperabel angesehen, bei der Klägerin eine Chemotherapie (Zyklus transarterieller Chemoembolisation mit Novantrons/5-FU/Folinsäure/Mitomycin C) begonnen und - nach Angaben der Klägerin - wegen Unverträglichkeit nach dem ersten Intervall wieder abgebrochen. Anschließend beantragte die Klägerin am 30. April 2001 die Übernahme der Kosten einer von ihr beabsichtigten, vom Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main, Prof. Dr. Vogl, durchzuführenden ambulanten LITT zur Zerstörung einer - lt. Prof. Dr. Vogl - 20 x 20 mm großen "Lebermetastase". Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab, weil es sich bei der LITT um eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode handle (Bescheide vom 3. und 7. Mai 2001). Während des Widerspruchsverfahrens führte Prof. Dr. Vogl bei der Klägerin die LITT am 17. Mai 2001 ambulant durch. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück, weil sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss, im Folgenden <Bundesausschuss>) mangels Antragstellung bisher nicht mit der LITT befasst habe; die LITT gehöre bisher nicht zu den von den Krankenkassen zu erbringenden Sachleistungen (Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2001). Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin beantragt, ihr die Kosten für die durchgeführte LITT in Höhe von 10.961,59 DM zu erstatten. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage nach Einholung eines Befundberichtes des Hausarztes der Klägerin, dem Konsiliarberichte u.a. von Prof. Dr. Vogl beilagen, mit Urteil vom 10. Oktober 2002 abgewiesen, weil die LITT nicht eine als wirksam und wirtschaftlich anerkannte Behandlungsmethode sei und auch ein Systemversagen nicht vorliege.
Das Landessozialgericht (LSG) hat ohne Ermittlungen weiterer Tatsachen das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte mit Urteil vom 19. Januar 2006 verurteilt, der Klägerin 5.604,57 EUR zu erstatten. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, es handele sich um einen vergleichbaren Sachverhalt wie bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2006 (1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5). Das hepatozelluläre Karzinom der Leber der Klägerin falle unter die Gruppe der lebensbedrohlichen Erkrankungen. Die Wirksamkeit der angewandten LITT sei durch den von Prof. Dr. Vogl angegebenen Rückgang des Karzinoms bis zur Vollremission nachgewiesen. Bereits vor Durchführung der LITT sei diese Therapie von Prof. Dr. S. (Kreiskrankenhaus G.) im ärztlichen Zeugnis vom 2. Juli 2001 bezüglich krankheitsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens als positiv gegenüber den etablierten Methoden bewertet worden. Eine Überprüfung der Wirksamkeit der angewandten Behandlungsmethode durch einen medizinischen Sachverständigen sei daher nicht erforderlich gewesen. Der Klägerin habe als Alternative auch keine zweckmäßige Standardtherapie der Schulmedizin zur Verfügung gestanden. Der Befund sei inoperabel gewesen; alle übrigen etablierten therapeutischen Methoden zeigten beim hepatozellulären Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit. Die Chemotherapie sei nur sehr gering effektiv. Nach dem neuesten Stand der medizinischen Erkenntnisse könne ein krankheitsfreies Überleben erreicht werden, wenn der Tumor durch eine direkte, lokale Einwirkung zerstört werden kann, wie dies bei der von der Universitätsklinik Frankfurt am Main ambulant durchgeführten LITT der Fall sei.
Die Beklagte hat Revision eingelegt, eine Verletzung von § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 und § 135 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie von § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gerügt und im Wesentlichen ausgeführt, es hätte geklärt werden müssen, ob im vorliegenden Fall allgemein anerkannte schulmedizinische Behandlungsmethoden zur Verfügung standen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Januar 2006 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Oktober 2002 zurückzuweisen,
hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und sieht die Voraussetzungen für Leistungsgewährung unter Berücksichtigung der im Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 genannten Kriterien als gegeben an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.
Eine Kostenerstattung für die von der Klägerin selbst beschaffte und "vorfinanzierte" LITT scheidet im Grundsatz aus, weil es sich bei der LITT um eine neue Behandlungsmethode handelt, die im Rahmen der ambulanten Versorgung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden darf, solange der Bundesausschuss den therapeutischen Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Methode nicht in dem dafür gesetzlich vorgesehen Verfahren festgestellt hat; an dieser positiven Feststellung fehlt es. Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesausschuss das genannte Verfahren insbesondere in zeitlicher Hinsicht nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat (sog. Systemversagen), liegen nicht vor (dazu unter 1.). Ob der Anspruch ausnahmsweise unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu den Leistungsansprüchen Versicherter bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen Situation bei der Klägerin begründet ist, kann der Senat auf Grund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend beurteilen. Das LSG hat weder hinreichende Tatsachenfeststellungen zur konkreten Krankheitssituation der Klägerin, zu den regelmäßigen, schulmäßigen Behandlungsmethoden bei Leberkrebs bzw. Lebermetastasen und zu einer Unverträglichkeit dieser Methoden bei der Klägerin getroffen noch hat das LSG eine abstrakte Nutzen-Risiko-Analyse einer ambulanten LITT-Behandlung sowie eine ebenfalls erforderliche Abwägung der Chancen und Risiken dieser Behandlungsmethode gerade im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse bei der Klägerin vorgenommen (dazu unter 2.). Über den erhobenen Anspruch kann daher ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nicht entschieden werden, sodass die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen ist.
1. Die von der Klägerin begehrte Behandlungsmethode - LITT - ist vom Leistungskatalog des SGB V in der ambulanten Versorgung nicht umfasst. Versicherte haben daher im Regelfall keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen ihre Krankenkasse, wenn sie sich diese Leistung (zunächst) auf eigene Kosten selbst beschaffen.
a) Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die im Mai 2001 durchgeführte LITT ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt 2 SGB V ( hier anzuwenden in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266; seit 1. Juli 2001 § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt 2 idF des Art 5 Nr. 7 Buchst b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001, BGBl I 1046 ). Diese Vorschrift bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl. z.B. BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S 51 f mwN.; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils RdNr. 10: Visudyne; SozR 4-2500 § 27a Nr. 1 RdNr. 3: Künstliche Befruchtung mittels ICSI; zuletzt Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 14/06 R - RdNr. 8: Restless-Legs-Syndrom). Hieran fehlt es bei der LITT jedenfalls im Regel- bzw. Normalfall (zu Ausnahmefällen bei einer notstandsähnlichen Situation unter 2.).
Die Beklagte war zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Behandlung der bei ihr versicherten Klägerin verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie im vorliegenden Fall - nach eigener Einschätzung des Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 iVm § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt ( vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 31 Nr. 4: Tomudex RdNr. 15 mwN.; vgl. ab 1. Januar 2004 § 91 Abs. 9 SGB V ).
Wie das BVerfG in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 ( 1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 26 - 29 ) ausdrücklich festgestellt hat, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
- dass die GKV den Versicherten Leistungen (nur) nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) und nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt,
- dass die gesetzlichen Krankenkassen nicht von Verfassungs wegen gehalten sind, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist ( aaO, RdNr. 27 mit Hinweis auch auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. März 1997, NJW 1997, 3085 ) und
- dass es dem Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt ist, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen ( aaO, RdNr. 28 ).
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 zwar offen gelassen, ob das nach § 135 SGB V vorgesehene Verfahren der Entscheidung durch den Bundesausschuss verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ob vor allem der Bundesausschuss über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügt und welche Rechtsqualität seinen Richtlinien zukommt ( aaO, RdNr. 29 ). Der erkennende Senat zieht jedoch in Übereinstimmung mit dem 6. Senat des BSG ( vgl. Urteil vom 31. Mai 2006 - B 6 KA 13/05 R, RdNr. 57 ff: Therapiehinweise, zur Veröffentlichung vorgesehen ) die hinreichende demokratischen Legitimation des Bundesausschusses zum Erlass derartiger Richtlinien nicht grundsätzlich in Zweifel. Er behält sich aber vor, die vom Bundesausschuss erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, wenn und soweit hierzu auf Grund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens konkreter Anlass besteht ( vgl. Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 28/03 R: extrakorporale Stoßwellentherapie; Verfassungsbeschwerde hiergegen nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Februar 2006 - 1 BvR 2678/05, SozR 4-2500 § 135 Nr. 7; zuletzt Urteil des Senats vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R, RdNr. 20: neuropsychologische Therapie, Aufgabe von SozR 4-2500 § 135 Nr. 1).
Unter Zugrundelegung dieser, auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rahmenbedingungen der Leistungsansprüche Versicherter ergibt sich für die LITT Folgendes: Der therapeutische Nutzen der LITT sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse standen zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin nicht (positiv) fest. Zwar hat der Bundesausschuss während des Berufungsverfahrens am 18. Oktober 2005 beschlossen, die LITT als Nr. 43 den "nicht anerkannten Methoden" der Anlage B der Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinie) zuzuweisen ( vgl. Bekanntmachung, BAnz Nr. 8 vom 12. Januar 2006, S 107 ). Diesem Beschluss lagen u.a. ein Health Technology Assessment (HTA)-Gutachten der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) zur LITT vom 18. Januar 2002 sowie ein "Grundsatzgutachten LITT" des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in den Ländern und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS/MDK) vom 5. Februar 2003 zu Grunde. Die Zuordnung zu den "nicht anerkannten Methoden" kann dem Erstattungsanspruch der Klägerin allerdings nicht entgegengehalten werden, denn der Beschluss vom 18. Oktober 2005 ist erst am Tag nach Veröffentlichung seiner Bekanntmachung, dh am 13. Januar 2006 in Kraft getreten. Er hat daher keine unmittelbare Rechtswirkung für die bereits im Mai 2001 erfolgte Behandlung der Klägerin. Vielmehr ist über das Begehren der Klägerin auf Grund der damals geltenden Rechtslage zu entscheiden. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass eine positive Feststellung des Bundesausschusses nicht vorlag.
Bei der LITT handelt und handelte es sich um eine "neue" Behandlungsmethode iS von § 92 Abs. 2 iVm § 135 SGB V ( dazu zuletzt BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr. 16 ff: neuropsychologische Therapie ), die ambulant nur dann zu Lasten der GKV zu erbringen gewesen wäre, wenn bereits zum Zeitpunkt der Behandlung eine positive Empfehlung des Bundesausschusses vorgelegen hätte. Hieran fehlt es. Im Mai 2001 lag weder eine solche Stellungnahme des Bundesausschusses vor noch war die Methode sonst in der medizinischen Wissenschaft allgemein als wirksam anerkannt. Von einem sog. Seltenheitsfall, bei der eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte ( vgl. dazu BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils RdNr. 21 ff: Visudyne ), ist angesichts der erheblichen Verbreitung des bei der Klägerin vorliegenden Krankheitsbildes nicht auszugehen.
b) Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen des sog. Systemversagens.
Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des Senats eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog. Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden ( vgl. BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S 21; SozR 3-2500 § 92 Nr. 12 S 70: "rechtswidrige Untätigkeit des Bundesausschusses " ; zuletzt Urteil des Senats vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr. 24: neuropsychologische Therapie mwN. ).
Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem Bundesausschuss antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag beim Bundesausschuss erst im März 2004 gestellt worden ist. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Antragstellung bis zur Behandlung der Klägerin im Jahr 2001 hintertrieben, verhindert oder in einer den Krankenkassen oder dem Bundesausschuss sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sein könnte.
2. Ob sich der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen (Krankheits-)Situation ausnahmsweise unter Berücksichtigung verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ergibt, kann der Senat auf Grund der festgestellten Tatsachen nicht abschließend beurteilen.
a) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 ( 1 BvR 347/98, BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) zu einer ärztlichen Behandlungsmethode entschieden, dass es mit den Grundrechten aus Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BVerfG beanstandet insoweit eine verfassungswidrige Auslegung im Grundsatz verfassungsgemäßer Vorschriften des SGB V durch das BSG. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des BVerfG gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor.
- Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung.
- Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ( BVerfG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 33 ).
Art 2 GG verlangt eine verfassungskonforme Auslegung nur derjenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf eine bestimmte Versorgung der Versicherten entgegenstehen. Dagegen bleibt die Prüfung der allgemeinen Voraussetzungen des SGB V für einen Leistungsanspruch auch unter Berücksichtigung der Verfassungsmäßigkeit eines abgeschlossenen Leistungskatalogs der GKV-Leistungen unberührt ( vgl. dazu Senatsurteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 7: D-Ribose, RdNr. 28 ff mwN. ). Die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten sollen einerseits verhindern, dass die den Versicherten durch Gesetz eingeräumten Leistungsansprüche in einer dem Zweck des Art 2 GG zuwiderlaufenden Weise eingeschränkt werden; so lag der Fall nach Ansicht des BVerfG in der Entscheidung vom 6. Dezember 2005. - Andererseits setzen die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten dem Leistungsbegehren der Versicherten selbst im Falle regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen. Sie sollen die Versicherten in solchen Fällen auch davor bewahren, auf Kosten der GKV mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden, wenn auf diese Weise eine nahe liegende, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht wahrgenommen wird. Erst wenn feststeht, dass derartige nach allgemeinem Standard anerkannte Behandlungsmethoden (generell) überhaupt nicht zur Verfügung stehen oder im konkreten Einzelfall ausscheiden, weil der Versicherte diese nachgewiesenermaßen nicht verträgt, ist der vom BVerfG geforderte Bereich einer weiten, verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften des SGB V eröffnet, in welchem auf den exakten wissenschaftlichen Nachweis des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einer bestimmten Behandlungsmethode verzichtet werden darf und man sich mit einem der notstandsähnlichen Situation angemessenen geringeren Wahrscheinlichkeitsmaßstab begnügen darf. Die anzuwendende Methode muss allerdings im Allgemeinen wie auch im konkret zu beurteilenden Fall überwiegend positive Wirkungen haben und es muss feststehen, dass sie "mehr nützt als schadet".
Zur Würdigung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten, denen gerade auch der Arztvorbehalt (§ 15 Abs. 1 SGB V) Rechnung trägt, bezieht das BVerfG in einem umfassenden Sinne die Regeln der ärztlichen Kunst in die Vorgaben für eine verfassungskonforme Auslegung des SGB V mit ein ( vgl. BSG Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 31 Nr. 4: Tomudex, RdNr. 24 ), sodass es folgerichtig ist, alle drei vom BVerfG konzipierten Voraussetzungen entsprechend § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen: das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit, das Fehlen einer anwendbaren Standardtherapie und das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie. Gesetzes- und Verfassungsrecht fordern und akzeptieren, dass GKV-Leistungen allein nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu beanspruchen und zu erbringen sind ( vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3; § 15 Abs. 1; § 70 Abs. 1; § 72 Abs. 2; §§ 135 ff SGB V; BVerfG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 28; BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr. 35). Andere als medizinische Verfahren - wie etwa lediglich auf rituelle Heilung ausgerichtete Maßnahmen, z.B. bloßes Handauflegen eines "Geistheilers" oder "Wunderheilers" ( vgl. dazu BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. März 2004 - 1 BvR 784/03 - NJW-RR 2004, 705 f = MedR 2005, 35 ff; BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 3. Juni 2004 - 2 BvR 1802/02 - NJW 2004, 2890 f = BVerfGK 3, 234 f) - sind daher von vornherein ausgeschlossen, selbst wenn sich ein Arzt hierzu bereit finden sollte.
Zudem müssen die Erkenntnisse wissenschaftlicher Art, also objektivierbar sein. Dementsprechend hat das BVerfG das im Recht der GKV mit dem Arztvorbehalt verfolgte gesetzgeberische Ziel als einen wichtigen Gemeinschaftsbelang anerkannt. Der Arztvorbehalt soll dafür sorgen, dass eine auf öffentliche Kosten durchgeführte Behandlung durch die Art der angewandten Methoden und die Qualifikation der behandelnden Personen objektiv Erfolg verspricht ( BVerfGE 78, 155, 162 = SozR 2200 § 368 Nr. 11, auf BSGE 48, 47, 52 f = SozR 2200 § 368 Nr. 4 verweisend) . In der Konsequenz dieser Rechtsprechung liegt es auch, dass das BVerfG es als verfassungskonform angesehen hat, wenn der Gesetzgeber zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorsieht, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methode zu Lasten der Krankenkassen auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen ( BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, aaO, SozR RdNr. 28) . Besteht ein solches, vom Gesetzgeber vorgesehenes Verfahren mit dem Ziel, den Versicherten und die Versichertengemeinschaft vor riskanten und/oder ineffektiven medizinischen Maßnahmen zu schützen, entspricht es den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten auch, den Ergebnissen dieses Verfahrens bei der Konkretisierung von Leistungsansprüchen Rechnung zu tragen. Ein solches Verfahren sieht das SGB V in § 135 zum Schutze der Versicherten und der Versichertengemeinschaft vor, in dem generalisierend zu den vorgenannten Kriterien Stellung zu nehmen ist ( vgl. z.B. Senat, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 1, jeweils RdNr. 22) . Für den Zeitraum, bis zu dem in einem solchen Verfahren noch Ergebnisse fehlen, ist für zumindest hilfsweise eingreifende Sicherungen zu sorgen und für die Zeitdauer bis zu einer Entscheidung des Bundesausschusses aus verfassungsrechtlichen Gründen unter den Voraussetzungen des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 ausnahmsweise ein Anspruch auf Anwendung einer neuen, noch nicht zugelassenen Behandlungsmethode denkbar; allerdings muss an die Stelle der noch nicht abgeschlossenen Prüfung durch den Bundesausschuss die generalisierende Prüfung von Risiken und Nutzen anlässlich des - wie hier - konkret zur Entscheidung stehenden Einzelfalles treten. Andererseits ist für eine Anspruchsbegründung auf Grund grundrechtsorientierter Auslegung regelmäßig kein Raum mehr, wenn der Bundesausschuss - nach nicht zu beanstandender Prüfung (vgl. oben unter 1a) - zu einer negativen Bewertung gelangt ist: Dann ist auch verfassungsrechtlich gegen den Ausschluss einer Behandlungsmethode aus dem GKV-Leistungskatalog nichts einzuwenden, weil nach dem maßgeblichen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse medizinische Notwendigkeit, diagnostischer und therapeutischer Nutzen sowie Wirtschaftlichkeit nicht hinreichend gesichert sind.
Aus der Pflicht, die Regeln der ärztlichen Kunst zu beachten, folgt schließlich die Notwendigkeit, nicht nur abstrakt, sondern auch konkret bezogen auf den Einzelfall Risiken und Nutzen zu ermitteln. Bei beiden Prüfungen ist es geboten, jeweils das erreichbare Behandlungsziel iS von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu berücksichtigen. Der bei beiden Analysen von Nutzen und Risiken zu beachtende Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der den Zurechnungszusammenhang zwischen Therapie, Erfolg und Risiken betrifft, unterliegt - ähnlich wie bei der Anwendung von Pharmakotherapien mit Fertigarzneimitteln zu Lasten der GKV - auf Grund von Verfassungsrecht ( vgl. näher 1. Senat, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, aaO: Tomudex, RdNr. 39 f) Abstufungen je nach Schwere und Stadium der Erkrankung und Ausmaß sowie Eintrittswahrscheinlichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen.
Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergeben, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt ( BSG, aaO, Tomudex, RdNr. 38 - 48) . Soweit danach eine solche Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob bei Anlegen des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes auch andere (anerkannte) Methoden diesen Anforderungen genügen. Ist dem so, sind diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen ( vgl. Urteil des Senats vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06 R: Ilomedin, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Da die Regeln der ärztlichen Kunst maßgeblich sind, muss ggf. auch die nicht dem sonst in der GKV vorausgesetzten medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmethode in erster Linie fachärztlich durchgeführt werden; die Behandlung muss abgesehen davon, dass ihre Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit durch den Bundesausschuss nicht anerkannt ist, jedenfalls im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden ( zum Arztvorbehalt vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 RdNr. 26; Urteil des erkennenden Senats vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 4: Tomudex, RdNr. 50 zu den Regeln der ärztlichen Kunst und Dokumentationspflichten ). Den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht es auch, jedenfalls soweit es in der jeweiligen Berufsordnung ( vgl. dazu auch die nicht als solche rechtsverbindliche <Muster->Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte - MBO-Ä 1997, DÄBl 1997 <94>, A-2354; inzwischen § 15 Abs. 4 MBO-Ä, DÄBl 2004 <101>, A-1578, A-1580 ) entsprechend der "Deklaration von Helsinki" vorgesehen ist, bei beabsichtigten Heilversuchen zuvor die zuständige Ethikkommission einzuschalten und ihre (ggf. positive) Beurteilung abzuwarten ( zur "Deklaration von Helsinki", die grundsätzliche Aussagen zur medizinischen Forschung am Menschen enthält und bzgl. deren Planung und Durchführung die Beratung durch eine Ethikkommission empfiehlt, vgl. z.B. Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005, § 74 III, RdNr. 8 ff; Taupitz, MedR 2001, 277, 280 f; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl 2002, § 4 RdNr. 18 f, jeweils mwN. ).
b) Ob diese Voraussetzungen bei der Behandlung der Klägerin im Mai 2001 vorlagen, kann auf Grund der Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beurteilt werden. Vielmehr bedarf es weiterer Sachverhaltsaufklärung des LSG vor allem zu den nachfolgend aufgeführten Punkten.
(1) Das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung hat das LSG mit dem Hinweis darauf bejaht, dass das bei ihr festgestellte hepatozelluläre Karzinom nach Angabe des behandelnden Internisten "keine günstige Prognose" gehabt habe. Dabei ist unklar, ob das LSG vom Vorliegen eines sog. Primärtumors (worauf der Bericht der Universitätsklinik Ulm hindeuten könnte) oder einer Metastase (wovon Prof. Dr. Vogl spricht) ausgegangen ist. Ebenso bleibt offen, auf welchen Zeitpunkt sich die "ungünstige Prognose" bezieht, vor allem ob sie auch noch nach der in der Universitätsklinik Ulm begonnenen, jedoch abgebrochenen Chemotherapie bestand. Gerade bei Krebserkrankungen ist es zur Prüfung des Schweregrads der Erkrankung erforderlich, durch entsprechende Ermittlungen (z.B. Arztanfragen) zunächst Art und Stadium der Erkrankung - ausgehend vom Primärtumor - nach der TNM-Klassifikation möglichst genau festzustellen (zur TNM-Klassifikation vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl 2004, T = Tumor, Ausdehnung des Primärtumors, N = Nodus/Lymphknoten, Fehlen bzw. Vorhandensein von regionären Lymphknotenmetastasen, M = Metastasen, Fehlen bzw. Vorhandensein von Fernmetastasen). Erst dann kann geprüft werden, welche Folgen für Leben (-serwartung) und Gesundheit des Versicherten im Allgemeinen und im konkreten Einzelfall zu erwarten sind, wenn eine weitere Behandlung unterbleibt. - Es ist Sache des LSG, zunächst diese zur Beurteilung von Art und Schwere der Erkrankung unabdingbaren Tatsachenfeststellungen nachzuholen.
(2) Das LSG hat das Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode verneint. Dies ist nicht zu beanstanden (vgl. § 128 SGG), soweit es die Möglichkeit einer operativen Entfernung des betreffenden Gewebes verneint. Das LSG hat sich diese Meinung auf Grund des Berichtes der Universitätsklinik Ulm gebildet, wo eine operative Entfernung erfolgen sollte und an der besonderen Lage des Tumors scheiterte. Indessen durfte sich das LSG nicht damit begnügen, das Fehlen weiterer Behandlungsalternativen mit den allgemeinen Hinweisen zu begründen, "alle übrigen etablierten therapeutischen Methoden" zeigten beim hepatozellulären Karzinom eine nur sehr begrenzte Wirksamkeit und auch die Chemotherapie sei "nur sehr gering effektiv". Diese wertenden Feststellungen lassen weder erkennen, worauf die Hypothese eines hepatozellulären Primärtumors gestützt wird, noch welche weiteren Behandlungsmethoden das LSG in Erwägung gezogen hat und worauf das LSG seine Erkenntnisse stützt. Vor allem aber hätte ermittelt werden sollen, mit welchem Erfolg bei der Klägerin die in Ulm begonnene Chemotherapie durchgeführt und aus welchen Gründen diese Therapie abgebrochen wurde; die Angabe der Klägerin, sie habe die Chemotherapie "nicht vertragen", hätte insoweit weiterer Aufklärung bedurft, etwa durch eine Anfrage in der Universitätsklinik Ulm. Dabei hätte auch geklärt werden können, ob die Chemotherapie der Vorbereitung (Verkleinerung) einer operativen Entfernung des Gewebes dienen sollte oder ob mit ihr ein isolierter eigenständiger Therapiezweck alternativ zur Operation verfolgt wurde. Aus dem im SG-Verfahren vorgelegten Gutachten des Kompetenz Centrums Onkologie vom Mai 2002 ergeben sich Hinweise auf das HTA-Gutachten der KÄBV vom 18. Januar 2002, das den Erkenntnisstand der vergangenen Jahre bis zu diesem Zeitpunkt aufarbeitet. Dieses setzt sich ausführlich mit der LITT auseinander und nimmt zu den denkbaren Behandlungsansätzen bei Lebertumoren und Lebermetastasen Stellung (Gliederungspunkt 8, S 29 ff des Berichts, z.B. Radiofrequenztherapie, Alkoholinjektionen usw.). Ob die dort erwähnten Behandlungsmethoden bei Leberkrebs auch im Falle der Klägerin in Betracht gekommen wären, hätte das LSG durch ein Sachverständigengutachten oder zumindest entsprechend aussagekräftige Auskünfte der behandelnden Ärzte, z.B. der Universitätsklinik Ulm, klären müssen. Hieran fehlt es. Erst wenn auf diesem Wege festgestellt worden wäre, dass es zur Behandlung des genau festgestellten Leidens (Primärtumor oder Metastase?) entweder überhaupt keine Behandlungsalternative gab oder Behandlungsalternativen jedenfalls auf Grund bei der Klägerin vorliegender besonderer Verhältnisse ausscheiden, kam die Durchführung der LITT in Betracht.
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass bei der Frage, ob Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, zunächst das konkrete Behandlungsziel der streitigen Methode iS von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu klären ist. Es muss festgestellt werden, ob es um die Heilung einer Krankheit, die Verhütung ihrer Verschlimmerung oder die Linderung von Krankheitsbeschwerden geht, ob eine Behandlung kurative oder palliative Ziele verfolgt. Ausgehend hiervon ist die Wirksamkeit der Therapie zu ermitteln und das Vorhandensein alternativer Methoden gerade auf das mit ihr beabsichtige Behandlungsziel abzufragen.
(3) Die Frage, ob bei der LITT eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, hat das LSG mit dem Hinweis darauf bejaht, die Wirksamkeit sei durch den Rückgang des Karzinoms bis zu einer Vollremission nachgewiesen. Zudem habe Prof. Dr. S. vom Kreiskrankenhaus G. die LITT bzgl. des krankheitsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens als "positiv gegenüber den etablierten Methoden" bewertet. Das LSG bezieht sich dabei auf eine Einzeläußerung eines Arztes, die dieser nicht im Rahmen einer Befragung durch das Gericht, sondern im Rahmen eines der Klägerin erteilten und von dieser dem SG vorgelegten "Ärztlichen Zeugnisses" abgegeben hat. Eine Auseinandersetzung mit gegenteiligen Expertenmeinungen, die sowohl im HTA-Gutachten als auch im Grundsatzgutachten LITT des MDS/MDK vom 5. Februar 2003 geäußert werden und auf die auch der Bericht des Bundesausschusses vom 4. November 2005 Bezug nimmt, geht das LSG nicht ein. In diesen Gutachten wird der LITT nicht jegliche Wirksamkeit abgesprochen und im Gutachten des Kompetenz Centrums Onkologie des MDK Nordrhein vom 3. Mai 2005 wird zur Durchführung der LITT an der Universitätsklinik Frankfurt am Main ausgeführt: "Wir möchten nicht versäumen, anzumerken, dass es unverständlich ist, warum diese an sich vielversprechende Methode, welche die Klinik bereits seit nunmehr 5 Jahren routinemäßig einsetzt, bisher wissenschaftlich nicht evaluiert ist. Aussagekräftige Daten einer Phase-III-Studie finden sich eben nicht in den von der Klinik zitierten Publikationen. Dass die Notwendigkeit für eine solche Evaluation besteht, hat die Klinik ja selbst dadurch dokumentiert, dass sie die von ihr selbst zitierte Studie mitinitiiert hat. Diese Studie ist auch von Seiten des Bundesministeriums für Forschung und Technologie für wichtig erachtet und mit einem insgesamt siebenstelligen Betrag gefördert. Es ist daher schwer nachvollziehbar, warum auf der einen Seite von der Klinik diese Studie zum Nachweis der überlegenen Wirksamkeit gegenüber dem bisherigen Standard begonnen wird, andererseits aber auch in Fachkreisen versucht wird, den Eindruck zu erwecken, es handle sich hierbei bereits um ein gesichertes Therapieverfahren. Dabei wäre allein aufgrund der Frequenz der Eingriffe, wie sie von der Klinik angegeben wird, eine mehr als ausreichende Datenbasis für eine sichere Beurteilung schon jetzt möglich, ..."
Angesichts dieser Gutachtenlage durfte sich das LSG zum Nachweis der Wirksamkeit der LITT nicht allein auf den Befundbericht Prof. Dr. Vogl, der von einer Vollremission und damit "rückblickend" von einem Erfolg seiner Behandlung berichtet, stützen. Vielmehr hätte das LSG die voraussichtlichen Erfolgschancen einer LITT vor Beginn der Behandlung anhand der bereits damals vorliegenden Erkenntnisse über den Einsatz, Wirksamkeit, Chancen und Risiken der LITT durch einen gerichtlichen Sachverständigen prüfen lassen müssen ( zur insoweit erforderlichen abstrakten und konkreten Chancen-/Nutzen-Abwägung vgl. Urteil des Senats vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr. 4: Tomudex, RdNr. 38 ff). Dabei hätte auch Anlass bestanden, dem Stand der genannten Studie, ihren Ergebnissen oder den Gründen ihres eventuellen Abbruchs nachzugehen.
(4) Ob die LITT - abgesehen vom bislang nicht festgestellten Wirksamkeitsnachweis - jedenfalls im Übrigen entsprechend der Regeln der ärztlichen Kunst - ggf. nach Einschaltung einer Ethikkommission - durchgeführt und ausreichend dokumentiert worden ist, erscheint im Hinblick auf die vorliegenden Gutachten ebenfalls zweifelhaft. Aus diesen Gutachten ergibt sich, dass Prof. Dr. Vogl die LITT während seiner Tätigkeit an einem Berliner Krankenhaus stationär durchgeführt hat, während er die LITT an der Universitätsklinik Frankfurt am Main später ambulant mit einer Nachkontrolle 24 bis 48 Stunden nach dem Eingriff durchführte. Im HTA-Gutachten wird die Ansicht vertreten, die LITT stelle ein experimentelles Verfahren dar, das ausschließlich im Rahmen kontrollierter, prospektiver Studien eingesetzt werden solle und - wie in der Charité - auch bei der palliativen Anwendung eine 24-stündige stationäre Überwachung erfolgen sollte (Bl 46). Im Grundsatzgutachten des MDS/MDK wird kritisiert, dass bei der ambulanten LITT die Patienten in einem (der Klinik nahe gelegenen) Hotel untergebracht werden und eine Begleitperson stellen müssen; angesichts der Komplikationsraten stelle sich die Frage, ob dieses Vorgehen gerechtfertigt sei; als denkbarer Grund für diese Art der ambulanten Behandlung wird im Gutachten angedeutet, dass es möglicherweise nicht gelungen sei, die LITT im stationären Budget zu verankern (Bl 25 des Gutachtens). Im Bericht des Bundesausschusses vom 4. November 2005 heißt es, für das Verfahren der LITT würden in der Literatur eine Reihe von unerwünschten Effekten sowie schwerwiegende Komplikationen bis hin zu Todesfällen berichtet, sodass dieses "experimentelle Verfahren" ausschließlich unter stationären Bedingungen durchgeführt werden sollte (Bl 78 des Berichts).
Das LSG wird insoweit prüfen müssen, in welchen Krankenhäusern die LITT im Jahre 2001 als Maßnahme der stationären Krankenhausbehandlung angeboten worden ist (vgl. insoweit § 137c SGB V). Dabei kommt z.B. die "Referenzliste LITT" der Firma SOMATEX, Berlin (vgl. Bl 55 des MDS/MDK-Grundsatzgutachtens vom 5. Februar 2003), als Ausgangspunkt weiterer Tatsachenermittlungen in Betracht. Bei einem Behandlungsverfahren, das regelmäßig im stationären Bereich erfolgt, ausnahmsweise aber von einem vereinzelt gebliebenen Arzt ambulant erbracht wird, ist schon im Rahmen der medizinisch erforderlichen Aufklärung zu erwarten, dass der Behandler auf die Alternative der stationären Behandlung hinweist. Denn für die ärztliche Entscheidung, Behandlungsverfahren ambulant oder stationär durchzuführen, müssen vor allem Risikoabwägungen ausschlaggebend sein, die zur erforderlichen Aufklärung des Patienten gehören. Zudem ist im Rahmen der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht zu erwägen, den Arzt für verpflichtet zu erachten, darauf hinzuweisen, dass die von ihm ambulant angebotene Behandlungsmethode von der Krankenkasse (möglicherweise) nicht übernommen wird, während sie die Kosten bei stationärer Behandlung tragen würde ( vgl. Urteil des Senats vom 4. April 2006 - B 1 KR 5/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 13 Nr. 8 RdNr. 27: Uterus-Arterien-Embolisation mwN.). In diesem Zusammenhang wird das LSG auch die Folgen einer etwaigen Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten für den Erstattungsanspruch Versicherter beachten müssen. Verletzt der behandelnde Arzt seine Aufklärungspflichten, kann dies zum Ausschluss eines Vergütungsanspruchs des Arztes und damit dazu führen, dass in der Person des Versicherten ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V von vornherein nicht entsteht ( vgl. auch Urteil des Senats vom 18. Juli 2005 - B 1 KR 24/05 R, RdNr. 22 mwN.: ambulante Psychotherapie ).
Soweit der 3. Senat des BSG in seinem Urteil vom 3. August 2006 ( B 3 KR 24/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen ) unter RdNr. 20 ausführt, die Frage, ob der Kostenaufwand des Versicherten auf der Erfüllung einer vertraglichen Vergütungspflicht beruhe, auf einer sonstigen zivilrechtlichen Zahlungspflicht basiert oder gar rechtsgrundlos entstanden sei, spiele für die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V grundsätzlich keine Rolle, tragen diese Ausführungen das Urteil des 3. Senats aus Sicht des erkennenden Senats nicht. Dies ergibt sich für den erkennenden Senat aus dem Leitsatz, den weiteren Ausführungen des 3. Senats in RdNr. 21 aaO und dem Umstand, dass der 3. Senat nicht zu erkennen gegeben hat, von der anders lautenden Rechtsprechung des erkennenden 1. Senats ( vgl. z.B. BSGE 79, 125, 127 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 S 52 mwN.; BSGE 80, 181, 186 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 14 S 72; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 4, jeweils RdNr. 19 mwN. ) abweichen zu wollen.
Schließlich ist die Inanspruchnahme einer Ethikkommission in Erwägung zu ziehen (vgl. oben 2a zur "Deklaration von Helsinki").
3. Bei seiner neuerlichen Entscheidung hat das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.