Bundessozialgericht- Urteil vom 30.01.02 - Az.: B 5 RJ 6/01 R

 

1. Das der Bemessung des von der Klägerin in der Zeit vom 1. November 1999 bis 29. Februar 2000 bezogenen Alg zu Grunde liegende Arbeitsentgelt ist nicht als Hinzuverdienst zu berücksichtigen und führt nicht zur Einstellung der Zahlung der für den gleichen Zeitraum dem Grunde nach anerkannten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Vielmehr hat das AA nach § 125 Abs 3 SGB III iVm § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten mit der Folge, dass insoweit nach dem entsprechend anwendbaren § 107 SGB X der Rentenanspruch der Klägerin als erfüllt gilt.

 

 

 

Gründe: 

 

Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Zeitraum von November 1999 bis Februar 2000 deshalb nicht zu leisten ist, weil wegen des zeitgleichen Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) die Hinzuverdienstgrenze überschritten wurde.

 

Mit Bescheid vom 21. Januar 2000 führte die Beklagte einen im Rechtsstreit S 11 RJ 1301/99 vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim (durch Annahmeerklärung der Klägerin vom 27. Dezember 1999) geschlosse­nen außergerichtlichen Vergleich aus, mit dem sie sich verpflichtet hatte - ausgehend von einem halbschichtigen Leistungsvermö­gen, den Verhältnissen des Teilzeitarbeitsmarktes und Eintritt des Versicherungsfalles der Er­werbs­unfähigkeit am 15. Februar 1999 - der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 1. September 1999 bis 31. August 2002 zu gewähren. Sie stellte den an­fänglichen monatlichen Zahlbetrag der Rente mit (netto) DM 1.237,89 fest, verweigerte je­doch ab 1. November 1999 die weitere Leistung, denn die Bemessungsgrundlage des seit 29. Oktober 1999 gewährten Alg (wöchentlich DM 521,10) überschreite sowohl die Hin­zuverdienstgrenze für die Rente wegen Erwerbsunfähig­keit (monatlich DM 630) als auch die Hinzuverdienstgrenze einer (fiktiven) Rente wegen Berufsun­fähigkeit (DM 2.112,69).

 

Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen hatte die Klägerin nach Ende der Höchstleistungsdauer des Krankengeldes am 28. Oktober 1999 Antrag auf Alg gestellt und gegenüber dem Arbeitsamt (AA) angegeben, sie sei weiterhin arbeitsunfähig und es sei eine Klage gegen die Beklagte auf Ge­währung einer Rente wegen Erwerbs­unfähigkeit anhängig. Das AA hatte ab 29. Oktober 1999 Alg bewilligt, gegenüber der Be­klagten mit Schreiben vom 8. November 1999 einen Erstattungsanspruch angemeldet und eine ärztliche Untersuchung und Begutach­tung in Auftrag gegeben, bei der insbe­sondere abgeklärt werden sollte, ob die Klägerin überhaupt arbeitsfähig sei. Nach dem Ergebnis des Gutachtens vom 10. Januar 2000 war die Leistungsfähigkeit der Klägerin für voraussichtlich länger als sechs Monate auf täglich weniger als drei Stunden - dh wöchentlich unter 15 Stunden - herabgesetzt. Nach Eingang der Rentenmitteilung stellte das AA die Zahlung des Alg mit Ablauf des 29. Februar 2000 ein. Die Beklagte nahm deshalb ab 1. März 2000 die Rentenzahlung wieder auf.

 

Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2000, betreffend die Leistungsverweigerung von November 1999 bis Februar 2000, wies die Beklagte mit Widespruchsbescheid vom 11. Mai 2000 zurück: Die Einstellung der Zahlung ab 1. November 1999 be­ruhe auf § 96a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) idF des Rentenreformgesetzes 1999 (RRG 1999), womit auch Sozialleis­tungen wie das Alg in die Hinzuverdienstregelungen einbezogen wor­den seien. Der Vorbehalt des § 96a Abs 3 Satz 2 Nr 3 SGB VI greife nicht, denn nach § 125 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) werde Alg nur dann vorläufig bis zum Beginn der Rente gewährt, wenn für die Bewilligung der Rente ausschließlich der Gesundheitszu­stand (unter halbschichtiges Leis­tungsvermögen) maßgebend sei.

 

Das SG Mannheim hat die Klage mit Urteil vom 5. Oktober 2000 abgewiesen. Die Beru­fung der Klägerin hat das Landessozialgericht Baden-Würt­temberg mit Urteil vom 16. Februar 2001 zurückgewiesen: Die Hinzuverdienstgrenzen des § 96a SGB VI idF des RRG 1999 seien zutreffend ermittelt worden. Das Alg der Klägerin sei auch nicht nur "vorläufig bis zur Feststellung der Rente" (§ 96a Abs 3 Satz 2 Nr 3 SGB VI) geleistet wor­den. Die Regelung beziehe sich allein auf die vorläufige Leistung von Alg nach § 328 Abs 1 Nr 3 SGB III, nicht aber auf die Zahlung von Alg nach der sog "Nahtlosigkeitsrege­lung" des § 125 SGB III, wie im Falle der Klägerin. Dies ergebe sich aus der Überlegung, dass § 125 Abs 3 SGB III dem AA einen Er­stattungsan­spruch in Höhe der Rente, die niedriger als das Alg sein könne, zubillige und deshalb der die Rente übersteigende Teil des Alg bei rückwirkender Rentenbewilligung dem Arbeits­losen verbleibe. Es sei nicht Sinn des Gesetzes, über § 125 SGB III das Alg im Ergebnis aus der Hinzuverdienstrege­lung herauszunehmen, wo doch die Grundregel auf die Ein­stellung jedenfalls der Er­werbsunfähigkeitsrente abziele, weil nicht nur das Alg, son­dern sogar das der Bemes­sung des Alg zu Grunde liegende Arbeitsentgelt als Hinzuver­dienst zu berücksich­tigen sei. Im Falle einer "echten" vorläufigen Leistung von Alg wäre dagegen bei rückwir­kender Rentenbewilligung nach § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III das Alg in voller Höhe vom Arbeitslo­sen zu erstatten.

 

Mit der ‑ vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen ‑ Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der Art 3 Abs 1 und 14 Abs 1 Grundge­setz (GG). Ihre Rente sei durch Art 14 GG geschützt; der An­spruch sei im streitigen Zeit­raum "auf 0" gekürzt worden. Dieser Eingriff sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Das nach § 125 SGB III "endgültig" gewährte Alg müsse dem "vorläufig" gewährten nach § 328 SGB III gleichgestellt werden - Letzteres sei vom Gesetz auch nach Meinung des LSG von der Berücksichtigung als Hinzuver­dienst ausgenommen. Vergleiche man die jeweils berechtigten Personengrup­pen, seien signifikante Unterschiede nicht erkennbar. Sie sei besonders betroffen, denn auch nach Abzug des zeitgleich gewährten Alg ergebe sich ein Verlust von ca der Hälfte der Rente.

 

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Februar 2001 sowie das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 5. Oktober 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2000 zu verurteilen, der Kläge­rin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von November 1999 bis Februar 2000 abzüglich des zeitgleich gewährten Alg zu gewähren.

 

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

 

Sie macht aber geltend, dass die vorläufige Zahlung von Alg nach § 125 SGB III dann un­be­­achtlich sei, wenn nachträglich der Rentenversicherungsträger in seiner Kom­petenz (§ 125 Abs 1 Satz 2 SGB III) feststelle, dass (ohne Berücksichtigung der Situation auf dem Teilzeitarbeitsmarkt) der Versicherungsfall der Erwerbsunfähig­keit nicht eingetreten sei. Davon sei nach dem Vergleich auszugehen. Es sei des­halb kein Erstattungsanspruch des AA nach § 125 Abs 3 SGB III entstanden und die Klägerin werde im Ergebnis so ge­stellt, als hätte das AA von Anfang an unter Annahme eines ausreichenden Leistungs­vermögens Alg gewährt.

 

 

II

 

Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht für die Zeit ab November 1999 bis einschließlich Februar 2000 ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abzüglich des zeitgleich geleisteten Alg zu.

 

Das der Bemessung des von der Klägerin in der Zeit vom 1. November 1999 bis 29. Februar 2000 bezogenen Alg zu Grunde liegende Arbeitsentgelt ist nicht als Hinzuverdienst zu berücksichtigen und führt nicht zur Einstellung der Zahlung der für den gleichen Zeitraum dem Grunde nach anerkannten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Vielmehr hat das AA nach § 125 Abs 3 SGB III iVm § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten mit der Folge, dass insoweit nach dem entsprechend anwendbaren § 107 SGB X der Rentenanspruch der Klägerin als erfüllt gilt.

 

1. Mit der Anfügung eines neuen Abs 3 an § 96a SGB VI durch Art 1 Nr 52 RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2998) ist mit Wirkung ab 1. Januar 1999 (Art 33 Abs 1 RRG 1999) die Anrechnung von Sozialleistungen (ua alle Leistungen nach § 18a Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB IV, vgl § 96a Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB VI) als Hinzuverdienst vorgeschrieben; als Hinzuverdienst ist nicht etwa der Zahlbetrag der Sozialleistung, son­dern das der Sozialleistung zu Grunde liegende monat­liche Arbeitsentgelt oder Arbeitsein­kommen zu berücksichtigen (§ 96a Abs 3 Satz 3 SGB VI). Bei Bezug einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sind allerdings nach dem Katalog des § 96a Abs 3 Satz 2 SGB VI idF des RRG nur das Verletztengeld (Nr 1), das Übergangsgeld aus der gesetzlichen Unfall­versicherung (Nr 2) sowie das Arbeitslosen­geld (Nr 3) anrechenbar, Letzteres jedoch wie­derum nur dann, wenn es "nicht nur vorläufig bis zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit geleistet wird". Die Nr 3 wurde durch die Neufassung des § 96a Abs 3 Satz 2 SGB VI mit Wirkung ab 1. Januar 2001 durch Art 1 Nr 28c, bb, Art 24 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I 1827) wieder ge­strichen.

 

Eine Begründung für die nur eingeschränkte Berücksichtigung von Alg als Hinzuverdienst bei Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente bzw einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ist den Gesetzesmaterialien weder aus Anlass der Einführung noch aus Anlass der Streichung dieser Regelung zu entnehmen (BT-Drucks 13/8011 S 59 zu Nr 47; BT‑Drucks 13/8671 S 118 zu Nr 47a; BT‑Drucks 14/4230 S 27 zu Nr 28). Hier wird lediglich allgemein erläutert, dass die Anrechnung von Sozialleistungen auch auf die Rente wegen voller Er­werbsminderung erfolge, um ungerechtfertigte Doppelleistungen zu ver­meiden, dh ein Versicherter, dessen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wegen eines Hinzuverdienstes gekürzt wird, solle nicht besser gestellt werden, wenn an die Stelle des Arbeitsentgeltes oder Arbeitseinkommens eine kurzfristige Lohnersatzleistung trete. Bei der Neufassung des § 96a Abs 3 Satz 2 SGB VI ab 1. Januar 2001 handele es sich um eine Folgeänderung auf Grund der Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

 

Sinn und Zweck dafür, dass die Regelung des § 96a Abs 3 Satz 2 Nr 3 SGB VI aF Alg von der Anrechnung als Hinzuverdienst ausnahm, wenn es nur vorläufig bis zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit geleistet wurde, aber auch Sinn und Zweck der Streichung dieser Vorschrift mit Wirkung ab 1. Januar 2001 ergeben sich indes aus dem Re­gelungs­zusammenhang. Die Ausnahmeregelung sicherte den Erstattungsanspruch der Bundes­anstalt für Arbeit (BA) nach § 125 Abs 3 SGB III und grenzte damit letztlich die Leistungs­bereiche der Renten- und Arbeitslosenversicherung voneinander ab. Ohne diese Ausnahme wäre bei Berücksichtigung der Bemessungsgrundlage des nach § 125 SGB III gewährten Alg als Hinzuverdienst idR keine Rentenzahlung erfolgt und der genannte Erstattungsanspruch der BA ins Leere gegangen.

 

Ab 1. Januar 2001 musste zur Sicherung des Erstattungsanspruchs der BA die Nr 3 des § 96a Abs 3 Satz 2 SGB VI vollständig entfallen. Denn seitdem besteht nicht nur bei einer Leistung von Alg nach § 125 SGB III, sondern auch bei der regulären Zahlung von Alg ein Erstattungsan­spruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger "entsprechend" § 125 Abs 3 SGB III, falls die Rente rückwirkend bewilligt wird (gleichzeitig wurden die pau­schalen Ausgleichszahlungen nach § 224 SGB VI eingeführt). Dies ergibt sich nach Einfügung eines Satzes 2 in § 142 Abs 2 SGB III durch das Gesetz vom 20. Dezember 2000 (aaO), wonach im Falle des Satzes 1 Nr 2 § 125 Abs 3 SGB III entsprechend gilt. Zwar ruht weiterhin abweichend von der Grundregel des § 142 Abs 1 Nr 3 SGB III nach § 142 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III das Alg wegen des Bezugs einer Rente wegen voller Er­werbsminderung aus der gesetz­lichen Rentenversicherung erst vom Beginn der lau­fen­den Zahlung der Rente an, die BA hat aber nunmehr stets einen Erstattungsanspruch ge­genüber dem Träger der Rentenversicherung bei rückwirkender Rentenbewilligung. Er wäre hin­fällig, wäre § 96a Abs 3 Satz 2 Nr 3 SGB VI idF des RRG 1999 weiterhin gültig.

 

Der in § 96a Abs 3 Satz 2 SGB VI aF genannte Fall einer vorläufigen Leistung von Alg "bis zur Feststellung der Erwerbsunfähig­keit" ist derjenige der "Nahtlo­sigkeitsregelung" des § 125 SGB III (hier: idF des Gesetzes vom 24. März 1997 <BGBl I 594, 595>). Hier­nach hat Anspruch auf Alg auch derjenige, der von den in §§ 117 ff SGB III normierten Leistungsvoraussetzungen (nur) diejenige des § 119 Abs 3 Nr 1 SGB III (objektive Ver­fügbarkeit/Arbeitsfähigkeit im engeren Sinne) nicht erfüllt. Dann tritt eine Vorleistungs­pflicht des AA bis zur Entscheidung des Trägers der Rentenversicherung über den Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit (§ 125 Abs 1 Satz 2 SGB III) ein; im Falle der Zuerkennung einer Rente wegen Erwerbs­unfähigkeit durch den Träger der Renten­versicherung steht der BA nach § 125 Abs 3 SGB III ein Erstattungsan­spruch entspre­chend § 103 SGB X zu (so wohl auch Kamprad in Hauck/Haines, Komm SGB VI, Stand Dezember 1999, § 96a RdNr 24; Gürtner in Kasseler Komm, Stand April 2000, § 96a SGB VI RdNr 22, der allerdings in diesem Zusammenhang ‑ missverständlich ‑ auf die vorläufige Leistung nach § 328 Abs 1 Nr 3 SGB III verweist).

 

2. Zutreffend hat das LSG festgestellt, dass die Zahlung des Alg an die Klägerin allein auf der Grundlage des § 125 SGB III erfolgt ist. Dabei handelt es sich ‑ neben der Leistungs­fortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit ‑ um eine der "Sonderformen" des Alg (vgl Erstes Kapitel Achter Abschnitt, Zweiter Titel des SGB III). Nach § 125 Abs 1 Satz 1 SGB III hat Anspruch auf Alg auch "wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechs­monatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, min­destens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingun­gen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Be­rück­sichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn weder Berufsunfä­hig­keit noch Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festge­stellt worden ist". Nur die letztgenannte Feststellung trifft (nachträglich) der Träger der Renten­versicherung (Satz 2). Dagegen erfolgt die Feststellung der Minderung der Leis­tungsfä­higkeit iS des § 125 Abs 1 Satz 1 SGB III ‑ und der übrigen Anspruchsvorausset­zungen ‑ allein durch das AA nach den Vorgaben des SGB III. Es sind hier also zwei ‑ auch zeitlich ‑ getrennte Feststellungen zu treffen: diejenige nach Satz 1 durch die Ar­beitsverwaltung, und die (spätere) durch den Rentenversicherungsträger. Die Arbeitsver­waltung soll (lediglich) keine dem Arbeitslosen nachteilige Entscheidung über seine Leis­tungsfähigkeit treffen dürfen, solange keine Feststellung des Rentenversicherungs­trägers hierüber vorliegt (vgl dazu im Einzelnen zur Vorgängernorm des § 105a Arbeitsför­de­rungsgesetz BSG Urteile vom 12. Juni 1992 ‑ 11 RAr 35/91 ‑ BSGE 71, 12, 15 = SozR 3‑4100 § 105a Nr 4, vom 29. April 1998 ‑ B 7 AL 18/97 R ‑ SozR 3‑4100 § 105a Nr 5 und vom 9. September 1999 ‑ B 11 AL 13/99 R ‑ BSGE 84, 262, 264 f = SozR 3‑4100 § 105a Nr 7 mwN).

 

Ohne gesetzliche Ermächtigung setzt die Beklagte die von ihr festgestellten Tat­sachen für den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nach Maßgabe des Vergleichs ("halbschichtiges" Leis­tungsvermögen und sog "Arbeitsmarktrente" auf Zeit) an die Stelle der Tatsachen, welche die Arbeitsverwaltung nach den nur für sie geltenden Vorgaben des § 125 Abs 1 Satz 1 SGB III vorab festzustellen hatte und nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens auch festgestellt hat: nämlich gemindertes Leistungsvermögen unterhalb der Geringfügig­keits­grenze (15 Stunden wöchentlich) für eine Dauer von mehr als sechs Monaten, bezo­gen auf Arbeitstätigkeiten, die nach § 121 SGB III zumut­bar sind. Sie waren die Grund­lage der Leistungsbewilligung des AA (ab 29. Oktober 1999) und Grundlage des ange­melde­ten Erstattungsanspruchs nach § 125 Abs 3 SGB III. Ausgehend von der Annahme, die eigene Entscheidung ersetze rückwirkend die Entscheidungsgrundlage des AA, ver­tritt die Beklagte die Auffassung, das Alg sei nicht nach § 125 Abs 1 SGB III gewährt wor­den, es bestehe kein Erstattungsanspruch nach § 125 Abs 3 SGB III und das Alg sei - so als ob es von Anfang an als "reguläres" Alg gewährt worden wäre - unge­achtet des § 96a Abs 3 Satz 2 Nr 3 SGB VI mit seiner Bemessungsgrundlage als Hinzu­verdienst zu be­rücksichtigen. Für diese Rechtsauffassung (so auch MittLVA Oberfr 2000, 82 f, 3.2.2; Wollschläger, DRV 2001, 276, 281), gibt § 125 SGB III keinerlei Anhalt. § 125 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB III spricht nur von der (späteren) Feststellung der Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversi­cherung und markiert damit das (mit einem Bescheid nach § 48 SGB X noch umzuset­zende) Ende für die besondere Leistung nach § 125 SGB III (vgl BSG Urteile vom 14. Dezember 1995 ‑ 11 RAr 19/95 ‑ Volltext in JURIS und vom 29. April 1998 ‑ B 7 AL 18/97 R ‑ SozR 3‑4100 § 105a Nr 5, 23 f ‑ jeweils mwN). Der Grund für die bereits er­brachten Leistungen wird dagegen nicht beseitigt oder im Sinne der Feststellun­gen des Rentenversicherungsträgers nachträglich ersetzt. Des­halb erfolgt auch keine Neuberech­nung des Alg, zB auf der Grundlage eines vom Renten­versiche­rungsträger festgestellten Leistungsvermögens von nur vier Stunden täglich. § 125 Abs 3 Satz 1 SGB III nennt als Voraussetzung für den Erstattungsanspruch die rückwirkende "Zuer­kennung" einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Es ist nicht davon die Rede, dass da­mit nur Versicherungs­fälle ohne Berücksichtigung der Situation auf dem Teilzeitarbeits­markt gemeint sein soll­ten oder nur Renten wegen Erwerbs­unfähigkeit, die keine sog "Ar­beits­marktrenten" (auch auf Zeit) sind.

 

Die Rechtsauffassung der Beklagten führt über die bereits im Gesetz ver­ankerten Me­chanismen (Rente auf Zeit) hinaus zu einer weiteren Verlagerung der Zahl­last auf die BA, ohne dass diese gegen den Untergang ihres Erstat­tungsanspruchs nach § 125 Abs 3 SGB III vorgehen könnte. Wäre auch in den Fällen des § 125 SGB III das Alg bzw seine Bemessungsgrundlage als Hinzuverdienst zu verstehen gewesen, so hätte idR kein oder nur ein stark verminderter Rentenanspruch bestanden, sodass für einen Erstattungsan­spruch der BA nach § 125 Abs 3 SGB III kein ‑ oder kaum noch ‑ Raum bestanden hätte. Gerade die in dieser Erstattungsvorschrift zum Ausdruck kommende Wertung lässt er­kennen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Leistung des Alg nach § 125 SGB III, soweit tatsächlich ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit besteht, nicht in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung, sondern in jenen der gesetz­lichen Rentenversicherung fällt. Diese Lastenverteilung darf nicht durch Auslegung besei­tigt werden.

 

3. Aber auch unabhängig davon macht die von den Vorinstanzen und von der Beklagten vertretene Auslegung, die lediglich eine Alg-Gewährung nach § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III als "vorläufige Leistung bis zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit" iS des § 96a Abs 3 Satz 2 Nr 3 SGB VI aF versteht, keinen Sinn. Zum Einen ist eine vorläufige Ent­scheidung nach § 328 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III über die Erbringung von Alg "bis zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit" kaum denkbar: Denn wenn der Verdacht auf Er­werbsunfähigkeit im Raume steht, dürften die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg eben gerade nicht "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen", wie diese Vorschrift verlangt (es sei denn, es handelte sich um den untypischen Fall oder die "Sonderform" der Entscheidung über Alg gerade nach § 125 SGB III). Zum Anderen besteht auch bei einer Leistung nach § 328 Abs 1 SGB III kein Erstattungsanspruch der BA, der durch die Aus­nahme des § 96a Abs 3 Satz 2 SGB VI aF abgesichert werden müsste. Vielmehr richtet er sich bei einer Leistung auf Grund einer vorläufigen Entscheidung nach § 328 Abs 1 SGB III gegen den Arbeitnehmer (Versicherten) selbst und nicht etwa gegen einen vor­rangig verpflichteten Leistungsträger.

 

4. Die von der Beklagten vertretene Auslegung hat zwar für den Versicherten selbst im Regelfall ‑ dh wenn das Alg der Höhe nach die Rente erreicht oder übersteigt ‑ keine Nachteile. Ist seine Rente aber ‑ wie im vorliegenden Fall sogar wesentlich ‑ höher als das Alg (und sei es nur zufällig, weil im Bemessungszeitraum des Alg nur halbtags gearbeitet wurde), führt die Rechtsmeinung ihm gegenüber zu einem Rentenentzug ohne innere Rechtfertigung. Besteht ‑ wie hier ‑ ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbs­unfähig­keit (was die "Nahtlosigkeitsregelung" des § 125 SGB III nicht voraussetzt: s BSG Urteil vom 29. April 1998 ‑ B 7 AL 18/97 R ‑ SozR 3‑4100 § 105a Nr 5 S 23 f), erweist sich das auf der Grundlage des § 125 SGB III gezahlte Alg rückblickend faktisch als eine Vor­schusszahlung auf die Rente. Eine solche Leistung nicht als "Hinzuverdienst" neben jener Rente zu berücksichtigen, ist deshalb folgerichtig. Dabei ist hier, in entsprechender An­wendung der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X, wonach ‑ soweit ein Erstattungsan­spruch eines nachrangig verpflichteten Trägers (hier: nach § 125 Abs 3 SGB III iVm § 103 SGB X) besteht ‑ der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger (hier: der Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit) in Höhe des zeit­gleich bezogenen Alg als erfüllt anzusehen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.