Bundessozialgericht - B 2 U 55/07 B - Beschluss vom 26.06.2007
Die unverschuldete Verhinderung eines Prozessbevollmächtigten an der Wahrnehmung eines Termins ist regelmäßig ein Grund für eine Verlegung. Eine Abwesenheit aufgrund einer offenbar zuvor geplanten Fernreise stellt einen solchen Grund dar.
Gründe:
I
Streitig ist die Weitergewährung einer Verletztenrente. Der 1937 geborene Kläger erlitt als selbstständiger, bei der Beklagten freiwillig versicherter Bauunternehmer am 2. Januar 1997 einen Arbeitsunfall. Aufgrund des Ergebnisses ihrer medizinischen Ermittlungen gewährte die Beklagte dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. für die Zeit vom 2. Januar 1997 bis zum 31. Oktober 1998 (Bescheid vom 28. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2000). Das Sozialgericht hat die Klage des Klägers, mit der er eine Weitergewährung der Rente über den 31. Oktober 1998 hinaus begehrte, abgewiesen (Urteil vom 6. Mai 2004).
Hiergegen hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Der Berichterstatter des mit der Sache befassten Senats des LSG hat im Rahmen des Berufungsverfahrens einen auf den 21. Dezember 2004 anberaumten Erörterungstermin wegen Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund Jahresurlaubs aufgehoben und einen neuen Erörterungstermin auf den 27. Januar 2005 anberaumt. Dieser Termin ist wegen einer Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers wegen eines "ärztlichen Eingriffs", dem sich der Bevollmächtigte unterziehen musste, aufgehoben worden, desgleichen ein für den 22. März 2005 angesetzter Termin nunmehr zur mündlichen Verhandlung, nachdem der Kläger, der zunächst wegen Verhinderung seines Prozessbevollmächtigten durch die geplante Teilnahme an einer Veranstaltung der IHK eine - vom Vorsitzenden abgelehnte - Terminsverlegung beantragt hatte, den Vorsitzenden abgelehnt hatte. Ein später auf den 31. Mai 2005 anberaumter Termin zur mündlichen Verhandlung ist wegen erneuter Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund dessen Verpflichtung zur Rechtsberatungsbereitschaft bei einer Justizvollzugsanstalt in B. abgesetzt worden.
Nachdem aufgrund der nunmehr ergangenen Beweisanordnung des Berichterstatters vom 2. Januar 2006 ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. V. eingeholt und den Beteiligten mit Verfügung vom 12. September 2006 zur Kenntnis gebracht worden war, hat der Senatsvorsitzende einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 28. November 2006 anberaumt, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16. Oktober 2006 durch Zustellung bekannt gegeben worden ist. Am 18. Oktober 2006 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragt, den Termin wegen dessen Abwesenheit aufgrund einer in der 48. Kalenderwoche geplanten Südostasienreise zu verlegen. Mehrere Anträge des Klägers auf Aufhebung dieses Termins aus demselben Grunde sind vom Senatsvorsitzenden abgelehnt worden; die Ablehnung des letzten Antrags vom 24. November 2006, der am selben Tage bei dem LSG eingegangen und dem Senat am 27. November 2006 vorgelegt worden war, wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht mehr vor dem Verhandlungstermin zugestellt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. November 2006 sind weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter erschienen; das LSG hat daraufhin die Berufung des Klägers aufgrund (einseitiger) mündlicher Verhandlung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen seines Urteils hat es ua ausgeführt, es habe trotz der fehlenden Vertretung des Klägers verhandeln und entscheiden dürfen, weil dieser auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sei und keine erheblichen Gründe i.S. der §§ 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) für eine Vertagung vorgelegen hätten. Da die Ladung dem Prozessbevollmächtigten, der zuvor bereits mit zwei Anträgen auf Terminsverlegung erfolgreich gewesen sei, frühzeitig bekannt gewesen sei, habe er genügend Zeit gehabt, sich medizinisch für eine Stellungnahme beraten zu lassen und für eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt zu sorgen; eine solche Vertretung wäre dem Kläger auch zumutbar gewesen. Dem habe auch der Schwierigkeitsgrad der Sache nicht entgegengestanden. In Ansehung des Gebotes, entscheidungsreife Verfahren auch zu Ende zu bringen, habe kein Grund bestanden, den Termin nicht durchzuführen. Für die - vom Kläger schriftsätzlich beantragte - Einholung eines weiteren Gutachtens habe kein Grund bestanden, weil das Gutachten des Dr. V., auf welches der Senat seine Überzeugung stütze, nachvollziehbar sei und der Kläger einen Widerspruch darin nicht nachvollziehbar benannt habe.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, das LSG habe sein rechtliches Gehör aus zwei Gründen verletzt: Sein Prozessbevollmächtigter sei wegen einer Südostasienreise verhindert gewesen, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. November 2006 wahrzunehmen. Obwohl deshalb ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung bestanden habe und die Verhinderung auch bereits früh mitgeteilt worden sei, habe das Gericht seinem entsprechenden Antrag nicht stattgegeben. Dass sein Prozessbevollmächtigter keinen Terminvertreter beauftragt habe, sei gerechtfertigt, zumal ein solcher Vertreter die vorhandenen zahlreichen fachärztlichen Gutachten bzw. Stellungnahmen nebst diversen Krankenhausberichten naturgemäß nicht hätte überblicken können. Auf diesem Verfahrensmangel beruhe das angefochtene Urteil auch, denn er hätte in der mündlichen Verhandlung die Widersprüche der Stellungnahme des Dr. V. noch näher dargelegt; es hätte dann die Möglichkeit bestanden, dass das LSG zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Außerdem habe das Gericht dem Antrag seines Prozessbevollmächtigten auf Akteneinsicht nicht stattgegeben. Weiter habe es seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt, indem es seinem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu "Widersprüchen" im Gutachten des Dr. V. nicht gefolgt sei.
II
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG vom 28. November 2006 ist unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ergangen. Dieser vom Kläger auch schlüssig gerügte Verfahrensmangel führt gemäß § 160a Abs. 5 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Das angefochtene Urteil kann auf dem vom Kläger in erster Linie geltend gemachten Verfahrensmangel, der Verletzung rechtlichen Gehörs, beruhen. Das LSG hat das Grundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, §§ 62, 124 Abs. 1 SGG) dadurch verletzt, dass es ein Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung verkündet hat, obwohl der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen begründeten Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung (§ 202 SGG i.V.m. § 227 ZPO) gestellt hatte. Wird einem Beteiligten das rechtliche Gehör dadurch versagt, dass es ihm nicht ermöglicht wird, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, so ist davon auszugehen, dass dies für eine aufgrund dieser Verhandlung ergangene Entscheidung ursächlich geworden ist; insoweit erübrigen sich zur Kennzeichnung des Verfahrensmangels Ausführungen darüber, dass das Urteil auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann (vgl. BSG SozR 3-1750 § 227 Nr. 1 m.w.N.). Gründe, welche die Ursächlichkeit des gerügten Verfahrensmangels der Verletzung des rechtlichen Gehörs für das angefochtene Urteil ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich.
Der Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt auch vor. Mit mehreren Schriftsätzen, erstmals mit dem kurz nach der Zustellung der Terminsladung abgefassten Schriftsatz vom 18. Oktober 2006, hatte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten um Verlegung des auf den 28. November 2006 anberaumten Verhandlungstermins unter Hinweis auf dessen in der 48. Kalenderwoche geplante Südostasienreise gebeten. Mit diesem Antrag hat der Kläger einen erheblichen Grund i.S. des § 227 ZPO geltend gemacht. Bei Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung und Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben oder nicht, Gelegenheit gegeben werden, sich zur Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung selbst zu äußern. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes für die Terminsverlegung begründet die Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung; ein Ermessensspielraum besteht nicht (vgl. BSG, Beschluss vom 30. Oktober 2001 - B 4 RA 49/01 R - m.w.N.). Das Recht auf rechtliches Gehör ist daher auch dann verletzt, wenn das Vorliegen eines erheblichen Grundes zu Unrecht verneint wird.
So liegt es hier. Die unverschuldete Verhinderung eines Prozessbevollmächtigten an der Wahrnehmung eines Termins ist regelmäßig ein Grund für eine Verlegung. Eine Abwesenheit aufgrund einer offenbar zuvor geplanten Fernreise stellt einen solchen Grund dar. Das LSG hat bei der Ablehnung der Verlegung des Termins die Bedeutung und Tragweite der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Rechtsschutzgarantie (vgl. dazu BVerfG Beschluss vom 30. Juni 2005 - 1 BvR 1873/04 -) eines Beteiligten im Verhältnis zum Interesse der anderen Beteiligten und der Rechtspflege an einer zügigen Entscheidung nicht angemessen berücksichtigt. Denn Umstände, die auf eine missbräuchliche Verwendung des Rechts auf Beantragung einer Terminsverlegung zur Verzögerung des Verfahrens hinweisen könnten, sind nicht ersichtlich, auch bedingt der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung angesichts der erst kurz vor Terminsanberaumung aus Sicht des LSG abgeschlossenen Beweiserhebung hier nicht zwingend die Durchführung des anberaumten Termins unter Einschränkung der Rechtsschutzgarantie des Klägers; eine angesichts der nur kurzzeitigen Verhinderung des Prozessbevollmächtigten vorgenommene Terminsverlegung um etwa eine Woche wäre mit dem Zügigkeitsgebot durchaus noch vereinbar gewesen.
Mit der Erwähnung des "zweimaligen Erfolges" des Prozessbevollmächtigten des Klägers bei Verlegungsanträgen im angefochtenen Urteil könnte angedeutet sein, dass hier Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten seitens des Prozessbevollmächtigten vorlägen.
Dem liegt die zutreffende Überlegung zugrunde, dass das Interesse der Allgemeinheit und der übrigen Prozessbeteiligten an einer Verfahrensbeschleunigung und zügigen Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits gegenüber dem Interesse des Klägers an einem möglichst umfassenden Rechtsschutz zunehmend an Bedeutung gewinnt, wenn Verhandlungstermine bei unveränderter prozessualer Situation bereits mehrfach auf Antrag des Klägers verlegt werden mussten. Dem Prozessbevollmächtigten kann es dann zumutbar sein, zur Erlangung des rechtlichen Gehörs Terminskollisionen unter Zurückstellung anderweitiger Interessen aufzulösen oder geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um für eine Vertretung im Termin zu sorgen. Im vorliegenden Verfahren bestand dafür jedoch keine Grundlage, nachdem das LSG erst unmittelbar vor der Anberaumung des Termins die Beweiserhebung abgeschlossen hatte und eine bis dahin eingetretene Verzögerung jedenfalls nicht dem Kläger anzulasten war. Das gilt umso mehr, als nicht ersichtlich ist, welche Vorteile dem Kläger eine Prozessverschleppung hätte bieten können.
Der Kläger war nicht gehalten, einen anderen Prozessbevollmächtigten zu bestellen oder zumindest einen Terminvertreter zu beauftragen, um sich durch Wahrnehmung des Verhandlungstermins rechtliches Gehör zu verschaffen, da ihm nicht ohne schwerwiegende Gründe vorgeschrieben werden kann, sich durch einen anderen als den Rechtsanwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der Kläger durch objektive Anhaltspunkte gestützt annimmt, die Kompliziertheit der Sach- und Rechtslage lasse eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt weniger erfolgversprechend erscheinen. Ob der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter - wie das LSG meint - genügend Zeit hatte, sich vor dem Termin schriftsätzlich zu äußern und sich damit Gehör zu verschaffen, ist angesichts der Funktion der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens unbeachtlich (vgl. BSG a.a.O.).
Der Senat weicht damit nicht von seinem Beschluss vom 28. Juni 2004 - B 2 U 126/04 B - ab, in dem er aufgrund der besonderen Umstände des Falles - bereits viermalige Verschiebung des Termins zur mündlichen Verhandlung in demselben Verfahrensstadium aufgrund in der persönlichen Sphäre der Bevollmächtigten liegender Verhinderungsgründe - die Sicherstellung der Vertretung im Termin durch die nunmehr erneut wegen Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung verhinderten Prozessbevollmächtigten für geboten gehalten und dementsprechend keinen erheblichen Grund i.S. des § 227 ZPO angenommen hatte. Der vorliegende Fall unterscheidet sich hiervon insofern wesentlich, als es um den erstmaligen Verlegungsantrag nach vom LSG abgeschlossener Beweiserhebung und offenbar angenommener Entscheidungsreife der Sache geht. Die in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2006 ausgesprochene Berufungszurückverweisung beruht auf diesem Verfahrensfehler, da die Möglichkeit einer für den Kläger günstigeren Sachentscheidung aufgrund der Wahrnehmung des Termins durch seinen Prozessbevollmächtigten besteht.
Der Senat macht von der durch § 160a Abs. 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensmangels aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Es kann daher offen bleiben, ob die weiteren vom Kläger angeführten Verfahrensmängel hinreichend dargelegt sind und auch tatsächlich vorliegen.
Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.