LSG Nordrhein-Westfalen - L 10 SB 53/06 - Beschluss vom 15.02.2008
Bei einer E-Mail sind die Anforderungen an Authentizitäts- und Sicherungsfunktion nicht erfüllt. Es ist bei ihr nicht erkennbar, dass - hier - die Berufung vom Berufungsführer herrührt und dieser sie wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht hat.
Gründe
I.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat mit Urteil vom 22.08.2006 eine auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 30 nach den Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuch (SGB IX) gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers, einem Rechtsanwalt, mit Empfangsbekenntnis (EB) vom 13.09.2006 zugestellt.
Unter dem 13.10.2006 erreicht das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) eine E-Mail von "[email protected]". Der Text dieser E-Mail nimmt Bezug auf ein Aktenzeichen Nr. "100/02G/vd:" und führt unter "Betreffs" auf: "Widerruf des Urteils des Sozialgerichts Köln (S 24 (17) SB 338/04) vom 22.08.2006". Im Text der E-Mail heißt es weiter: "Hiermit lege ich Berufung ein gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln ...". Die E-Mail endet mit "Mit freundlichen Grüßen Herr L. N.".
Der Text der E-Mail ging in Papierform unter dem 16.10.2006 bei dem LSG NRW ein. Dieses Schreiben enthält ausschließlich einen maschinenschriftlichen Text und ist nicht unterzeichnet.
Erstmals am 06.02.2007 erreichte das Gericht ein offenbar von dem Kläger persönlich unterzeichnetes Schreiben, in welchem er sich inhaltlich zum Berufungsbegehren äußert.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.08.2006 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 05.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2002 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 30 festzustellen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist unzulässig. Sie wurde nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt.
Nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach Abs. 2 S. 1 der Vorschrift ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufung des Klägers ist nicht binnen dieser Frist eingelegt worden.
Das angegriffene Urteil des SG Köln wurde dem Kläger am 13.09.2006 zugestellt; dies bestreitet er nicht. Damit endete die Berufungsfrist am 13.10.2006 (§ 64 Abs. 2 SGG). Die Berufung wurde jedoch frühestens am 06.02.2007 eingelegt.
Bei der E-Mail handelt es sich um ein elektronisches Dokument (Zeihe, SGG, § 151 Rdn. 5). Trotz der Verfügbarkeit moderner Kommunikationsmittel und dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formstrenge auszeichnenden sozialrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren müssen für die Wirksamkeit der Klage/Berufung zur Sicherung der Authentizitäts- und Sicherungsfunktion besondere Anforderungen erfüllt sein. Für das Gericht muss erkennbar sein, dass die Berufung vom Berufungsführer herrührt und dieser sie wissentlich und willentlich in den Verkehr gebracht hat (BVerfG vom 11.02.1987 - 1 BvR 475/85 - und vom 04. 07. 2002 - 2 BvR 2168/00 - NJW 2002, 3534; GmS OGB 1/98 = BGHZ 144, 160, 165; BSG vom 18.12. 2003 - B 1 KR 1/02 S - und vom 21.06.2001 - B 13 RJ 5/01 R -: vgl. auch Frehse in: Jansen, SGG, 2. Auflage, 2005, § 151 Rdn. 5 ff.). Diese Authentizitätssicherung wird durch einfache E-Mails nicht gewährleistet. Der Absender ist nicht ausreichend sicher identifizierbar; es besteht die Gefahr von Missbrauch und Täuschung durch Unbefugte (vgl. OVG Niedersachsen vom 17.01. 2005 - 2 PA 108/05 -). Demgemäß bestimmt nunmehr § 65a Abs. 1 Satz 1 SGG, dass die Beteiligten dem Gericht elektronische Dokumente übermitteln können, soweit dies für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Rechtsverordnung der Bundesregierung oder der Landesregierungen zugelassen worden ist. Eine per E-Mail eingelegte Berufung kann sonach dann die Schriftform wahren, wenn die entsprechenden landesrechtlichen Vorgaben existieren und diese Voraussetzungen z.B. mittels digitaler Signatur erfüllt sind (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, vom 10.09.2007 - L 4 R 447/06 - Viefhues NJW 2005, 1009 ff. ). Fehlt es hieran, besteht die rechtliche Möglichkeit zur verfahrenserheblichen Kommunikation mit dem Gericht nicht (LSG NRW vom 26.04.2007 - L 9 SO 25/06 -; vgl. auch Zeihe, SGG, § 65a Rdn. 15). Landesrechtliche Regelungen bestehen in Nordrhein-Westfalen derzeit nicht. Schon deswegen kann - jedenfalls derzeit - eine Berufung nicht wirksam mittels E-Mail eingelegt werden.
Damit fehlt vorliegend die Unterschrift des Klägers; zudem lässt sich nicht sicher feststellen, wie das Schriftstück in den Verkehr gelangt ist und ob es seinerzeit nicht nur ein Entwurf war, der ohne Wissen und Wollen des Klägers bei Gericht eingegangen ist. Aus später bei Gericht eingegangenen Schriftstücken darf ein solcher Schluss nicht gezogen werden. Er muss sich vielmehr eindeutig aus dem Berufungsschriftsatz selbst ergeben. Die Schriftform des § 151 Abs. 1 SGG soll gewährleisten, dass das Schriftstück den Inhalt der Erklärung und die Person, die sie abgibt, zuverlässig wiedergibt und dass es sich nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern um eine Erklärung, die mit Wissen und Wollen des Beteiligten dem Gericht zugeleitet wurde (vgl. Mayer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 8. Auflage, 2005, § 151 Rdn. 3).
Auch das unter dem 16.10.2006 bei Gericht eingegangene Schreiben wahrt die Schriftform des § 151 Abs. 1 SGG nicht, weil es nicht, auch nicht durch eine Paraphe, unterzeichnet ist.
Soweit zu Gunsten des Klägers mit dem am 06.02.2007 eingegangenen Schreiben, welches offenbar von diesem unterzeichnet ist, eine konkludente Berufung angenommen werden kann, so wahrt dieses Schreiben die Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG nicht.
Dem Kläger ist wegen der Versäumung der Berufungsfrist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren. Er hat selbst keinen Gesichtspunkt auf zeichnen können, der für ein fehlendes Verschulden der Einhaltung der gesetzlichen Verfahrensfrist spricht. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte hierfür.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).