Bundessozialgericht - B 8 SO 13/11 R - Urteil vom 20.09.2012
Ohne rechtliche Bedeutung ist ein klägerischer Einwand, er könne über seinen Miteigentumsanteil nicht ohne die Zustimmung des Ehepartners verfügen. Das normative Konzept des § 19 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB XII lässt einen solchen Einwand nicht zu. Die bezeichneten Normen bestimmen vielmehr ausdrücklich, dass auch das alleinige Vermögen des Ehepartners bei der Gewährung von Sozialhilfe zu berücksichtigen ist, sodass sogar die Konstellation erfasst wird, in der von vornherein eine Verfügungsbefugnis des um Sozialhilfe Nachsuchenden fehlt; diesem Konzept würde es zuwiderlaufen, wenn der um Sozialhilfe Nachsuchende einwenden könnte, über das Vermögen überhaupt nicht verfügen zu können. Folgerichtig muss es für eine rechtliche Verfügbarkeit im Sinne des SGB XII genügen, wenn bzw. dass beide Eheleute gemeinsam über einen Vermögensgegenstand oder das gesamte Vermögen verfügen können. Der Gesetzgeber geht mithin typisierend davon aus, dass im Rahmen einer Einstandsgemeinschaft nach § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII die Personen einander auch tatsächlich die entsprechenden Unterstützungsleistungen erbringen.
Gründe:
I
Im Streit sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) für die Zeit vom 12.7.2008 bis 31.12.2009.
Die am 12.7.1943 geborene Klägerin lebte im streitbefangenen Zeitraum mit ihrem 1945 geborenen erwerbsfähigen Ehemann in einer Mietwohnung in R. Sie bezieht seit dem 1.8.2008 eine Altersrente. Ihr Ehemann erhielt im streitbefangenen Zeitraum Arbeitslosengeld II (Alg II) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Zum Vermögen der Eheleute gehörte und gehört (nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG)) eine gemeinsame Eigentumswohnung in der Türkei (Ankara). Die Beklagte lehnte den am 8.7.2008 gestellten Antrag auf Grundsicherungsleistungen ab, weil die Klägerin ihren Lebensunterhalt aus ihrem Vermögen bestreiten könne (Bescheid vom 16.7.2008; Widerspruchsbescheid des Landratsamts vom 5.3.2009).
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) vom 29.4.2010; Urteil des LSG vom 14.4.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Miteigentumsanteil der Klägerin stehe der Gewährung von Grundsicherungsleistungen entgegen. Die Wohnung sei weder Schonvermögen, noch bedeute ihre Verwertung eine Härte; hieran ändere auch nichts, dass die Klägerin mit ihrem Mann in einer sog "gemischten Bedarfsgemeinschaft" lebe und für diesen im SGB II höhere Freibeträge maßgeblich seien, die den Gesamtwert der gemeinsamen Wohnung überstiegen. Ihr insoweit einsetzbares eigenes Vermögen (Wert des Miteigentumsanteils von 5512,30 Euro bei einem Gesamtwert der Wohnung in Höhe von 11 024,60 Euro) könne der Hilfebedürftigkeit Monat für Monat entgegengehalten werden. Es könne deshalb offen bleiben, ob das Vermögen des Ehemanns verwertbar und eine angegebene Forderung (in Höhe von ca. 10 000 Euro gegen eine türkische Investmentfirma) realisierbar sei.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Anlass zur Verwertung der Immobilie habe nicht bestanden, solange sie noch im Leistungsbezug nach dem SGB II gestanden habe. Erst nach dem Ausscheiden aus diesem wegen des Bezugs der Altersrente werde sie zur Verwertung der Wohnung aufgrund der geringeren Freibeträge des SGB XII im Vergleich zu denen des SGB II gezwungen. Dies stelle eine Härte dar, weil die für den im Alg-II-Leistungsbezug stehenden Ehemann maßgeblichen Vermögensfreibeträge - unabhängig davon, wem das Vermögen zustehe - im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft höher seien. Zudem könne sie über ihr Vermögen nicht verfügen, weil der Miteigentumsanteil ohne Zustimmung des Ehemanns nicht verwertet werden könne. Zumindest hätten ihr nach § 91 SGB XII darlehensweise Leistungen bewilligt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid vom 16.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit vom 12.7.2008 bis 31.12.2009 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Es fehlen ausreichende Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für ein abschließendes Urteil.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 16.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2009 (§ 95 SGG), vor dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs. 2 SGB XII idF, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat, i.V.m. § 9 (baden-württembergisches) Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - Gesetzblatt 534). Gegen den Bescheid wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG), wobei Leistungen nur für die Zeit vom 12.7.2008 bis 31.12.2009 verlangt werden, hilfsweise für den Fall der Darlehensgewährung mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 i.V.m. § 56 SGG).
Richtige Beklagte ist nach den vom LSG angewandten landesrechtlichen Vorschriften in der bindenden Auslegung durch das Berufungsgericht (§ 202 SGG i.V.m. § 560 Zivilprozessordnung) die Stadt R. Nach dessen Ausführungen handelt es sich bei der Heranziehung der Beklagten durch den Landkreis gemäß § 99 Abs. 1 SGB XII i.V.m. der vorliegenden landesrechtlichen Regelung um eine "Delegation". Es kann dahinstehen, ob das LSG damit die richtige Bezeichnung gewählt hat, weil keine eigene, neue Zuständigkeit der Beklagten begründet wurde, sondern nur eine Heranziehung im Sinne eines Auftragsverhältnisses eigener Art vorliegt (dazu nur Söhngen in jurisPraxisKommentar (jurisPK)-SGB XII, § 99 SGB XII RdNr. 13 m.w.N. zur Rechtsprechung des Senats). Jedenfalls handelte die Beklagte in eigenem Namen, sodass sie der richtige Klagegegner (nicht, wie das LSG formuliert hat, "passivlegitimiert") ist (vgl. zum Auftragsverhältnis das Senatsurteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 21/08 R - RdNr. 11).
Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere war der Landkreis R , auch wenn er den Widerspruchsbescheid erlassen hat, nicht nach § 75 Abs. 2 1. Alt. SGG (echte notwendige Beiladung) zum Verfahren beizuladen, weil er nicht Dritter im Sinne der gesetzlichen Regelung ist (Senatsurteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 21/08 R - RdNr. 11; aA BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14; vgl. auch Söhngen in jurisPK-SGB XII, § 99 SGB XII RdNr. 8). Eine Abweichung i.S. des § 41 Abs. 2 SGG gegenüber der Entscheidung des 4. Senats vom 22.11.2011 stellt die vorliegende Entscheidung indes nicht dar, weil dieser seine Rechtsprechung inzwischen - wenn auch ohne ausdrückliche Kenntlichmachung - aufgegeben hat (BSG, Urteil vom 16.2.2012 - B 4 AS 14/11 R - RdNr. 20; Urteil vom 22.3.2012 - B 4 AS 99/11 R -, SozR 4-4200 § 12 Nr. 18 RdNr. 13) und offenbar - allerdings ohne jede Begründung - einen Fall der unechten notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGG (mögliche Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers) annehmen will. Auch die Voraussetzungen dieser Regelung sind indes nicht erfüllt, weil der Landkreis nach der bindenden Auslegung des Landesrechts durch das LSG die Leistungen gerade nicht selbst zu erbringen hat. Eine Anfrage beim 4. Senat gemäß § 41 Abs. 3 SGG, ob er seine diesbezügliche Rechtsprechung aufgibt, war auch in diesem Punkt nicht erforderlich, weil die Entscheidung des 4. Senats nicht auf dieser Rechtsansicht beruht (vgl. zu dieser Voraussetzung nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 41 RdNr. 10 m.w.N.); denn die fehlende unechte notwendige Beiladung muss im Revisionsverfahren gerügt werden (Leitherer, a.a.O., § 75 RdNr. 13b m.w.N.), was vorliegend nicht geschehen ist.
Ob die Klägerin einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hat, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht entschieden werden. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist nach § 19 Abs. 2 i.V.m. § 41 Abs. 1 und 2 SGB XII (hier in der Fassung, die die §§ 19, 41 SGB XII durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - erhalten haben) auf Antrag u.a. älteren Personen zu leisten, die - wie die Klägerin - die Altersgrenze erreicht haben und ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und § 90 SGB XII bestreiten können. Dabei sind gemäß § 43 Abs. 1 SGB XII (hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005 - BGBl I 818 - erhalten hat) Einkommen und Vermögen u.a. des nicht getrennt lebenden Ehegatten, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, zu berücksichtigen. Nach § 44 Abs. 1 SGB XII (hier in der ursprünglichen Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) ist jedenfalls der Zeitraum ab 12.7.2008 bis 31.7.2009 von einem möglichen Anspruch umfasst.
Nach § 90 Abs. 1 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) ist das gesamte verwertbare Vermögen der Klägerin und ihres Ehemanns einzusetzen. Ausgehend von seiner Rechtsansicht zur Härteregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII - die der Senat nicht teilt - hat das LSG folgerichtig keine Feststellungen zum Einkommen der Klägerin und ihres Ehemanns und zum Vermögen insgesamt getroffen, sondern nur auf die im gemeinsamen Eigentum der beiden stehende Immobilie in der Türkei abgestellt. Dabei kann offen bleiben, ob das Berufungsgericht den Wert der Immobilie in tatsächlicher Hinsicht für den Senat verbindlich mit 11 024,60 Euro angegeben oder nicht lediglich - ausgehend von den Angaben der Klägerin - einen Wert der Immobilie in Höhe von mindestens diesem Betrag angenommen hat. Denn legt man, falls kein zu berücksichtigendes Einkommen vorhanden gewesen sein sollte, diesen Vermögensgegenstand als einzigen Vermögenswert zugrunde, wäre der genaue Wert dieser Immobilie ohnedies noch zu ermitteln, weil vorliegend ein weitaus höherer Vermögenswert über § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (Härtefallregelung) geschützt ist.
Der Vermögensinhaber muss allerdings über das Vermögen verfügen dürfen und in angemessener Zeit verfügen können (vgl. nur: BSGE 100, 131 ff RdNr. 18 = SozR 4-3500 § 90 Nr. 3). Vorliegend ist das LSG ohne genauere Feststellungen rechtlich von einer tatsächlichen Verwertbarkeit des Miteigentumsanteils der Klägerin an der Wohnung in der Türkei ausgegangen und hat dafür einen Vermögenswert von 5512,30 Euro angenommen, ohne dass klar wird, welche Verwertungsart es dieser Beurteilung zugrunde legt (Verkauf des Miteigentumsanteils oder Beleihung). Die Ausführung, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein werde, ersetzt nicht die notwendigen tatsächlichen Feststellungen.
Ohne rechtliche Bedeutung sind indes die Ausführungen der Klägerin zur angeblich fehlenden rechtlichen Verwertbarkeit, weil sie über ihren Miteigentumsanteil nicht ohne die Zustimmung ihres Ehemanns verfügen könne. Das normative Konzept des § 19 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB XII lässt einen solchen Einwand nicht zu. Die bezeichneten Normen bestimmen vielmehr ausdrücklich, dass auch das alleinige Vermögen des Ehepartners bei der Gewährung von Sozialhilfe zu berücksichtigen ist, sodass sogar die Konstellation erfasst wird, in der von vornherein eine Verfügungsbefugnis des um Sozialhilfe Nachsuchenden fehlt; diesem Konzept würde es zuwiderlaufen, wenn der um Sozialhilfe Nachsuchende einwenden könnte, über das Vermögen überhaupt nicht verfügen zu können. Folgerichtig muss es für eine rechtliche Verfügbarkeit im Sinne des SGB XII genügen, wenn bzw. dass beide Eheleute gemeinsam über einen Vermögensgegenstand oder das gesamte Vermögen verfügen können. Der Gesetzgeber geht mithin typisierend davon aus, dass im Rahmen einer Einstandsgemeinschaft nach § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII die Personen einander auch tatsächlich die entsprechenden Unterstützungsleistungen erbringen. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, welche Rechtsfolge sich ergäbe, wenn Unterstützungsleistungen entgegen der gesetzgeberischen Annahme tatsächlich nicht erbracht würden; der Vortrag der Klägerin bezieht sich ausschließlich auf das rechtliche Nicht-alleine-Verfügen-Können. Ob deshalb in "Notfällen" § 19 Abs. 5 SGB XII (sog unechte Sozialhilfe gegen Ersatz der Aufwendungen) Anwendung findet, kann dahinstehen.
Zu Recht hat jedoch das LSG angenommen, dass es sich bei der Eigentumswohnung in der Türkei nicht um Schonvermögen i.S. des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII handelt. Danach darf Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz und von der Verwertung eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII genannten Personen allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Geschützt ist insoweit nur die Wohnung zur Erfüllung des "Grundbedürfnisses Wohnen" als räumlicher Lebensmittelpunkt, um dem Hilfebedürftigen das "Dach über dem Kopf zu erhalten" (BVerwG Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 11; vgl. auch BSGE 49, 30, 31 = SozR 4220 § 6 Nr. 3 S 2 f; BSGE 84, 48, 51 = SozR 3-4220 § 6 Nr. 7 S 23). Diesen engen Wohnbezug weist die Immobilie in der Türkei nicht auf, die von der Klägerin und ihrem Ehemann nach den insoweit bindenden tatsächlichen Ausführungen des LSG nur für zwei bis drei Monate im Jahr als Urlaubsdomizil genutzt wird.
Eine Privilegierung des gesamten Vermögens kommt vorliegend ebenso wenig nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Betracht. Danach darf Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte. Dieser Norm unterfallen nicht nur unmittelbar Geldbeträge und Geldwerte im engen Sinn, sondern mittelbar auch Vermögensgegenstände, wenn der Erlös nicht den maßgeblichen Freibetrag übersteigt bzw. übersteigen würde (BVerwGE 106, 105 ff; Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr. 91 m.w.N.).
Die genaue Höhe der geschützten Beträge bestimmt sich nach § 96 Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Die Verordnung gilt in vollem Umfang auch für die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII; denn § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verweist ausdrücklich auf § 90 SGB XII, der seinerseits durch die Verordnung konkretisiert wird. Es ist deshalb unschädlich, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a und Nr. 2 der Durchführungsverordnung im Wortlaut nur auf Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII abstellen (Mecke, a.a.O., RdNr. 85; Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 90 RdNr. 80, Stand August 2011; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 1 VO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII RdNr. 12). § 1 der Durchführungsverordnung schützt jedoch (lediglich) einen gemeinsamen Vermögensgesamtwert der Klägerin und ihres Ehemanns (vgl. nur: Mecke, a.a.O., RdNr. 86; Hohm, a.a.O., RdNr. 9) in Höhe von 3214 Euro, weil sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann das 60. Lebensjahr vollendet haben. Dass der Ehemann der Klägerin als Erwerbsfähiger dem Leistungssystem des SGB II unterworfen ist, dort höhere Freibeträge normiert sind und wegen des Ausschlusses der Klägerin von Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 4 SGB II) eine sog gemischte Bedarfsgemeinschaft vorliegt (vgl. hierzu BSGE 108, 241 ff RdNr. 13 = SozR 4-3500 § 82 Nr. 8), ändert hieran nichts. Im Rahmen gemischter Bedarfsgemeinschaften ist die Berechnung der Leistung für jede einzelne Person nach den Vorschriften des für ihn geltenden Gesetzes durchzuführen; Besonderheiten der gemischten Bedarfsgemeinschaft, die sich aus dem Regelungskonzept des SGB II ergeben, ist mit Hilfe der Härteregelung Rechnung zu tragen (BSGE, a.a.O., RdNr. 20 und 24).
Ein solcher Härtefall liegt hier vor, weil nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 65 Abs. 5 SGB II ein höherer gemeinsamer Freibetrag (vgl. dazu BSGE 103, 153 ff RdNr. 18 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 13) gilt, und zwar für jede Person der Bedarfsgemeinschaft ein Grundfreibetrag von 520 Euro pro Lebensjahr bis zu einem Höchstfreibetrag pro Person in Höhe von 33 800 Euro. Es ist nicht darüber zu entscheiden, welcher gemeinsame Freibetrag im Rahmen des SGB II gelten würde; maßgeblich ist allein die Beurteilung der Härte i.S. des § 90 Abs. 3 SGB XII für den Ehemann der Klägerin. Hierfür ist ausschlaggebend, dass er, auch wenn die Klägerin wegen § 7 Abs. 4 SGB II dem Leistungssystem des SGB XII unterworfen ist, gleichwohl mit der Klägerin im Falle seiner Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft bildet (vgl. BSG SozR 4-4200 § 9 Nr. 5 RdNr. 40 m.w.N.); selbst bei fehlender Bedürftigkeit nach Maßgabe des SGB II müssen die ihm zugestandenen Freibeträge des SGB II auch im Rahmen der Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII Berücksichtigung finden. Ob der Ehemann der Klägerin zu Recht Alg II bezieht, ist deshalb ohne Bedeutung. Zwar geht von den Bescheiden über die Bewilligung von Alg II für die vom LSG vorzunehmende Prüfung im Rahmen des SGB XII keinerlei Bindungswirkung aus; es genügt jedoch für die Entscheidung über die Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII, dass der Ehemann der Klägerin als Erwerbsfähiger dem System des SGB II unterfällt und ihm das verbleiben muss, was ihm im Sinne des SGB II nicht genommen werden dürfte.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre es für den Ehemann der Klägerin auch dann eine Härte, wenn er Vermögen einsetzen müsste, das ihm zwar selbst nicht gehört, jedoch nach der normativen Regelung der Bedarfsgemeinschaft als solcher unabhängig davon zugeordnet wird, wer Eigentümer des jeweiligen Gegenstandes ist, wie dies für den Grundfreibetrag pro vollendetem Lebensjahr für jeden der Ehepartner der Fall ist (BSGE 103, 153 ff RdNr. 18 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 13). Gleiches gilt für § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II, wonach vom Vermögen zusätzlich abzusetzen sind ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen. Insoweit greifen die Regelungen des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und die des § 65 Abs. 5 SGB II sogar in besonderer Weise aus Vertrauensschutzgesichtspunkten auf die Vorschriften zum Arbeitslosenhilferecht zurück (BT-Drucks 15/1516, S 67 zu § 65 und S 53 zu § 12); sie dienen der zusätzlichen privaten Absicherung der Altersvorsorge (BT-Drucks 16/1410, S 21 zu § 12) und sollen durch höhere Freibeträge als im Sozialhilferecht stärkere Anreize zur Arbeitsaufnahme schaffen (BT-Drucks 15/1516, S 46). Diese gesetzgeberische Entscheidung darf im Rahmen gemischter Bedarfsgemeinschaften nicht konterkariert werden. Solange alle Mitglieder einer gemischten Bedarfsgemeinschaft bzw. einer bei Bedürftigkeit anzunehmenden Bedarfsgemeinschaft dem System des SGB II unterworfen sind, müssen für die dem SGB II unterworfene Person die für diese günstigeren Regelungen respektiert werden. Bei Wechsel nur einer Person in das System des SGB XII bedarf diese gesetzgeberische Grundentscheidung indes einer Korrektur. Für die aus dem System des SGB II ausscheidende Person sind die auf sie bezogenen Freibetragsanteile nicht mehr zu rechtfertigen. Das SGB XII sieht für Erwerbsunfähige bzw. ältere Menschen gegenüber dem SGB II einen weitaus geringeren Freibetrag in Form des sog "kleinen Barbetrags" vor, der lediglich die Wahrung eines gewissen wirtschaftlichen Bewegungsspielraums gewährleisten soll. Beiden Konzepten, das des SGB II und das des SGB XII, ist jedoch gemeinsam, dass es unerheblich ist, wer im Einzelnen Inhaber des Vermögens ist (siehe oben). Für die bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Klägerin kann sich der auf sie bezogene Freibetragsanteil nur noch in Höhe der Regelung des SGB XII (2600 Euro) errechnen, während der auf ihren Ehemann bezogene Freibetragsanteil sich nach den Vorschriften des SGB II bemisst (750 Euro pro Lebensjahr bis zu einem Höchstwert von 33 800 Euro).
Vorbehaltlich einer genaueren Feststellung des LSG zum gesamten verwertbaren Vermögen der Eheleute, zu dem ggf. auch die von der Klägerin angegebene Forderung gegen die türkische Investmentgesellschaft gehört, dürfte der dem Ehemann der Klägerin verbleibende "Freibetrag" unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen so hoch sein, dass Vermögen jedenfalls der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen an die Klägerin nicht entgegensteht. Indes käme es dann auf die Einkommensverhältnisse der Klägerin und ihres Ehemanns an, zu denen das LSG keinerlei Feststellungen getroffen hat, und zwar weder zur Höhe der der Klägerin gezahlten Rente noch zum Einkommen des Ehemanns der Klägerin, das dieser offenbar neben dem Alg II bezieht; das Alg II selbst ist in entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII kein anrechenbares Einkommen (BSGE 108, 241 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr. 8). Das LSG wird ggf. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.