Bundessozialgericht - B 2 U 58/05 B - Beschluss vom 17. November 2006
Die Grenze der erlaubten Mitarbeit - mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens - ist überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen.
Entscheidend für die Zulässigkeit der Delegation ist, dass der Sachverständige die Schlussfolgerungen seines Mitarbeiters überprüft und durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt.
Gründe
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Er rügt, das angefochtene Urteil beruhe auf der Verwertung eines ärztlichen Gutachtens, das nicht von dem zum gerichtlichen Sachverständigen ernannten Oberarzt der Neurologischen Klinik der Universität M. , Priv. Doz. Dr. V. , sondern von dem Assistenzarzt Dr. Sch. erstattet worden sei. Priv. Doz. Dr. V. habe er während der gesamten Begutachtung nicht zu Gesicht bekommen. Dies habe er in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausdrücklich gerügt. Statt dem nachzugehen und den Sachverständigen zu befragen, habe das Landessozialgericht (LSG) seine - des Klägers - Angaben in den Urteilsgründen als unglaubhaft bezeichnet und dies damit begründet, dass Priv. Doz. Dr. V. das Gutachten mit dem Zusatz "Einverstanden auf Grund eigener Urteilsbildung und Untersuchung" unterzeichnet habe.
Mit diesen Ausführungen ist der geltend gemachte Verfahrensmangel (Verstoß gegen § 118 SGG i.V.m. § 407a Abs. 2 ZPO) nicht iS des § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG "bezeichnet". Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, dass Priv. Doz. Dr. V. die notwendigen Untersuchungen nicht persönlich durchgeführt hat, hätte das nicht zwangsläufig die Unverwertbarkeit des Gutachtens zur Folge.
Zu der Frage, in welchem Umfang ein vom Gericht bestellter Sachverständiger bei der Erstellung des Gutachtens auf die Mitarbeit anderer sachkundiger Personen zurückgreifen darf und wie sich Verstöße gegen die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben auf die Verwertbarkeit des Gutachtens auswirken, hat sich zuletzt der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in zwei Beschlüssen vom 18. September 2003 (SozR 4-1750 § 407a Nr. 1) und vom 15. Juli 2004 (SozR 4-1750 § 407a Nr. 2) zusammenfassend geäußert. Danach ist die Grenze der erlaubten Mitarbeit - mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens - überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen. Der Kläger bezieht sich zwar auf diese Rechtsprechung. Seinen Vorwurf, der Sachverständige Priv. Doz. Dr. V. habe im konkreten Fall die ihm obliegenden Aufgaben unzulässigerweise delegiert, hat er jedoch nicht ausreichend substantiiert.
Dass bei einem ärztlichen Gutachten zum unverzichtbaren Kern der Aufgaben des Sachverständigen stets die persönliche Untersuchung des Patienten gehört, ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Der 9. Senat des BSG hat in dem vom Kläger zitierten Beschluss vom 18. September 2003 - B 9 VU 2/03 B - (aaO RdNr. 7) lediglich im Fall einer psychiatrischen Begutachtung wegen der Besonderheiten dieses Fachgebiets die persönliche Begegnung des Sachverständigen mit dem Probanden unter Einschluss eines explorierenden Gesprächs als unverzichtbar für die eigene verantwortliche Urteilsbildung angesehen. Dagegen gehören, wenn es wie im vorliegenden Fall um die Beurteilung neurologischer oder anderer organmedizinischer Krankheitsbilder geht, weder die Durchführung der körperlichen Untersuchung noch die schriftliche Abfassung des Gutachtens in jedem Fall zu den Tätigkeiten, die der Sachverständige zwingend selbst erledigen muss. Soweit sich nicht aus der Eigenart des Gutachtenthemas ergibt, dass für bestimmte Untersuchungen die spezielle Sachkunde und Erfahrung des Sachverständigen benötigt wird, reicht es aus, wenn dieser die von Hilfskräften erhobenen Daten und Befunde nachvollzieht. Entscheidend ist, dass der Sachverständige die Schlussfolgerungen seines Mitarbeiters überprüft und durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt (zu alledem: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, III. Kapitel RdNr. 65/66; Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 118 RdNr. 11g mwN).
In der Beschwerdebegründung hätte deshalb dargelegt werden müssen, dass und warum für die beim Kläger durchgeführten Untersuchungen eine spezielle
Sachkunde oder Erfahrung notwendig gewesen sein könnte oder aus welchen anderen Gründen diese Untersuchungen
zwecks Gewährleistung einer fachkundigen Beurteilung zwingend von dem Sachverständigen Priv. Doz. Dr. V. persönlich hätten vorgenommen werden müssen. Dazu finden
sich jedoch keine Ausführungen.
Da Zulassungsgründe nicht ausreichend vorgetragen sind, war die Beschwerde durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a
Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.