LSG NRW – Urteil vom 30. 04. 2003 – Az.: L 10 SB 31/02

 

 

Auch eine Vielzahl von 10er Graden der Behinderung sind nicht geeignet eine Haupterkrankung mit einen Einzel- GdB von 20 so zu verstärken, dass ein Gesamt- GdB von 30 zu bilden ist.

 

 

Tatbestand

 

Der 1962 geborene Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch

Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen.

 

Im Oktober 1998 beantragte er erstmals bei dem Beklagten wegen Wirbelsäulen- und Hüftbeschwerden sowie eines Diabetes

mellitus den bei ihm bestehenden GdB festzustellen. Der Beklagte holte von den behandelnden Ärzten Dr. E. und Dr.

K. Befundberichte ein. Nach deren Auswertung durch die beratende Ärztin Dr. V.-S. stellte der Beklagte

mit Bescheid vom 22.01.1999 einen GdB von 20 wegen folgender Gesundheitsstörungen fest:

 

1. Verschleiß und Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule bei Fehlhaltung und Nervenwurzelreizung

 

2. Zuckerkrankheit.

 

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, es seien weder der Hüftgelenksschaden, der Beckenschiefstand, die Zwischenwirbelraumdegeneration noch die Notwendigkeit, eine Rückenbandage zu tragen, berücksichtigt noch die Zuckerkrankheit angemessen beurteilt worden. Nach erneuter Auswertung der eingeholten ärztlichen Berichte durch den Arzt L. wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.1999 zurück.

 

Zur Begründung seiner am 31.03.1999 beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhobenen Klage hat der Kläger erneut auf das Hüft-

und Wirbelsäulenleiden und die dadurch bedingten Beeinträchtigungen hingewiesen. Für die orthopädischen

Gesundheitsstörungen und die diätpflichtige Zuckererkrankung sei ein Gesamt-GdB von mindestens 30 angemessen.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.1999 zu verurteilen, bei ihm ab Antragstellung einen GdB von 30 festzustellen.

 

Der Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

 

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten von Dr. E.

und Dr. K. sowie der orthopädischen Gutachten des Dr. D. vom 29.06.2000 und - auf den Antrag des Klägers gemäß

§ 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - des Dr. B. vom 17.09.2001.

 

Der Sachverständige D. hat häufig wiederkehrende Lendenwirbelsäulenbeschwerden mit zwischenzeitlichen

Nervenwurzelreizerscheinungen der Beine bei degenerativen Veränderungen der letzen Lendenbandscheibe mit Verdacht auf

Wirbelbogenspalte L 5/S 1 sowie wiederkehrende Halswirbelsäulenbeschwerden ohne degenerative Veränderungen festgestellt

und mit einem GdB von 20 bewertet. Die leichte Hüftdysplasie ohne Bewegungsbehinderung und ohne Arthrose bedinge keinen

messbaren GdB. Unter Einbeziehung des mit einem GdB von 10 bemessenen diätpflichtigen Diabetes mellitus hat der

Sachverständige D. einen Gesamt-GdB von 20 vorgeschlagen.

 

Der Sachverständige B. hat sich hinsichtlich der Funktionsstörungen der Wirbelsäule der Beurteilung des

Sachverständigen D. angeschlossen. Eine Erhöhung des GdB auf 30 auf Grund des erhobenen Befundes halte er für noch

nicht gegeben. Die geringgradige Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk, die radiologisch gesicherte Steilstellung

beider Schenkelhälse mit knapper Überdachung der Hüftköpfe hat er mit einem GdB von 10 bewertet. Unter Einbeziehung des

GdB von 10 für die Zuckererkrankung hat er den Gesamt-GdB mit 30 bewertet.

 

Das SG ist im Wesentlichen dem Sachverständigen D. gefolgt und hat mit Urteil vom 31.01.2002 die Klage abgewiesen. Zur

Begründung hat es ausgeführt, nach den insoweit übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen D. und B. komme

unter Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach

dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) 1996, Nr. 26.18, für die beim Kläger bestehenden mittelgradigen funktionellen

Auswirkungen an der Lendenwirbelsäule und die geringgradig ausgeprägten Auswirkungen an der Halswirbelsäule kein höherer

GdB als 20 in Betracht. Auch der behandelnde Orthopäde Dr. K. habe den GdB für die Wirbelsäulenbeeinträchtigungen mit

20 eingeschätzt. Zwar habe der Sachverständige B. im Gegensatz zu dem Sachverständigen D. neben den

radiologischen Veränderungen an den Hüftgelenken eine geringgradige Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk

festgestellt und für diese einen GdB von 10 vorgeschlagen. Ein Einzel-GdB von 20 für diesen Leidenskomplex könne jedoch

ausgeschlossen werden. Der medikamentös eingestellte Diabetes mellitus Typ II sei nach den Vorgaben der AHP mit einem

Einzel-GdB von 10 korrekt bewertet worden. Der Gesamt-GdB von 20 sei zutreffend. Er bestimme sich nach den AHP-Nr. 19

nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen

Beziehungen. Einzelwerte dürften nicht addiert werden, es sei vielmehr von dem höchsten Einzel wert auszugehen und im

Hinblick auf die weiteren Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit dadurch das Ausmaß der Behinderungen größer werde.

Dabei sei insbesondere zu beachten, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig seien

oder sich überschnitten. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingten, führten in der Regel

nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Dies könne auch für 20er-Werte gelten. Vorliegend betrage der höchste Einzel-GdB

20. Darüber hinaus liege ein weiterer Einzel-GdB von 10 vor, der nicht addiert werden könne, so dass eine Erhöhung des

GdB nicht in Betracht komme. Selbst die Berücksichtigung eines weiteren Einzel-GdB von 10 für die Hüfterkrankung würde

daran nichts ändern. Soweit der Sachverständige B. einen Gesamt-GdB von 30 angenommen habe, sei diese Beurteilung

nicht nachvollziehbar. Einzel-GdB-Werte von 10 dokumentierten, dass es sich um leichte Behinderungen handele, die in

aller Regel nicht geeignet seien, sich erhöhend auf den Gesamt-GdB auszuwirken. Ein Ausnahmefall liege bei dem Kläger

nicht vor. Denn es könne weder eine gegenseitige Verstärkung der Funktionsbeeinträchtigungen noch eine besonders

nachteilige gegenseitige Auswirkung begründet werden.

 

Gegen das am 25.02.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.03.2002 Berufung eingelegt und zu deren Begründung unter

Beifügung eines Attestes des Arztes Dr. E. darauf hingewiesen, im Vordergrund stünden die Funktionsstörungen an der

Wirbelsäule, deretwegen er in ständiger ärztlicher Behandlung stehe.

 

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

 

     das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31.01.2002 abzuändern und den

     Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom

     17.03.1999 zu verurteilen, ab Antragstellung den GdB mit 30 festzustellen.

 

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

 

     die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung weitere Befundberichte der be

handelnden Ärzte Dr. T. vom 08.01.03, Dr. E. vom 28.01.03 und Dr. O. - Eingang 12.03.03 -. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden,

weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

 

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

 

Das SG hat die Klage zu Recht mit überzeugender Begründung abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide

vom 22.01. und 17.03.1999 nicht beschwert; denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB mit 30.

 

Zur Begründung - und Vermeidung von Wiederholungen - nimmt der Senat auf die Gründe des angefochtenen Urteiles Bezug (§

153 Abs. 2 SGG) und bemerkt ergänzend:

 

Das SG hat die von den Sachverständigen festgestellten Gesundheitsstörungen und deren Bewertung unter Berücksichtigung

der AHP überprüft. Ein Anhalt für eine fehlerhafte nicht in Einklang mit den Vorgaben der AHP stehende Beurteilung der

Funktionsstörungen und Einschätzung des Gesamt-GdB ist nicht gegeben. Weder das vom Kläger eingereichte Attest des

Arztes Dr. E. vom 03.09.2002 noch das Ergebnis der daraufhin vom Senat angestellten weiteren Ermittlungen führt zu

einer anderen, für den Kläger positiver Beurteilung. Anlass zu weitergehenden Ermittlungen, insbesondere zur Einholung

medizinischer Gutachten, bestand nicht.

 

Dass der Kläger wegen der Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule mehrfach arbeitsunfähig gewesen ist und in ständiger

ärztlicher Behandlung steht, hatte er bereits dem Sachverständigen D. berichtet. Ebenso sind die von Dr. E. in der

o.g. Bescheinigung und von Dr. O. mitgeteilten Befunde an der Lendenwirbelsäule schon in den eingeholten

Gutachten, insbesondere in dem des Sachverständigen B., beschrieben und berücksichtigt worden.

 

Die außerdem in der ärztlichen Bescheinigung des Dr. E. aufgeführten internistischen Diagnosen haben sich bis auf den

Diabetes mellitus in dem Befundbericht des genannten Arztes nicht wieder gefundenen. Auch das Vorbringen des Klägers und

die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens eingeholten ärztlichen Berichte geben keinen Anhalt dafür, dass das von

Kläger auf "etwa 1992" datierte Magenleiden und die 1998 diagnostizierte Eisenmangelanämie sowie die in der

Bescheinigung des Dr. E. vom 03.09.2002 genannte Diagnose einer Hyperlipidämie Funktionsstörungen verursachen, deren

Auswirkungen einen messbaren GdB bedingen. Bezüglich des diätpflichtigen Diabetes mellitus sind ebenfalls keine Befunde

angeführt worden, die die Beurteilung mit einem Einzel-GdB von 10 unrichtig erscheinen lassen.

 

Bei der Bildung des Gesamt-GdB hat das SG zutreffend unter Hinweis auf die AHP Nr. 19 Abs. 4 Einzel-GdB-Werte von 10

außer Acht gelassen. Selbst unter Berücksichtigung eines weiteren Einzel-GdB von 10 für die von dem Sachverständigen

B. festgestellte geringgradige Bewegungsbeeinträchtigung des rechten Hüftgelenkes käme eine Anhebung des höchsten

Einzel-GdB von 20 für das Wirbelsäulenleiden nicht in Betracht. Darauf, dass die Grundsätze der Nr. 19 der AHP dem Gesetz

entsprechen und im Einklang mit dem gegenwärtigen Kenntnisstand der sozialmedizinischen

Wissenschaft stehen, und auf das in der Nr. 19 Abs. 4 der AHP ausgesprochene grundsätzlich geltende Erhöhungsverbot hat

das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 13.12.2000 (B 9 V 8/00 R) noch einmal ausdrücklich hingewiesen.

 

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

 

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.